Trotzkis Ermordung

Wie Stalins lange Hand seinen wichtigsten Widersacher niederstreckte

Anlässlich des 80. Todestags von Leo Trotzki veröffentlichen wir hier einen Text von Lynn Walsh über die Ermordung des bedeutenden russischen Marxisten. Dieser Text findet sich auch im gerade vom Manifest-Verlag veröffentlichten Sammelband “Trotzki. Trotzkismus. Vierte Internationale”

Vor sechzig Jahren dirigierte Stalin die Ermordung des im Exil lebenden und isolierten Leo Trotzki. Nicht nur persönliche Rivalität und Neid trieb Stalin an, sondern die Absicht der herrschenden Bürokratie die Vierte Internationale zu zerschlagen, die weiter für Internationalismus und Arbeiterdemokratie kämpfte.

Am 20. August 1940 streckte Ramon Mercader, ein von Stalin nach Mexiko geschickter Agent, Leo Trotzki mit einem Eispickel nieder.

Trotzkis Ermordung war nicht nur die neidische Rache Stalins. Es war der Höhepunkt des systematischen und blutigen Terrors, der sich sowohl gegen eine ganze Generation von bolschewistischen Anführern richtete, als auch gegen die zweite Generation von jungen Revolutionären, die bereit waren, marxistische Ideen gegen das repressive und bürokratische Regime Stalins zu verteidigen. Als die GPU 1940 zu Trotzki vordrang, hatte sie schon viele Familienmitglieder, Freunde und Mitarbeiter Trotzkis sowie Anführer und Unterstützer der Internationalen Linken Opposition umgebracht, zum Selbstmord getrieben oder ins Arbeitslager gesperrt.

Jahrzehnte später präsentieren Pressekommentare und Forscher genauso wie 1940 den Konflikt zwischen Trotzki und Stalin als eine persönliche Angelegenheit. Sie stellen es als eine bittere Rivalität zwischen zwei ambitionierten Führungspersonen da, die um die Macht kämpften. Vom bürgerlichen Standpunkt ist einer so schlecht wie der andere. Die giftigste Kritik ist dabei Trotzkis Idee der „Permanenten Revolution“ vorbehalten. Sie sei gefährlicher als Stalins bürokratische Vorstellung des Aufbaus des „Sozialismus in einem Land“. Einige der Fragen, denen sich Trotzki bereits stellen musste, werden wiederbelebt. Auf den ersten Blick legitim erscheinend, zielen sie üblicherweise darauf ab, seine Rolle zu beschmutzen.

Warum hat Trotzki, wenn er eins der führendsten Mitglieder der Bolschewiki und der Anführer der Roten Armee war, es zugelassen, dass Stalin die Macht in seinen Händen konzentrieren konnte? Warum hat Trotzki nicht selbst die Macht ergriffen? Die Erklärung, dass Trotzki „zu doktrinär“ war und deshalb von Stalin „ausmanövriert“ wurde, wird ohne Zweifel wieder herangezogen werden. Begleitend wird ausgeführt, dass Stalin der „pragmatischere“, „entschlossenere“ und „stärkere“ Anführer war.

Trotzki selbst war mit diesen Fragen konfrontiert. Er beantwortete sie auf der Grundlage seiner Analyse der politischen Degeneration des sowjetischen Arbeiterstaats. Von einem marxistischen Standpunkt aus, ist es komplett oberflächlich den Konflikt, der sich nach 1923 entwickelte, als einen persönlichen Kampf zweier rivalisierender Anführer darzustellen. Stalin und Trotzki haben in ihrer unterschiedlichen Art, gegenüberstehende soziale und politische Kräfte personifiziert – Trotzki in einem bewussten Prozess, Stalin unbewusst. Trotzki forderte Stalin mit politischen Mitteln heraus. Stalin bekämpfte Trotzki und seine Unterstützer mit staatlich finanziertem Terrorismus. Trotzki schrieb: „Stalin geht einen Kampf auf total unterschiedliche Art an. Er zielt nicht auf die Ideen seines Gegners ab, sondern auf seinen Kopf.“ Das war eine Furcht einflößende Vorhersage.

