Das Coronavirus stürzt den Kapitalismus global ins Chaos – Sozialistisch Alternative nötig

Bild von Alexandra Koch auf Pixabay

Erklärung des Internationalen Sekretariats des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) vom 23. März 2020

Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hat den Weltkapitalismus und die globale Gesellschaft in eine neue Ära von Aufruhr und Umwälzung gestürzt. In einem Land nach dem anderen hat die Pandemie mit ihrem Ausbruch rasch alles offenbart, was an der kapitalistischen Gesellschaft verrottet ist. Von der ursprünglichen Vertuschung des Virus in Wuhan in China durch das diktatorische Regime bis hin zur verzweifelten Notlage der Alten und Kranken zum Beispiel in Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien, die unter unzureichenden medizinischen Einrichtungen leiden, wird der dekadente Charakter des Kapitalismus und seiner Herrscher aufgedeckt. Dies hat weit verbreitete Ängste ausgelöst, aber auch eine Infragestellung der Gesellschaftsordnung bewirkt.

Die Folgen der Sparpakete, die in Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und vielen weiteren umgesetzt wurden, werden auf schreckliche Weise offenbart, nachdem die Pandemie diese Länder erfasst hat.

Abgesehen von den verheerenden Auswirkungen auf die Gesundheit von Millionen Menschen ist die Pandemie auch Auslöser für den Beginn einer neuen globalen Wirtschaftsrezession. In China, wo der Ausbruch begann und auch die erste wirtschaftlichen Folgen nach sich zog, ist das BIP bereits in den ersten beiden Monaten des Jahres 2020 um schätzungsweise 13 Prozentgeschrumpft! Bei einem Anteil Chinas am Welthandel von ca. 14 Prozenthätte dies allein schon verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. (Im Jahr 2007/8 machte China nur etwa 4 Prozentdes Welthandels aus).

Die “Lock-Downs”, die in den meisten großen kapitalistischen Ländern verhängt werden, sorgen jedoch in Verbindung damit, dass große Teile der Arbeitskräfte eine Zeit lang krank sind, auch dafür, dass in den kapitalistischen Volkswirtschaften Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Großbritanniens und der EU sowie in den USA und Japan bereits eine Rezession im Gange ist.

Die derzeitige wirtschaftliche und soziale Krise dürfte zumindest tiefer werden als die Rezession von 2007/8. Einige Schätzungen ergeben, dass die britische Wirtschaft im zweiten Quartal 2020 um 15 Prozentschrumpfen könnte. Larry Elliot sprach im Londoner Guardian von “der sich abzeichnenden Rezession aller Rezessionen”. Noch tiefer also, als 2007/8! Ein Absturz in eine globale Depression kann angesichts der verheerende Krise, die sich derzeit abspielt jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. In vielen Ländern finden bereits große Entlassungswellen statt, und die Gefahr eines massiven Anstiegs der Arbeitslosigkeit ist jetzt in allen Ländern gegeben.

Dies alles geschieht vor dem Hintergrund der gefährlichen wirtschaftlichen Situation, die bereits vor dem Coronavirus-Ausbruch bestanden hatte. Die Kapitalisten befürchten, dass dies keine kurze, “V-förmige” Rezession sein wird, sondern eine weitaus längere und tiefere. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie befand sich die Weltwirtschaft in einer äußerst prekären Situation. In Deutschland, China und anderen Ländern hatte bereits eine Verlangsamung eingesetzt. In Japan sanken die Ausgaben der Haushalte im Herbst 2019 um 7%. Trotz einer extrem schwachen “Erholung”, trotz aller Konjunkturpakete und “Quantitativer Erleichterung” (QE), die nach dem Crash von 2007/8 eingeführt wurden, hatte die Weltwirtschaft nicht zu ihrer Wachstumsposition vor 2007 zurückgefunden. Der Crash von 2007/8 führte zwar nicht zu einer Depression vom Typ der 1930er Jahre, war aber eine der längsten Rezessionen in der Geschichte des Kapitalismus – vergleichbar mit der “Langen Depression” von 1873-96 und der “Großen Depression” von 1929-39. Die Krise von 1974 beendete die Boomphase nach dem Zweiten Weltkrieg und läutete eine neue Periode der Instabilität und des Umbruchs ein. Heute stehen die herrschenden Klassen vor der Möglichkeit, eine längere Periode der Rezession oder sogar eine Depression zu erleben. Und sie treten in die neue Krise nicht aus einer Position der wirtschaftlichen oder politischen Stärke und Stabilität ein.

