Erklärung des Internationalen Sekretariats des CWI vom 21. April 2020
Die verheerenden Folgen der Covid-19-Pandemie und die beispiellose globale kapitalistische Wirtschaftskrise, die sie auslöste, verwüstet weiter alle Kontinente. Sie könnte den Ausbruch einer der tiefsten Rezessionen – mit Elementen einer Depression – in der Geschichte des Kapitalismus auslösen. Der beispiellose Zusammenbruch der Ölpreise, die in den USA zum ersten Mal ins Minus gingen, ist ein Maß für den Rückgang der Produktion, der stattgefunden hat. Es gibt keinen Markt für Öl und die Produzenten waren wegen Mangel an Lagermöglichkeiten gezwungen, Unternehmen für die Abnahme von Öl zu bezahlen. Es ist ein Extremfall von Überproduktion, – keine oder nur geringe Nachfrage. Dies wird katastrophale Folgen für die ölproduzierenden Länder im Nahen Osten, Venezuela und andere haben. Der Kapitalismus stand vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie vor der Gefahr einer Rezession bzw. einer schweren Krise, als die „Erholung“ nach dem Crash von 2007/8 zu Ende ging.
Die Folgen der gegenwärtigen Krise in der neokolonialen Welt Asiens, Afrikas und Lateinamerikas provozieren massive politische und soziale Umwälzungen und in einigen Ländern und Regionen einen Absturz in die Barbarei. Diese Krise hat auch das Herz der großen imperialistischen Länder der USA, Europas, Japans und auch Chinas getroffen. Wie wir in unseren früheren Stellungnahmen erklärt haben, hat die Krise die tiefen und verbitterten Klassenspaltungen in der kapitalistischen Gesellschaft offenbart. Diese werden sich in den kommenden Wochen und Monaten noch verstärken und erbitterte Klassenschlachten provozieren. Auch Revolutionen und Konterrevolutionen werden in der bevorstehenden Zeit auftreten. Auf der anderen Seite der Pandemie zeichnet sich eine neue Ära der geopolitischen Beziehungen und des Kräfteverhältnisses ab.
Eine historische Schwächung des US-Imperialismus nach dem jüngsten Niedergang und eine Stärkung Chinas werden ein neues Kräfteverhältnis in den Weltbeziehungen schaffen. Der US-Imperialismus ist aus der Depression der 1930er Jahre in einer weitaus gestärkten Position hervorgegangen. Er wird aus dieser Krise geschwächt hervorgehen und zunehmend von China herausgefordert werden. Eine neue Periode internationaler Beziehungen steht bevor. Diese wird es nicht nur zwischen den USA und China geben, sondern auch zur EU und zu regionalen Mächten in Asien, Afrika und Lateinamerika.
In der Pandemie hat der US-Imperialismus sein Embargo gegen den Iran – mit verheerenden Folgen – und auch gegen Kuba fortgesetzt. Die US-Regierung hat sogar Sanktionen gegen jedes Land angedroht, das medizinische Hilfe von Kuba annimmt – das ist die Bösartigkeit der Trump-Dynastie! Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Drogenhändler schickten die USA auch eine große Marineflotte an die Küste Venezuelas, um diejenigen zu unterstützen, die versuchen, das Maduro-Regime zu stürzen.
