Soleimanis Ermordung

By Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America (Donald Trump) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Naher Osten in Aufruhr gestürzt

Schockwellen gingen um die Welt und Empörung verbreitete sich im Nahen Osten als die Nachricht von Trumps einseitiger Entscheidung bekannt wurde, mit Qassem Soleimani den Kommandeur der Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden und einen wichtigen iranischen Führer zu ermorden. Soleimani hatte einen legendären Ruf, besonders unter den Schiit*innen, im gesamten Nahen Osten. Er war der Sohn eines Arbeiters, der zur Führung der Quds-Einheit aufgestiegen war, und eine Schlüsselrolle beim Sieg über den IS spielte. Unter denen, die neben Soleimani getötet wurden, war Abu Mahdi al-Muhnadis, ein wichtiger Führer der Milizen, die heute in die irakischen Streitkräfte integriert sind.

von Robert Bechert, Komitee für einer Arbeiter*inneninternationale (CWI)

Die Ermordung wird wegen ihrer potenziellen Auswirkungen als das bedeutendste Ereignis im Nahen Osten seit der von den US und Britannien angeführten Invasion im Irak 2003 angesehen. Sie stellt einen Versuch dar, eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Invasion zunichte zu machen, nämlich die Stärkung der regionalen Macht des Iran – etwas, das die Architekten der Invasion überhaupt nicht vorhergesehen hatten. Trumps Ziel ist es, zu versuchen, den Einfluss des Irans zurückzudrängen, aber gleichzeitig einen weiteren Bodenkrieg zu vermeiden. Diese Ermordungen könnten jedoch die gesamte Region weiter destabilisieren und zu weiteren Kriegen führen.

Krieg?

Eine Zeit lang standen die Worte „Franz Ferdinand” und „Dritter Weltkrieg” oben in den Twitter-Trends. Das spiegelt die Befürchtung wider, dass diese Ermordung einen Krieg auslösen könnte, so wie es der Mord in Sarajevo 1914 getan hat. Ein Weltkrieg steht zwar nicht auf der Tagesordnung, aber weitere regionale Konflikte, die die Völker des Nahen Ostens und möglicherweise noch weiter entferntere mit mehr Elend überhäufen würden, sind wahrscheinlich. Soleimani war nicht einfach ein hochrangiger militärischer Führer, er war ein Schlüsselakteur beim Aufbau der regionalen Stellung des Iran. Deshalb werden diese Ermordungen vom iranischen Regime nicht unbeantwortet bleiben, auch wenn noch nicht sofort klar ist, was das Regime tatsächlich tut.

Trumps unabgesprochenes Vorgehen schockierte die Verbündeten der USA. Sie alle wurden anscheinend völlig im Dunkeln gelassen – anders als mindestens zwei republikanischen US-Senatoren, die einige Tage zuvor von der Entscheidung über das Attentat erfahren hatten. Es trug alle Merkmale eines Gangsters, der die „Ausschaltung” eines Gegners befahl.

Aber die potentiellen Folgen sind viel weitreichender und destabilisierender als ein Bandenmord; dies ist etwas, das viele Teile der herrschenden Klassen in den USA und anderswo zutiefst fürchten. Für die europäischen Mächte wird diese Aktion als ein weiterer Angriff Trumps auf die bisherige Politik erscheinen, eine Einigung mit dem Iran zu erzielen. Trumps Rückzug aus dem Atomabkommen mit dem Iran 2015 und die Verhängung von Sanktionen untergruben die frühere Politik der westlichen Imperialisten, die versuchten sich mit dem iranischen Regime zu arrangieren.

Mit der Anordnung dieser Ermordung spielt Trump auf hohes Risiko in einer instabilen Region, in der die meisten Regime derzeit entweder mit Oppositionsbewegungen konfrontiert sind oder befürchten, dass sie es sein werden.

Motive

Offensichtlich waren die diesjährigen US-Präsidentschaftswahlen ein Faktor bei Trumps Entscheidung. Der Tod eines US-„Verteidigungsauftragnehmers” Ende Dezember im Irak – eigentlich ein privatisierter Soldat (ein Söldner) – war der Auslöser, zusammen mit den Protesten vor der US-Botschaft in Bagdad. Trump wollte keine Wiederholung der Geiselnahme in der Teheraner Botschaft von 1979/81 und der gescheiterten Rettungsversuche riskieren, die zur Niederlage von Jimmy Carter bei den Präsidentschaftswahlen 1980 führten. Trump wollte dem iranische Regime eine Warnung erteilen und befahl, in seinen eigenen Worten, die „Beendigung” von Soleimani. Dies war etwas, das zwei seiner Vorgänger, George W. Bush und Obama, erwogen, aber aus Angst vor den Auswirkungen abgelehnt haben.

