Europäische Außengrenze: Für die sofortige Aufnahme der Menschen in Not

Gemeinsam kämpfen für Bleiberecht und soziale Verbesserungen!

Flüchtende werden beschossen, von Frontextsoldaten zurückgedrängt. Kinder nehmen sich das Leben, weil sie die Zustände in den Lagern und das Erlebte nicht ertragen können.

Wolfram Klein und Angelika Teweleit, Sol Bundesvorstand

Seit der türkische Präsident Recip Erdogan angekündigt hat, Geflüchtete nach Europa durchzulassen, ist deren Lage in der Türkei und Griechenland wieder weit oben in den Schlagzeilen. Erdogan versucht die Geflüchteten zynisch als Druckmittel einzusetzen, um Unterstützung der NATO für seinen gemeinsam mit islamistischen Milizen in Nordsyrien geführten Krieg zu erpressen. Der Umgang der griechischen Regierung mit Geflüchteten ist unmenschlich. Die abgewiesenen Menschen werden jetzt wiederum bei ihrem Versuch, in die Türkei zurück zu gelangen, auf Anordnung Erdogans durch türkische Soldaten daran gehindert.

Festung Europa

Von insgesamt über 70 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind, befinden sich weniger als zehn Prozent in den Ländern der Europäischen Union. Während in Deutschland etwa eine Million Geflüchtete leben, sind es sechs Millionen im Libanon, einem Land mit wesentlich geringerer Einwohnerzahl und Wirtschaftsleistung. Einmal mehr zeigt sich an den aktuellen Ereignissen der wahre Charakter der EU, deren Regierungen allein im Interesse der jeweiligen nationalen Kapitalisten handeln und um die “Festung Europa” mithilfe der Frontex eine brutale Mauer errichten: Sie ist neoliberal, militaristisch, undemokratisch. Der LINKEN-Bundestagsabgeordnete Michel Brandt, der das griechisch-türkische Grenzgebiet besuchte, schrieb am 5. März zu Recht auf Facebook, „dass die Festung Europa ihre Schießscharten geöffnet hat. … Diese EU verletzt zwar nicht erst seit gestern Menschenrechte an ihren Außengrenzen. Aber neu ist, das sie dies nicht mal mehr versucht zu kaschieren.“

Rolle der deutschen Regierung

Die Bilder von der türkisch-griechischen Grenze geben einen Eindruck davon, was für Bilder es ohne Merkels „Grenzöffnung“ 2015 an der deutsch-österreichischen Grenze hätte geben können. Es macht deutlich, dass das damals keine humanitäre Glanztat war, sondern nüchternes Kalkül von kapitalistischen Machtpolitiker*innen, die einerseits ein Interesse an billigen Fachkräften hatten, und außerdem ihren Staat vor einem massiven Imageschaden bewahren wollten – und in den folgenden Jahren heimlich, still und leise beim Asylrecht die Daumenschrauben immer mehr angezogen haben.

Deutschland ist einer der Hauptverteidiger des Dublin-Verfahrens, nach dem Geflüchtete in dem EU-Land Asyl beantragen müssen, in dem sie die EU betreten haben. Wegen der geographischen Lage Deutschlands bedeutet das ein Abschieben der Zuständigkeit an andere Länder. Ständig werden aufgrund der Dublin-Regelungen Geflüchtete aus Deutschland in andere Länder wie Italien abgeschoben.

Doch die Politik der deutschen Regierung im Interesse der Konzerne ist mitverantwortlich dafür, dass Menschen fliehen müssen. Deutschland ist einer der größten Rüstungsexporteure der Welt. Deutsche Rüstungskonzerne profitieren vom Krieg, vor dem Hunderttausende versuchen sich und ihre Familien zu retten. Deutschland ist regelmäßiger Exportweltmeister oder -vizeweltmeister. Mit harten Bedingungen werden andere Länder in Abhängigkeit gebracht, ausgebeutet und potentielle Konkurrenz besonders in ökonomisch schwächeren Ländern niedergewirtschaftet. Auch das führt zu wirtschaftlicher Not in anderen Ländern, was Menschen zwingt zu fliehen. In Deutschland ist das Asylrecht in den letzten Jahren laufend verschärft worden. Auch Menschen, die hier arbeiten, auf die Schule gehen, Steuern zahlen, werden immer wieder abgeschoben. Gleichzeitig wurde die Drecksarbeit, Geflüchtete von Deutschland und der EU fernzuhalten, an die libysche Küstenwache und vor allem an Erdogan „ausgelagert“.