Die Tiefe der Krise hat sich nun in den jüngsten Wirtschaftsprognosen deutlich gezeigt. Selbst der IWF hat seine Wachstumsprognosen zusammengestrichen. Er sagt ein Schrumpfen in den wichtigsten kapitalistischen Volkswirtschaften voraus, wie es das seit der großen Depression der 1930er Jahre nicht mehr gegeben hat. An die Stelle einer früheren globalen Expansion von drei Prozent ist nun eine erwartete Schrumpfung der Weltwirtschaft um drei Prozent getreten. Im Durchschnitt wird nun erwartet, dass die wichtigsten kapitalistischen Volkswirtschaften um 6,1 Prozent schrumpfen werden. Die revidierten Zahlen aus China zeichnen ein katastrophales Bild, wo die Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres um 6,8 Prozent geschrumpft ist. Dies folgt auf eine Reihe von Wachstumsrückgängen im Jahr 2019, in dem die Wirtschaft mit der niedrigsten Rate seit dreißig Jahren expandierte. Selbst mit einer begrenzten Erholung bis Ende 2020 ist China nahe an der möglicherweise langsamsten Expansionsrate seit der Kulturrevolution in den 1960er Jahren. Die Aussichten auf einen solchen Zusammenbruch der Weltwirtschaft haben bereits verheerende Folgen gehabt. Das CWI erklärte, dass sich vor dieser Krise ein neuer wirtschaftlicher Sturm zusammenbraute. Auch der IWF und andere kapitalistische Institutionen erkannten an, dass „Schwierigkeiten vor uns liegen”. Doch wie der britische Wirtschaftswissenschaftler Larry Elliot feststellte, kamen sie nicht von dort, von wo sie erwartet wurden. Er zog die Analogie zum britischen Imperialismus, der 1941 seine Kolonie in Singapur verteidigte. In Erwartung eines Angriffs vom Meer aus konzentrierte sich seine gesamte Verteidigung auf die großen Geschütze seines Marinestützpunktes. Tatsächlich kam der Angriff von hinten, mit einem Landangriff von der malaiischen Halbinsel aus.
Krise im Herzen des US-Imperialismus
Jetzt findet eine der kritischsten Auswirkungen der Krise im Herzen des US-Imperialismus statt; die wirtschaftliche, soziale und politische Krise, die sich dort entfaltet, stellt einen historischen Wendepunkt für die mächtigste der imperialistischen Nationen dar. Es gibt eine gewisse historische Parallele zum Niedergang des britischen Imperialismus im Gefolge des Ersten Weltkriegs. Der britische Imperialismus ging aus dem Konflikt von 1914-18 entscheidend geschwächt hervor und sah sich mit massiven Klassenkämpfen und der Bedrohung durch eine Revolution zu Hause und im Ausland konfrontiert.
Die US-Gesellschaft tritt in eine neue Ära der Klassenpolarisierung und -kämpfe ein, in der die mächtige Arbeiter*innenklasse als eine Klasse für sich handeln wird. Dies wird einen entscheidenden Einfluss auf die Weltlage haben. Wie bereits unter der Trump-Präsidentschaft zu sehen war, wird eine massive politische Polarisierung Teil dieses Prozesses sein und Elemente eines Bürgerkriegs enthalten, was ein Merkmal der US-Geschichte ist, in der der Klassenkampf in der schärfsten Weise ausgefochten wird.
Diese Krise wurde durch das wirre Gerede und die instabile Reaktion von Trump und seiner Regierung auf die Pandemie noch verschärft. Trumps kriminelle Handlungen, getrieben von seinem Durst, die Wiederwahl zu gewinnen und die Wirtschaft am Laufen zu halten, sind für das Massensterben verantwortlich, das sich dort abspielt. Trump ist der erste US-Präsident, der seit der Grippepandemie von 1918 während eines solchen Gemetzels an US-Bürger*innen auf US-Boden regiert. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels gibt es „offiziell“ über 670.000 bestätigte Fälle von Covid-19-Infektionen in den USA und den schrecklichen Tod von über 39.000 Menschen (davon 15.000 in New York, wo täglich vier U-Bahn-Beschäftigte an dem Virus sterben). Die Communities der Schwarzen und Latinos sind vom Virus besonders stark betroffen. Die USA erleiden nun die größte Zahl von Opfern der Pandemie. Diese Todesraten werden in den USA durch das privatisierte Gesundheitswesen und das Fehlen eines allgemeinen gut ausgerüsteten, öffentlichen Gesundheitssystems in die Höhe getrieben. Die Forderung nach einer Verstaatlichung des privaten Gesundheitswesens und der Einführung eines auf Bundesebene geplanten, steuerfinanzierten Gesundheitssystems, das für die Nutzer*innen kostenlos ist, ist ein entscheidender Teil eines Kampfprogramms für US-Arbeiter*innen und Sozialist*innen.
