Kein neuer Konsumtempel in Berlin!

Foto: Jörg Zägel, CC 3.0, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Berlin,_Kreuzberg,_Hasenheide_1-6,_Karstadt.jpg

„KarSTADT ERHALTEN“ macht mobil in Berlin Kreuzberg und Neukölln

Mitten in Berlin am Hermannplatz soll eines der größten Shoppingcenter Europas entstehen. Doch es regt sich Widerstand!

Von Ronald Luther, Berlin

Nicht weniger als 120 Anwohner*innen informierten sich am 20. November 2019 bei einer Veranstaltung der Anwohnerinitiative „KarSTADT ERHALTEN“ über das geplante Bauvorhaben der SIGNA Holding GmbH. Das österreichische Immobilien- und Handelsunternehmen hat vor, in den nächsten Jahren das Karstadt-Gebäude am Berliner Hermannplatz abreißen zu lassen. Dafür soll ein neues Luxus-Einkaufsgebäude im Stil der 1920er Jahre errichtet werden. Insgesamt soll dieses Bauprojekt nicht weniger als 450 Millionen Euro kosten! Geplant ist, dass die Verkaufsfläche von derzeit 24.300 m² auf bis zu 120.000 m² wächst. Damit würde das 60.000 m² große KaDeWe als größtes Kaufhaus Europas abgelöst werden. Die eigentliche Verkaufsfläche des Karstadt-Warenhauses am Hermannplatz soll allerdings auf 17.000 bis 20.000 m² schrumpfen. Für die geplante große Markthalle sind 3.500 m² und für Gastronomie 5.000 m² Nutzungsfläche vorgesehen. Weiterhin sollen unter anderem ein Hotel, Büros und angeblich auch Wohnungen, eine Kita, kleinteiliges Gewerbe und öffentlich zugängliche Flächen entstehen. Aus dem klassischen Warenhaus Karstadt wird damit eine sogenannte „Mixed-Use-Immobilie“, von der es in Berlin bereits genügend gibt.

Wohnungen, eine Kita, kleinteiliges Gewerbe und öffentlich zugängliche Flächen hören sich ja eigentlich erst mal ganz gut an. Bei der Anwohnerversammlung wurde aber die Befürchtung geäußert, dass damit die umliegenden Kleingewerbetreibenden verdrängt werden. Denn der Luxus-Neubau am Hermannplatz wird sich nur finanziell rechnen, wenn sich dort ähnlich wie im KaDeWe Geschäfte des gehobenen Sortiments und mit Luxuswaren einmieten und im Umfeld des Hermannplatzes ansiedeln. Es ist zu erwarten, dass sich im Karstadt-Umfeld große Handelsketten ausbreiten werden. Die damit zu erwartenden stark steigenden Gewerbemieten werden zu einer weiteren Verdrängung der bisherigen kleinen Geschäfte führen. So wies die Gewerbeinitiative „OraNostra“ kürzlich darauf hin, dass in den letzten zwei Jahren allein am Kottbusser Damm zehn Geschäfte dicht machen mussten. Selbst Kita‘s müssen bereits wegen stark steigender Mieten schließen. Aktuell sind in ganz Berlin 35 Kinderläden von Schließung bedroht. Was nutzt da ein unsicheres Zugeständnis für eine KITA im neuen Karstadt-Gebäude, wenn durch die damit einhergehenden Mietsteigerungen Kinderläden in der Nachbarschaft schließen müssen?

Goldgräberstimmung in Berlin

Das neue Premium-Gebäude wird wohl kaufkräftige Kundschaft aus ganz Berlin anziehen. Von denen werden sich manche bestimmt auch für die dort geplanten hochpreisigen Eigentumswohnungen interessieren. Auch die Vermieter*innen in den angrenzenden Kreuzberger und Neuköllner Kiezen sollen bereits Dollar-Zeichen in den Augen haben. So wird die weitere Aufwertung der Kieze über kurz oder lang auch zu weiter steigenden Mieten bei Wohnungen führen. Wer sich die hohen Wohnungsmieten und Preise in den Geschäften nicht mehr leisten kann wird dann wohl wegziehen müssen. Unklar ist auch, was mit den 500 Arbeitsplätzen, davon allein 300 bei Karstadt, passiert. Leider gibt es dazu vom Betriebsrat und der Gewerkschaft ver.di noch keine Statements oder Kampfansagen.