Anfang 2016 gab es große Empörung, als die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry die Polizei aufforderte, bei illegalen Grenzübertritten von der Schusswaffe Gebrauch zu machen und ihre Stellvertreterin von Storch bekräftigte, die Polizei solle gegebenenfalls auch auf Frauen und Kinder schießen. Inzwischen geht auf der einen Seite die griechische Polizei und auf der anderen das türkische Militär mit massiver Gewalt gegen Geflüchtete vor … aber die Empörung in den Medien und besonders aus den Reihen der etablierten Parteien über die Taten heute scheint geringer als über die Worte damals zu sein.

Repression

Die Ereignisse in Griechenland und an der griechisch-türkischen Grenze zeigen auch, dass es beim Umgang mit Geflüchteten nicht um abstrakte Moral und „Gutmenschentum“ geht. Eine repressive Politik gegenüber Geflüchteten bedeutet eine Aufrüstung der Polizei, eine Militarisierung der Gesellschaft, Kooperation zwischen Polizei und faschistischen Schlägerbanden. Was sich zuerst gegen Geflüchtete richtet, wird früher oder später gegen Linke, die Arbeiter*innenbewegung und die ausgebeutete Mehrheit der Bevölkerung eingesetzt werden. Die Arbeiter*innenbewegung in Europa und hier in Deutschland muss solche Maßnahmen sowohl aus Solidarität mit den Unterdrückten anderer Länder, als auch aus eigenem Interesse kompromisslos bekämpfen.

Eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten in Europa und Deutschland ist möglich. In Deutschland ist das außerdem leichter als zum Beispiel in Griechenland, dessen soziale Infrastruktur durch die von der Troika unter maßgeblicher Beteiligung der deutschen Regierung verwüstet wurde. Der Bundestag hat gegen einen Antrag der Grünen, unterstützt von der LINKEN gestimmt, sofort fünftausend Geflüchtete aufzunehmen. Diejenigen, die diesen Beschluss gefällt haben, machen sich mitschuldig. Es gibt in Wirklichkeit viel größere Kapazitäten für die Aufnahme der in Not Geratenen. Viele Kommunen haben ihre Bereitschaft erklärt, Geflüchtete aufzunehmen, weil sie es dort leer stehende Einrichtungen gibt. Horst Seehofer (CSU), der vor anderthalb Jahren noch die Migration zur „Mutter aller Probleme“ ernannt hat, erklärt für sein Image heute, er sei für die Aufnahme von unbegleiteten Kindern – die Realität sieht dann jedoch anders aus.

Kapitalistische Krise

2015/16 haben die Maßnahmen zur Integration der in Deutschland aufgenommenen Geflüchteten, so unzureichend sie waren, geholfen, die konjunkturelle Delle zu überwinden. Heute steht die deutsche Wirtschaft – aufgrund kapitalistischer wiederkehrender Krisen – schlechter da. Aber diejenigen, die über Jahre Profitgewinne eingefahren haben, die Konzernbosse, werden so oder so versuchen, die Folgen einer kapitalistischen Krise auf dem Rücken der Masse der Arbeiter*innen abzuladen: durch Kürzungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge, durch Stellenabbau und Entlassungen, durch Angriffe auf das Sozialsystem. Sie nehmen dabei jedes Argument zur Hand, was sich ihnen gerade anbietet, wie auch aktuell die Ausbreitung des Corona-Virus. Auch die neuerliche Panikmache, was den Zuzug von weiteren Geflüchteten angeht, dient einzig und allein der Ablenkung: Flüchtlinge sollen verantwortlich für die sozialen Missstände gemacht werden, damit die wahren Verantwortlichen in Regierung und Konzernetagen mit ihrer Politik weiter machen können beziehungsweise in Zeiten der Krise Angriffe gegen die gesamte Arbeiter*innenklasse durchführen können.