Die herrschende Klasse weltweit muss für ihre kriminelle Untätigkeit bei der Vorbereitung auf diese Pandemie angeklagt werden. Sie sind wiederholt von Wissenschaftler*innen und anderen gewarnt worden, dass eine solche Entwicklung an einem gewissen Punkt eintreten wird, insbesondere nach dem Ausbruch des SARS-Virus 2002-2003, der Vogelgrippe 2003-2007, der Schweinegrippe 2009, dem Mers-Virus 2012 und den Ebola-Ausbrüchen 2013-20016. In den USA allein haben seit den 1990er Jahren mehr als ein Dutzend Berichte vor den medizinischen Versorgungsengpässen gewarnt, die im Falle einer Pandemie, die irgendwann unvermeidlich wäre, auftreten würden. Bereits 1993 forderte die Clinton-Regierung eine Überprüfung des öffentlichen und privaten Sektors im Hinblick auf den Umgang mit einer Pandemie. Nichts wurde in die Wege geleitet.
In dieser Krise sah sich Trump gezwungen, ein Konjunkturpaket von beispiellosen 2,3 Billionen US-Dollar aufzulegen, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwenden. Über 43.000 Millionär*innen werden einen „Anreiz“ von durchschnittlich 1,6 Millionen US-Dollar pro Person erhalten! Doch auch das hat den Einbruch einer tiefen Rezession oder Depression nicht abgewendet. Trump und Teile der Kapitalist*innenklasse steuern jetzt darauf hin, den Lockdown innerhalb weniger Wochen, Anfang Mai, aufzuheben. Die gefühllose, kalt kalkulierende Natur des Kapitalismus spiegelte sich in Trump Erklärung wider: „Amerika wird offen für Geschäfte sein“ und mit seinem Kommentar: „Das Heilmittel darf nicht schlimmer sein als die Krankheit”. Andere republikanische Führer, wie der texanische Vize-Gouverneur Dick Patrick, waren sogar noch unverblümter und erklärten: „Wir können das Land und die Wirtschaft nicht [in einem Lockdown] opfern“ und akzeptierten, dass die Verletzlichsten – wie die Alten – umkommen könnten. Schweden zahlt nun den Preis dafür, „offen für Geschäfte zu bleiben”, und die Zahl der Todesfälle älterer Menschen steigt rapide an.
In Michigan und anderswo in den USA haben kleine, aber bedeutsame bewaffnete Proteste von Trump-Anhänger*innen die Aufhebung des Lockdown gefordert. Dies zeigt bildlich, dass die polarisierte Lage in den USA Elemente eines Bürgerkriegs enthalten kann. Diese und andere Proteste wurden von rechten Gruppen unter dem Banner der „Operation Gridlock [Stillstand]“ initiiert und richteten sich gegen den demokratischen Gouverneur. Ermöglicht wurde der Protest durch die Michigan Conservative Coalition, die Pro-Trump-Aktivitäten koordiniert und mit Betsy Devos, US-Bildungsministerin und Kabinettsmitglied, verbunden ist. Auf die Proteste folgten dann Trump-Tweets, „Freiheit für Michigan“ und Virginia und andere US-Bundesstaaten.
Diese Proteste richteten sich an eine Schicht von Menschen, die eine Rückkehr zur Arbeit verlangten, um Löhne zum Leben zu erhalten. Sozialist*innen und die Arbeiter*innenbewegung müssen Forderungen nach der Auszahlung von Löhnen an alle Arbeiter*innen oder einer entsprechenden staatlichen Zahlung und nach anderen Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter*innen während des Lockdown aufstellen. Der Protest von medizinischem Personal in Colorado gegen solche rechtsgerichteten Mobilisierungen zeigt, wie polarisiert die Lage ist und wie sie eskalieren kann. Wie die herrschende Klasse in anderen Ländern will auch die herrschende Klasse in den USA, dass die Arbeiter*innenklasse wieder arbeitet und die Wirtschaft sich öffnet, um zu versuchen, ihre verlorenen Gewinne wiederherzustellen.