Die globale Verschuldung ist in der ersten Hälfte des Jahres 2019 auf schwindelerregende 250 Billionen US-Dollar gestiegen. Tatsächlich war die globale Verschuldung bis 2019 noch nie so hoch gewesen, wobei die Gesamtverschuldung – Regierungen, Unternehmen und Haushalte – mehr als dreimal so hoch war wie das BIP der gesamten Weltwirtschaft.

Dies bedeutete, dass die globale kapitalistische Wirtschaft vor dieser Krise heute tiefer verschuldet ist, als sie es 2007/8 war. Wie der Investor und New York Times-Kommentator Ruchir Sharma jedoch hervorhob, haben sich die risikoreicheren Schuldenpools von Haushalten und Banken auf der ganzen Welt inzwischen in die Unternehmen verlagert. Es gab einen dramatischen Anstieg so genannter “Zombie”-Firmen, die zu wenig verdienen, um überhaupt die Zinszahlungen für ihre Kredite zu leisten und nur durch die Ausgabe neuer Schulden überleben können. “Zombie”-Firmen machen heute 16 Prozentder börsennotierten Unternehmen in den USA und 10 Prozentin Europa aus.

Ein weiterer Bereich des “Schuldenstresses” umfasst eine Reihe von Unternehmen, die, um die seit 2008 auferlegten Vorschriften für Unternehmen zu umgehen, private Geschäfte gemacht haben, die sie mit riesigen Schulden belasten. Die durchschnittliche US-Firma, die sich im Besitz einer Private-Equity-Firma befindet, hat Schulden in Höhe des Sechsfachen ihres Jahresgewinns – doppelt so hoch wie der Verschuldungsgrad, der von Agenturen bereits als “Schrott” betrachtet wird.

All diese Faktoren deuteten auch vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie bereits eindeutig hin zu einer neuen Wirtschaftskrise.

Der Kapitalismus stand also bereits am Rande einer neuen Wirtschaftskrise und einer Verlangsamung oder Rezession. Die Ankunft der Pandemie hat die Weltwirtschaft nun endgültig in eine schwere Rezession oder möglicherweise in eine Depression gestürzt. Die Auswirkungen der Pandemie führen auch dazu, dass die Rezession zum ersten Mal einen doppelten Charakter haben wird – sowohl Nachfrage als auch Angebot sind diesmal betroffen. Sie ist also nicht nur eine Krise des Konsums, sondern auch des Angebots, der Lieferketten, der Produktion und des Vertriebs. Dies hätte verheerende wirtschaftliche, soziale und politische Folgen im globalen Maßstab und wäre eine Multi-Krise aller Sektoren der kapitalistischen Wirtschaft. Der dramatische Anstieg der Arbeitslosigkeit, der sich bereits jetzt abspielt, und die Auswirkungen, die dies haben wird, sind ein Aspekt davon.

.Gegenwärtig hat diese Krise nach China und Südkorea ihre größten Auswirkungen in Europa und den USA, breitet sich aber schnell auch auf andere Gebiete aus. Die Furcht vor den Folgen dieser sich rasch entfaltenden Krise hat die herrschende Klasse in den meisten Ländern dazu gezwungen, komplett umzulenken, indem sie massive keynesianische Maßnahmen ergreifen und die neoliberale Politik praktisch über Nacht komplett aufgegeben haben

Innerhalb weniger Tage wurden in riesigem Maßstab öffentliche Gelder in die Wirtschaft gepumpt, um die Unternehmen zu stützen. Die EZB hat nun eine QE-Spritze (Quantitative Lockerung A.d.Ü.) von 750 Milliarden Euro angekündigt. Der französische President Macron kündigte an, dass insgesamt 345 Milliarden Euro in die französische Wirtschaft gepumpt werden sollen. Boris Johnson hat bereits eine Woche nach der Ankündigung des Haushalts weitere 330 Milliarden Pfund in die britische Wirtschaft gesteckt. Sogar US-Präsident Trump erwägt die Verwendung von “Helikopter”-Verteilmethoden, und will den Verbraucher*innen einfach Geld geben, in der Hoffnung, die Kaufkraft aufrechtzuerhalten. Trump erwägt demnach offenbar, 2000 US-Dollar auf das Bankkonto aller Amerikaner*innen zu überweisen! Ein Schritt übrigens, den die Regierung von Hongkong bereits unternommen hat.