Diese immer wieder von der AfD, den Medien oder bürgerlichen Politikern geschürten Ängste vor den sozialen Auswirkungen des Zuzugs von Geflüchteten müssen aber beantwortet werden. Und eine rein moralische Antwort reicht nicht aus. Die pauschale Forderung nach „offenen Grenzen“, die viele Aktivist*innen aufwerfen, hilft nicht weiter, weil sie nicht zum gemeinsamen Kampf für gleiche Rechte für alle und soziale Verbesserungen mobilisiert. Sie birgt die Gefahr, die Spaltung in der hier lebenden Bevölkerung zu vertiefen. Genauso ist aber mit aller Deutlichkeit zu kritisieren, wenn Sahra Wagenknecht erneut in einem Phönix-Interview behauptet, Europa könne es angeblich nicht verkraften, vier Millionen Flüchtlinge aufzunehmen und zusätzlich das Schreckgespenst aufbaut, das sei vor allem vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Krise nicht möglich. Dies sind Aussagen, die eine Spaltung in der Arbeiter*innenklasse nur befördern und die Arbeiter*innenbewegung schwächen! Es ist genau der falsche Weg, der wachsenden Gefahr von rechts entgegen zu wirken, die aus den Ängsten in der Bevölkerung Profit schlagen will.

Gemeinsam kämpfen

Stattdessen muss die Antwort gemeinsamer Kampf und Mobilisierung sein. Die Führungen der Gewerkschaften sind gefordert, der rassistischen Hetze gegen Geflüchtete entschieden entgegenzutreten und deutlich zu machen: Nicht der Zuzug von Geflüchteten ist das Problem, sondern die neoliberale Politik der Regierenden im Interesse der Banken und Konzerne. Und sie müssen endlich erkennbar machen, dass sie nicht bereit sind, Angriffe auf Sozialleistungen, Entlassungen und Kürzungspolitik zu akzeptieren, sondern dagegen zu mobilisieren. Dafür ist die größtmögliche Einheit der Arbeiter*innenklasse nötig, egal welcher Nationalität oder Religion.

Da die rassistische Spaltung im Interesse der Bosse ist, bedeutet der konsequente Kampf dagegen, sich mit ihnen anzulegen. Die Initiative „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften – VKG“ hat sich zum Ziel gesetzt, eine Alternative zur jetzigen Politik der Sozialpartnerschaft, wie sie von den Gewerkschaftsführungen praktiziert wird, aufzuzeigen.

Gegen Wohnungsnot und Horrormieten müssen die Enteignung von Immobilienkonzernen unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung und die Einführung einer Kostenmiete gefordert werden. Gegen die Drohung von Betriebsschließungen sollten die Gewerkschaften die Forderung nach Gemeineigentum an Produktionsmitteln stellen, sowie einer Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden in der Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Um den eklatanten Personalmangel an Schulen und Krankenhäusern zu beseitigen und eine ausreichend gute Gesundheitsversorgung im Interesse der Masse der Bevölkerung herzustellen, braucht es sofortige Investitionen in Milliardenhöhe in ein staatliches, demokratisch verwaltetes Gesundheitswesen, finanziert aus den Milliardengewinnen der großen Konzerne und den privaten Vermögen der oberen Prozent der Bevölkerung. Das alles bedeutet, sich mit dem Kapital und seiner Regierung anzulegen. Dies muss mit der Perspektive einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung verbunden werden.

Fluchtursachen beseitigen – Kapitalismus abschaffen

Auf der Grundlage von internationaler Solidarität und gemeinsamer Gegenwehr gegen die wahren Verursacher der Missstände ist es möglich, eine Alternative zu schaffen. Eine Welt ohne Kriege, Umweltzerstörung und Ausbeutung; eine Föderation sozialistischer Länder, in denen nicht die Bosse der weltweit größten 500 Konzerne und Banken das Sagen haben und miteinander konkurrieren, sondern wo die Masse der arbeitenden Menschen demokratisch und in Einklang mit der Umwelt und in gegenseitigem Austausch friedliche miteinander leben. Damit könnten ein für allemal die heutigen Fluchtursachen beseitigt werden. Wo durch Naturkatastrophen oder die Folgen der jetzigen Klimaerwärmung nötig wäre, dass Menschen in andere Gebiete umsiedeln, würden sie nicht daran gehindert, sondern mit offenen Armen empfangen. Es wird Zeit für eine solche grundlegende Veränderung der Gesellschaft – für eine weltweite sozialistische Demokratie.

