Öffentlicher Dienst in Zeiten der Corona-Pandemie

Für Verbesserungen kämpfen! Jetzt erst recht!

Auch in Deutschland stürzt der Corona-Virus die ohnehin schon zuvor schwächelnde Wirtschaft in eine Krise unbekannten Ausmaßes. Auch Fragen, die von Sozialist*innen immer in den Vordergrund gestellt wurden, beschäftigen immer größere Teile der Bevölkerung.

Von Jan Horsthemke und Julian Koll, ver.di Vertrauensleute bei der Stadt Dortmund*

Wie werden Waren produziert und verteilt? Wer sorgt jeden Tag für die Deckung der Grundbedürfnisse und die Aufrechterhaltung des sozialen Lebens? Wie ist es um die öffentliche Daseinsvorsorge bestellt? Hatten und haben essentielle Bereiche wie das Sozial- und Gesundheitswesen oder die Forschung ausreichende finanzielle Mittel, um die gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten im bestmöglichen Maße auszuüben?

Systemrelevant

Neben Arbeiter*innen im Einzelhandel, der Post, in der Gesundheitsversorgung usw. rücken auch Angestellte der Kommunen, insbesondere diejenigen, die in öffentlichen Kitas oder in Ämtern, die direkt mit der Bekämpfung des Corona-Virus beschäftigt sind, in den Fokus. So waren unzählige Berichte von überfüllten Gesundheitsämtern, die Tests und andere notwendige, die Verbreitung des Virus eindämmende Arbeiten durchführen, zu lesen. Des Weiteren bahnt sich eine regelrechte Arbeitsflut für die Sozialämter und Jobcenter an, da Millionen von Menschen in Deutschland im Zuge von um sich greifender Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Betriebsschließungen auf staatliche Gelder angewiesen sein werden, um über die Runden zu kommen. Auch hier zeigen sich schon die verheerenden Folgen Jahrzehnte langer Spar- und Kürzungspolitik, die zu einer untragbaren Situation sowohl für die hilfebedürftigen Menschen als auch die kommunalen Angestellten führen.

Situation der Beschäftigten und Zukunftsängste

Die konkreten Zustände der Lohnabhängigen, die verständlicher Weise im Augenblick große Angst haben, sich mit dem Virus zu infizieren, variieren stark bzgl. der verschieden Kommunen und Einrichtungen. Von, unter Zustimmung der Personalräte erarbeiteten Konzepten, die den Schutz von Risikogruppen und die notwendige Aufrechterhaltung eines Notbetriebs, zum Beispiel in Kitas, berücksichtigen, bis zu Kommunen bzw. Führungskräften, die sich weigern, Mitarbeiter*innen, die zu Risikogruppen gehören, nach Hause zu schicken bzw. von zu Hause arbeiten zu lassen, scheinen Lohnabhängige mit den verschiedensten Situationen konfrontiert zu sein. Hinzu kommt, dass die Bundestarifkommission von ver.di einen Tarifvertrag mit den kommunalen Arbeitgebern abgeschlossen hat, um tarifvertragliche Regelungen für Kurzarbeit festzulegen. Die Bundestarifkommission spricht in ihrer Pressemitteilung von „Handlungsbedarf“ und zum Teil „nötiger Kurzarbeit“. Zugleich wurden hierbei die Mitglieder übergangen. Wie das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ in einer Stellungnahme ausführt, ist die Einführung von Kurzarbeit im öffentlichen Dienst dann abzulehnen, wenn dadurch Einkommensverluste und Verschlechterungen für Beschäftigte die Folge sind und die Forderung nach hundertprozentiger Lohnfortzahlung aufrecht erhalten werden.

Die Gefahr ist gerade besonders groß, dass die Gewerkschaftsführungen sich, unter Nichtberücksichtigung der Mitgliedschaft, zu voreiligen und sich negativ für die Beschäftigten auswirkenden Kompromissen hinreißen lassen.

Tarifrunden im öffentlichen Dienst

Dies wirft auch ein besorgniserregendes Licht auf die in diesem Jahr anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Es gibt Befürchtungen, dass die im Sozial- und Erziehungsdienst schon gestarteten – momentan ausgesetzten – und die im Sommer beginnenden Verhandlungen für die übrigen öffentlichen Dienste damit enden, dass vonseiten der Gewerkschaftsführungen einem schlechten Ergebnis und sogar die Aufgabe des Sonderkündigungsrecht des Tarifvertrages ohne jegliche Arbeitskampfmaßnahme, mit dem Vorwand der wirtschaftlichen Krise, zugestimmt wird. Das muss verhindert werden.

