Erfurtgate: Pakt gegen Links

Der beste Kampf gegen die AfD ist der Kampf für die Interessen der Arbeiter*innenklasse und sozial Benachteiligten.

FDP und CDU in Thüringen haben ein Mal mehr unter Beweis gestellt, was vielen eh schon klar ist: das Wort von prokapitalistischen Politiker*innen ist nichts wert. Wenn es gegen links und um die Fleischtröge der Macht geht, ist diesen Damen und Herren alles Recht – auch, wie in diesem Fall, die Kooperation mit der rechtspopulistischen und rassistischen AfD, die noch einen Tag zuvor ausgeschlossen wurde.

Von Steve Hollasky, Dresden und Sascha Staničić, Berlin

Die Empörung über diesen Akt der Integration der AfD in das bürgerliche Establishment ist zurecht groß. „Wer hat uns verraten? Freie Demokraten!“ wird auf Demonstrationen in ganz Deutschland gerufen. Doch die FDP in Thüringen hat in Wirklichkeit niemanden verraten, sonder „nur“ klassenbewusst gehandelt. Wenn es gegen Links geht, halten Vertreter*innen der Kapitalisten zusammen, egal ob ihre Parteifarbe schwarz, gelb oder blau ist. Thüringen zeigt auch, dass DIE LINKE noch so viel Kreide fressen und sich dem bürgerlichen Establishment anpassen kann – ein LINKE-Ministerpräsident ist den Herrschenden ein Dorn im Auge.

Überraschung?

Auch wenn die „Zeit“ auf ihrer Internetpräsenz betont, dass Thomas Kemmerich nach seiner Wahl zum thüringischen Ministerpräsidenten wie ein scheues „Reh“ geschaut habe und so klar machen möchte, dass ihn das Ergebnis überrascht habe, ist das alles andere als glaubwürdig. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass CDU, FDP und AfD das festgelegte Prozedere der Ministerpräsidentenwahl ausgenutzt haben, um Ramelow zu stürzen. Fest stand, dass Ramelows Regierung aus LINKE, SPD und Grünen, trotz der Zugewinne der LINKEN bei der Landtagswahl, keine Mehrheit im Landtag besaß. Abhilfe sollte die Bildung einer rot-rot-grünen Minderheitenregierung schaffen. Bei der Wahl des Ministerpräsidenten hatte Ramelow vor, den ersten und den zweiten Wahlgang zu überstehen, in denen der Ministerpräsident mit mehr als der Hälfte der Stimmen gewählt werden müssen. Im dritten Wahlgang schien Ramelow die dann zur Wahl ausreichende relative Mehrheit sicher.

Da zauberte die FDP mit Thomas Kemmerich scheinbar plötzlich den Kandidaten aus dem Hut, dem sowohl CDU als auch AfD ihre Zustimmung erteilten. Die AfD-Fraktion gab ihrem Kandidaten nicht eine einzige Stimme. Auf diese Weise verpassten die Rechtspopulisten gemeinsam mit den Konservativen dem FDP-Kandidaten (45) eine Stimme mehr als Ramelow erhielt (44), für den sich sogar zwei Abgeordnete der Opposition entschieden.

Das Fehlen eines Regierungsprogramms, einer Ministerriege und einer Koalition wird nun vielfach als Beleg hervorgeholt, um zu beweisen, dass Kemmerich, die CDU und die FDP vom Ausgang der Wahl überrascht worden seien. Das ist kaum glaubwürdig. Die Tatsache, dass die Bundesvorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer öffentlich erklärte, dass Abstimmungsverhalten ihrer thüringischen Parteikolleg*innen habe gegen die Empfehlung der Bundespartei stattgefunden, zeigt, dass die CDU ganz genau wusste, was passieren würde.

Niemand hat Kemmerich gezwungen die Wahl anzunehmen. Er hätte auch, wie sein Parteifreund Lambsdorff das in einem Tweet erklärt hat, die Wahl ablehnen oder das Amt noch am Tag der Wahl wieder niederlegen können. Doch stattdessen forderte Kemmerich CDU, SPD, Grüne und die eigene Partei zu Koalitionsverhandlungen auf. Noch im Landtag meinte Susanne Henning-Wellsow, die Vorsitzende der LINKEN in Thüringen, das Manöver sei von langer Hand geplant gewesen. Mit dieser These dürfte sie ganz richtig liegen.

