Spanien nach den Wahlen

Generalstreik in Katalonien im Oktober 2017; Foto: Wikimedia/CC

Kein Weg aus der politischen Sackgasse

Die Parlamentswahlen vom November haben es nicht geschafft, Spanien aus der politischen Sackgasse zu befreien, in der es seit über einem Jahr gefangen ist.

Von Ross Saunders

Die revolutionären Ereignisse, die Katalonien erschüttert haben, haben stattgefunden, während die Arbeiter*innenklasse im übrigen Spanischen Staat von den wichtigsten Parteien der Linken keinen klaren Weg nach vorne angeboten bekommen hat. Gleichzeitig ist die extreme Rechte im Aufstieg. Die Zeit für die Linke läuft ab, eine Lösung für die Krise zu bieten.

Diese Wahl – die zweite in diesem Jahr und die vierte in vier Jahren – ging spektakulär nach hinten los gegen Regierungspräsident Pedro Sánchez und seine falsch benannte Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE): Er konnte nicht nur keine Mehrheit im Cortes, dem spanischen Parlament, erreichen, sondern die PSOE verlor sogar drei Sitze, so dass sie mit nur 120 von insgesamt 350 in der Kammer verblieb. Zum Zeitpunkt des Schreibens ist nicht klar, ob Sánchez in der Lage sein wird, als Regierungspräsident zu verbleiben. Er ist auf die Stimmen der katalanischen Unabhängigkeitsparteien angewiesen, einschließlich der ERC, deren Führer*innen er inhaftiert hat!

Der Rückschlag für die PSOE zeigt, dass es keine Begeisterung für die Sánchez-Regierung gibt. Kein Wunder. Keine einzige Kürzung und kein Angriff auf die Arbeiter*innenrechte durch frühere Regierungen ist rückgängig gemacht worden, und kontinuierliche Kürzungen haben die Wirtschaft schwach und die Arbeiter*innenklasse arm gehalten. Die Verschuldung Spaniens liegt bei fast hundert Prozent des BIP und die Arbeitslosenquote Spaniens liegt mit 14,2 Prozent nach Griechenland an zweiter Stelle. Es wird noch schmerzhafter: Die Prognosen für das Wachstum der spanischen Wirtschaft werden angesichts der drohenden nächsten Rezession ständig nach unten korrigiert. Was wird Sánchez tun, wenn die Wirtschaftskrise zuschlägt und die Kapitalist*innen mehr Kürzungen bei Löhnen, Arbeitsplätzen und Dienstleistungen fordern?

Marxist*innen haben die Pflicht, der Arbeiter*innenklasse die Wahrheit über Sánchez und die PSOE zu sagen. Beide sind voll entschlossen, den Bedürfnissen des von ihnen unterstützten kapitalistischen Systems zu dienen, egal was die Kosten für die Arbeiter*innen sind. Sánchez hat zugesagt, wenn er Regierungspräsident bleibt, weiterhin streng gehorsam gegenüber der Troika (EU, IWF und Weltbank) zu sein, die letzte Woche mehr Privatisierung und weitere 9,6 Milliarden Euro Kürzungen gefordert hat.

Wir müssen Alarm schlagen, alle Illusionen der Arbeiter*innen zerstreuen, dass eine PSOE-Regierung ihre Krise lösen könnte, und sie aufrufen, sich auf einen Kampf durch ihre Gewerkschaften vorzubereiten. Gewerkschaftsverbände wie die CCOO, die UGT und andere sollten die Organisation einer gemeinsamen Vertrauensleutekonferenz im Vorfeld des kommenden wirtschaftlichen Sturms erörtern, damit die Arbeiter*innen diesmal besser vorbereitet sind als vor dem Crash von 2007/2008. Die Arbeiter*innen müssen sich auch politisch organisieren, indem sie eine Arbeiter*innenpartei aufbauen.

Die Wahl war auch kein Sieg für die anderen Parteien des kapitalistischen Establishments. Die Volkspartei (PP) – historisch die Hauptpartei des spanischen Kapitalismus – gewann einen Teil ihres verlorenen Bodens zurück und erhielt 88 Sitze, verzeichnete aber immer noch das zweitschlechteste Ergebnis in ihrer dreißigjährigen Geschichte (drei Millionen Stimmen weniger, als zum Zeitpunkt ihrer letzten Regierungsbeteiligung).

