Frankreich im Streik

Der Kampf um die Rentenreform bedroht die Präsidentschaft von Macron

Die massive Streikbewegung in Frankreich gegen die Angriffe der Regierung auf die Rentengesetze ist nun die längste seit dem revolutionären Generalstreik 1968. Nun nach einem Monat dauerte der Streik sogar schon länger als der Streik im öffentlichen Sektor 1995, welcher damals in einem Sieg über die Chirac-Juppé Regierung endete.

Von Clare Doyle, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale

Während der Feiertage haben die streikenden Zugführer*innen der nationalen Bahn und der Pariser U-Bahnen den Streik aufrecht gehalten. Andere Arbeiter*innen hingegen haben Zeit mit ihrer Familie verbracht und haben abgewartet, ob die hartnäckige Regierung unter Macron, die Pläne für die geplante Rentenreform doch fallen lässt, welche das Rentenalter für alle erhöhen und Frührenten für besonders stressige und belastende Arbeiten komplett streichen würde.

In seiner Neujahrsansprache, machte Macron aber unverblümt klar, dass er keinerlei Absicht verfolgt die Situation zu beruhigen und die dramatische Eskalation der Bewegung, welche jetzt schon auf dem Weg ist. Ein Artikel von Cécile Rimboud auf der Seite der Gauche Révolutionnaire (CWI in Frankreich) zeigt die Signifikanz, dessen was sich gerade abspielt:

„Der Streik der letztes Jahr am 5. Dezember in Frankreich ausbrach, hat jetzt schon hunderte und tausende Arbeiter*innen sich in den Kampf stürzen lassen, der schon lange ansteht. 2019 gab es schon tausende Demonstrationen, Streiks und Kämpfe – manche haben sich sehr lange gezogen, wie etwa der Kampf im Pflegebereich…..

Es steht so viel auf dem Spiel, dass der Eintritt der Massen uns nun sehen lässt, dass wir es sind – die Industriearbeiter*innen, die Transportarbeiter*innen, Bauarbeiter*innen, die Angestellten der großen Läden, aber auch die Lehrer*innen, Krankenpfleger*innen, Feuerwehrleute und die Angestellten im öffentlichen Dienst – die Alles am laufen halten, ohne uns passiert gar nichts. Wir müssen für einen Generalstreik kämpfen, welcher die Forderung aufstellt: „Arbeiter*innen, Jugend und Rentner*innen, wir sind die Mehrheit in unserer Gesellschaft, wir sind die wirkliche Macht! Das Potenzial, Macron los zu werden ist da.“

Wer ist beteiligt

Die Liste derer, die sich jetzt schon an den Kämpfen beteiligen, umfasst mehr als nur die traditionell sehr kämpferischen Bereiche, wie die Hafenarbeiter, die großen Fabriken, die großen Lagerhäuser, sondern auch Lehrer*innen, Pflegekräfte und Angestellte der Mobilfunkbetreiber. Kurz vor Weihnachten, haben streikende Sänger*innen und Tänzer*innen der zwei berühmten Opernhäuser in Paris ihre Entschlossenheit gegen die geplante Rentenreform zu streiken untermalt, in dem sie bei den Protesten auf der Bühne eine Aufführung zeigten. Anwälte blieben Zuhause.

Gerade diese Woche wurde berichtet, dass fünf von acht Raffinerien nicht nur blockiert, sondern auch bestreikt werden. Arbeiter*innen in den Chemiefabriken haben angekündigt, sich dem Streik anzuschließen. Letzte Woche hat ein Kollektiv, welches sich „SOS Pensions “ nennt, angekündigt, dass seine 700.000 Mitglieder sich den Protesten anschließen werden. Unter diesen befinden sich selbstständige Ärzt*innen, Pflegekräfte, Physiotherapeut*innen, Flughafenpersonal und Bankkaufleute (Air France zweitgrößte Pilotengewerkschaft hat angekündigt, sich nicht weiter an den Aktionen zu beteiligen, nachdem sie mit der Regierung ausgehandelt hatten ihre gesamten Rentenbezüge ab 60 Jahre weiter zu erhalten)

All dies zeigt Elemente aus den Streiks und Besetzungen der Jahre 1936 und 1968, ohne aber bislang zu dem selben Ausmaß von unten anzuwachsen und, bisher, ohne Betriebsbesetzungen. Zu einem gewissen Grad wiederholt sich die Geschichte – die wunderbare Geschichte vom Kampf der französischen Arbeiter*innenklasse.

Die Bewegung heutzutage hat nicht alle Eigenschaften, wie die große Streikwelle 1968, welche beinahe den „starken Staat“ von General de Gaulle zu Fall brachte. Damals wurde der Kampf von den Studierenden losgetreten und von den den Arbeiter*innen aus dem ganzen Land übernommen. Heutzutage ist noch abzuwarten, ob Studierende und Schüler*innen sich voll in den Kämpfen involvieren und ihre eigene Streiks beginnen, doch das Potenzial ist da.