Die bereits niedrigen Zinssätze wurden in einem verzweifelten Versuch, eine gewisse wirtschaftliche Aktivität aufrechtzuerhalten nocheinmal drastisch gesenkt – in Großbritannien auf 0,1 Prozent- das niedrigste Niveau in der Geschichte! Bereits vor dieser Krise waren einige Zinssätze faktisch negativ.

Der Neoliberalismus wird aufgegeben

Angesichts dieser in Friedenszeiten beispiellosen Krise wurde die neoliberale Politik innerhalb weniger Tage zugunsten staatlicher Interventionen und keynesianischer Methoden aufgegeben. Elemente dessen, was während des Ersten und Zweiten Weltkrieges unternommen wurde, wurden von zahlreichen Regierungen wiederholt, in dem verzweifelten Bemühen, einen vollständigen Zusammenbruch und darauf folgende soziale Revolten zu vermeiden.

Die italienische Regierung verstaatlichte die wichtigste Fluggesellschaft des Landes und die spanische Regierung die private Gesundheitsversorgung. Macron sah sich gezwungen zu erklären, dass er bereit ist, die angeschlagenen französischen Unternehmen zu verstaatlichen. In Deutschland hat der christdemokratische Wirtschaftsminister von der Möglichkeit von Verstaatlichungen gesprochen und gleichzeitig davor gewarnt, dass “die Grundsätze der freien Marktwirtschaft nicht vergessen werden sollten”. Sogar Johnson in Großbritannien war gezwungen, an die Hersteller heranzutreten und an sie zu “appellieren”, die Produktion zu ändern, um Beatmungsgeräte für Krankenhäuser zu produzieren.

Sie alle haben ihre Ablehnung staatlicher Intervention und ihre neoliberale Politik angesichts einer Krise dieses Ausmaßes mit einem Wimpernschlag aufgegeben. Wie die Herrschenden in Kriegszeiten – insbesondere in den Weltkriegen von 1914-18 und 1939-45 – sind auch sie bereit, alles zu mobilisieren, um mit allen Mitteln ihr System zu stützen.

Wie erfolgreich sie eine Depression oder eine tiefe Rezession vermeiden können, bleibt in dieser Phase unklar. In der letzten Woche haben sie gezeigt, dass sie bereit sind, eine Hypothek auf die Zukunft aufzunehmen, um zu versuchen, eine Depression und einen Zusammenbruch möglichst zu vermeiden, aus Angst vor den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen, die sich daraus ergeben würden. Mit der globalen Entwicklung der Krise wird diese sich jedoch mit Sicherheit noch verheerender auf Asien, Afrika und Lateinamerika auswirken.

In einer früheren historischen Periode wurde eine Wirtschaftskrise dieser Größenordnung – ein massiver Schuldenberg, das Fehlen nachhaltiger neuer Märkte und eine Krise der Überproduktion, Aufrüstungsbemühungen und zunehmende Spannungen mit rivalisierenden Kapitalismen – mit barbarischen Methoden auf die Spitze getrieben, um das gesamte System durch die Zerstörung der Produktivkräfte “neu zu starten”. Dies führte dazu, dass jeder nationale kapitalistische Staat Maßnahmen zum Schutz seiner eigenen Interessen ergriff, was letztlich zu Kriegen und Weltkriegen führte. Heute steht diese Option der herrschenden Klasse wegen der gegenseitigen Zerstörung, die dies im Zeitalter der Atomwaffen mit sich bringen würde, nicht offen. Regionale Kriege zwischen rivalisierenden Mächten oder Stellvertreterkriege sind jedoch eine unvermeidliche Folge der aktuellen Krise. Der Kapitalismus kann als Folge mit einer längeren Periode wirtschaftlicher Rezession oder sogar Depression konfrontiert werden, in der viele der existierenden Produktivkräfte zerstört werden. Dies könnte auch eine intensive Periode sozialer, politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen auf globaler Ebene bedeuten, die in der jüngsten Geschichte des Kapitalismus beispiellos ist.