Der fast vollständige Zusammenbruch der neuen rechten Partei „Bürger“ (Ciudadanos) lieferte der PP die Stimmen derjenigen, die es nicht über sich bringen konnten, die rechtsextreme Partei Vox zu unterstützen. Der Fall von Ciudadanos – von 57 Sitzen und dem dritten Platz bei den Aprilwahlen auf nur zehn Sitze und den sechsten Platz im November – ist ein Symbol für die Instabilität der politischen Lage in Spanien. Und eine Warnung auch an die neue linke Partei, Podemos, dass neue Parteien kometenhaft aufsteigen und genauso schnell niedergehen können, wenn sie Fehler machen.

Der Aufstieg von Vox war das große Thema dieser Wahl und wurde vom kapitalistischen Establishment als Waffe eingesetzt, um zu versuchen, die anderen Parteien dazu zu bringen, eine Regierung mit einem kapitalistischen Kürzungsprogramm zu unterstützen. Marxist*innen sind sich darüber im Klaren, dass, wenn die Linke die Kürzungen der Establishmentparteien unterstützt – ob sie nun konservativ, liberal oder sozialdemokratisch sind – es dann die extreme Rechte sein wird, die davon profitiert, wenn sie sich fälschlich als Alternative ausgibt. Die Arbeiter*innen brauchen eine wirkliche sozialistische Regierung, die unabhängig von den Kapitalist*innen und ihren Parteien ist.

Der Anstieg von Vox war in der Tat dramatisch und sollte eine Warnung für die Linke sein. Noch vor einem Jahr hatte diese rechtsextreme Partei keine Abgeordneten, aber bei der letzten Wahl belegte sie den dritten Platz und 52 Sitze – doppelt so viele wie im April. Vox sagt, dass sie Migranten abschieben will, die Verbrechen begehen; sich Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe widersetzt und drastische Steuersenkungen für die reichsten Einzelpersonen und Unternehmen unterstützt. Sie hat die Ausrufung des Ausnahmezustands in Katalonien und die brutale Unterdrückung derjenigen, die die Unabhängigkeit unterstützen, gefordert. Sie versucht, sich auf die Ängste der Arbeiter*innen außerhalb Kataloniens zu stützen, welche wirtschaftlichen Auswirkungen es hätte, wenn diese industriell entwickelte Region den Spanischen Staat verlässt. Nur ein sozialistisches Programm, das verspricht, den Lebensstandard für alle Arbeiter*innen sowohl innerhalb als auch außerhalb Kataloniens zu erhöhen, könnte diese Ängste zerstreuen.

Katalonien

Arbeiter*innen und Jugendliche stehen im gesamten Spanischen Staat gemeinsamem Elend gegenüber, auch in hohem Maße in Katalonien, wo die Regierung, die sich für die Unabhängigkeit der Region einsetzt, zu bösartigen Sparmaßnahmen gegriffen hat, den Banken erlaubte, Zwangsräumungen durchzuführen, Renten und Bildung angriff. Es besteht die dringende Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes der Arbeiter*innen im gesamten Spanischen Staat und darüber hinaus, während sie für alle demokratischen Rechte einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen.

Das CWI fordert eine unabhängige sozialistische Republik Katalonien, um den nationalen Bestrebungen des katalanischen Volkes gerecht zu werden, in der auch die vollen demokratischen, sprachlichen und kulturellen Rechte derjenigen in Katalonien erfüllt werden, die sich gegen die Unabhängigkeit ausgesprochen haben. Der Kampf der katalanischen Massen für eine unabhängige sozialistische Republik Katalonien muss mit dem Kampf um die Vereinigung aller Arbeiter*innen im gesamten Spanischen Staat für eine echte demokratische sozialistische Alternative zum Kapitalismus und für ein sozialistisches Spanien verbunden sein. Dies muss miteinander verknüpft werden, um sich mit allen Arbeiter*innen in ganz Europa für eine freiwillige demokratische Föderation sozialistischer Staaten in Europa zu vereinen. Dies würde die demokratischen Rechte aller Völker garantieren und den Lebensstandard aller Menschen der Arbeiter*innenklasse sichern und verbessern, indem die größten Organisationen, die die Wirtschaft dominieren, übernommen und in einem von der Arbeiter*innenklasse demokratisch aufgestellten Plan koordiniert würden.