Der Kapitalismus als System kann ohne dies nicht funktionieren. Dies ist einer der Gründe dafür, dass Schritte unternommen werden, um den Lockdown in Österreich, Italien, Spanien und anderen europäischen Ländern zu lockern, teilweise in einer koordinierten Reaktion der EU. In heuchlerischer Weise hat sich die EU nun bei Italien für seine mangelnde Unterstützung beim Ausbruch der Krise entschuldigt. Die Anti-EU-Stimmung, die in Italien enorm zugenommen hat, bedroht den Fortbestand der Eurozone und sogar der EU, wie der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez warnte.
Menschliches Elend wie seit den 1930er Jahren nicht mehr
Wie auch in anderen Ländern haben die Folgen der wirtschaftlichen Rezession in den USA katastrophale Auswirkungen. Menschliches Elend und Leid vernichten das Leben von Millionen von Menschen. Szenen, die John Steinbecks Roman „Früchte des Zorns“ würdig sind, der die Depression der 1930er Jahre schildert, sind im Jahre 2020 zu sehen. Die Arbeitslosigkeit ist innerhalb weniger Wochen in die Höhe geschossen. In der Woche bis zum 16. April 2020 ist die Zahl der Arbeiter*innen, die Arbeitslosengeld beantragen, um 5,2 Millionen gestiegen! Im letzten Monat haben 22 Millionen Menschen einen Antrag auf Arbeitslosenunterstützung gestellt. Millionen weitere Arbeitslose konnten sich nicht registrieren lassen und sind von den Regierungsstatistiken ausgeschlossen. Dieser Tsunami der Arbeitslosigkeit hat die nach der Rezession 2007/8 – wenn auch mit niedrigen Löhnen und prekären Verträgen – gewonnenen Arbeitsplätze wieder platt gemacht! Viele Kommentator*innen schätzen nun, dass die Arbeitslosigkeit in den USA mit rund 30 Prozent – fast 49 Millionen – ihren Höhepunkt erreichen wird. Das ist höher als der Prozentsatz, der zu irgendeinem Zeitpunkt in der Depression der 1930er Jahre erreicht wurde (1934 erreichte die offizielle Zählung 24,9 Prozent).
Hinzu kommen die Tragödie der Obdachlosigkeit, die heute offiziell über 500.000 US-Amerikaner*innen erfasst, und ein erschreckender 98-Prozent-Anstieg der Zahl derer, die Tafeln nutzen. Organisator*innen schätzen, dass in den kommenden Monaten weitere 17,1 Millionen Menschen kostenlose Nahrungsmittel benötigen werden. In San Antonio stellten sich 10.000 Menschen für kostenlose Lebensmittel an. Diese Tafeln verteilte normalerweise 60.000 kostenlose Mahlzeiten pro Woche. Diese Zahl ist nun auf 120.000 angestiegen.
All dies geschieht zusätzlich zu einer enormen Zunahme der Ungleichheit und einem Anstieg der Armut, die in den letzten Jahrzehnten durch die amerikanische Gesellschaft gefegt sind. Die New York Times warnte in einem am 10. April veröffentlichten Artikel vor den Folgen dieses Phänomens. Der Artikel weist darauf hin, dass das BIP der USA seit 1980 um 79 Prozent gestiegen ist. Doch die unteren zwanzig Prozent haben ihr Einkommen nur um zwanzig Prozent steigen sehen. Das obere eine Prozent, die skrupellosen Oligarchen, wie Jeff Bezos von Amazon, haben ihre Einkommen um 420 Prozent explodieren sehen. Seit Januar 2011 hat eine Familie der unteren neunzig Prozent jedem Mitglied des oberen einen Prozent effektiv 110.367,15 US-Dollar gegeben!