Offenbarungseid

Was insbesondere die AfD als Erfolg feiert und CDU und FDP gerade versuchen als Unfall zu deklarieren, ist im Grunde ein Offenbarungseid aller drei Parteien. Der Rechtsaußen der AfD, Björn Höcke, der gern mit sozialer Demagogie arbeitet, hievte mit diesem Manöver einen Neoliberalen ins Amt, dessen Regierungspolitik nur ein Angriff auf die Rechte der lohnabhängig Beschäftigten, Jugendlichen, Rentner*innen und Migrant*innen werden kann. Die ständig zur Schau gestellte Selbstinszenierung der AfD als „Anti-Establishmentkraft“ und „Partei der kleinen Leute“ hält keinem Praxistest stand. Die Rechtspopulisten stellen die kapitalistischen Verhältnisse, die Macht der Banken und Konzerne und das bürgerliche Establishment nicht in Frage.

CDU und FDP in Thüringen waren wiederum bereit mit dieser Partei gemeinsame Sache zu machen. Dabei war es ihnen ganz egal, dass sie mit einem Landesverband der AfD zusammen agierten, der fest in der Hand des rechtsradikalen „Flügels“ ist, dessen Anführer gerichtsanerkannt „Faschist“ genannt werden darf. Und genau dieser Björn Höcke wurde durch die Finte bei der thüringischen Ministerpräsidentenwahl gestärkt.

Das Handeln von FDP, CDU und AfD verpasste nun dem Mitglied einer Partei das Label Ministerpräsident, die von gerade einmal fünf Prozent der Bevölkerung gewählt worden war. Es waren 73 Stimmen, die der FDP den Sprung in den Landtag möglich machten. Noch Tage nach der Wahl war unklar, ob die Liberalen überhaupt in den Landtag einziehen würden. Bürgerlicher Parlamentarismus und Umsetzung des „Willen des Volkes“ sind nun einmal zweierlei Dinge.

 Tabubruch?


Aus SPD und Grünen wird nun der Vorwurf des Tabubruchs erhoben und ein demokratischer Konsens beschworen. Es sagt viel über diese Parteien aus, dass sie mit anderen Tabubrüchen in der jüngeren Geschichte keine Probleme hatten: dem Ausverkauf der DDR-Wirtschaft an westdeutsche Konzerne, dem Kriegseinsatz der Bundeswehr auf dem Balkan, der Zerschlagung sozialer Sicherungssysteme und der Entwürdigung von Millionen durch Hartz IV.

Aber ja, nach den Verlautbarungen aus den Spitzen von CDU/CSU und FDP, keine gemeinsame Sache mit der AfD zu machen ist das Vorgehen ihrer thüringischen Landesverbände auf jeden Fall ein Wortbruch. Dass diese Parteien aber kein Problem haben, mit Rechtspopulisten zusammenzuarbeiten, zeigt sich an ihrem Verhältnis zur österreichischen FPÖ, dem ungarischen Staatschef Viktor Orbán oder auch dem US-Präsidenten Donald Trump. Warum? Weil sie letztlich dieselben Klasseninteressen vertreten.

Dass nun die CDU-Spitze die Konservativen in Thüringen scharf kritisiert, ist vor allem Ausdruck davon, dass es in der Union einen Richtungskampf gibt, der auch darum geht, wie man mit den Rechtspopulisten umgehen soll. Dominant sind in der Partei noch diejenigen Kräfte, die auf Abgrenzung zur AfD setzen. Thüringen zeigt, dass diejenigen, die auf eine Integration der AfD in die staatlichen Institutionen setzen, keine marginale Kraft in der Partei sind.

Dabei ist ein solches Verhalten im Grundsatz nicht gänzlich neu. Nach den erfolgreichen Blockaden gegen den Nazi-Aufmarsch 2010 in Dresden anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der sächsischen Landeshauptstadt im Zweiten Weltkrieg am 13. Februar, hoben die CDU und FDP Sachsens gemeinsam mit der damals im Landtag vertretenen faschistischen NPD die Immunität von LINKEN-Fraktionschef Andre Hahn auf, um ein Ermittlungsverfahren gegen ihn zu ermöglichen. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass damals Björn Höcke an genau diesem Neonazi-Aufmarsch als Demonstrant teilgenommen hat.