Der Triumph der Bürokratie

Als Trotzki Stalins Rolle in seinem Tagebuch im Exil 1935 analysierte, schrieb er:

„Angesichts des anhaltenden Niedergangs der internationalen Revolution, war der Sieg der Bürokratie – und damit auch Stalins vorherbestimmt. Das Resultat, das eitle Beobachter und Trottel der persönlichen Stärke Stalins oder zumindest seinem ausnahmsweise auftretendem Geschick zuschreiben, entspringt Ursachen, die tief in der Dynamik historischer Kräfte liegen. Stalin stieg als der semi-bewusste Ausdruck des zweiten Kapitels der Revolution auf. Es ist der „Morgen danach“.1

Weder Trotzki noch ein anderer führender Bolschewik konnte sich 1917 vorstellen, dass die Arbeiterklasse in Russland isoliert eine sozialistische Gesellschaft aufbauen kann, in einem rückständigen und kulturell primitiven Land. Sie waren überzeugt, dass die Arbeiter die Macht erobern müssen, um die größtenteils unvollendeten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution zu vollbringen, aber dabei gleichzeitig die Aufgaben der sozialistischen Revolution angehen müssen, die nur in der Zusammenarbeit mit der Arbeiterklasse in den entwickelteren Ländern vollendet werden kann. Denn verglichen mit dem Kapitalismus braucht Sozialismus ein höheres Level an Produktion und materieller Kultur.

Die Niederlage der deutschen Revolution, zu der die Stümper der Stalin-Bucharin Führung beigetragen haben – verstärkte die Isolation des Sowjetstaates und zwang ihn zum Rückzug zur Neuen Ökonomischen Politik. Sie trug zur Kristallisation der bürokratischen Kaste bei, die verstärkt ihr Bedürfnis nach Komfort, Verlangen nach Ruhe und Forderungen nach Privilegien über die Interessen der internationalen Revolution stellte.

Die herrschende Schicht der Bürokratie fand schnell heraus, dass Stalin „aus ihrem Holz geschnitzt“ war. Die Interessen der Bürokratie widerspiegelnd, begann Stalin einen Kampf gegen „Trotzkismus“, dem ideologischen Gespenst, das er erfand um die wahren Ideen des Marxismus und Lenins, die von Trotzki und der linken Opposition hochgehalten wurden, zu verdrehen und zu stigmatisieren.

Es war die Furcht der Bürokratie, das Programm der Opposition, für die Wiederherstellung von Arbeiterdemokratie könnte unter einer neuen Schicht von jungen ArbeiterInnen Widerhall finden und dem Kampf gegen die bürokratische Degeneration neuen Schwung geben, die Stalins blutige Verfolgungen der Opposition motivierte.

Ihre Ideen waren „die Quelle von Stalins ernstesten Befürchtungen: Die Furcht vor diesen Ideen, den er kennt seine explosive Kraft und er kennt seine eigene Schwäche ihnen gegenüber.“2

Schon im Voraus beantwortete Trotzki die Vorstellung der Konflikt könnte in irgendeiner Art und Weise das Ergebnis eines „Missverständnisses“ sein oder vom Unwillen kommen, keinen Kompromiss zu schließen. Trotzki bezog sich dabei auf einen Besuch eines „sympathisierenden“ Ingenieurs als er in Alma Ata 1928 im Exil war. Wahrscheinlich wurde er geschickt, um ihm „vorsichtig auf den Zahn zu fühlen“ und fragte, ob er denn nicht glaube, dass es irgendwelche Schritte gäbe, um zu einer Einigung mit Stalin zu kommen.

„Ich antwortete ihm, in dem Sinne, dass eine Einigung außer Frage stünde, nicht weil ich es nicht wollte, sondern weil Stalin keinen Frieden mit mir schließen kann. Er ist gezwungen den ganzen Weg zu Ende zu gehen, der ihm von der Bürokratie aufgezwungen wurde. ‚Wie wird es enden?‘ ‚Es wird ein tragisches Ende finden‘ antwortete ich. ‚Stalin kann es nicht anders beenden.‘ Mein Besucher war sichtlich überrascht. Er hatte so eine Antwort offensichtlich nicht erwartet und verschwand bald.“3

Ab 1923 kämpfte Trotzki in der Russischen Kommunistischen Partei. In einer Serie von Artikeln – veröffentlicht als „Der Neue Kurs“ –, begann er vor den Gefahren einer nach-revolutionären Reaktion zu warnen. Die Isolation der Revolution in einem rückständigen Land führte zum beginnenden Wachstum einer Bürokratie in der Bolschewistischen Partei und dem Staat. Trotzki begann damit, gegen das zügellose Verhalten der Parteibürokratie zu protestieren, die sich unter Stalin herauskristallisierte. Kurz bevor er starb, formte Lenin mit Trotzki einen Block in der Partei, um die Bürokratie zu bekämpfen.

