Nach Thüringen und Hanau

Politische Krise weitet sich aus

Der Februar 2020 hat Deutschland verändert. Nicht zum Guten. Erst wurde erstmals der Ministerpräsident eines Bundeslandes mit den Stimmen der AfD in sein Amt gewählt, dann beging in Hanau ein Faschist die schlimmste rassistische Bluttat seit dem Anschlag auf das Münchener Oktoberfest im Jahr 1980 und ermordete neun Menschen in und vor zwei Shisha Bars. Diese Ereignisse zeigen, wie gefährlich die extreme Rechte geworden ist. Das Gute am Schlechten: Zehntausende sind als Reaktion auf die Straße gegangen und haben deutlich gemacht, dass sie die Rechten nicht gewähren lassen wollen.

Von Sascha Staničić (Text vom 25.2.2020)

Beide Ereignisse lösten in allen Teilen der Gesellschaft Empörung aus. Die CDU geriet aufgrund des Abstimmungsverhaltens ihrer thüringischen Landtagsfraktion in eine tiefe Krise und die Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer musste den Rückzug antreten. Bekenntnisse zur Demokratie und Abgrenzung von der AfD wurden im Minutentakt abgegeben. Kanzlerin Merkel kommentierte die Wahl des FDP-Manns und ehemaligen Treuhand-Privatisierers Thomas Kemmerich ungewöhnlicherweise auf einer Pressekonferenz im Ausland und forderte, die Rückgängigmachung der Wahl. Allenthalben war von „Tabubruch“, „politischem Erdbeben“ und „Dammbruch“ die Rede. 

Nach den Morden von Hanau reiste Bundesinnenminister Seehofer an den Tatort und gab Erklärungen gegen Rassismus ab. Derselbe Seehofer, der vor wenigen Jahren die Migration zur „Mutter aller Probleme“ erkoren hatte und „bis zur letzten Patrone“ verhindern wollte, dass es eine Zuwanderung in die Sozialsysteme gebe. 

Staatsrassismus

In Hanau ist die Saat aufgegangen, die nicht nur von den Höckes und Gaulands, sondern eben auch von den Seehofers, Sarrazins und BILD-Zeitungsredakteuren über Jahre gesät wurde – wie schon vorher bei dem antisemitischen Anschlag in Halle, der rassistischen Hetzjagd in Chemnitz und der NSU-Mordserie. Die Geister, die sie riefen (und die sie schützen und fördern), geraten ab und zu außer Kontrolle…

Der Kapitalismus – und die in ihm Herrschenden – haben (historisch betrachtet) den Rassismus hervorgebracht und brauchen ihn, um die Arbeiter*innenklasse zu spalten und um Sündenböcke zu schaffen und damit von ihrer eigenen Verantwortung für die sozialen Probleme abzulenken. Der Rassismus der etablierten Parteien und des Staates – und ja, es ist Rassismus, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft systematisch ungleich behandelt werden, zum Beispiel mittels spezieller Gesetze – gibt den Nazis und Rechtspopulisten Futter. „Wir machen ernst!“ ist ihr Schlachtruf und so mancher, der auf die Lügen der Politiker*innen und prokapitalistischen Medien hereingefallen ist, denkt, es müsse nun auch mal endlich ernst gemacht werden. „Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Gräueltaten zu begehen“, soll Voltaire einmal gesagt haben. 

Testballon geplatzt

Die Wahl von Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD mag ein Tabubruch gewesen sein (ein Wortbruch war sie ganz sicher). Sie war aber auch Ausdruck von der inhaltlichen Nähe von Teilen von CDU und FDP zur AfD, von der Machtgeilheit bürgerlicher Politiker*innen und davon, dass Vertreter*innen des Kapitalismus – egal ob schwarz, gelb oder blau – gegen Linke zusammenhalten. Die Thüringer*innen in der CDU haben aber aus Sicht der Strateg*innen ihrer Parteien und des Bürgertums kurzsichtig gehandelt. Die aus deren Sicht größere Gefahr als ein Ministerpräsident Ramelow ist die weitere Stärkung der unberechenbaren AfD, vor allem im von dem Faschisten Björn Höcke geführten Bundesland Thüringen – und die Gegenreaktion in der Bevölkerung auf die Kooperation mit der AfD. Deshalb wurde zurück gerudert und sah es zu Redaktionsschluss danach aus, dass die CDU Ramelow nun doch wählen ins Amt verhelfen wird – und im Gegenzug ein Jahr zeit bekommt, um sich vor Neuwahlen wieder zu erholen. 

In Thüringen ist weniger ein Damm gebrochen worden, als ein Testballon geplatzt. Das ist schlimm genug. Unmittelbar sind ähnliche Kooperationen oder gar Regierungsbündnisse zwischen etablierten Parteien und der AfD unwahrscheinlicher geworden. Aber der Geist ist aus der Flasche und wenn die Koalitionsoptionen für CDU und FDP weniger werden und die herannahende Wirtschaftskrise die gesellschaftlichen Verhältnisse weiter durcheinander wirbelt, wenn möglicherweise Friedrich Merz CDU-Vorsitzender und Kanzler wird und seinen „unaufgeregten Umgang mit der AfD“  umsetzen kann, dann kann sich das ganz schnell wieder ändern. In Sachsen-Anhalts CDU wird schon fleißig über diese Möglichkeit nach den Landtagswahlen im nächsten Jahr diskutiert.

CDU 

In der CDU ist der offene Kampf um Vorsitz und Kanzlerkandidatur entbrannt. Dieser spiegelt Debatten in der Kapitalistenklasse über den künftigen Kurs wider. Soll eine schärfere Gangart gegenüber der Arbeiter*innenklasse und ihren Gewerkschaften eingeschlagen werden oder stärker auf die Einbindung der Gewerkschaftsführungen gesetzt werden? Soll die scharfe Abgrenzung zur AfD aufgeweicht werden oder nicht? Friedrich Merz steht für eine noch marktradikalere Ausrichtung der Partei und für mehr Offenheit nach Rechtsaußen. Gleichzeitig beschwören andere Vertreter*innen des Kapitals die Sozialpartnerschaft, weil sie spüren, dass mit der anstehenden Wirtschaftskrise auch größere Klassenkonflikte einhergehen können und sie auf die Bremsfunktion der Gewerkschaftsführungen setzen. Die Grünen haben wiederum schnell deutlich gemacht, dass sie auch mit einer von Merz geführten CDU koalieren würden. Für eine schwarz-grüne Option bringt sich aber auch der CSU-Chef Markus Söder in Position, dessen Zukunft jedoch auch vom Ausgang der bayrischen Kommunalwahlen im März abhängen könnte. 

Fazit

Deutschlands politische Dauerkrise hat im Februar eine neue Qualität angenommen. Sie fällt zusammen mit einer Wirtschaftsabschwung, der die Industrie schon in eine Rezession gezogen hat. Die Arbeiter*innenklasse muss sich auf harte Zeiten vorbereiten. Dazu ist es nötig, die Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen zu machen, die Anpassungsprozesse in der LINKEN zu stoppen und für eine sozialistische Politik der Partei zu kämpfen.

Sascha Staničić ist Bundessprecher der Sol und aktiv in der Partei DIE LINKE.

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