Dies sind die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, um Aufstände und revolutionäre Bewegungen zu provozieren. Es ist kein Wunder, dass Arbeiter*innen bei Amazon, wie das CWI berichtete, von der Notwendigkeit einer „Revolution“ sprechen. Andere Arbeiter*innen haben im Laufe dieser Krise ebenfalls Streiks und andere Proteste unternommen, um Schritte zum Schutz vor dem Covid-19-Virus zu fordern. Die Beschäftigten des Unternehmens General Electric organisierten Protestaktionen und forderten die Umstellung der Produktion auf die Herstellung dringend benötigter Beatmungsgeräte. Die Herstellung von Beatmungsgeräten mit alternativen Techniken, wie dem 3-D-gedruckten „Venturiventil“ oder den vom Mercedes-F1-Team entworfenen, könnte dazu beitragen, die in vielen Ländern bestehende Knappheit zu beheben. Ein Produktionsnotfallplan mit der Beschlagnahmung von Fabriken unter der demokratischen Kontrolle der arbeitenden Menschen, unter Nutzung der während dieser Krise aufgedeckten erfinderischen Fähigkeiten und Talente, könnte organisiert werden, um solche Probleme zu lösen. Trump und die anderen kapitalistischen Regierungen sind dazu jedoch nicht in der Lage oder nicht willens, dies zu tun.
Trump, Ludwig XVI. und der Zar
Die Krise hat auch die Konflikte zwischen verschiedenen Teilen der herrschenden Klasse und ihrem politischen Apparat und ihren Vertreter*innen verschärft. Der zunehmend sprunghafte und instabile Trump verhält sich immer mehr wie der Königshof Ludwigs XVI. in Frankreich vor der Französischen Revolution 1789 oder wie der Zar in Russland vor der Revolution von 1917. Die Kapitalistenklasse steht international dieser Krise mit einigen ihrer gefährlichsten und unzuverlässigsten Politiker*innen an der Spitze gegenüber – Trump in den USA, Bolsonaro in Brasilien, Modi in Indien, Johnson in Großbritannien und andere anderswo. Es spiegelt wider, dass die herrschenden Klassen in einigen Ländern teilweise die Kontrolle über den politischen Überbau verloren haben, was für sie extrem gefährlich ist, besonders in einer Krise diesen Ausmaßes.
Trump hat gedroht, die Bundesstaaten in den USA zu überstimmen und zu entscheiden, wann der Lockdown beendet werden soll. Die Namen eines „Rates zur Wiedereröffnung Amerikas“ erschienen am Montag, dem 13. April – alle waren Trump-Beamte, darunter Trumps Tochter Ivanka und ihr Ehemann, Jared Kushner. Keine von ihnen waren Beamte im Gesundheitsbereich! Zur gleichen Zeit stimmte Andrew Cuomo, der Gouverneur des Staates New York, zusammen mit sechs anderen Gouverneur*innen der nördlichen Bundesstaaten zu, sich zu koordinieren, wie und wann der Lockdown gelockert werden sollte. Kalifornien erklärte, es werde als „Nationalstaat“ handeln. Dann drohte Trump in einer weiteren bemerkenswerten Wendung damit, die Kongress-Sitzungen zu suspendieren, damit er einige seiner Ernennungen durchsetzen könne. Trumps wirres Gerede veranlassten Cuomo, mit dem Kommentar zu reagieren: „Wir haben eine Verfassung – wir haben keinen König!”
Die Blitzesschnelle, mit der sich Ereignisse entfalten, bedeutet, dass tiefe und schnelle Veränderungen in der Lage stattfinden werden. Was gestern noch phantasievoll erschien, erscheint heute plausibel, um dann morgen vergessen zu sein. Die dramatische Lähmung der US-Wirtschaft in Verbindung mit den krankmachenden Auswirkungen des Virus und der Unangemessenheit von Trumps Umgang mit den Angelegenheiten stellt nun die Aussicht auf eine zweite Amtszeit im November sehr in Frage. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Trump eine weitere Amtszeit im Weißen Haus erreichen könnte, obwohl er weniger Wähler*innenstimmen hat. Eine Kombination aus „Wähler*innenunterdrückung“ – die Tausende von Wähler*innen zugunsten der Republikaner*innen aus dem Wähler*innenverzeichnis streicht – und dem undemokratischen Wahlkollegium, das gegen die größeren, bevölkerungsreicheren Staaten und Städte gewichtet ist, könnte Trump dennoch einen „Sieg“ stehlen lassen. Sozialist*innen müssen die Wähler*innenunterdrückung dort, wo sie stattfindet, ablehnen und die Abschaffung des undemokratischen Wahlmännergremiums fordern.