Es ist zwar wahr, dass PP, Ciudadanos und Vox gemeinsam die Zahl ihrer Sitze im Parlament nur um drei erhöht haben, aber es wäre ein Fehler zu denken, dass rechte Parteien immer nur ihre derzeitige Unterstützung unter sich neu aufteilen werden. Im Kontext einer Revolte gegen den Status quo versucht der Kapitalismus verzweifelt, ein politisches Vehikel zu finden, das den Geist der Massen und die politische Situation allgemeiner wieder in den Griff bekommen kann. Wenn es einer Formation rechts oder rechts außen gelingt, den Massen eine plausibel erscheinende Alternative zu präsentieren, dann könnte sie schnell an Unterstützung gewinnen, wenn es keine wirkliche sozialistische Alternative gibt. Es ist klar, wenn man sich die Linke in Spanien anschaut, dass die Arbeiter*innenklasse großen Gefahren ausgesetzt ist, wenn nicht Fehler korrigiert werden.

Die linke Partei Unidas Podemos (UP), die aus der Revolte gegen die Kürzungspolitik im Gefolge der Bankenrettung Spaniens hervorgegangen ist, verlor bei dieser Wahl ein Sechstel ihrer Sitze. UP verbrachte den Wahlkampf damit, Sánchez um eine Regierungskoalition zu bitten, was viele Arbeiter*innen zu dem Schluss veranlasste, dass sie genauso gut für die PSOE stimmen könnten, wenn sie sowieso Sánchez bekommen würden, wenn sie für Podemos stimmen. Dies, zusammen mit der Enttäuschung mit der Partei in den fünf Jahren seit ihrer Gründung, führte zu einem Verlust von einem Sechstel ihrer Sitze in der Cortes, so dass sie nur noch 35 hat. Sie verloren auch die Kontrolle über den Rat von Madrid und behielten Barcelona nur mit Unterstützung nicht nur der PSOE, sondern auch von abtrünnigen Ciudadanos-Mitgliedern.

Um ihre Umarmung der PSOE zu rechtfertigen, haben die Führer von Podemos einen Schleier über den Charakter der Organisation gezogen. In einem Moment begrüßte Podemos-Chef Iglesias den „fortschrittlichen” Charakter der Koalition, und im nächsten Moment sagte er den Podemos-Mitgliedern, dass ihre Ansichten in der Regierung in der Minderheit sein würden und dass „wir in vielen Fragen nachgeben müssten”. Diese filigrane Sprache verbirgt den Versuch, Podemos dazu zu bringen, mehr Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter*innen zu unterstützen. Wenn nicht eine Revolte in den Reihen von Podemos ihn daran hindert, diesen Weg zu gehen, könnte dies für diese neue linke Partei eine Katastrophe bedeuten.

„Denkt daran, dass der Himmel durch Beharrlichkeit gewonnen wird”, sagte Iglesias, aber nur Vox wird gewinnen, wenn Podemos den Kurs nicht ändert. Podemos-Aktivist*innen sollten die traurige Geschichte der Rifondazione Comunista (PRC) studieren, einer Partei, die aus dem

Schiffbruch der Linken in Italien in den 90er Jahren hervorgegangen ist. Die PRC gewann spektakulär an Unterstützung, bis ihre Teilnahme an der kapitalistischen Regierung von Romano Prodi mit ihr als Bezugspunkt für Arbeiter*innen, die sich wehren wollen, ein Ende machte.

Illusionen

Es ist notwendig, klar über diese Gefahr zu sprechen und alle Illusionen zu zerstreuen, die Arbeiter*innen haben, dass eine PSOE-UP-Koalition die Probleme, vor denen sie stehen, lösen könnte. Es reicht nicht aus, diese Illusionen nur festzustellen, wie es einige von der revolutionären Linken Spaniens getan haben. Izquierda Revolucionaria, früher ein Teil des CWI, hat gesagt, dass es „unmöglich ist, das Programm der neuen Regierung im Detail vorherzusehen”. Aber Sánchez war klar: Er beabsichtigt innerhalb der Grenzen der EU-Kürzungspolitik zu bleiben und das Recht Kataloniens auf Unabhängigkeit zu verweigern. Marxist*innen sollten nicht Hoffnungen stärken, die auf Illusionen beruhen. Es ist notwendig, der Arbeiter*innenklasse die Wahrheit zu sagen; wenn die Arbeiter*innenklasse nicht ihre eigene politische Partei gründet und sie mit einem mutigen sozialistischen Programm bewaffnet, wird die Klassenunterdrückung und -ausbeutung unter diesem kapitalistischen System anhalten.