Der Rückgriff auf keynesianische Programme, die versuchen, einen solchen katastrophalen Zusammenbruch abzuwenden, erfolgt jedoch nicht wie zuletzt auf der Grundlage einer vereinbarten koordinierten internationalen Strategie der kapitalistischen Klassen. Es ist auch nicht aus einer starken wirtschaftlichen Position heraus geschehen. 2007/8 koordinierten die herrschenden Klassen nach einer anfänglichen Panik ihre Politik, um einzugreifen und das globale Banken- und Finanzsystem zu stützen.

Die gegenwärtige Krise findet unter völlig anderen internationalen politischen Bedingungen statt. Der Rückgang der Macht des US-Imperialismus, obwohl er immer noch die größte Weltmacht ist, und der Aufstieg Chinas und anderer regionaler Mächte bedeutet, dass weder die USA noch irgendeine andere Macht eine bestimmte Politik unwidersprochen gegen andere Mächte durchsetzen kann. Das veränderte Kräfteverhältnis zwischen den USA und Mächten wie China oder Russland hat auch zu einem Prozess der Entglobalisierung und dem Rückfall in eine protektionistische und nationalistische Politik geführt. Dies hat sich während dieser Krise deutlich gezeigt, in der erkennbar jede kapitalistische Macht lediglich Maßnahmen zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen ergreift.

Der globale Kapitalismus musste sich dieser Krise zudem vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Handelskriege stellen. Er trat in die Krise mit einem Streit zwischen den beiden größten Ölproduzenten – Russland und Saudi-Arabien – ein, der die Kosten für Rohöl nach unten trieb, mit katastrophalen Folgen für Länder wie Nigeria und Venezuela, die vom Export ihres Öls abhängig sind.

Hinzu kommen die Unzulänglichkeiten der rechtspopulistischen kapitalistischen Politiker wie Trump, Johnson und Bolsonaro, die die Krise durch ihren Umgang mit der Situation noch verschlimmert haben. Im Rahmen seiner Wiederwahlkampagne hat Trump die Epidemie als “chinesisches Virus” bezeichnet, Johnson lehnt allgemeine Tests sogar für Mitarbeiter des Nationalen Gesundheitswesens (NHS) ab, und Bolsonaro leugnet weiterhin, dass es überhaupt ein ernstes Problem gibt, indem er umhergeht und Leute begrüßt, während er auf seine eigenen Testergebnisse wartet. Narendra Modi in Indien hat einen ähnlichen Ansatz gewählt.

Im Umgang mit der Viruspandemie besteht ein krasser Gegensatz zwischen den großen westlichen kapitalistischen Mächten und China. China, eine einzigartige staatskapitalistische Wirtschaft mit den Überresten des bürokratischen stalinistischen Regimes, welches in der Vergangenheit existierte, ist ein überaus aufschlussreicher Fall, trotz der anfänglichen Vertuschung des Virus, die dem Regime enormen Schaden zugefügt hat. Der chinesische Staat war in der Lage, innerhalb von zwei Wochen Notkrankenhäuser zu bauen (obwohl die betroffenen Arbeiter*innen unter sklavenähnlichen Bedingungen lebten) und Ärzte aus dem ganzen Land in die am schlimmsten betroffenen Gebiete zu schicken. Er sorgte auch dafür, dass ein Nahrungsmittelverteilungsnetz eingerichtet wurde. Auch Kuba setzte trotz bürokratischer Planung und teilweiser kapitalistischer Restauration eines der derzeit wirksamsten Medikamente zur Behandlung der am schlimmsten vom Virus Betroffenen ein – Interferon Alpha 2B -, das dazu beitrug, die Zahl der Todesfälle erheblich zu reduzieren. Die Regierung entsandte daraufhin Ärzte nach Europa, um bei der Behandlung der Kranken in Italien zu helfen. Russland hat aus eigenen Gründen ebenfalls Mittel aufgebracht umd Hilfe nach Italien zu schicken.

