In der AfD sortieren sich die Fronten

Nach Kalbitz-Ausschluss geht Grabenkrieg in die nächste Runde

Als 1805 der britische Admiral Nelson der napoleonischen Flotte bei Trafalgar den Rest gab, war noch lange nicht klar, was das genau für den weiteren Kriegsverlauf bedeuten würde. Nur eines war sicher: England war wieder im Spiel. Nelson hatte den Status seines Heimatlandes als Großmacht gerettet.

Mit seinem Coup gegen Andreas Kalbitz, den brandenburgischen Vorsitzenden der Landtagsfraktion und des Landesverbandes der AfD, hat der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen sich und seinen Parteiflügel zurück ans Spielbrett befördert. Was genau das für die AfD bedeutet bleibt ebenso unsicher wie das weitere Kriegsglück nach der Schlacht von 1805.

von Steve Hollasky, Dresden

Die AfD befindet sich in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung. Selbst als Parteigründer Bernd Lucke und später die ihm nachfolgende Vorsitzende Frauke Petry die Alternative für Deutschland nach harten Fraktionskämpfen verließen, steckten das die Rechtspopulisten besser weg als sie ihre aktuelle Situation verdauen dürften.

Erst fand die AfD keine Antworten auf die Coronakrise, wie der Politikwissenschaftler Hajo Funke so zutreffend wie trocken Anfang April im „Deutschlandfunk“ feststellte. Und nun zerlegt sie sich auch noch in einem innerparteilichen Kampf, der das Zeug hat der härteste in der Geschichte der Partei zu werden. In diesem Kampf war der Ausschluss von Andreas Kalbitz aus der Partei – beschlossen vom Bundesvorstand am vergangenen Freitag, auf Antrag Jörg Meuthens – nur ein weiteres Kapitel und das letzte ist noch lange nicht geschrieben.

Meuthen will in die Regierung

Hinter der vor der medialen Öffentlichkeit ausgetragenen Auseinandersetzung geht es um nichts weniger als die Ausrichtung der Partei. Wenn der thüringische Landeschef Björn Höcke am vergangenen Wochenende als Reaktion auf den Ausschluss seines Vertrauten Andreas Kalbitz aus der Partei in einem kurzen Video ätzte, Mancher wolle die AfD in eine „schwarz-rot-goldene FDP“ verwandeln, war klar, wen er damit gemeint haben dürfte: Jörg Meuthen.

Bereits im Januar hatte dieser gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) seine Pläne für die Partei mit den Worten „wir müssen regierungsfähig und regierungswillig werden“ dargestellt. Das gehe „nicht mit Radikalisierung“, so Meuthen weiter. Sein Ziel schob er gleich noch hinterher. Die AfD könne „nur mit einem bürgerlich-konservativen, freiheitlichen Profil“ erfolgreich werden.

Meuthens Rentenprogramm sprach genau diese Sprache. Der Mann, der nicht müde wurde vor den angeblich unsozialen Auswirkungen der Zuwanderung zu warnen, schlug vor die gesetzliche Rentenversicherung komplett abzuschaffen. Eine Grundrente sollte steuerfinanziert etwa auf dem Niveau des Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) liegen. Wer mehr wolle, sollte eben privat vorsorgen, so Meuthens kaltschnäuzige Vorstellung. Wer kein Geld für private Vorsorge hat, der solle eben sehen, wo er bleibt. Was Meuthen da vorschlug war nicht mehr als eine Art „nationaler Neoliberalismus“.

Was wollen Kalbitz und Höcke?

Sein Rentenkonzept produzierte die erste von zwei bitteren Niederlagen, die Meuthen in den letzten Monaten einzustecken hatte. Statt seiner Idee setzte sich eine weitaus sozialdemagogischere Version aus Thüringen durch, die ganz klar Höckes Handschrift trägt. Der ehemalige Frontmann des offiziell für aufgelöst erklärten völkischen „Flügels“ innerhalb der AfD setzt jedoch nur scheinbar auf eine stärkere soziale Ausrichtung des Rentenkonzepts. Für jedes Kind sollen Eltern Rentenbeiträge in Höhe von 20.000 Euro erlassen werden, Beamt*innen sollen in die Rentenkassen einzahlen.

