Wirtschaft: Ein todkrankes System bekommt Lungenentzündung

Corona-Krise verschleiert tieferliegende Wirtschaftskrise

Wie vieles Andere ist auch die Corona-Krise ein Ereignis mit widersprüchlichen Folgen. Auf der einen Seite offenbart die jetzt offiziell pandemische Ausbreitung des neuartigen Virus‘ die katastrophale finanzielle und personelle Ausstattung des auf Profit getrimmten deutschen Gesundheitswesens. Auf der anderen Seite werden die panischen Artikel in der bürgerlichen Presse dazu genutzt, um die wahren Ursachen für die beginnende Wirtschaftskrise zu verschleiern.

Von René Arnsburg, Berlin

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Folgen einer schweren und globalen Grippewelle an irgendeiner Ökonomie spurlos vorbei gegangen wären. Doch die wirtschaftlichen Grundlagen entscheiden darüber, auf wessen Rücken die Kosten dafür abgewälzt werden und ob aus der Infektion eine Rotznase oder eine lebensgefährliche Lungenentzündung wird.

Im Kapitalismus geht es vorrangig um die Rettung von Profiten und nicht von Menschenleben. Natürlich sind auch kapitalistische Unternehmen und ihr Staat gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, die die Arbeitsfähigkeit der Menschen aufrecht erhalten. Doch die Kosten dafür wollen sie auf unseren Rücken abwälzen, da das System ihnen dient und nicht der Mehrheit.

Darüber hinaus entscheidet der Zustand der kapitalistischen Wirtschaft darüber, wie weitreichend die Folgen einer flächendeckenden Ausbreitung sind. In einer Zeit der sicheren Gewinne, in der Geld lohnenswert in der Produktion angelegt werden kann und es genügend Reserven gibt, hätte Corona ebenso Auswirkungen gehabt. Vielleicht hätte die Wirtschaft jedoch nur eine Erkältung bekommen, um sich nach einer kurzen Erholungsphase wieder aufzurappeln. Wie beim menschlichen Körper, trifft die Erkrankung am schwersten einen bereits geschwächten wirtschaftlichen Organismus. Bereits vor dem Registrieren der ersten COVID-19-Fälle befand sich die deutsche Wirtschaft im Niedergang, genauso wie der Kapitalismus insgesamt immer mehr einem todkranken Patienten glich.

Grundlegende Krise des Systems

Nicht nur international, sondern auch hierzulande wurden die Ursachen, die bereits zur letzten Wirtschaftskrise 2008/9 geführt haben, nicht beseitigt. Durch die Internationalisierung der Produktionsketten deutscher Firmen und die starke Exportabhängigkeit, wurde Deutschland damals besonders hart getroffen und das Bruttoinlandsprodukt sank 2009 um 4,5 Prozent. Diese Faktoren konnten in den letzten zehn Jahren nicht beseitigt werden, da sie die Grundlage der deutschen Industrie, vor allem der Metall- und chemischen, bildeten. Die Exportabhängigkeit und internationale Verkettung wurde sogar noch vertieft. Das macht die Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen besonders anfällig für Störungen des internationalen Warenverkehrs, doch dazu unten mehr.

Die grundlegende Entwicklung, die im Kapitalismus immer zu Krisen führte, ist die Überproduktion von Waren und deren ungeplante Verteilung. Große Unternehmen kämpfen auf dem Weltmarkt um den Absatz ihrer Produkte, vor allem von Maschinen und Autos im Falle Deutschlands. Nur wenn es gelingt, den Verkauf aufrecht zu halten und zu steigern, können entsprechende Gewinne realisiert werden, sonst verrotten die Waren in der Lagerhalle und sind wertlos. Dabei entsteht ein anderes Problem: Wo soll das mit Gewinn investierte Kapital im nächsten Schritt angelegt werden, um mehr Gewinn zu machen? Die Verkaufszahlen lassen sich nicht unbegrenzt in ihrer Gesamtheit steigern, das geht nur auf Kosten konkurrierender Unternehmen.

Ein wichtiges Element bei der Sicherstellung und Steigerung von Gewinnen ist die technische Entwicklung. Die Reduzierung von Produktionskosten durch Lohneinsparungen oder die Entwicklung neuer Maschinen, die die Produktivität steigern (also zum Beispiel mehr Ausstoß bei gleichbleibenden Lohnkosten) verbessert die Konkurrenzfähigkeit. Es können höhere Gewinne durch geringere Kosten erzielt oder ein größerer Marktanteil durch die Unterbietung der Konkurrenz erzielt werden. Die Agenda 2010 war für Deutschland ein beispielloses Lohnabsenkungsprogramm. Es verbesserte für viele Jahre die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen, aber nicht für immer.