Die gegenwärtige Krise stellt einen entscheidenden Wendepunkt für den globalen Kapitalismus dar, sowohl in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht als auch in Bezug auf die geopolitischen Beziehungen. Wie er genau aus dieser Krise hervorgehen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig ungewiss. Sicher ist jedoch eine umfassende Neuordnung der weltweiten und geopolitischen Beziehungen sowie große Kämpfe zwischen den Klassen mit mächtigen neuen Elementen von Revolution und Konterrevolution.

So wie der Erste Weltkrieg die Ära der gewachsenen Macht des US-Imperialismus eröffnete, wird diese Krise nun seine Position weltweit weiter untergraben. Wie weit sich dieser Trend entwickelt ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht klar. Auch China wird durch die Krise wirtschaftlich verwüstet, und es ist noch nicht absehbar, unter welchen Vorzeichen es aus der Krise hervorgehen wird. Die internationalen Spannungen und Konflikte werden sich jedenfalls verschärfen. Das kann zum Zusammenbruch oder sogar zur völligen Auflösung der regionalen Zusammenarbeit und Integration führen. In Europa ist die herrschende Klasse in höchster Angst über die Möglichkeit, dass diese Krise die EU in ihrer jetzigen Zusammensetzung zerreißen könnte. Einer der Hintergründe, der die EZB zur Entscheidung über eine massive Mittelfreigabe trieb, war ohne Frage die Angst vor einem Zerfall der Eurozone.

In dieser Krise wurden unweigerlich bereits alle Beschränkungen, die die Europäische Union ihren Mitgliedern und vor allem den Euroländern in Bezug auf die Höhe der staatlichen Haushaltsdefizite und die staatlichen Interventionen zur Unterstützung der maroden Industrien auferlegt hat, aus dem Fenster geworfen. Gleichzeitig haben sich die nationalen Spannungen innerhalb der EU weiter verschärft. Dies zeigte sich zum Beispiel, als Italien um dringende medizinische Hilfe aus den EU-Ländern bat und überhaupt keine Antwort erhielt. Es wurde Kuba, China und Russland überlassen, medizinische Hilfsgüter, Ärzt*innen und sonstige Unterstützung zu schicken.

Kurzfristig hat die verständliche Furcht vor den Folgen des Virus und den Auswirkungen der Wirtschaftskrise, die dieses in den meisten Ländern ausgelöst hat, zu einem ersten Gefühl der Notwendigkeit einer “nationalen Einheit” geführt, um angesichts einer solch verheerenden Krise zusammenzuhalten. Dies hat dazu geführt, dass die Massenbewegungen in Frankreich, Chile und anderen Ländern eine Zeitlang untergraben wurden.

In allen Ländern haben die Regierungen weitreichende Notstandsbefugnisse erhalten oder sind dabei, diese zu zu schaffen. Johnson in Großbritannien und Abe in Japan sind für zwei Jahre Notstandsbefugnisse erteilt worden! In Italien wurde der teilweise Einsatz der Armee von Geldstrafen in Höhe von 5000 Euro begleitet, die gegen jede*n verhängt werden, der/die ohne Genehmigung auf der Straße unterwegs ist. In einigen Ländern hat mit dem Einsatz oder Teileinsatz der Armee und anderer staatlicher Kräfte eine gewisse Militarisierung der Gesellschaft stattgefunden.

Solche Maßnahmen wurden zunächst weitgehend als notwendig akzeptiert, um die Krise zu bewältigen und das Leben möglichst vieler Arbeiter*innen und ihrer Familien zu schützen. Sie ähnelt der Haltung, die sich in vielen Ländern zu Beginn des Ersten und Zweiten Weltkriegs entwickelt hat. Das CWI unterstützt alle Schritte, die zum Schutz des Lebens und der Interessen der Arbeiter*innen und ihrer Familien notwendig sind. Es kann jedoch nicht darauf vertraut werden, dass kapitalistische Regierungen Pandemie-Maßnahmen demokratisch und im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung anwenden werden. Ihr Hauptanliegen ist die Verteidigung der Interessen des Kapitalismus. Darüber hinaus werden sie ab einer bestimmten Phase alles versuchen, um die Arbeiter*innenklasse und die Mittelschicht direkt oder indirekt für diese Krise bezahlen zu lassen. Dies wird unweigerlich weitere große soziale Konflikte hervorrufen.

