Flugblatt der Sol Hildesheim
Für einen unbefristeten Streik und öffentliche Aktionen, bis die Schließungsandrohungen der beiden Zulieferer vom Tisch sind!
Als Dank für die finanziellen Einbußen durch die Kurzarbeit nach Ostern will der Autozulieferer KSM nun 900 Arbeitsplätze in Hildesheim streichen, SEG weitere 500. Erfreulicherweise wird bereits zu einer zentralen Demonstration aufgerufen, was Kampfbereitschaft signalisiert und die öffentliche Stimmung frühzeitig auf die Seite der Beschäftigteninteressen lenkt. Dabei darf es allerdings nicht bleiben: Die IG Metall muss jetzt eine Strategie entwerfen, mit der dauerhaft um die Zukunft der Beschäftigten gekämpft werden kann! Gerade jetzt sollte die Gewerkschaft regelmäßige Versammlungen einberufen, um offen über die Zukunft des Werks und vor allem über Streiktaktik und geeignete Forderungen zu diskutieren. Ein Einbezug der Belegschaft würde bisher auch unorganisierte Beschäftigte einbinden und die Gefahr verringern, dass die Zukunft nur in Hinterzimmergesprächen verhandelt wird. Denn dort werden eher Kompromisse geschmiedet – nur ein Kampf der Beschäftigten aber wird eine Schließung der Werke verhindern können!
Dass das realistisch ist, zeigen die spontanen Proteste anfang des Jahres im Duisburger Gobblechwerk, die den Vorstand dazu zwangen, die Werksschließung auf 2022 zu verschieben. Und dort haben die Beschäftigten bloß “mit den Muskeln gezuckt”! 1975 hat ein harter Kampf der Beschäftigten im Audi-Werk in Neckarsulm dafür gesorgt, dass die Schließung des Werks mit über 10.000 Beschäftigten abgewendet werden konnte! Auch bei KSM und SEG könnte ein unbefristeter Streik mit öffentlichen Aktionen die Voraussetzungen schaffen, alle Schließungsandrohungen zurück zu nehmen. Mit vereinten Kräften beider Werke kann eine Schlagkraft entwickelt werden, mit dem der ökonomische und politische Druck hoch genug wird, die Zukunft der Standorte zu sichern. Wenn IG Metall dann auch noch zu einer überregionalen Zentraldemo alle bundesweiten Standorte der Betriebe mobilisiert oder sogar weitere Teile der arbeitenden Bevölkerung in den Kampf mit einbezieht (z.B. über Solidaritätsstreiks), können wirklich weitgehende Forderungen erkämpft werden.
Eine dieser Forderungen könnte z.B. lauten, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu erreichen, um freigewordene Kapazitäten auf alle Beschäftigten zu verteilen, ohne Verschlechterungen hinnehmen zu müssen. In jeder demokratisch geplanten Wirtschaft, in der die Bedürfnisse von Mensch und Natur statt des Profits im Mittelpunkt stehen, wäre man ohnehin froh, dass ausreichend Güter produziert wurden und die notwendige Arbeitszeit auf alle Beschäftigten verteilt werden kann, damit mehr Freizeit für alle entsteht. Im Kapitalismus zählt aber nur der Profit. Wenn die Auftragszahlen und damit der zukünftig erwartete Profit zurückgeht, verlieren tausende Beschäftigte ihre Lebensgrundlage. Und daraus entstehen unmitelbar massive Verschlechterungen des Lebensstandards. Denn es ist keineswegs ausgemacht, dass KSM und SEG am Hungertuch nagen: KSM Castings Group machte alleine im Jahr 2016 525 Millionen Euro Umsatz, SEG ein Jahr später fast zwei Milliarden! In jahre- und jahrzehntelanger Arbeit haben die Beschäftigten in den Unternehmen Unmengen an Wert geschaffen, von dem sie nur einen Bruchteil in Form ihres Lohnes überhaupt wiedergesehen haben. Eigentümer, Investoren und Fabrikleiter hingegen haben sich auf Kosten der Belegschaft eine goldene Nase verdient und entlassen jetzt lieber, als ihren Profit gefährdet zu sehen!