Biden für die Konzern-Demokraten
Gleichzeitig hat der wahrscheinlichste Demokratische Kandidat, Joe Biden, in den Umfragen zugelegt. Biden ist der Kandidat der Konzern-Demokrat*innen und ein offener Vertreter der Kapitalist*innenklasse. In diesem Stadium hat er die Unterstützung von Barack Obama, Elizabeth Warren und jetzt Bernie Sanders gewonnen: Sie alle argumentieren, dass das ein Versuch sei, alle Flügel der kapitalistischen Demokratischen Partei gegen Trump zu vereinen.
Der Wahlkampf im Jahre 2020 wird einer der polarisiertesten Wahlkämpfe sein, die in den USA stattgefunden haben, was die massiven sozialen und Klassenspaltungen widerspiegelt, die sich eröffnet haben. Diese werden sich im Vorfeld des Wahlkampfes nur vertiefen. Von Trump-Anhänger*innen initiierte bewaffnete Proteste in Michigan und anderswo, die ein Ende des Lockdown fordern, sind eine Warnung vor der polarisierten Stimmung, die sich bei den Wahlen entwickeln wird. Elemente eines Bürgerkriegs sind wahrscheinlich.
Während des Wahlkampfes wird sich sicher eine mächtige Stimmung nach dem „kleineren Übel“ entwickeln. Der verständliche Wunsch, Trump zu besiegen, wird zweifellos eine starke Stimmung bei vielen Arbeiter*innen und jungen Menschen sein.
Sozialist*innen verstehen diese Stimmung und unterstützen einen Kampf, um Trump zu besiegen. Gleichzeitig muss jedoch davor gewarnt werden, dass Biden und die kapitalistischen Demokrat*innen der US-Arbeiter*innenklasse keinen Weg nach vorn bieten werden. Biden an der Macht wird weder Maßnahmen ergreifen, um die Herrschaft der oligarchischen Kapitalist*innenklasse zu beenden, noch wird er die Interessen der Arbeiter*innen und ihrer Familien verteidigen. Nach der Wahl wird es zu größeren Umwälzungen und Krisen kommen, wer auch immer der Sieger ist.
Bidens glanzlose Kampagne bei den Vorwahlen und sein Versäumnis, kämpferisch auf Trumps Umgang mit dem Covid-19-Virus zu reagieren, hinterließen Zweifel und Zögern in den Köpfen vieler. Er ist ein extrem schwacher und unzuverlässiger Kandidat. Aus diesem Grund bemüht sich die demokratische Führung um die Unterstützung Obamas, Warrens und insbesondere Sanders’, um Bidens Wahlkampf anzukurbeln. Sie hoffen, dass Sanders die Jugendstimmen beisteuern kann, die er mobilisieren konnte. Es war kein Zufall, dass der ehemalige demokratische Präsident Obama, als er Biden unterstützte, Bidens Gegner bei den Vorwahlen als „einen der beeindruckendsten demokratischen Bewerber überhaupt“ lobte. Er erklärte, Sanders sei „ein amerikanisches Original”, das entscheidend dazu beitragen würde, Trump im November zu besiegen. Sollte dies jedoch nicht ausreichen und Biden nicht in Schwung kommen, ist es nicht ausgeschlossen, dass auf dem Parteitag der Demokraten ein anderer Kandidat, wie Andrew Cuomo aus dem Bundesstaat New York, mobilisiert werden könnte.