Als Trotzki und eine Gruppe von linken Oppositionellen begannen, einen Kampf für die Wiederbelebung der Arbeiterdemokratie zu führen, sah sich das Politbüro gezwungen, die Redefreiheit und das Recht zur Kritik in der Kommunistischen Partei wiederherzustellen. Aber Stalin und seine Verbündeten stellten sicher, dass es nicht das Papier wert war, auf dem es geschrieben stand.

Nach nur vier Jahren – am 7. November 1927, dem zehnten Geburtstag der Oktoberrevolution – sah sich Trotzki gezwungen, den Kreml zu verlassen und bei oppositionellen Freunden Zuflucht zu suchen. Trotzki und Sinowjew, der erste Vorsitzende der Kommunistischen Internationale, wurden von der Partei ausgeschlossen. Am nächsten Tag, tötete sich der enge Freund Trotzkis und Oppositionelle Adolph Joffe, um gegen die diktatorischen Aktionen von Stalins Führung zu protestieren. Er war einer der ersten Genossen, Freunde und Familienmitglieder, die von Stalins Regime in den Tod getrieben oder umgebracht wurden. Es eröffnete durch systematische und rücksichtslose Repression gegen seine GegnerInnen einen Graben aus Blut zwischen richtiger Arbeiterdemokratie und seinen eigenen bürokratischen, totalitaristischen Methoden.

Im Januar 1928 wurde Trotzki, der unter dem Zarismus bereits zwei Mal ausgewiesen wurde, in sein letztes ausländisches Exil gezwungen. Erst wurde er nach Alma-Ata in Kasachstan nahe der chinesischen Grenze deportiert und dann in die Türkei, wo er auf der Insel Prinkipo, am Marmarameer nähe Istanbul residierte.

Im Versuch Trotzkis literarische und politische Arbeit zu paralysieren, griff Stalin seinen kleinen „Apparat“ an, der aus fünf oder sechs engen MitarbeiterInnen bestand:

„Glazman, in den Suizid getrieben; Butov, Tod im GPU-Gefängnis; Blumkin, erschossen; Sermuks und Poznansky, verschwunden. Stalin sah nicht, dass ich auch ohne ein Sekretariat meine literarische Arbeit fortsetzen konnte, die wiederum einen neuen Apparat hervorbringen würde. Selbst der cleverste Bürokrat zeigt eine unglaubliche Kurzsichtigkeit in bestimmten Fragen.“4

Alle diese Revolutionäre haben wichtige Rollen gespielt, insbesondere als Mitglieder vom militärischen Sekretariat Trotzkis oder im bewaffneten Zug während des Bürgerkriegs.

Im Exil: Aufbau der Internationalen Linken Opposition

Warum hat Stalin, der so einen großen Teil der Ressourcen der Geheimpolizei – bekannt unter verschiedenen Abkürzungen: Tscheka, GPU, NKWD, MVD und KGB – darauf verwendet hat, Trotzkis Ermordung zu planen und durchzuführen, seinem Gegner überhaupt erlaubt, ins Exil zu gehen?

Trotzki hat im Januar 1932 in einem offenen Brief an das Politbüro öffentlich die Warnung ausgesprochen, dass Stalin einen Anschlag auf sein Leben vorbereiten wird. Er schrieb:

„Die Frage einer terroristischen Vergeltung gegen den Autor dieses Briefes wurde schon vor langem gestellt: 1924/1925 hat Stalin bei einer kleinen Zusammenkunft die Pros und Contras abgewogen. Die Pros waren offensichtlich und klar. Die Hauptsorge dagegen war, dass es zu viele selbstlose junge TrotzkistInnen gibt, die vielleicht mit terroristischen Gegenaktionen antworten würden.“5

Trotzki wurde über diese Diskussionen von Sinowjew und Kamenew informiert, die gerade ein „herrschendes Triumvirat“ mit Stalin gebildet hatten, aber später – zumindest zeitweise – in Opposition zu Stalin gegangen waren.