Es gibt auch Spekulationen, dass dies ein Versuch von Trump ist, die Aufmerksamkeit von seinem bevorstehenden Amtsenthebungsverfahren abzulenken – ähnlich wie die Bombardierung des Irak, die der damalige Präsident Clinton im Dezember 1998 kurz vor der Abstimmung im Repräsentantenhaus über seine Amtsenthebung anordnete.

Sowohl innerhalb der USA als auch bei den anderen westlichen imperialistischen Mächten gibt es reale Befürchtungen, dass diese Aktion nicht durchdacht ist und eine Büchse der Pandora von Vergeltung, Umwälzungen und Krieg öffnen wird. Es gibt keine Einwände gegen die Ermordung als solche, aber, wie ein Leitartikel der „New York Times“ es ausdrückte: „Die wirkliche Frage, die man sich zu dem amerikanischen Drohnenangriff, der Generalmajor Qassem Soleimani tötete, stellen musste, war nicht, ob er gerechtfertigt war, sondern ob er weise war.“ Die deutsche Regierung nahm eine ähnliche Position ein und sagte: „Das amerikanische Vorgehen ist eine Reaktion auf eine ganze Reihe von militärischen Provokationen, für die der Iran Verantwortung trägt. […] Auch wir sehen die regionalen Aktivitäten des Irans mit großer Besorgnis. [Aber] wir sind an einem gefährlichen Eskalationspunkt.”

Auswirkungen

Ein ehemaliger stellvertretender Leiter der Nahostabteilung des US-Verteidigungsministeriums, Andrew Exum, schrieb als Ausdruck der Befürchtungen eines Teils der herrschenden Klasse der USA, dass die Lage zu breiteren Konflikten eskalieren könnte: „Das bedeutet nicht Krieg, es wird nicht zu einem Krieg führen und es riskiert nicht einen Krieg. Nichts davon. Es ist Krieg”. Diese ernsthaften Zweifel und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der herrschenden Klassen spiegeln die reale Lage wider, dass eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt wird. Es ist zwar nicht klar, wohin sie führen wird, aber die Möglichkeit von destabilisierenden Konflikten hat massiv zugenommen. Trump selbst hat versucht, diese Ängste zu entschärfen, indem er behauptete, dass die Ermordung Soleimanis dazu diente, „einen Krieg zu stoppen”, aber dafür gibt es keine Garantie.

Es wird sofort Auswirkungen im Irak geben. Die irakische Regierung sah sich seit Oktober mit einer erneuten Welle von Massenprotesten konfrontiert und ist nach ihrem Rücktritt im November letzten Jahres technisch gesehen nur noch eine Übergangsregierung. Sie protestierte sofort gegen die Ermordungen auf dem Bagdader Flughafen, die ohne ihr vorheriges Wissen oder ihre Zustimmung erfolgte, und versuchte, die Unterstützung der Bevölkerung gegen diese einseitige Aktion der USA zu gewinnen.

In seinen Versuchen, seine Entscheidung zu rechtfertigen, versucht Trump, sowohl die Proteste des letzten Jahres im Irak als auch die ähnlichen Proteste, die im November im Iran ausbrachen, opportunistisch auszuschlachten. In beiden Ländern gab es Versuche von Streitkräften, diese Proteste brutal zu unterdrücken. Im Iran spielte die Repression des Staates, einschließlich der Revolutionsgarden, die Soleimani mit anführte, eine Rolle bei der Unterdrückung der Proteste. Im Irak jedoch gelang es der von mit Muhnadis und Soleimani in Verbindung stehen Kräften angeführten Repression nicht, die Proteste zu zerschlagen.

Soleimanis Schlüsselrolle bei der Organisierung der Gegenmaßnahmen gegen die jüngsten Bewegungen im Iran, im Irak und im Libanon bedeutet, dass er Blut an seinen Händen hatte. Trump hofft, dass dies und die Rolle Muhnadis im Irak dazu beitragen wird, die Wut über ihre Ermordung zu begrenzen. Dies gilt insbesondere für den Irak, wo einige der Ziele des Volkszorns iranische Institutionen waren, da das iranische Regime als Unterstützer einer unbeliebten Regierung angesehen wird.

Die Rolle der USA

Die Wirkung von Trumps heuchlerischer Kritik könnte durch die Wut auf die eigene Rolle der USA im Irak begrenzt werden. Unter den Menschen im Iran wird Trumps enge Unterstützung für das noch diktatorischere saudische Regime die Wirkung seiner Kritik an der Repression des iranischen Regimes mindern.