Sanders vergeudet eine weitere Chance
Sanders versäumte zum zweiten Mal eine Gelegenheit, seine Zusammenarbeit mit der Demokratischen Partei zu beenden und mit ihr zu brechen, indem er die notwendigen Schritte zur Bildung einer neuen Partei der arbeitenden Menschen hätte unternehmen können. Im Jahr 2016 kanalisierte er seine Anhänger*innen zu den Demokrat*innen und unterstützte schließlich Hillary Clinton. Im Jahr 2020 wiederholte Sanders dieselbe Kapitulation. Hätte er 2016 mit den Demokrat*innen gebrochen und hätte er die notwendigen Schritte zum Aufbau einer neuen Partei unternommen, hätte Trump wahrscheinlich besiegt werden können. Selbst wenn Sanders die Wahl 2016 nicht gewonnen hätte, hätte er eine mächtige neue Arbeiter*innenpartei aufbauen können, die heute in einer sehr starken Position wäre, um in dieser Krise die Unterstützung der Massen zu gewinnen und Trump zu besiegen.
Das CWI argumentierte konsequent für die Notwendigkeit einer neuen Arbeiter*innenpartei in den USA. Sanders hatte die Gelegenheit, beim Aufbau einer solchen zu helfen, aber er scheiterte daran, dies zu tun. Wir haben von Beginn seiner Kampagne an vor dieser Gefahr gewarnt. Im Gegensatz zu einigen Linken, wie der Socialist Alternative und Kshama Sawant (ehemaliges CWI-Mitglied und amtierende Stadträtin in Seattle) und den Democratic Socialists of America (Demokratische Sozialist*innen von Amerika, DSA), handelte das CWI nicht einfach als Cheerleader für Sanders. Wir haben Sanders nicht, wie es die Socialist Alternative zu Unrecht tat, dazu gedrängt, seine Vorwahlen-Kampagne bis zum Demokratischen Parteitag fortzusetzen und für die Nominierung zu kämpfen. Die Socialist Alternative ließ ihre frühere Kritik fallen, Sanders hätte von Anfang an als unabhängiger Kandidat antreten und die notwendigen Schritte zum Aufbau einer neuen Partei und zum Bruch mit den Demokraten unternehmen sollen. Opportunistisch unterstützt die Socialist Alternative weiterhin unkritisch andere Kandidat*innen der Demokratischen Partei. Sie wiederholen die DSA-Position des „teils innerhalb, teils außerhalb“ der Demokrat*innen. Diese opportunistische Anpassung von Socialist Alternative an Sanders und die alltägliche Herangehensweise von Socialist Alternative, in Positionen gewählte DSA-Mitglieder einfach unkritisch als „Sozialist*innen“ zu bezeichnen, hat nun unweigerlich zu einer Spaltung der Socialist Alternative-Organisation geführt. Eine Schicht ehemaliger Socialist Alternative-Mitglieder ist in der DSA versunken. Das Versäumnis von Socialist Alternative, konsequent für eine unabhängige Arbeiter*innenpartei einzutreten, ist nicht der Weg, der zum Aufbau einer solchen Partei in den USA führen wird, die so dringend benötigt wird, wie die aktuelle Krise zeigt.
Sanders wird eindeutig von der Biden-Kampagne benutzt werden, um zu versuchen, seine Anhänger*innen zur Unterstützung der Demokrat*innen und von Biden zu bewegen. Dies erklärt er jetzt offen. Sanders ist sogar so weit gegangen, einige seiner Anhänger*innen, die erklärten, sie würden Biden nicht unterstützen, als „unverantwortlich“ anzugreifen und damit dem Geheiß der demokratischen Führung zu folgen.
Eine neue Partei der amerikanischen Arbeiter*innenklasse und Jugend kann nur auf der Grundlage eines Kampfes aufgebaut werden, einschließlich einer Wahl-Herausforderung der beiden bestehenden kapitalistischen Parteien. Jetzt ist die Zeit zum Zuschlagen gekommen! Leider hat Sanders diese Gelegenheit verpasst.