Dass die Betriebsschließungen jetzt als alternativlos dargestellt werden, zeugt somit eher von der eiskalten Berechnung der Unternehmer: Was sich nicht lohnt, wird geschlossen, entlassen, ersetzt. Genau das ist es auch, was der ehemalige Hildesheimer SEG-Werksleiter Martin Ziegler meint, wenn er in der Hildesheimer Allgemeinen darauf verweist, dass die Produktion im Werk wahrscheinlich bis ins Jahr 2026 nicht mehr das Niveau von 2018 erreichen wird. Angesichts einer Wirtschaftskrise machen sich die Unternehmer weniger Gedanken darum, ob ausreichend Güter produziert werden, sondern dass diese nicht mehr gewinnbringend verkauft werden können! Kein Wunder, dass das Werk in Ungarn erhalten bleibt, wenn dort die Löhne noch stärker gedrückt werden können, als in Deutschland. Umso wichtiger, dass die Belegschaft sich nicht gegeneinander ausspielen lässt und solidarisch einen gemeinsamen Kampf führt, auch über Ländergrenzen hinweg!
Ein Kampfziel könnte es z.B. sein, die Geschäftsbücher der Betriebe offenzulegen und sich nicht auf die bloßen Behauptungen der Werksleiter zu verlassen, dass eine Schließung “alternativlos” sei, weil angeblich kein Geld mehr vorhanden wäre. Weil das Behauptungen sind, die die Zukunft von hunderten Beschäftigten betreffen, können die Unternehmer gefälligst Rechenschaft darüber ablegen, wo die Gelder wirklich hingeflossen sind! Eine solche Kontrolle sollten gewählte Vertreter*innen der Beschäftigten, der Gewerkschaft und der städtischen Verwaltung durchführen, um einen neutralen Blick im Interesse der Beschäftigten herzustellen. Sollte dann klar werden, dass der Betrieb wirklich vollends pleite ist, kann auch dann noch eine Betriebsschließung durch Überführung in öffentliche Hand verhindert werden! Denn solange die Industrie in privatem Besitz einiger weniger Unternehmer liegt, die auf Profit und nicht an den Bedürfnissen von Menschen und Umwelt orientiert sind, wird es keine Zukunftsperspektive geben – weder für die Beschäftigten, noch für ihre Mitmenschen und die Umwelt! Dabei sprechen wir nicht von bloßen Verstaatlichungen: Öffentliches Eigentum muss durch die arbeitende Bevölkerung kontrolliert und verwaltet werden, damit Belegschaften nicht gegeneinander ausgespielt werden können und die wirtschaftliche Planung im Interesse der arbeitenden Bevölkerung erfolgt – und nicht erneut im Sinne profitorientierter Akteure!
Wir schlagen eine drittelparitätische Besetzung von gewählten Vertreter*innen der Beschäftigten, der Gewerkschaft und des Staates vor, mit Beratungsmöglichkeiten von Wissenschaftler*innen aus Forschung zu Energie, Umwelt, Mobilität und Stadtplanung. Nur so kann demokratisch kontrolliert werden, was unter welchen Bedingungen produziert wird und nur so können Arbeitsplätze dauerhaft gesichert werden. Insbesondere kann hierdurch das vorhandene Wissen aus dem Betrieb genutzt werden, um eine Konversion der Automobilindustrie durchzuführen und statt Autos z.B. Chassis, Anlasser und Motoren(teile) für Reisebusse und öffentlichen Nahverkehr herzustellen. Gerade das wird angesichts des Klimawandels zu einer immer dringenderen Notwendigkeit und würde auch langfristig die Zukunft der Beschäftigten in der Autoindustrie retten: Denn anders als in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise, die die Autoindustrie besonders trifft, könnte nicht mehr so einfach der ökonomische Druck auf Arbeitsplatzvernichtung und Werksschließungen abgewälzt werden. Das könnte und sollte teil eines umfassenderen sozialistischen Programms zur Rettung von Umwelt und Arbeitsplätzen sein, mit der Perspektive einer demokratisch geplanten Wirtschaft. Diese hätte nichts mit den Diktaturen in der DDR oder Russland zu tun, sondern würde die gesamte arbeitende Bevölkerung in eine basisdemokratisch geplante Wirtschaft und Gesellschaft mit einbeziehen. Für diese Perspektive lohnt es sich zu kämpfen – fangen wir an!