Autoritäre Notfallmaßnahmen können von den kapitalistischen Regierungen problemlos auch gegen die Arbeiterklasse und ihre Organisationen gerichtet werden. Die jahrelange Verschiebung der Kommunalwahlen in England, einschließlich der Londoner Bürgermeisterwahlen, ist ein Hinweis darauf, wie die Krise zur Aushöhlung demokratischer Rechte genutzt werden kann. Es ist nicht auszuschließen, dass Trump sogar versuchen könnte, die Krise zu nutzen, um die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im November zu verschieben – obwohl dazu eine Verfassungsänderung notwendig ist, was nicht einfach wäre. Dies wäre ein äußerst gefährlicher Schritt für die US-Kapitalistenklasse, aber je nachdem, wie sich die Ereignisse in den USA entwickeln, kann ein solch drastischer Schritt von Trump nicht ausgeschlossen werden.

Das CWI fordert eine demokratische Überprüfung und Kontrolle aller Notfallmaßnahmen, die während dieser Krise ergriffen werden, durch die Gewerkschaften und die arbeitende Bevölkerung. Es ist wichtig, dass wir für eine unabhängige Klassenposition der Gewerkschaften und der Arbeiter*innenklasse kämpfen. Es gibt aktuell ohne Frage enormen politischen Druck im Sinne einer “nationale Einheit” und sogar für die Teilnahme linker Parteien an Koalitionsregierungen zusammen mit den kapitalistischen Parteien. Obwohl das CWI diese Stimmung zur Kenntnis nimmt, lehnen wir alle Schritte zur Klassenzusammenarbeit durch “linke” Parteien und durch Gewerkschaften ab. Schritte in diese Richtung durch Gewerkschaftsführer*innen werden mit Sicherheit über Kurz oder Lang Kämpfe und Konflikte innerhalb der Gewerkschaften auslösen. Wir lehnen die Teilnahme an kapitalistischen Koalitionsregierungen der “nationalen Einheit” ab, welche ausschließlich die Interessen der herrschenden Klasse und nicht die der Werktätigen verteidigen werden. Stattdessen braucht die Arbeiter*innenbewegung ein eigenes “Aktionsprogramm” zur Bewältigung der Krise.

Klassenunterschiede aufgedeckt und die Notwendigkeit einer sozialistischen Alternative

Diese Entwicklungen bedeuten keinesfalls, dass der Klassenkampf beendet ist. Im Gegenteil, die Klassenunterschiede in der Gesellschaft sind dabei noch stärker zutage zu treten. Eine weitere und tiefere Klassenpolarisierung wird sich mit Sicherheit entwickeln. Trotz anfänglicher Gefühle von Angst und Beklemmung sind die zugrunde liegenden Klassengegensätze durch die Krise noch stärker als bisher offengelegt worden und werden im weiteren Verlauf der Krise immer stärker in den Vordergrund treten.

Die Streiks, die in Italien und in Frankreich ausgebrochen sind, sind ein Vorgeschmack dessen, ebenso wie die Streiks der Arbeiter*innen von Mercedes Benz in Spanien, der Krankenhausreinigungskräfte in London und anderer Arbeiter*innen in anderen Ländern, einschließlich der USA. In den meisten Ländern, insbesondere in den von den “Shutdowns” betroffenen Ländern, hat sich eine instinktive Solidarität mit den Beschäftigten des Gesundheitswesens und anderen betroffenen Personen sowie ein gemeinsames Bewusstsein für die Notwendigkeit entwickelt, sich gegenseitig zu unterstützen. Das Topfschlagen und Singen in Barcelona gegen den spanischen König nach der Enthüllung seiner geheimen Auszahlung zeigt, wie die Klassenfragen in dieser Krise im weiteren Verlauf mit größerer Intensität vorgebracht werden. Selbst in Brasilien provozierte Bolsonaros ungeschickter Umgang mit der Pandemie einige der größten Proteste gegen seine Regierung überhaupt