Dieses Vorhaben ist nur eines von mehreren Bauprojekten der 16 Milliarden Euro schweren Signa-Gruppe, die im Jahr 2018 einen Jahresgewinn von über einer Milliarde Euro nach Steuern erzielte. Insgesamt sollen 3,5 Milliarden Euro in ganz Berlin investiert werden. So werden neben dem Kaufhof-Gebäude am Alexanderplatz ein Wolkenkratzer errichtet, das KaDeWe umgebaut und für 900 Mio Euro das Karstadt-Gebäude am Kurfürstendamm durch drei Wolkenkratzer ersetzt. Außerdem soll neben der Mercedes-Benz-Arena das Hochhaus „Stream“ für den Online-Händler Zalando und an der Schönhauser Allee ein neues Bürogebäude entstehen. Umgebaut wird für Zalando derzeit bereits der frühere Kaufhof am Ostbahnhof. Dagegen regt sich immer mehr Widerstand.

SPD und GRÜNE Hand in Hand mit SIGNA

Auf die wachsende Kritik von Anwohner*innen am Hermannplatz reagiert der Investor René Benko mit einer Charme-Offensive von Signa. Statt auf Konfrontation setzt man vorerst auf Dialog. So wurde auf dem Hof des Karstadt ein Café „als Ort des Austausches“ und in der obersten Etage eine Ausstellung eröffnet. Joachim Haske von der Anwohnerinitiative wies aber in der Novemberausgabe von ver.di-Publik darauf hin: „Dialog am Hermannplatz, das würde ja bedeuten, dass die Sache noch nicht entschieden ist – ist sie aber: Die wollen hier ihr Ding machen. Und SIGNA geht es vor allem um die Immobilie und maximalen Gewinn.“ Und wie recht er damit hat zeigt die Drohung von Benko bei einer Veranstaltung der Berliner Industrie- und Handelskammer, solche Streitigkeiten auch aussitzen zu können: „Wir können ein Projekt auch zehn Jahre liegen lassen“. Geld fürs Rumsitzen hat er jedenfalls. So schätzte das Wirtschaftsmagazin Forbes das Vermögen von Benko im Jahre 2019 auf 4,9 Milliarden Dollar.

Eigentlich soll es 2021 mit dem Bau am Hermannplatz losgehen. Allerdings lehnte der zuständige Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Florian Schmidt von den GRÜNEN anfänglich den Bau „aufgrund von Dimension, Wirkung und geplanter Nutzung des Gebäudes“ ab. Dabei wurde er vom Neuköllner Baustadtrat Jochen Biedermann von den GRÜNEN unterstützt. Inzwischen hat Schmidt aber wieder das Gespräch mit Signa gesucht. Grund für diesen Rückzieher dürfte sein, dass die Berliner SPD mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und die Berliner GRÜNEN mit Wirtschaftssenatorin Ramona Pop Druck auf den Bezirk Kreuzberg gemacht haben. Zusätzlich eröffnete Pop die Signa-Ausstellung „Kiezgestein – 90 Jahre Karstadt am Hermannplatz“, die den Neubau schmackhaft machen soll. Interessant ist auch, dass für die als Bürgerdialog getarnte Werbekampagne die Beratungsagentur Joschka Fischer und Company beaufragt wurde. Müller wiederum verwies auf die Möglichkeit, dass der Senat bei einer weiteren Verweigerungshaltung des zuständigen Bezirks Kreuzberg die Projektleitung an sich ziehen könnte. Allerdings wäre dann die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen mit Senatorin Katrin Lompscher von DIE LINKE. an der Spitze zuständig. DIE LINKE. ist aber die einzige Partei, die sich eindeutig gegen den Abriss und Neubau am Hermannplatz positioniert hat. Hier deutet sich also ein neuer Konflikt im rot-rot-grünen Senat an.

Noch wenig wird bisher auch über die Auswirkungen der Baumaßnahme auf Umwelt und Umgebung eingegangen. So wird über viele Jahre hinweg eine große energieintensive Baustelle am Hermannplatz entstehen, die für viel Staub, Dreck, Lärm, Stau und Bauverkehr sorgen wird. Unmengen an Bauschutt müssen entsorgt werden. Eine große Belastung für Mensch und Umwelt. Hinzu kommt, dass der Bau hauptsächlich aus Beton bestehen soll. Dafür werden Unmengen an Bausand, Zement und Wasser gebraucht. Eine Vertreterin der Initiative „Watch Indonesia“ wies bei der Anwohnerversammlung darauf hin, dass Zement der Klimakiller schlechthin sei. Allein die Zementproduktion verursacht viermal so viel CO2-Ausstoß wie der gesamte internationale Flugverkehr und sorgt für 8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. In Indonesien führt der wachsende Bedarf nach Zement zur Zerstörung der Karstlandschaft im Kendeng-Gebirge und der kleinbäuerlichen Landwirtschaft sowie zur Gefährdung der Wasserversorgung. Hinzu kommt der wachsende Bedarf an Bausand, der in Indonesien bereits zum Verschwinden ganzer Inselwelten und in vielen Regionen der Welt zum Raub ganzer Strände geführt hat.