Was sind die Aussichten für den Aufbau einer solchen Kraft? Podemos hat viele Möglichkeiten vergeudet, aber mit einem Richtungswechsel könnte sie dennoch eine Rolle bei der Schaffung einer solchen Organisation spielen. Ihr Versagen hat jedoch zu einer Zersplitterung geführt. Podemos hat sich gespalten, wobei eine neue Formation, Más País, entstanden ist, die zum ersten Mal bei einer nationalen Wahl kandidierte, eine halbe Million Stimmen bekam und drei Sitze erhielt. Die Hochburg von Más País befindet sich in Madrid, und sie haben etwas Unterstützung anderswo, aber ihr Programm ist eher noch begrenzter als das von Podemos. Dennoch, wenn Podemos innerhalb der Regierung und Más País außerhalb ist, könnte es zu einem Bezugspunkt für diejenigen werden, die einen Bruch mit der kapitalistischen Kürzungspolitik suchen.

Die Lage in Katalonien unterscheidet sich immer stärker vom Rest des Spanischen Staates. Kürzlich übernahmen Demonstrant*innen die Kontrolle über die Straßen nach Frankreich. Der Flughafen Prat war besetzt. Riesige Demonstrationen haben die Straßen gefüllt und ein Generalstreik erfasste das Land.

Es überrascht nicht, dass in diesem Zusammenhang die Unterstützung für die drei wichtigsten Parteien der katalanischen Unabhängigkeit bei den Wahlen im November insgesamt zunahm (+6 Prozent). Podemos’ feiges Enthalten in der Frage der Unabhängigkeit – sie ruft zum „Dialog” auf angesichts der brutalen Unterdrückung durch spanische Staatskräfte und fordert ein von beiden Seiten vereinbartes Referendum, das nie stattfinden wird –, schuf eine Gelegenheit für die Unabhängigkeitsparteien sowohl in Katalonien als auch im Baskenland. Es gab auch einen Linksruck, bei der zum Beispiel die linke Unabhängigkeitspartei Katalanische Volkseinheit (CUP) erstmals zwei Sitze auf nationaler Ebene gewann. Es bleibt abzuwarten, ob diese Organisation, die es in der Vergangenheit versäumt hat, sich von den kapitalistischen Pro-Unabhängigkeitsparteien zu unterscheiden, in der Lage sein wird, diese linke Wendung in den Massen zu nutzen.

Die Möglichkeiten für die Linke sind noch nicht erschöpft. Streiks, manchmal in riesigem Umfang, wie der Generalstreik im Oktober in Katalonien, können in ganz Spanien ausbrechen. In einer nationalen Umfrage gab die überwiegende Mehrheit der Menschen in Spanien auf die Frage, wem sie für die Wirtschaftskrise die Schuld geben, den Banken und den Establishmentpolitikern die Schuld, wobei die Troika ebenfalls ganz oben auf der Liste stand. Nur wenige gaben den Einwanderer*innen die Schuld, während zwei Drittel Maßnahmen zur Bekämpfung der Ungleichheit forderten (auch wenn das höhere Steuern bedeutete). Aber was fehlt, ist eine Organisation, die die Arbeiter*innen nutzen können, um um die Macht zu kämpfen, und eine revolutionäre sozialistische Massenpartei, die eingreifen und den Weg nach vorne weisen könnte.

Die Wut auf das kapitalistische System, die sich als heftiger Aufschwung im nationalen Kampf in Katalonien äußerte, brennt auch in der Arbeiter*innenklasse des restlichen Spanischen Staates und darüber hinaus. Ein Vehikel muss gebaut werden, um diese Wut zu fokussieren und zu lenken. Die jüngste wechselvolle Geschichte Spaniens zeigt, dass eine solche Organisation sehr schnell zusammengeführt und durch Kampf vorangetrieben werden könnte. Aber die Linke sollte die Warnungen vor dem Aufstieg von Vox beachten: Zeit ist entscheidend!

Ross Saunders ist Mitglied der Socialist Party in England und Wales. Der Artikel erschien im englischen Original am 2.12.2019 auf www.socialistworld.net

Print Friendly, PDF & Email