„Der Sozialismus gewinnt an Anziehungskraft.“

Interview mit Tanya Whitworth von der Independent Socialist Group aus den USA

Tanya Whitworth ist Mitglied der Independent Socialist Group in den USA und Gewerkschaftsaktivistin der United Auto Workers. Mit der “Solidarität” sprach sie über Bernie Sanders und die Gewerkschaften in den USA. Das Interview führte Sascha Staničić.

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In den USA finden in diesem Jahr Präsidentschaftswahlen statt. Trump steht mit dem Amtsenthebungsverfahren unter Druck. Viele sehen die Ermordung des iranischen Generals Suleimani als einen Versuchvon der innenpolitischen Lage abzulenken. Was steckt hinter der Ermordung und wie hat die US Gesellschaft darauf reagiert?

Außergerichtliche Tötungen sind schon lange Bestandteil der US Außenpolitik, einschließlich des CIA Putsches gegen die demokratisch gewählte iranische Regierung im Jahr 1953, als diese daran ging, die Ölreserven zu verstaatlichen. Drohnenangriffe sind nichts Neues – unter Obama fanden sie sehr häufig statt, aber diese Ermordung sticht heraus. 

Die US Kapitalisten fühlen sich durch die wachsende regionale Macht des Iran, vor allem im Irak und in Syrien, bedroht. Offizielle Quellen geben mittlerweile zu, welche Rolle das Öl dabei spielte, den Irak-Krieg auszulösen. Iran hat nur wenige Wochen vor der Ermordung fünfzig Milliarden Barrel Öl neu entdeckt. Trump steht auch aufgrund des Amtsenthebungsverfahrens unter Druc und es ist wahrscheinlich, dass er den Angriff auch als Ablenkungsmanöver beauftragt hat. Das ist aber weitgehend fehlgeschlagen. Stattdessen hat es eine Reihe kleinerer Antikriegsproteste und Kritik von Politiker*innen und Gewerkschaften gegeben. Beide Regime haben seitdem, in Anerkennung der Kosten eines tatsächlichen Krieges, deeskaliert. Außerdem hat die US Administration realisiert, dass sie nicht die gleiche patriotische Unterstützung wie nach dem 11. September beim Irak-Krieg haben würde.

Wie ist die Lage der Arbeiter*innenbewegung der der Linken in den USA? Es wird berichtet, dass die Unterstützung für Sozialismus wächst und dass es eine Zunahme von Arbeitskämpfen gibt. 

Beginnend mit dem Lehrer*innenstreik in West Virginia im Jahr 2017, sehen wir das höchste Niveau an Arbeitskämpfen seit den 1980er Jahren in den USA. Die Lehrer*innen dort die landesweite #RedforEd-Welle losgelöst, die an ihre stolze sozialistische Gewerkschaftsgeschichte erinnert. Arbeitskämpfe haben sich auf private Hotels, den Einzelhandel, Autofabriken etc. ausgeweitet. Diese Kämpfe haben unterschiedliche Ergebnisse erzielt. In einigen Fällen haben die Gewerkschahftsmitglieder begonnen ihrer Führer*innen unter Druck zu setzen, nach einer langen Periode des Niedergangs wieder bessere Ergebnisse zu erzielen. Aber die Gewerkschaften scheitern dabei, ernsthafte Organisierungskampagnen in neuen Betrieben zu starten und verlieren insgesamt weiter Mitglieder.  

Der Begriff und die Ideen des Sozialismus gewinnen an Anziehungskraft aufgrund des sinkenden Lebensstandards. Dieser Prozess begann in den späten 1990er Jahren. Aber wurde durch den Wirtschaftscrash von 2008 und die Occupy-Bewegung beschleunigt. Die enormen probleme der arbeitenden Menschen mit unbezahlbarer Gesundheitsversorgung, Bildung, Mieten, stagnierenden Löhnen und großer Verschuldung wiegen schwerer als die Lügen der Medien über eine wirtschaftliche Erholung. Populistische Politiker können daraus folgerichtig an Popularität zulegen. 

Bernie Sanders tritt an, um Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei zu werden. Er unterscheidet sich eindeutig von allen anderen Kandidat*innen. Was ist gut und was ist weniger gut an seiner Kampagne? 

Die Plattform der Sanders-Kampagne spricht die bedürfnisse der arbeitenden menschen an. Er hat die Forderungen der Bewegungen für einen 15-Dollar-Mindestlohn für die Streichung der Schulden von Studierenden, eine allgemeine Gesundheitsversorgung für alle, gleiche Rechte für Menschen aller Geschlechter, Nationalität, sexueller Identitäten und unterdrückten Gruppen angenommen. Wenn diese Forderungen erreicht würden, wäre ein weiter Weg hinter uns gebracht, die massiven Ungleichheiten in der US Gesellschaft  anzugehen. Er benennt auch diejenigen als verantwortlich für die Probleme der Gesellschaft, die das tatsächlich sind: Die Reichen.

Allerdings schlägt er keine erfolgreiche Methode für die arbeitenden Menschen vor, diese Forderungen auch wirklich zu erreichen. Sanders ruft nicht zu Protesten auf oder organisiert etwas außerhalb der Wahlkampagnen. Die arbeitenden Menschen in den USA brauchen dringend eine eigene politische Partei, die sie und nicht die kapitalistische Klasse vertritt. Wir hatten noch niemals eine solche Partei. Linkspopulisten wie Sanders spielen die Rolle, Aktivist*innen und Wähler*innen in die völlig kapitalistische Demokratische Partei zu treiben anstatt dabei zu helfen eine line Arbeiter*innenpartei neben den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen aufzubauen. Die Idee, man könne die Demokratische Partei reformieren, ist eine Falle, in die schon viele Bewegungen und Aktivist*innen getappt sind. 

Viele Sozialist*innen und linke Kräfte unterstützen Sanders einfach. Welche Haltung sollten Sozialist*innen Deiner Meinung nach einnehmen?

Die Popularität von Sanders und anderen selbsternannten “sozialistischen” Demokrat*innen rührt von den Ideen und Forderungen, die sie vertreten, her. Sozialist*innen sollten dabei helfen, kämpferische Bewegungen aufzubauen, die diese Forderungen gewinnen können. Wir können und sollten mit Kräften wie den Unterstützer*innen von Sanders zusammen arbeiten, wenn es Übereinstimmung zu bestimmten Fragen gibt. Wir müssen aber auch ehrlich sein und das beinhaltet, eine freundliche Kritik an den Fehlern in Sanders’ Programm und Strategie. Wir rufen Sanders dazu auf für sein Programm zu kämpfen indem er mit der kapitalistischen Demokratischen Partei bricht und eine unabhängige Arbeiter*innenpartei aufbaut. Wir rufen Unterstützer*innen von Sanders dazu auf, sich an den gewerkschaftlichen Kämpfen zu beteiligen und dort für die Forderungen seiner Plattform und darüber hinaus gehende Forderungen einzutreten. Dabei muss man nicht auf ein Wahljahr warten!


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