Die politischen Folgen dieser Krise werden zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einer großen politischen Bewusstseinsveränderung führen und die Frage des kapitalistischen Systems auf die Tagesordnung setzen! Dies beginnt bereits mit einer Hinterfragung des “Kapitalismus” und der Art der Gesellschaft, in der wir leben bei Schicht von Arbeiter*innen. Große Teile der Arbeiter*innenklasse, der Jugend und der Mittelschicht können revolutionäre Schlussfolgerungen ziehen, wenn sie mit den Folgen einer lang anhaltenden wirtschaftlichen Rezession oder Depression konfrontiert werden. Die keynesianischen Maßnahmen werden zwar Wirkung zeigen, aber letztlich nicht die Forderungen der Arbeiter*innenklasse und der Massen befriedigen. In vielen Ländern spiegelt sich bereits ein tiefes Misstrauen gegenüber der Regierung und den Reichen in den Ansichten einiger Bevölkerungsschichten wider.

Sogar die Financial Times kam in ihrem jüngsten Brexit-Briefing zu dem Schluss: “Es liegt in der Natur katastrophaler Ereignisse wie der Pandemie, historische Entwicklungen, die ohnehin stattgefunden hätten, zu beschleunigen und neu zu gestalten. Der Erste Weltkrieg verschärfte die Unruhen in Russland, die zu den Revolutionen von 1917 führten, und trieb die Entstehung der USA als führende Weltmacht des 20 Jahrhunderts voran. Der Zweite Weltkrieg markierte das endgültige Ende der europäischen Vormachtstellung in internationalen Angelegenheiten und die Umwandlung des Planeten in eine Arena der amerikanisch-sowjetischen Rivalität. Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen werden, wenn sie nicht unter Kontrolle gebracht wird, mit Sicherheit ähnlich weitreichende Folgen haben.” (FT 17/3/20).

Die dramatische Radikalisierung und die Umwälzungen nach der Depression der 1930er Jahre und dem Zweiten Weltkrieg, die zu einer massenhaften Unterstützung von Verstaatlichungen und sozialistischer Veränderung führten, liefern uns wichtige Lehren. Nachdem die herrschende Klasse in dieser Krise zu großen keynesianischen Methoden und staatlichen Interventionen gegriffen hat, wird es für sie äußerst schwierig sein, diese einfach aufzugeben, wenn die unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie nachlassen.

Gleichzeitig haben die Folgen der Krise zu einer Zunahme des Rassismus in einer bestimmten Schicht geführt und auch der nationalistischen extremen Rechten die Möglichkeit gegeben, eine gewisse Unterstützung zu erlangen. Dies kann sich in einigen Ländern als eine große Bedrohung erweisen, zum Beispiel in Polen, Ungarn und anderen Ländern, in denen die Rechte extreme bonapartistische Repressionsmaßnahmen ergreifen kann.

Diese Ereignisse werden die Arbeiter*innenklasse und ihre Organisationen international vor neue Herausforderungen und Aufgaben stellen. Die Notwendigkeit, kämpferische Gewerkschaften aufzubauen, die für die Verteidigung der Interessen aller Arbeiter*innen und der vom Kapitalismus ausgebeuteten Menschen kämpfen, ist heute dringender denn je. Vor allem der Kampf für den Aufbau von Massenparteien der Arbeiter*innenklasse und der Armen, um für eine neue Gesellschaft und den Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus zu kämpfen drängt wie nie zuvor. Der Kampf für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung, sanitäre Einrichtungen, Trinkwasserversorgung und andere damit verbundene Gesundheitsfragen haben in vielen Ländern eine entscheidende Rolle beim Aufbau von Massenparteien der Arbeiter*innenklasse gespielt. In Sri Lanka baute die ehemalige trotzkistische Massenpartei, die “Lanka Sama Samaja Party”, ihre Massenbasis zunächst im Kampf gegen Malaria auf. Sie zeigte, dass es eine Alternative zur Untätigkeit des Staates gab und was eine sozialistische Alternative bedeuten könnte. Die heutige Coronavirus-Krise kann der Arbeiter*innenklasse schließlich auch die Gelegenheit bieten, Parteien und Organisationen aufzubauen, die den Kapitalismus weltweit mit einer sozialistischen Alternative herausfordern können.

Print Friendly, PDF & Email