Allerdings, setzte Trotzki fort, „ist Stalin zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es ein Fehler war, Trotzki aus der Sowjetunion auszuweisen … anders als er erwartet hatte, stellte sich heraus, dass Ideen selbst eine Macht haben, selbst ohne einen Apparat und ohne Ressourcen. Die Komintern ist eine grandiose Struktur, die sowohl theoretisch als auch politisch, als eine leere Hülle zurückgelassen wurde. Die Zukunft des revolutionären Marxismus, das heißt auch des Leninismus, ist jetzt untrennbar mit den internationalen Kadern der Linken Opposition verbunden. Keine Anzahl von Lügen kann das ändern. Die grundlegenden Werke der Opposition wurden, sind oder werden noch in jeder Sprache veröffentlicht. Oppositionelle Kader finden sich, noch nicht sehr zahlreich aber nichtsdestotrotz unverkennbar, in jedem Land. Stalin versteht sehr gut, welche Gefahr die ideologische Unvereinbarkeit und das stetige Wachstum der Internationalen Linken Opposition für ihn persönlich darstellt, für seine falsche ‘Autorität’, für seine bonapartistische Allmächtigkeit.“6

In der frühen Periode seines türkischen Exils, schrieb Trotzki seine monumentale Geschichte der Russischen Revolution und auch seine brillante Autobiographie „Mein Leben“. Durch umfangreiche Korrespondenz mit Oppositionellen in anderen Ländern und besonders durch das Bulletin der Opposition – herausgegeben ab dem Herbst 1929 –, begann Trotzki den Kern der internationalen Opposition von wahren Bolschewiken zusammen zu ziehen. Aber Trotzkis Vorhersage, dass Stalin mit Hilfe der GPU versuchen wird, alle und alles wütend zu verfolgen und zu zerstören, was gegen ihn arbeitet, sollte sich bald bestätigen.

Zum Ende seines türkischen Exils, erlitt Trotzki einen grausamen Schlag, als seine Tochter, Zinaida, krank und demoralisiert, in den Selbstmord in Berlin getrieben wurde. Ihr Mann, Platon Volkov, ein junger oppositioneller Aktivist, wurde eingesperrt und verschwand für immer. Trotzkis erste Frau, Alexandra Sokolovskaya, die ihm zuerst sozialistische Ideen nahe brachte, wurde ins Konzentrationslager geschickt, wo sie verstarb. Später wurde Trotzkis Sohn, Sergei, ein Wissenschaftler mit keinerlei politischen Interessen oder Verbindungen inhaftiert, mit dem erfundenen Vorwurf „Arbeiter zu vergiften“ – Trotzki fand später heraus, dass er im Gefängnis gestorben war. Neben seiner morbiden Furcht vor Ideen, war „das Motiv der persönlichen Rache immer ein bemerkenswerter Faktor in der repressiven Politik Stalins.“7

Von Beginn an, nahm die GPU Trotzkis Haushalt und die Gruppen der Linken Opposition ins Visier. Verdacht erregten eine Reihe von Leuten, die in den Oppositionsorganisationen in Europa auftauchten oder die nach Prinkipo kamen, um Trotzki zu besuchen oder ihm bei der Arbeit zu helfen. Jakob Frank aus Litauen, zum Beispiel, arbeitete in Prinkipo für einige Zeit, ging aber später zum Stalinismus über. Es gab auch den Fall des Mill (Paul Okun oder Obin), der auch zu den Stalinisten überlief und Trotzki und seine Mitarbeiter im Unklaren ließ, ob er nur die Seiten wechselte oder ein GPU-Agent war.