Die Sol fordert

  • Nein zur Festung Europa: Frontex abschaffen, Grenzzäune an den Außengrenzen einreißen, Aufhebung des „Sichere Herkunftsländer“-Status
  • Sofortige Aufnahme der akut in Not geratenen Geflüchteten an der griechisch-türkischen Grenze
  • Dublin III Abkommen beenden – für das Recht im Land seiner Wahl einen Asylantrag zu stellen
  • Für sichere und legale Einreisemöglichkeiten für AsylbewerberInnen in die EU und nach Deutschland – Aufhebung der Visumpflicht für Geflüchtete
  • Herstellung eines wirklichen Asylrechts: Grundrecht auf Asyl, wenn Leib und Leben aufgrund von politischer und gewerkschaftlicher Betätigung, nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlecht, Krieg, Umweltzerstörung und sozialer Not, durch staatliche und nichtstaatliche Verfolgung gefährdet sind
  • Für das uneingeschränkte Recht auf Familienzusammenführung
  • Überführung der Rüstungsindustrie in demokratisches, öffentliches Eigentum, Umwandlung auf zivile Produktion bei Arbeitsplatzgarantie
  • Schluss mit der wirtschaftlichen Ausbeutung anderer Völker, Schluss mit Freihandelsabkommen, Deregulierung, Privatisierung, „Strukturanpassungsprogrammen“, Opposition gegen und Ausstieg aus IWF, Weltbank und anderen imperialistische Institutionen
  • Nein zu Abschiebungen – Bleiberecht für Alle – Schließung von Abschiebegefängnissen
  • Nein zu rassistischen Sondergesetzen für Migrant*innen, vollständige Abschaffung der Residenzpflicht
  • Gleiche Rechte für Alle, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben
  • Die Schaffung von legalen Einreisemöglichkeiten würde den Schleppern das Handwerk legen
  • Finanzierung der Kosten der Flüchtlingsunterbringung und Versorgung durch diejenigen, die die Verursacher von Kriegen, Umweltzerstörung und Armut sind: Banken, Konzerne und deren superreiche Eigentümer.
  • Beschlagnahme von leerstehendem Wohnraum, Büro- und Gewerbeflächen, Aufruf an die Bevölkerung, Leerstand zu melden
  • Schluss mit der Kürzungspolitik in den Kommunen
  • Ein umfassendes öffentliches Investitionsprogramm zum Ausbau von Kitas, Schulen, Sport- und Freizeitstätten
  • Statt Hartz IV oder Sachleistungen. Mindestsicherung von 750 Euro plus Warmmiete für Alle – egal ob Flüchtling oder nicht
  • Flüchtlinge in den DGB – für die Organisierung migrantischer Arbeiter*innen und Erwerbsloser zur Verhinderung von Lohndumping – gemeinsamer Kampf für gegen die sozialen Ursachen von Rassismus
  • Für eine antirassistische Kampagne durch die Gewerkschaften, LINKE, antirassistische Gruppen und Migrantenorganisationen mit: Betriebsversammlungen, Schaffung örtlicher Bündnisse, lokale Informationsveranstaltungen und Kundgebungen, Verbreitung millionenfacher Flugblätter und Plakate, Beteiligung an der Mobilisierung gegen rassistische und faschistische Aufmärsche und einer bundesweiten Demonstration unter dem Motto „Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge! Solidarität statt Spaltung – Rassismus den Boden entziehen! Fluchtverursacher zur Verantwortung ziehen!“
  • Überführung der großen Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung
  • Demokratische Planung und Kooperation statt Konkurrenz und Produktion für den Profit
  • Für sozialistische Demokratie weltweit
  • Unser ausführliches Programm dazu findet sich hier: https://solidaritaet.info/2015/09/schutz-und-solidaritaet-fuer-alle-fluechtlinge-fluchtursachen-bekaempfen/
Print Friendly, PDF & Email