Vom Widerstand gegen eine verrottete Bürokratie

Neues Buch zur Jugendopposition in der DDR

Mittlerweile wohnt René Henze in Rostock. In den 80ern war er Mitbegründer des “Revolutionär Autonomen Jugendverbands” (RAJV), der über Berlin hinaus eine sozialistische Opposition zur Bürokratenherrschaft in der DDR aufbaute. Er ist eine der zwei Hauptpersonen in Sebastian Förster Buch über die Jugendrevolte in Ostberlin und der DDR. In diesem Artikel schreibt er über die Bewegung der Jugend gegen die stalinistische Gängelung.

Das letzte Jahrzehnt der DDR war geprägt von Stagnation und Tristesse. Das System der “alten Männer” ließ für die junge Generation nur eng vorgegebene Bahnen zu: Nicht hinterfragen, ausprobieren, kritisch sein, sondern still und angepasst Schule, Lehre, Armee hinter sich bringen, mit Anfang 20 heiraten und mit durchschnittlich 23 ein Kind kriegen… um dann ein Leben lang in ein- und demselben Betrieb und Beruf arbeiten.

Bürokratischer Konservatismus

Als in den 50ern im Westen der Rock’n’Roll aufkam, hieß es im damaligen Zentralorgan der FDJ, der jungen welt, über Elvis Presley: “Sein ‘Gesang’ glich seinem Gesicht: dümmlich, stumpfsinnig und brutal. Der Bursche war völlig unmusikalisch (…) und röhrte wie ein angeschossener Hirsch, nur nicht so melodisch.” Im Gefolge dieser staatlichen Vorgabe kam es 1958 sogar zu Verurteilungen mit Gefängnisstrafen. 

Als Anfang der 60er im Westen die Beatles die Jugend begeisterten, erschien zuerst auch in der DDR eine LP und zwei Singles. Doch diese anfängliche Offenheit wich schon im Oktober 1965, als das Politbüro der SED verfügte, dass “Beatmusik” in den DDR-Medien verboten wird. Der damalige Staats- und Parteichef Walter Ulbricht erklärte gar die Beatmusik zu einem “Versuch westimperialistischer Drahtzieher, die akustische Kriegsvorbereitung in die DDR zu tragen”.

Nach diesem Beschluss des Politbüros wurde reihenweise jungen Bands verboten, “Beatmusik” zu spielen oder sie würden nicht mehr auftreten dürfen, da man ihnen “die Lizenz” (sprich staatliche Erlaubnis) entziehen würde.

Jugend widersetzt sich

Die Gegenreaktion der Jugend ließ nicht auf sich warten. Nachdem innerhalb von Tagen allein in Leipzig 54 von 58 “Bands” verboten wurden, kam es am 31. Oktober zum sogenannten “Beataufstand”. Über zweitausend Schüler*innen, Azubis und Studierende zogen durch Leipzig und forderten die Wiederzulassung. Die Staatsmacht antwortete mit Hunden, Wasserwerfern und Schlagstöcken, 279 Festnahmen, 144 Verurteilungen und viele der festgenommenen Jugendlichen mussten für einige Wochen im Braunkohletagebau schuften.

Nach diesen Ereignissen beginnt die SED eine Kampagne gegen Langhaarige, Beatfans, junge Christ*innen und politisch Andersdenkende und es war in den Folgejahren “normal”, dass Jugendliche mit langen Haaren von der Polizei aufgegriffen und ihnen die Haare im Revier abgeschnitten wurden.

Mit diesen Maßnahmen entfremdeten die Stalinist*innen einen nicht unerheblichen Teil der Jugend. 

Jugendrevolte als Teil der Revolution gegen den Stalinismus

Aber nicht nur im (sub-)kulturellen Bereich bevormundete der Stalinismus die Jugend, sondern auch im allgemein-gesellschaftlichen. Als Anfang der 80er Jahre Atomraketen in Ost- und Westdeutschland stationiert wurden oder als Umweltprobleme auch in der DDR zunahmen, war es wieder die junge Generation, die sich damit nicht so einfach abfinden wollte. Friedens- und Umweltgruppen entstanden auch in der DDR – und nicht selten bekamen sie Ärger mit der Staatsmacht.

So ist es auch kein Zufall, dass in den großen Ereignissen des Jahres 1989 besonders die junge Generation aktiv wurde. Zuerst suchten viele junge Facharbeiter*innen in der Massenfluchtbewegung im Sommer 1989 den Weg via Ungarn in den Westen. Dann, mit Beginn der von jungen Leuten angestoßenen Montagsdemos, gingen DDR-weit immer mehr auf die Straße –  um mit der “Verehrung” und der Macht der “alten Männer” Schluss zu machen. Es sollte eine bessere DDR werden. Und als der in der DDR unbequeme und sozialistische Schriftsteller Stefan Heym am 4. November vor einer Million Demonstrant*innen verkündete: „Der Sozialismus, nicht der stalinsche, der richtige, den wir endlich erbauen wollen, zu unserem Nutzen und zum Nutzen ganz Deutschlands …“ gibt es kein Buh oder Pfiffe, sondern millionenfachen Applaus, denn die Massenbewegung gegen die Bürokratenkaste in der DDR endete zwar in der kapitalistischen Eingliederung in die BRD. Sie begann jedoch als Bewegung für einen wirklichen Sozialismus.

Sebastian Förster: “Das Gefühl etwas bewegen zu können.” Die linke Jugendrevolte in Ostberlin

9,90 Euro, 115 Seiten, ISBN 978-3-96156-084-4

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