Doch der unsoziale Teufel liegt im Detail: Längst nicht alle Beamt*innen sollen einzahlen: Richter*innen und Polizist*innen sollen weiterhin Beamtenpensionen erhalten. Außerdem will Höcke das Renteneinstiegsalter nicht etwa endlich wieder senken. Es soll demnächst flexibler gestaltet werden: Wer länger arbeitet soll auch mehr Rente erhalten. Einfacher ausgedrückt: Wenn ein Gartenlandschaftsbauer mit kaputten Knien eher in Rente gehen will oder, besser gesagt, muss, dann drohen ihm Abzüge. An die längst fällige Anhebung des Rentenniveaus denkt Höcke keinesfalls. Wie er die Beitragsboni für Kinder finanzieren will, verschweigt er. Große Vermögen, Reiche, Großunternehmer scheint er nicht belasten zu wollen. Und – na klar – Migrant*innen sollen keine Rente erhalten.

Vor die Wahl gestellt, erschienen der Parteiführung jedoch Höckes Ideen eher so, als könne man sie als den großen Angriff auf das Establishment verkaufen. Und so entschied man sich für den Rentenplan aus Thüringen. Meuthen schaute in die Röhre.

Und dennoch zeigt der Plan deutlich, wohin Kalbitz und Höcke wollen: Mit sozialer Demagogie hoffen sie, Massen einzufangen. Sozial sind ihre Pläne nicht, sie sollen aber genauso wirken. Meuthens ganz offen unternehmerfreundlichen Pläne könnten im Osten Stimmen kosten. Und so beginnt das Duell der Furchtsamen: Meuthen ist besorgt seine Karriere könnte ein jähes Ende finden, wenn er die Protagonist*innen des „Flügels“ nicht loswerden kann. Meuthen und Kalbitz treibt dieselbe Sorge um, nur mit verkehrten Vorzeichen: Sie ängstigt die Vorstellung mit Meuthens offen wirtschaftsliberalen Aussagen Boden zu verlieren.

Fraktionskampf

Und so wiederholt sich Geschichte: Innerhalb der AfD stehen Nationalist*innen, wie Meuthen und Beatrix von Storch, die offen wirtschaftsfreundlich und arbeiter*innenfeindlich sind gegen Nationalist*innen, wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz, die verdeckt wirtschaftsfreundlich und arbeiter*innenfeindlich sind. Diese Debatte hatte die AfD spätestens mit Frauke Petry schon einmal. Wie sie ausging, dürfte klar sein. Diesmal scheint das Rennen weit weniger klar zu sein.

Meuthen setzte sich mit der Forderung, der „Flügel“ unter Höcke und Kalbitz solle aufgelöst werden im Bundesvorstand durch. Eine Niederlage für die Rechtsaußen innerhalb der AfD, die diese mit unverhohlenen Drohungen in Richtung Parteivorstand in einen Sieg umzumünzen versuchten. So recht wollte es nicht gelingen. Immerhin war der „Flügel“ vom Verfassungsschutz beobachtet worden und wurde somit zur Gefahr für die Karrieren des AfD-Spitzenpersonals.

Doch der „Flügel“ schoss auf andere Art zurück. Als Meuthen im rechten Magazin „Tichys Einblick“ die Spaltung der AfD in zwei Parteien vorschlug, war er deutlich zu weit gegangen. Öffentlich stellte sich niemand hinter ihn. Höcke, der auf einem der letzten Zusammentreffen von Anhänger*innen des „Flügels“ forderte, wer nicht auf Linie sei, den müsse die AfD „ausschwitzen“, echauffierte sich über seinen Vorsitzenden.

Meuthen musste einen „schweren Fehler“ einräumen. Zeitweise soll gar sein eigener Parteiausschluss im Bereich des Möglichen gelegen haben.

Weg vom Fenster?

Für nicht wenige Beobachter*innen schien der Startschuss zu unrümlichen Ende Meuthens gefallen zu sein. Doch dann der Coup: Andreas Kalbitz hielt vor seinem AfD- schon ein Republikaner-Parteibuch in der Hand. Er hatte an Treffen der Heimattreuen Deutschen Jugend teilgenommen, deren Abkürzung HDJ im Grunde gar nicht verhüllte, in welche Tradition sie sich stellte. Nach geltender Beschlusslage ist die frühere Mitgliedschaft in rechtsextremen Gruppen nach wie vor ein hinreichender Grund, um eine Mitgliedschaft zu annullieren. Und genau das geschah am Freitag vergangener Woche im Bundesvorstand der AfD – auf Antrag Jörg Meuthens. Noch scheint Meuthen nicht weg vom Fenster zu sein.

Wer wen? Gerangel um ein Blatt Papier

Und während Höcke Meuthen „Verrat“ an der Partei vorwirft und ankündigt, den Ausschluss seines Freundes Kalbitz nicht hinnehmen zu wollen, und Meuthen kontert, er lasse sich nichts von einem Höcke sagen, der innerparteiliche Gegner „ausschwitzen“ wolle, ist das Corpus delicti, Kalbitz‘ Aufnahmeantrag, nicht mehr auffindbar. Sollte es nicht doch noch aufgestöbert werden können, könnte es für Meuthen neuerlich eng werden.