Vor allem nach der Krise 2008/9 spitzte sich der weltweite Kampf um die Erneuerung der technischen Grundlage der Produktion zu. Unter Begriffen wie Digitalisierung, Industrie 4.0, Automatisierung und so weiter wurde versucht, die Produktion zu verbilligen und die Produktivität zu erhöhen. Die gewünschten Ergebnisse blieben jedoch aus: Die Produktivitätszuwächse lagen in den letzten Jahren in Deutschland nur knapp über null Prozent, während für die Investitionen in neue Technologien und deren Erforschung Milliarden ausgegeben wurden. Trotz des niedrigen Niveaus stiegen die Löhne immer noch schneller als die Produktivität. Das hatte für die Gewinnentwicklung negative Folgen.

Der Produktivitätssprung, der mit der „Industrie 4.0“ geplant war, blieb aus einem entscheidenden Grund aus: Der Kapitalismus insgesamt hat seine Fähigkeit zu qualitativer Innovation schon lange verloren. Die wenigen rein quantitativen Veränderungen, die in der Produktion eingeführt wurden (neue Robotergenerationen, Smart Devices und anderes), verpufften, da sie global nahezu gleichzeitig und flächendeckend eingeführt wurden und kaum einem Unternehmen einen technologischen Vorsprung verschafften.

Im Zangengriff: Nachfrage- und Angebotscrash

Die Abschwächung des Wachstums vor allem der chinesischen Wirtschaft hat bereits ab Sommer 2019 zu einem Einbruch im Auftragseingang und der Produktion in der deutschen Metallindustrie geführt. Das ging so weit, dass gegen Jahresende fast jeden Tag neue Nachrichten über Sparpakete und Stellenabbau in der für die deutsche Wirtschaft zentralen Automobilindustrie samt Zulieferbetriebe in die Medien kamen. Offiziell gab es eine Rezession im gesamten produzierenden Gewerbe und die deutsche Wirtschaft schrammte nur mit viel Rechenkunst an einer allgemeinen Rezession vorbei. Das Niveau des deutschen Außenhandels befindet sich seit 2019 bereits unter dem von 2017.

Aufmerksame Beobachter*innen konnten daher schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie den Eindruck gewinnen, dass die Tage relativer wirtschaftlicher Stabilität gezählt sind. Schon vor einem erneuten Ausbruch einer Wirtschaftskrise sah man die tiefe Krise der bürgerlichen Regierungen im Angesicht von Massenbewegungen in über dreißig Ländern weltweit, nicht zuletzt im Nachbarland Frankreich.

In dieser Situation war Corona vielleicht der Stoß über die Klippe, aber nicht das, was die Wirtschaft an den Rand des Abgrunds gebracht hat. Auslöser einer erneuten Wirtschaftskrise hätten ebenso aus einer anderen Richtung kommen können.

Auf Grund ihrer Abhängigkeit von internationalen Entwicklungen, bedarf es für die deutsche Wirtschaft nicht einmal eine Verbreitung der Krankheit im italienischen Ausmaß. Allein die wirtschaftlichen Folgen in Italien, das die fünftwichtigste Handelsnation für Deutschland ist, reicht aus, um Auswirkungen für die BRD zu haben, von den milliardenschweren Direktinvestitionen und Beteiligungen des deutschen Kapitals in Italien ganz zu schweigen.

Es gibt auf der einen Seite einen Einbruch der Nachfrage auf verschiedenen Ebenen. Unmittelbar ist die Tourismusbranche genauso betroffen wie das Gast- und Hotelgewerbe. Der Branchenverband DEHOGA beziffert die bisherigen Umsatzeinbußen für die Unternehmen im niedrigen fünf- bis hohem sechsstelligen Bereichen, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. In einigen Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle und die Frühjahressaison steht vor der Tür. Das betrifft Verkehrsunternehmen in selbem Maße, deutschlandweit wie international, denn die Menschen sagen massenweise ihre privaten und geschäftlichen Reisen ab. Nicht zuletzt drückt das, gemeinsam mit dem heruntergefahrenen Güterverkehr, auf dem Weltmarkt zusätzlich auf die Ölpreise, die sich im Zuge des saudischen Ölkrieges bereits in freiem Fall befinden.