Gerade jetzt und in naher Zukunft gilt es aber die gesellschaftliche Notwendigkeit des Gesundheitswesens, Sozial- und Erziehungsdienstes und anderer öffentlicher Dienste zu unterstreichen. Sobald es wieder möglich ist, muss auf Vollmobilisierung und wirklicher demokratischer Mitbestimmung basierende Streikmaßnahmen gesetzt werden, um die Bosse und Politiker*innen, die im Angesicht einer tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Krise, sich mit Danksagungen an die Lohnabhängigen zu überbieten versuchen, an ihren Taten zu messen und zu prüfen, ob sich die warmen Worte auch in notwendigen Lohnerhöhungen, besseren Arbeitsbedingungen und kürzeren Arbeitszeiten widerspiegeln.

Die Arbeiter*innenklasse hält jetzt und auch nach der Krise die Gesellschaft am Laufen. Das muss sich in besseren Lebensbedingungen der Lohnabhängigen und letztlich in einem anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem widerspiegeln. Die Gewerkschaften müssen endlich ihrer Rolle gerecht werden und gerade jetzt in Konfrontation mit den Herrschenden gehen, die über lange Zeit den Boden für die aktuellen sozialen Verwerfungen bereitet haben.

Aufwertung und Arbeitszeitverkürzung

Das bedeutet die Notwendigkeit nach einer deutlichen Aufwertung aller Berufe im öffentlichen Dienst durch eine Festgeldforderung im Bereich von 300 Euro mehr pro Monat sowie einer besonderen Erhöhung in den Pflegeberufen von 500 Euro mehr pro Monat, um den Pflegenotstand endlich beenden zu können. Auch die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst bei vollem Lohn- und Personalausgleich als ersten Schritt zu weiterer Arbeitszeitverkürzung wird unter den Vorzeichen wachsender Erwerbslosenzahlen eine neue Dringlichkeit erhalten.

Es ist schon abzusehen, dass gegen diese sinnvollen Forderungen ins Feld geführt wird, dass man sich das jetzt angesichts der Krise und der dadurch verursachten Kosten nicht leisten könne. Die Gewerkschaft muss dem entgegen halten: Was sich die Gesellschaft nicht mehr leisten kann, sind Sparmaßnahmen im öffentliche Dienst, die auf Kosten der Allgemeinheit gehen und auf der anderen Seite weiterhin wachsenden Reichtum einer kleinen Minderheit. Das obere ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland verfügt laut DGB über ein angesammeltes Vermögen von sage und schreibe 3800 Milliarden Euro. Zur Einordnung: die gesamten Ausgaben im Bundeshaushalt beliefen sich 2019 auf 356 Milliarden Euro. Es wäre also genügend Geld vorhanden, um einen massiven Ausbau des gesamten öffentlichen Dienstes – im Interesse der Mehrheit der Gesellschaft – umzusetzen. Wie ver.di zurecht beschreibt, muss deshalb als erster Schritt mittels Vermögensabgaben und -steuern der öffentliche Dienst besser finanziert und die Mitarbeiter*innen besser bezahlt werden.

Es kann nötig sein, die heiße Tarifrunde um ein paar Monate zu verschieben, um wieder aktionsfähig zu sein. Das sollte aber dazu genutzt werden, um schon jetzt die Kräfte zu sammeln und einen effektiven Kampagneplan für eine Tarifrunde vorzubereiten, mit dem die Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden. Auch die arbeitende Bevölkerung, die vom öffentlichen Dienst abhängig sind, sollten einbezogen werden und eine große Solidaritätskampagne vorbereitet werden. Nichts ist mehr wie es war. Es darf kein Zurück geben zu Bescheidenheit und Kompromissen. Für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst muss die Losung heißen: Jetzt erst recht. Es ist nötig, dass Kolleg*innen sich schon jetzt koordinieren, um entsprechenden Druck in ver.di aufzubauen. Dafür ist es möglich, das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ anzusprechen.

*Funktionsangabe dient nur zur Kenntlichmachung der Personen

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