Wie kann SIGNA besiegt werden?

Die Anwohner*innen waren sich einig, dass ein Abriss und Neubau des Karstadt-Gebäudes abzulehnen und Widerstand nötig ist. Leider gab es außer der Möglichkeit seine Mail-Adresse zu hinterlassen nur das Angebot, an einen Informationsstand teil zu nehmen, der jeden Donnerstag von 16 bis 18 Uhr am Karstadt-Gebäude Hermannplatz Ecke Hasenheide stattfindet. Weitere Aktionen und Treffen wurden nicht besprochen. Dabei ist es wichtig, dass die Anwohner*innen beginnen, sich in der Anwohnerinitiative zu organisieren und aktiv zu werden. Massive Protestaktionen können notwendig werden, um ein kapitalistisches Milliardenunternehmen wie Signa und dessen Unterstützer*innen in der Politik zu stoppen. Dazu ist eine Aufklärungs- und Informationskampagne in den Kiezen rund um den Hermannplatz und darüber hinaus nötig. Ein nächster Schritt könnte dann eine Demonstration gegen den Immobilienwahnsinn am Hermannplatz sein. Gut ist, dass die Anwohnerinitiative bereits von 30 Initiativen aus ganz Berlin unterstützt wird und das Thema auf der anstehenden Berliner Mietenwahnsinn-Demonstration am 28. März 2020 bekannt machen will. Denn Bauprojekte wie am Hermannplatz sorgen mit für steigende Mieten und für Verdrängung.

Wichtig ist aber auch, dass eine Verbindung zu den Beschäftigten im Karstadt hergestellt wird. Denn diese sind nicht nur von Arbeitsplatzverlust bedroht, sondern ebenfalls von steigenden Mieten betroffen, die die so schon niedrigen Löhne weiter auffressen. So könnte die Anwohnerinitiative gemeinsam mit kämpferischen ver.di-Gewerkschafter*innen eine Veranstaltung für die Beschäftigten organisieren. Dort könnte gemeinsam darüber beraten werden, wie erreicht werden kann, dass sich Betriebsrat und die Gewerkschaft ver.di des Themas annehmen und Widerstand bis hin zu Streiks organisieren. Streiks würden Benko und Co. so richtig weh tun, da diese deren Profite schmälern. Und das könnte schneller als gedacht zum Einlenken von Signa führen. So wenig die Anwohner*innen auf die Funktionär*innen in Gewerkschaften warten oder sich auf bürgerliche Politiker*innen verlassen dürfen so wichtig ist es, dass sie den Kontakt zu den Karstadt-Beschäftigten, der Basis der Gewerkschaften und der LINKEN suchen. Insbesondere muss Druck auf DIE LINKE. gemacht werden, die sich als einzige Partei gegen den Neubau des Karstadt am Hermannplatz positioniert hat. Sie kann im Berliner Senat dafür sorgen, dass das Bauvorhaben endgültig gestoppt wird. Dazu wäre es sinnvoll, wenn die Anwohnerinitiative und die Aktionsgruppe „LINKE gegen Karstadt-Abriss!“ der Kreuzberger und Neuköllner LINKEN zusammen arbeiten. Dabei ist es wichtig, dass DIE LINKE. darauf hinweist, dass das Bauprojekt allein der Profitmaximierung und nicht den Menschen dient. Dass wir nur entscheiden können, was mit dem Karstadt-Gebäude passiert, wenn dieses uns gehört. Und dass es dazu notwendig ist, Karstadt und Kaufhof in öffentliches Eigentum zu überführen und unter Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung zu stellen. In Kooperation mit den Anwohner*innen könnte dann diskutiert werden, wie das Gebäude im Interesse der Neuköllner Bevölkerung genutzt werden soll. Denn nur in einer demokratisch geplanten staatlichen Wirtschaft ist es möglich, gemeinsam darüber zu diskutieren und zu entscheiden, welche Wohnungen, Grünflächen, Begegnungszonen und Einkaufsmöglichkeiten wir tatsächlich brauchen. Und wie wir dabei nachhaltig bauen und sogar Arbeitsplätze schaffen statt vernichten können. Den Kampf gegen Signa und Benko und für eine Stadt die uns gehört können wir jedenfalls nur gewinnen, wenn wir diesen mit dem Kampf für eine demokratisch geplante nicht profitorientierte sozialistische Gesellschaft verbinden, in der die Ursachen für Krisen, Kriege, Sozialabbau, Umweltzerstörung und Rassismus nicht mehr vorhanden sind.

Infos zur Anwohnerinitiative: https://initiativehermannplatz.noblogs.org/