Der Schritt der Liberalen und Konservativen in Thüringen hat aber insofern eine neue Qualität, weil er Brandmauern einreißt, was perspektivisch zur Bildung einer Koalition von CDU und FDP mit der AfD führen kann.

Woher kommt die Stärke der AfD?

Die AfD wurde nicht am 5. Februar im thüringischen Landtag durch CDU und FDP stark gemacht. Sie ist Produkt der arbeiter*innenfeindlichen und unsozialen Politik aller etablierten Parteien über Jahre und Jahrzehnte. Das gilt ganz besonders für Ostdeutschland.

Der mutige Aufstand der Menschen in der DDR gegen die stalinistische Bürokratie endete 1990 in der kapitalistischen Sackgasse. Für Viele bedeutete das Jobverlust und Armut. Diese Erfahrung ist nicht vergessen. Die Agenda 2010, die drastische Absenkung der Sozialleistungen, die Verringerung der Hilfen für Arbeitslose durch Hartz IV – all das führte zu Erbitterung.

Das Wachsen der AfD gerade im Osten zeigt auch die Abwendung großer Teile der Bevölkerung von den etablierten Parteien, denn sowohl CDU, als auch FDP, SPD und Grüne stehen für diesen Sozialabbau. Wenn DIE LINKE, statt mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gegen diese Politik zu kämpfen, mit Grünen und SPD koaliert, wird sie in der Wahrnehmung vieler Menschen Teil dieser Sozialabbauparteien. Ohne eine Alternative von links und ohne kämpferische Gewerkschaften, die den Weg aufzeigen, dass die arbeitende Bevölkerung gemeinsam gegen die da oben kämpfen kann, erhalten rassistische Pseudoalternativen die Chance von den eigentlichen Problemen und ihren Verursachern abzulenken. Verantwortlich für die Stärke der AfD sind die kapitalistischen Verhältnisse, die Politik der etablierten Parteien, sozialpartnerschaftlich und zahnlose Gewerkschaftsführungen und eine LINKE, die unbedingt im Establishment ankommen will und ihre eigenen Prinzipien dabei immer wieder über Bord wirft.

LINKE Thüringen

Wenn noch am Abend des 5. Februar im ganzen Land viele Tausend Menschen spontan gegen die Wahl Kemmerichs auf die Straße gehen, dann ist diese Antwort richtig. Massenmobilisierungen sind ein entscheidendes Mittel, um die Rechtspopulisten zurückzudrängen. Sie werden aber nicht ausreichen. Wenn, wie einige Politiker*innen der LINKEN das nun tun, das Zusammenhalten aller „Demokrat*innen“ gegen die AfD beschworen wird, dann ist das kontraproduktiv und wird diejenigen bestärken, die in der AfD die einzige Alternative zu einem Einheitsbrei der Parteien sehen, der ihre sozialen Interessen mit Füßen tritt. Jetzt ausgerechnet an diejenigen zu appellieren, die gerade erst unter Beweis gestellt haben, dass sie bereit sind mit der Höcke-AfD ins Bett zu steigen, ist absurd. Wie sich die „Demokrat*innen“ von FDP und CDU verhalten, haben sie in ihrer großen Mehrheit am 5. Februar bewiesen. Der beste Kampf gegen die AfD ist der Kampf für die Interessen der Arbeiter*innenklasse und sozial Benachteiligten. Diesen müssen die Gewerkschaften und DIE LINKE aufnehmen. Die anderen prokapitalistischen Parteien von SPD bis FDP sind dabei keine Bündnispartnerinnen, sondern Gegnerinnen.

Nach der Landtagswahl in Thüringen hatte Ramelow sogar der CDU die Zusammenarbeit angeboten. Das Ziel einer Regierungsbildung um jeden Preis ist für eine linke, sozialistische Partei der falsche Weg.

