Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen

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Leserbrief von Ursel Beck an die Stuttgarter Lokalpresse

„Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“.  Die Aktualisierung  dieses Satzes von Berthold Brecht heißt:   was sind die Schäden der sogenannten Krawallnacht vom 21. Juni in Stuttgart gegen den von Wirecard-Managern verursachten Schaden. Im einen Fall sind es „einige Schaufenster“ (STN 24.6.2020), die zu Bruch gegangen sind und geplündert wurden. „Die Polizei beziffert den Schaden der Gewaltnacht auf einen Betrag, der zwischen einer sechs- und siebenstelligen Summe liege“ (STZ 25.6.2020). Im Klartext: weniger als eine Million Euro.  Hinzu kommen 23 verletzte Polizisten (der Bruch eines Handgelenks ist die schwerste Verletzung).  Im Fall von Wirecard ist ein zweistelliger Milliardenschaden entstanden. Die 5.800 Wirecard-Beschäftigten wurden in Existenzangst getrieben. Ihnen droht der Verlust ihres Jobs. Für die Eskalation von Gewalt am 21.6.2020 in Stuttgart  wurde sofort eine Ermittlungsgruppe von inzwischen 100 Polizisten eingerichtet, um Täter zu identifizieren und zu fassen. Die jugendlichen Tatverdächtigen werden wie Schwerverbrecher mit Handschellen und Fußfesseln dem Haftrichter vorgeführt. Neun Tatverdächtige, darunter ein 15-Jähriger sitzen in Untersuchungshaft. Im Fall von Wirecard wurde die Aufdeckung von kriminellen Geschäften durch die “Financial Times” im Jahr 2019 zunächst  mit einer Anzeige gegen die britische Wirtschaftszeitung beantwortet. Jetzt wurde Wirecard-Manager Braun “kurzfristig” in Untersuchungshaft genommen und gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro wieder freigelassen. Sein Vertrauter und Komplize im Vorstand, Marsalek, konnte im Ausland untertauchen.   Auch der Fleischfabrikant Tönnies läuft noch immer frei herum. Genauso die Manager der Autokonzerne, die mit ihrem Dieselbetrug einen von der Staatsanwaltschaft Braunschweig errechneten Schaden von 78 Milliarden Euro und wegen der erhöhten Stickoxidbelastung den vorzeitigen Tod von tausenden von Menschen verursacht haben. So funktioniert der Klassenstaat.

Ursel Beck ist aktiv in der Stuttgarter Mieter*innenbewegung und der Partei DIE LINKE und Mitglied des Sol-Bundesvorstands.