Ähnlich sieht es im Handel aus. Zwar hat der Lebensmittelhandel zum Teil in den letzten Wochen ein Umsatzplus im zweistelligen Prozentbereich vermeldet. Doch Vorratskäufe machen Menschen nicht jede Woche auf ein Neues. Vor allem Beschäftigte, die jetzt um ihr Einkommen fürchten, geben gerade nicht mehr Geld als nötig aus. Je mehr Leute auf Grund gesundheitlicher Risiken zuhause bleiben, desto weniger wird insgesamt ausgegeben. Es wird zwar erwartet, dass es einen gewissen Nachholeffekt nach dem Abklingen der Ausbreitungswelle geben wird. Aber ob und wie weit Konsum nachgeholt wird, hängt stark von der wirtschaftlichen Entwicklung ab und ob größere Entlassungen anstehen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass bei einer länger anhaltenden Einschränkung des Konsums für einige Waren wie Autos ein Preisverfall einsetzt, der wiederum auf die Gewinne der Konzerne drückt mit entsprechenden Folgen wie weiteren Entlassungen, Einschränkung der Produktion oder gar Firmenpleiten.

Werden Betriebe als Maßnahme gegen die Ausbreitung wie in Italien zeitweise geschlossen, wird das die Nachfrage weiter einbrechen lassen. Schon jetzt ist der Warenverkehr nach China eingeschränkt, da die chinesische Produktion stark heruntergefahren wurde und das die ohnehin angeschlagene deutsche Maschinenindustrie empfindlich trifft, aber auch andere Zweige. Die USA hat bereits beschlossen, die Grenzen nicht nur für deutsche Reisende, sondern auch Waren, dicht zu machen.

Auf der anderen Seite gibt es ein Angebotsproblem und das ebenfalls auf mehreren Ebenen. Wenn Schulen und Kitas geschlossen werden oder Arbeiter*innen in Quarantäne müssen, steht die Arbeitskraft zur Aufrechterhaltung der Produktion nicht mehr zur Verfügung. Vor allem in der Industrie kann das schnell zu einer Unterbrechung der Produktion kommen, da die Ketten eng verzahnt sind und wenige Zwischenprodukte vorrätig sind, um die Kosten zu reduzieren.

Das trifft noch mehr für den internationalen Warenverkehr zu. Genauso wie Waren nicht mehr nach China oder Italien (aber auch andere Länder) kommen, kommen von dort keine Produkte mehr. Da das vor allem Rohstoffe, Vorprodukte, Halberzeugnisse und Komponenten für die Fertigstellung der Waren in deutschen Fabriken betrifft, ist hier ein tiefer Einbruch zu erwarten. Die Transportzeit zur See beträgt etwa sechs Wochen von China nach Deutschland. Mit den größten Einschnitten dürfte erst ab Mitte März zu rechnen sein. Zwar wurde die Ausbreitung des Virus in China eingedämmt und die Produktion läuft wieder an, doch für die Jahresproduktion ist bereits ein Schaden entstanden, der nur schwer auszugleichen sein dürfte, während die Zukunftsaussichten für die Weltwirtschaft düster aussehen.

Börsencrash und Gegenmaßnahmen

Nicht nur in Zeiten der Wirtschaftskrise gibt es kaum schreckhaftere Wesen als die Börsenspekulant*innen. Trotzdem es immer wieder Tage gibt, an denen die Kurse einen Teil der erlittenen Verluste gutzumachen scheinen, ist noch lange kein Grund zur Entwarnung gegeben. Die Börsen, an denen sich nicht etwa reale Werte spiegeln, sondern vor allem das Ausmaß der entstandenen Spekulationsblasen, reagieren empfindlich auf die momentane Situation.

Der Kurseinbruch der Aktienindizes DAX, Dow Jones, Nikkei und anderer übersteigt bereits das Niveau der Krise 2008 nach der Pleite der Lehmann-Bank oder dem Crash nach dem 11. September 2001. Die US-Notenbank Federal Reserve hat bereits eine außerordentliche Zinssenkung sowie wenig später ein Liquiditätspaket mit einem Volumen von 1500 Milliarden US-Dollar bekannt gegeben. Das sind Maßnahmen, die 2008 erst NACH der Pleite einer bedeutenden Bank (Lehmann Brothers) aufgelegt wurden. Jetzt wird dieses Pulver bereits von vornherein verschossen. Zudem dürfte den gescheiteren bürgerlichen Ökonom*innen klar sein, dass diese Maßnahmen damals wenig geholfen haben, um eine neue Krise zu verhindern.

Ähnlich sahen es auch die Anleger*innen in den USA und ließen den Dow Jones trotz dieser groß angelegten Maßnahmen durch Panikverkäufe weiter in die Tiefe stürzen. Statt „Vertrauen in die Märkte“ wieder herzustellen, hat die Entscheidung der Notenbank wie ein Eingeständnis gewirkt, dass man sich tatsächlich in einer Krise befindet. Das wirft die Frage auf, wie lange eigentlich Börsenkurse fallen können, bis der erste Hedgefonds oder die erste Bank Konkurs anmeldet. Trotz katastrophaler Kurse hält die Deutsche Bank an ihrer Gewinnerwartung für dieses Jahr fest. Sollte die Krise andauern, wird nicht nur diese Bank ihre Aussichten korrigieren müssen und das wird Folgen für andere internationale Banken und Konzerne haben.