Lenin definierte die Machtfrage einmal kurz mit: „Wer wen?“ Und genau diese Machtfrage steht nun in der AfD ganz offen auf der Tagesordnung: Wer wird wen in die Knie zwingen? Wer wird seine Modell einer Rechtspartei durchsetzen?

Und es könnte diesmal um buchstäblich alles gehen: Bislang waren die beiden Flügel der Partei, der offen wirtschaftsfreundliche und der sozial-demagogische ohne einander nicht denkbar. Beide brauchten sich trotz aller Reibereien. Grundsätzlich gilt das noch immer. Doch die Frage steht, ob sich beide noch länger ertragen? Oder, ob sie in ihrer Auseinandersetzung nicht schon zu weit gegangen sind, als dass sie die Dynamik des neuerlichen Fraktionskampfes zum Stehen bringen könnten. Die AfD beginnt sich zu sortieren: Gauland schießt im ZDF gegen Jörg Meuthen. Der Ausschluss sei juristisch nicht haltbar und politisch „gefährlich“. Die Kieler AfD unterstützt Jörg Meuthen in der Frage des Ausschlusses von Kalbitz.

Dass der seine Anhänger*innen auffordert in der Partei zu bleiben zeigt aber auch, dass Spaltung für keine der beiden Seiten eine echte Option sein dürfte. Beide werden um die AfD kämpfen und der Ausgang ist offen.

Die nächsten entscheidenden Stationen werden der Kampf um den Fraktionsvorsitz von Andreas Kalbitz in Brandenburg sein. Meuthen hat bereits erklärt, wer nicht Mitglied der AfD ist, könne auch keine ihrer Landtagsfraktion führen. Kalbitz‘ Anhänger*innen sehen das naturgemäß anders. Und noch eine weitere Schlacht wird über die Zukunft der AfD und auch Jörg Meuthens entscheiden: Kalbitz hat schon erklärt sich gegen den Ausschluss juristisch zur Wehr zu setzen. Sollte er damit Erfolg haben, würde das Meuthen als Parteichef wahrscheinlich wirklich erledigen. Insofern könnte das verschwundene Eintrittsformular von Kalbitz noch eine entscheidende Rolle spielen.

Was der Streit zeigt

Was die AfD öffentlich dokumentiert sind vor allem zwei Dinge: Die „kleinen Leute“, von denen sie so gern redet, interessieren sie nicht. Vorschläge wie deren Leid in der Coronakrise zu lindern sei, gibt es keine von der AfD. Lieber will man den deutschen Großunternehmen zur Seite stehen. Und wichtiger als die Not vieler in der Krise ist den Damen und Herren an der Spitze der AfD der parteiinterne Machtkampf. Höcke, Kalbitz, Meuthen, von Storch – sie alle hoffen vorrangig ihre eigene soziale Frage zu klären. Und sie alle glauben das nur dann tun zu können, wenn sie den Fraktionskampf in der AfD für sich entscheiden.

Doch das heißt auch noch etwas Anderes: Der Kampf gegen die AfD kann nur dann gewonnen werden, wenn die Partei DIE LINKE, die Gewerkschaften und Antifaschist*innen genau das immer wieder aufzeigen und wenn sie weitaus bessere Angebote macht. Jetzt, da der Lockdown langsam endet, wird es darum gehen, wer die Krise bezahlen muss. Und da muss unsere Antwort vollkommen klar sein: Deutschland ist das viertreichste Land der Erde. Es ist genug Geld da: für ein öffentliches Gesundheitswesen, für den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs, für sichere Renten, von denen man im Alter leben kann. Doch das wird nur dann möglich sein, wenn wir alle gemeinsam – unabhängig von Herkunft, Geburt, Sprache, Religion und Geschlecht, bereit sind die Frage nach dem Eigentum zu stellen. Nur, wenn wir bereit sind grundsätzliche Fragen danach zu stellen, wer sich den ungeheuren, gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtum aneignet und wenn wir die Profitorientierung infrage stellen, wenn wir die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt unseres politischen Agierens stellen, können wir denen helfen, die unter dieser Krise zu leiden haben. Die AfD wird das nicht tun, denn jede ihrer Strömungen steht auf der anderen Seite dieser Auseinandersetzung. Denn Eines wird Meuthen und Höcke, Kalbitz und von Storch immer einen: Sozialistische Lösungen lehnen sie alle ab.

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