Seit der Invasion von 2003 gibt es auch im Irak erbitterten Widerstand gegen die Macht der USA. Wahrscheinlich ist, dass sich der irakische Zorn zumindest unmittelbar auf die USA und nicht auf den Iran konzentrieren wird. Die Frage nach der Souveränität des Irak stellt sich zunehmend. Das US-Militär ignorierte einfach die Einwände des irakischen Ministerpräsidenten gegen die „einseitige Entscheidung” der USA, als man ihm von dem geplanten Bombenangriff vom 29. Dezember als Vergeltung für den Tod des „Verteidigungsauftragnehmers” zwei Tage zuvor berichtete.

Forderungen werden wachsen, dass das US-Militär im Irak aufhört, zu tun, was es will, und nach dem Abzug seiner Streitkräfte. Bezeichnenderweise prangerte im Irak al-Sadr, ein wichtiger Oppositionsführer, der gegen die Rolle des iranischen Regimes im Irak war, die Attentate an und befahl dem „patriotischen irakischen Widerstand … insbesondere der Mahdi-Armee, der Brigade des Verheißenen Tages und allen patriotischen und disziplinierten Gruppen, bereit zu sein, den Irak zu schützen”.

Wenn die Forderungen nach einem Abzug der US- und anderer ausländischer Militärs aus dem Irak Erfolg haben, könnten sie in anderen Ländern ein Echo finden.

Warnung

International sind diese Ermordungen auch eine weitere Warnung an die Arbeiterklasse und die Unterdrückten. Immer wieder sprechen die herrschenden Klassen von der Notwendigkeit, dem „Rechtsstaat” zu gehorchen, wenn sie dazu schreiten, Oppositionsbewegungen, seien sie Streiks oder Proteste, einzuschränken und zu unterdrücken.

Diese Ermordungen markierten eine Änderung der Gangart. Historisch haben die USA, wie andere Staaten auch, Mordanschläge durchgeführt oder versucht. Im Jahre 1975 untersuchte ein Ausschuss des US-Senats eine Reihe von heimlichen CIA-Mordversuchen, darunter den an Patrice Lumumba im Kongo und an Fidel Castro in Kuba. Für kurze Zeit wurde diese Politik gestoppt. Neu ist jedoch, dass Soleimani, ein sehr hochrangiger iranischer Führer, offen getötet wurde, mit nur einem minimalen Versuch, das zu rechtfertigen.

Keiner der Verbündeten der USA hat bisher die Trump-Administration dafür verurteilt, dass sie Gegner kurzerhand exekutiert hat ohne jede „rechtliche” Rechtfertigung – abgesehen von der unbewiesenen Behauptung, dass dies in „Selbstverteidigung” geschehen sei. In der Tat werden ähnliche Taktiken von anderen Regierungen auf der ganzen Welt angewandt, oft unter dem Vorwand der „Terrorismus-” oder „Verbrechensbekämpfung”.

Zukünftigte Kämpfe

Im Sudan und im Irak wurde im vergangenen Jahr Massenrepression eingesetzt, um Massenbewegungen zu unterdrücken. Aber in beiden Fällen scheiterte sie. Die Massenbewegungen der letzten Monate in Nordafrika und im Nahen Osten zeigen die potenzielle Kraft der Arbeiter*innenklasse und der Armen, die Gesellschaft zu verändern. Im Irak und insbesondere im Libanon versuchten diese überkonfessionellen Bewegungen, religiöse und nationale Unterschiede in einem vereinigten Kampf gegen die Regime und für wirkliche Veränderung zu überwinden.

Die Herausforderung in jedem Land besteht darin, auf diesen Kämpfen aufzubauen und demokratische Organisationen der arbeitenden Menschen, der Jugend und der Armen zu schaffen. Solche Organisationen können sowohl den Kampf für Veränderung führen als auch die Grundlage für eine Regierung sein, die die Macht der herrschenden Klasse bricht und sowohl mit dem Imperialismus als auch mit dem Kapitalismus bricht, und so die Grundlage für eine echte sozialistische Transformation der Gesellschaft schafft.

Die Lage in Nordafrika und im Nahen Osten ist so beschaffen, dass eine solche Entwicklung in jedem einzelnen Land rasch internationale Auswirkungen hätte. Heute muss der Kampf gegen imperialistische Interventionen wie Trumps Ermordungen Hand in Hand gehen mit der Hilfe beim Aufbau der Kräfte für sozialistische Veränderung. Das ist der einzige Weg, um aus dem Kreislauf von Kriegen und Repression auszubrechen und die große Mehrheit zu befreien.

Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache am 04. Januar 2020 auf www.socialistworld.net

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