Während vergangener Krisen wurde die vor allem durch die deutsche Bourgeoisie verordnete restriktive Geldpolitik in Deutschland und Europa kritisiert. Die Maastricht-Kriterien der EU schränken die Möglichkeit zur Steigerung öffentlicher Ausgaben stark ein, die Geld- und Zinspolitik ist auf Stabilisierung aufgelegt, statt die Märkte mit billigem Geld und Anleiheaufkäufen durch die Zentralbanken zu fluten. In der Vergangenheit wurde darauf hingewiesen, dass das einen verstärkenden Effekt auf Finanzkrisen hatte.

Mit Spannung wurde dann die Entscheidung der EZB am 12. März 2020 bezüglicher des Leitzinses der EZB erwartet. Der Leitzins blieb unverändert bei -0,5 Prozent und wurde nicht weiter abgesenkt. Trotzdem wurde ein großes Programm zum Ankauf von Anleihen in Höhe von 120 Milliarden Euro aufgelegt, um mehr Geld auf dem Markt bereitzustellen. Es geht vor allem darum, Unternehmen, nicht aber die Menschen, in der Krise zu stützen.

Ähnlich reagierte die Bundesregierung, die aktuelle Kurzarbeiterregelung von 12 auf 24 Monate verlängerte. Werden also Arbeiter*innen nach Hause geschickt, weil die Produktion heruntergefahren wird, bekommen sie durch diese Regelung sechzig (mit Kind 67) Prozent ihres bisherigen Nettoeinkommens. Die Beiträge zur Sozialversicherung muss auch nicht das Unternehmen zahlen, sondern bekommt diese von der Agentur für Arbeit erstattet. Beschäftigte zahlen also doppelt – durch Lohnverzicht und ihre eigenen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, die dafür genutzt werden.

Das ist Teil eines dreistufigen Plans, bei dem je nach Eskalation der Krise die nächste Stufe in Kraft tritt. Insgesamt sind die Maßnahmen überschaubar und zielen vor allem auf staatliche Garantien für Unternehmen ab, die Verluste einfahren. Es wurden Infrastruktur-Investitionen von 2021-2024 in Höhe von 3,1 Milliarden Euro angekündigt. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass dies die letzten Maßnahmen sein werden. Das Gesamtvolumen kann schnell das der Konjunkturpakete nach 2008 und mehr erreichen, sollte dies notwendig werden. Der Wirtschaftsminister Altmaier hält Verstaatlichungen von Unternehmen für möglich, wie er am 13. März 2020 verkündete. Das erinnert daran, dass auch 2008/9 kriselnde Unternehmen mit Steuergeldern gerettet wurden. Verluste wurden somit vergesellschaftet, während die Gewinne privat blieben. Dies steht in krassem Gegensatz zu dem Geschrei, das der Enteignungsforderung beispielsweise der großen Immobilienkonzerne zum Wohl der Mieter*innen entgegnet wird.

Letztendlich wird auch diese Krise vom Kapital genutzt werden, um im Machtkampf zwischen den großen kapitalistischen Ländern der Welt ihren Vorteil auf Kosten der anderen weiter auszuweiten. Während die Aktienkurse fallen, beginnt schon der Schacher um Firmenanteile und der Ölkrieg zwischen Russland und Saudi Arabien/OPEC.

International werden gerade demokratische Rechte eingeschränkt, Streiks und Versammlungen und der Deckmantel der Virusbekämpfung abgesagt, während gleichzeitig Grenzkontrollen wieder eingeführt und die Überwachung ausgebaut wird. Das Verbot der Sonntagsarbeit wurde in Deutschland weitgehend aufgehoben, die Untergrenzen für Personal im Krankenhaus wurden ausgesetzt. Keine dieser Maßnahmen wurde von der Arbeiter*innenklasse diskutiert und beschlossen, sondern wird uns von der bürgerlichen Politik verordnet. Auch auf dieser Ebene nutzen sie Corona als Vorwand, um ihre Interessen durchzusetzen und wir werden dafür kämpfen müssen, dass diese Maßnahmen zurückgeschlagen werden.

Ein aktuelles Flugblatt mit Forderungen der Sol findet Ihr hier: https://solidaritaet.info/2020/03/corona-gefahr-rettungsmassnahmen-fuer-menschen-nicht-fuer-banken-und-konzerne/

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