Die kommende Woche ist entscheidend. Von den Gesprächen am 7.1. wurde nichts erwartet. Die meisten Gewerkschaftsführer*innen haben nicht mal daran teilgenommen. Stattdessen haben sie für weitere Streikaktionen und Massendemonstrationen am 8. und 9. Januar aufgerufen. Philippe Martinez, Kopf der CGT Gewerkschaft spielt eine entscheidende Rolle, als er alle Franzosen und Französinnen dazu aufrief, an den Demonstrationen teilzunehmen und selber in den Streik zu treten. Die traditionell gemäßigte CFDT hat sich auch dem Aufruf angeschlossen und es wird weitere landesweite Proteste am kommenden Samstag geben. Yves Vevrier von der FO Gewerkschaftsföderation sagt: „Es gibt keinen Grund, die Mobilisierung zu stoppen.“

Viele Aktivist*innen in den Gewerkschaften und in der Linken benutzen Sendezeit im Fernsehen und im Radio um den Fall der französischen Arbeiter*innen gegen die Rentenreform darzustellen. Was als großzügigstes Rentensystem in Frankreich gesehen wird, ist tatsächlich das Resultat Jahrzehnte langer Kämpfe der französischen Arbeiter*innenklasse.

Immer noch der Präsident der Reichen

Emmanuel Macron wurde zwei Jahre lang als ein Shooting Star – oder Jupiter, wie er sich selbst nannte – betrachtet. Er schien fähig einen Weg der Mitte zu nehmen und die Interessen aller Klassen in der Gesellschaft zu vereinen – scheiterte aber damit kläglich. Seine frühen Zugeständnisse an die Gelbwestenbewegung konnten dennoch das Gefühl, dass er keine ihrer Probleme und jener der Bevölkerung in den kleinen Städten und auf dem Land kannte, nicht entkräften. Ihr Kampf dauert nun mehr als ein Jahr an und alle die noch aktiv sind, haben sich enthusiastisch den Demonstrationen und Blockaden der Arbeiter*innenbewegung angeschlossen.

Macrons Ausflüge aus der Hauptstadt, um ihr Klagen zu vernehmen haben nicht dazu beigetragen sie für seine Politik zu gewinnen. Er wird als Präsident der Reichen gesehen – nicht zuletzt belegt durch seine Steuergeschenke an die Konzerne. Die Natur der Klasse, die er repräsentiert, zeigt sich in den moderaten Strafen für die ehemaligen Bosse der französischen Telekom und den moderaten Strafen für Mobbing am Arbeitsplatz. Horrender Druck am Arbeitsplatz, um die Kosteneinsparungsziele nach der Privatisierung 2004 zu erreichen, waren verantwortlich für den Selbstmord von 35 Mitarbeiter*innen in nur zwei Jahren (2008 und 2009).

Macrons Regierung war durch Skandale und Rücktritte von Berater*innen und Minister*innen geprägt – u.a. von Jean-Paul Delevoye, dem „Rentenszaren“. Er war für die Renten zuständig, einst jener in Macrons Kabinett, denen er am meisten vertraute, hatte nicht weniger als ein Dutzend undeklarierte hoch bezahlte Posten inne. Die Schilder auf den Demonstrationen fragen „Wer ist der nächste?”.

Die Forderung, dass Macron zurücktreten soll bekommt mehr und mehr Unterstützung. Die Umfragen zeigen, dass nur noch ein Drittel der Bevölkerung ihn unterstützt. Die Opposition gegen seine Maßnahmen beträgt mehr als fünfzig Prozent und mehr als zwei Drittel unterstützen die Streiks.

Alternative

Was sagen die Parteien der Linken in dieser Situation? Unglaublicherweise sind sie mehr mit den Gemeinderatswahlen im März diesen Jahres beschäftigt, als mit der Chance, Macron und seine Mehrheit im Parlament, die En Marche „Bewegung“, zu Fall zu bringen. Die einst regierende sozialdemokratische Partie Socialiste ist fast verschwunden, legt nur leicht in Umfragen zu aufgrund ihres links klingenden Bündnisses mit der Kommunistischen Partei auf Gemeinderatsebene.

Jean-Luc Mélenchon von FI (France Insurmise) hat Macrons Neujahrsrede als eine „Kriegserklärung an Millionen von französischen Menschen, die seine Reform ablehnen“ bezeichnet. Mélenchon ruft dazu auf, die Blockaden zu verstärken und sagt diese Regierung kann nicht im Amt bleiben. Er hat eine Petition im Parlament eingebracht zur Unterstützung der Streiks. Mélenchon, der in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen letztes Jahr sieben Millionen Stimmen erhielt, wird als Stimme in der Bewegung anerkannt, aber trägt keine echte sozialistische Alternative vor, inklusive der Verstaatlichung der großen Konzerne und Banken, wie das Gauche Révolutionnaire (CWI in Frankreich) tut.