Einige Linke in den USA drängen darauf, dass Sanders’ Anhänger*innen bei den bevorstehenden Vorwahlen noch immer für ihn stimmen sollten, um die Zahl seiner Anhänger*innen als Delegierte des Demokratischen Parteitags zu maximieren. Daniel Denvir brachte einen Artikel auf der Jacobin-Website: „Bernie muss seine Wahlkampforganisation umstrukturieren, nicht demontieren“ (11. April 2020). In diesem Artikel plädiert Denvir dafür, dass die Kampagne von Sanders im Wesentlichen aufrechterhalten werden sollte, um das Programm der Demokratischen Partei nach links zu drängen und einige der Verfahrensänderungen beizubehalten, die vorgenommen wurden, um die Rolle der „Superdelegierten“ auf den Parteitagen der Demokraten geringfügig zu reduzieren. Mit anderen Worten: die Idee eines Kampfes, das Unmögliche zu tun – die Demokratische Partei zu transformieren. Wenn die beiden gescheiterten Versuche Sanders’, die Nominierung der Partei zu erreichen, irgendetwas veranschaulichen, so ist es die Unmöglichkeit, eine kapitalistische Partei wie die Demokrat*innen in eine Partei umzuwandeln, die die Arbeiter*innen und ihre Familien wirklich vertritt.
Berichten von CNN vom 8. April 2020 und anderen Nachrichtensendern zufolge stand Obama vor Sanders Rückzug aus dem Rennen in regelmäßigem Kontakt mit ihm. Das Wahlkampfteam von Sanders hat sich auch mit den Teams von Biden getroffen.
Sanders-Anhänger*innen haben begonnen zu kritisieren, wie die 2020er-Kampagne geführt wurde. Der nationale Wahlkampf, so argumentieren sie, wurde von „hochbezahlten Söldner-Politikberater*innen des Establishments“ geleitet, von denen einige nun zum Biden-Wahlkampf übergegangen sind oder andere Posten im Establishment der Demokratischen Partei suchen, was Sanders’ politische Herangehensweise während des Wahlkampfs 2020 illustriert.
Angesichts der kritischen Lage, die sich in den USA entfaltet, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Biden-Wahlkampf verbal eine radikalere Phraseologie hervorbringen wird. Sollte Biden jedoch gewählt werden, wird seine Regierung mit Sicherheit Maßnahmen ergreifen, um die Arbeiter*innenklasse anzugreifen und zu versuchen, die Arbeiter*innen für die Coronavirus-Krise bezahlen zu lassen.
Eine neue Arbeiter*innenpartei und ein sozialistisches Programm sind notwendig
Diese Schocks und Umwälzungen stellen die Frage nach der Gründung einer neuen Partei durch die US-Arbeiter*innenklasse. Unter diesen Bedingungen und unter Berücksichtigung des Charakters der US-Gesellschaft könnte sich ein solcher Prozess, sobald er einmal begonnen hat, mit Blitzesschnelle entwickeln. Die Gewerkschaften und die Unterstützer*innen der Sanders-Kampagne können bei den Schritten zur Gründung einer solchen Partei eine entscheidende Rolle spielen. Dieser Prozess mag nicht auf der Bundes- (nationalen) Ebene beginnen, insbesondere angesichts der hochgradig bürokratischen und korrupten Natur der Mehrheit der Gewerkschaftsführung. Auf bundesstaatlicher und stadtweiter Ebene können sich lokale Initiativen entwickeln, an denen die Gewerkschaften, Basis-Arbeiter*innen und andere beteiligt sind. Wenn dies geschieht, könnte sich das dann auf Bundesebene entwickeln.
In den USA ist bereits die allgemeine Idee des Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus präsent. Es ist notwendig, diese allgemeine Stimmung mit konkreten Forderungen und einem Programm zum Sieg über den Kapitalismus zu füllen und zu erklären, was eine demokratische sozialistische Alternative ist. Die Entstehung der Arbeiter*innenklasse als einer Klasse zur Veränderung der Gesellschaft ist bereits im Entstehen begriffen. Diese kann eine hohe Geschwindigkeit entwickeln, wenn sich die Krise entfaltet. Die Unterstützer*innen des CWI in den USA, die Independent Socialist Group (Unabhängige Sozialistische Gruppe), werden in diese historischen Entwicklungen eingreifen, um den Arbeiter*innen dabei zu helfen, die Schlussfolgerungen über die Notwendigkeit einer eigenen Partei und die Notwendigkeit eines sozialistischen Programms zum Sieg über den Kapitalismus in den USA, seiner stärksten Basis, zu ziehen.