Hätte DIE LINKE ein sozialistisches Regierungsprogramm (wie ein solches aussehen könnte findet sich https://solidaritaet.info/2019/11/fuer-ein-sozialistisches-regierungsprogramm-der-linken-in-thueringen/) aufgestellt, statt das eigene Programm für die – dann verhinderte – Bildung einer Minderheitenkoalition mit SPD und Grünen zu verwässern; dann hätte die Thüringer LINKE jetzt die Trümpfe in der Hand: Allen wäre klar, dass man in einer Bewegung gegen den Schulterschluss von CDU, FDP und AfD für die Umsetzung eines sozialistischen Programms kämpfen kann. Diese Alternativen stünden dann allen klar vor Augen: Entweder Sozialabbau á la Höcke, Mohring und Kemmerich oder ein Programm, dass wirkliche Verbesserungen für Lohnabhängige, Jugendliche und Rentner*innen durchsetzen will.

Andererseits hat die Aufweichung, ja teilweise Aufkündigung des Programms der LINKEN nicht verhindert, dass die Eliten der Bundesrepublik am 5. Februar dazu übergingen Ramelow zu stürzen. Auch wenn sie dazu der Stimmen der AfD bedurften. Das ist Ausdruck davon, dass selbst eine handzahme LINKE aus Sicht der Kapitalisten und ihrer politischen Vertreter*innen ein Hindernis sein kann, ihre Klasseninteressen von Profitmaximierung, Sozialabbau und Militarismus durchzusetzen.

Nun werden die Weichen in Berlin auf Neuwahlen in Thüringen gestellt. Es ist unwahrscheinlich, dass Kemmerich sich diesem Druck lange entziehen kann. Die FDP hat sich einmal mehr verkalkuliert. Man kann nur hoffen, dass diese „kleine Partei des großen Kapitals“ dann aus dem Landtag fliegt. Man muss befürchten, dass die AfD noch mal gestärkt wird. Unabhängig davon, wie nach einer Neuwahl durch wen eine Landesregierung gebildet werden kann, gilt, dass eine Lösung der Probleme der arbeitenden Menschen nicht durch diese oder jene Regierungskoalition erreicht werden wird, sondern nur wenn der Widerstand gegen die herrschende Politik von unten organisiert wird und eine linke Partei auch linke Politik betreibt, auf deren Basis sie Mehrheiten gewinnen kann.

Von Weimar nach Erfurt“?

Viele ziehen nun Parallelen zwischen der Bildung der ersten Landesregierung in der Weimarer Republik, an der die NSDAP beteiligt war und der Regierung in Thüringen heute. Viele Linke warnen vor einer bevorstehenden faschistischen Machtergreifung und begründen damit ihre falsche Politik der Zusammenarbeit mit den prokapitalistischen Parteien.

Die Gefahr, die von der AfD ausgeht, sollte nicht klein geredet werden. Sie sollte aber auch nicht übertrieben werden. Faschismus bedeutet die völlige Zerstörung der Gewerkschaften und Linken und die Abschaffung jeglicher demokratischer Rechte. Das Mittel des Faschismus ist der Aufbau terroristischer Bewegungen, wie es SA und SS waren. Davon sind wir weit entfernt und auch wenn es in der AfD nicht wenige Faschisten gibt und der Höcke-Flügel gestärkt wurde, ist die Partei nicht faschistisch. Sie ist trotzdem brandgefährlich und wenn sie die gesellschaftliche Macht erlangen sollte, wie die FPÖ in Österreich über Jahrzehnte Macht hat, dann werden sich die Lebensverhältnisse massiv verschlechtern. Gleichsetzungen mit Weimar führen aber zu den falschen Schlussfolgerungen und fördern gerade, dass DIE LINKE keine klare unabhängige Position einnimmt. Das wird die AfD tendenziell nur stärken.

Wenn DIE LINKE jetzt nicht umsteuert und gegen diesen Klassenkampf von oben den Klassenkampf von unten organisiert, dann wird genau das passieren. Die Sol setzt sich in der Partei, in Gewerkschaften und Bewegungen dafür ein, dass die AfD durch gemeinsame Kämpfe für soziale Verbesserungen und den Aufbau einer sozialistischen Alternative gestoppt wird. Das bedeutet, den Kampf gegen die etablierten Parteien und das kapitalistische System, das sie vertreten, als Bestandteil des Kampfes gegen die AfD zu verstehen.