Auch die NPA (Nouveau Partie Anticapitaliste) oder Olivier Besancenot, einer ihrer bekannten Sprecher*innen und ex-Präsidentschaftskandidat stellen kein klares Klassenprogramm nach vorne. Die NPA hatte nicht das Vertrauen, dass die Streikbewegung über den Dezember hinweg aufrecht erhalten werden könnte. Aber das wurde sie und sie gewinnt weiterhin Tag für Tag an Stärke. Die Schule hat wieder begonnen und die Lehrer*innen und Beschäftigten in den Krankenhäusern sind wieder im Streik.

Der 9.Januar könnte den größten offiziellen Streikaufruf und die größte Antwort darauf bisher repräsentieren (1968, obwohl zehn Millionen an diesem bedeutendsten Generalstreik der Geschichte der mehr als ein Monat andauerte teilnahmen, war der offizielle Aufruf durch die Gewerkschaftsführung damals nur für einen 24-Stunden-Generalstreik, und zwar früh in der damaligen Bewegung).

Die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen – „Rassemblement National“ – hat Macrons Rede als „Einmal mehr: nichts!“ verurteilt. Allerdings steht sie wortwörtlich nur an den Seitenlinien der gegenwärtigen Massenbewegung von Arbeiter*innen, von den Demonstrationen verbannt aufgrund ihrer spalterischen, rassistischen Politik.

Gauche Révolutionnaire denkt die Zeit ist gekommen, um die Aufrufe für verallgemeinerte Streikaktionen und nach Macrons Rücktritt mit einem klaren Programm für eine Arbeiter*innenregierung zu verbinden. Wie GR erklärt stellt sich, je mehr die Bewegung wächst, immer stärker die Frage danach, wer in der Gesellschaft die Macht hat. Die Frage eines Zusammenschlusses von gewählten Vertreter*innen der Streikenden auf lokaler, regionaler und bundesweiter Ebene wird dadurch auf die Tagesordnung gesetzt – nicht nur um den Streik zu festigen und einen tatsächlichen Generalstreik aufzubauen, sondern auch um die Möglichkeit einer Arbeiter*innenregierung und deren Politik zu diskutieren, um die Regierung Macrons zu ersetzen.

“Solch eine Regierung“, schreibt GR, „könnte rasch die privatisierten öffentlichen Dienstleistungen und die großen Sektoren der Wirtschaft  – besonders Finanzen, Energie, Transport, Handel etc. –  verstaatlichen und in öffentliches Eigentum übernehmen, unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die Arbeiter*innen und Konsument*innen. Die hunderten Milliarden von Euros aus den Vermögen der Ultra-Reichen und den Profiten der multinationalen Konzerne und deren durch Steuerflucht ins trockene gebrachten Summen könnten benutzt werden um Arbeitsplätze und Unterkünfte für alle zu schaffen.“

Schluss mit dem Kapitalismus

Es ist höchste Zeit eine Partei aufzubauen, mit einem Programm dass Schluss macht mit einer Gesellschaft einer handvoll reicher Unternehmensdirektoren und ihrer Repräsentant*innen im Präsidentschaftspalast, die versuchen dem Rest der Bevölkerung ihre Bedingungen aufzuzwingen. Genug der parlamentarischen „Vertreter*innen“ die niemanden als sich selbst vertreten. Zeit für eine Regierung der Arbeiter*innen, die die Regierung der Bosse hinwegfegen wird und eine echte demokratische Form der Arbeiter*innenmacht einsetzt, so wie die heroischen Kommunard*innen von Paris 1871 und die Bolschewiki in Russland 1917 sie als Vision hatten.

Mit dem heutigen deutlich höheren Level an Technologie wird es viel einfacher sein demokratische Arbeiter*innenkontrolle in der Wirtschaft und in den Regierungen einzuführen – direkte Wahlen und das Recht auf sofortige Abwahl von Vertreter*innen, auf allen Ebenen, inklusive der Führung einer Arbeiter*innenregierung.

Politische Aktivist*innen mit sozialistischen Ideen können schnell Unterstützung sammeln, wenn ein generalisierter Streik dieses Charakters sich in einer bestimmten Geschwindigkeit entwickelt. Wie Individuen, kann auch eine Bewegung – selbst eine kleine Partei mit einer weitsichtigen Führung und einem sozialistischen Programm – rasch mit ihren Aufgaben wachsen. 

Dieser Artikel erschien im englischen Original am 7. Januar 2020 auf socialistworld.net.

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