Warum wurden solche Menschen als ehrliche Mitarbeiter akzeptiert? In einer öffentlichen Stellungnahme zu Mills Verrat, wies Trotzki, darauf hin, dass

„die Linke Opposition sich in organisatorischer Hinsicht in extrem schwierigen Bedingungen befindet. Keine revolutionäre Partei hat in der Vergangenheit unter solcher Verfolgung gearbeitet. Zusätzlich zur Repression der kapitalistischen Polizei aller Länder, ist die Opposition den Schlägen der stalinistischen Bürokratie ausgesetzt, die vor nichts Halt macht … natürlich hat die russische Sektion die schwierigste Zeit … Aber einen russischen Bolschewiki-Leninisten im Ausland, selbst nur für technische Funktionen zu finden, ist eine extrem schwierige Aufgabe. Das und nur das erklärt die Tatsache, dass Mill in der Lage war, für einige Zeit in das administrative Sekretariat der Linken Opposition zu gelangen. Es gab den Bedarf nach einer Person, die Russisch spricht und in der Lage war Sekretärsaufgaben zu erledigen. Mill war mal ein Mitglied der offiziellen Partei und kann in diesem Sinne etwas persönliches Vertrauen für sich in Anspruch nehmen.“8

Rückblickend war es klar, dass der Mangel von adäquaten Sicherheitsprüfungen tragische Konsequenzen hatte. Aber die Ressourcen waren extrem begrenzt und Trotzki verstand, dass eine Furcht vor Infiltration und übertriebener Verdacht gegen jeden, der der Opposition Unterstützung anbot kontraproduktiv sein konnte. Mit seinem positiven, optimistischen Blick auf das menschliche Wesen, hatte Trotzki viel mehr eine Abscheu dagegen gehabt, Individuen Durchsuchungen und persönlichen Ermittlungen auszusetzen.

Die Ermordung Sedovs in Paris

Trotzki wollte unbedingt der Isolation Prinkipos entfliehen und ein neues zu Hause finden, das näher an den europäischen Ereignissen lag. Aber die kapitalistischen Demokratien dachten nicht daran, Trotzki das Recht auf Asyl zu gewähren. Letztlich wurde Trotzki 1933 nach Frankreich gelassen. Die sich verschärfenden politischen Spannungen und insbesondere das Wachstum der Nationalisten und faschistischen Rechten brachten die Daladier Regierung dazu, seine Ausweisung zu veranlassen. Praktisch hatte ihm bereits jede europäische Regierung Asyl versagt. Trotzki lebte, wie er schrieb, auf einem „Planeten ohne Visum“. Ausgewiesen im Jahre 1935, fand Trotzki für eine kurze Zeit Zuflucht in Norwegen, wo er 1936 die „Verratene Revolution“ schrieb.

Kurz vor seiner Ankunft in Norwegen fand der erste große Schauprozess in Moskau vor den Augen der Welt statt. Stalin übte starken Druck auf die norwegische Regierung aus, Trotzki zu beschränken, um ihm die Möglichkeit zu nehmen auf die abscheulichen Vorwürfe zu antworten, die ihm in Moskau entgegen geschleudert wurden. Um die faktische Gefangenschaft zu vermeiden, war Trotzki gezwungen eine alternative Zuflucht zu finden und akzeptierte gerne das Angebot von der Cardena Regierung für Asyl in Mexiko. Auf dem Weg, rief sich Trotzki seinen offenen Brief ans Politbüro wieder in Erinnerung, in dem er Stalins „weltweite bürokratische Verleumdungskampagne“ erahnte und Anschläge auf sein Leben vorhersagte.

Die politische Säuberung in Russland war nicht auf eine Handvoll alter Bolschewiki oder linker Oppositioneller beschränkt. Für jeden Anführer, der zum Schauprozess erschien, wurden Hunderte oder Tausende leise eingesperrt, in den sicheren Tod in den arktischen Gefangenenlagern geschickt oder in Gefängniskellern exekutiert. Mindestens acht Millionen wurden im Zuge der Säuberung verhaftet und fünf oder sechs Millionen schmorten in den Lagern – viele bis zum Tod. Zweifellos waren es die UnterstützerInnen der Linken Opposition, AnhängerInnen von Trotzkis Ideen, welche die schwerste Repression zu ertragen hatten.

Die Säuberungen in Russland standen im Zusammenhang mit Stalins direkter, konterrevolutionärer Einmischung in die Revolution und den Bürgerkrieg, der in Spanien im Sommer 1936 ausbrach. Durch die Agenten der bürokratischen Führung der Spanischen Kommunistischen Partei weitete Stalin mittels des Apparats der sowjetischen Militärberater und durch die Spezielle Eingreiftruppe der GPU seinen Terror auf die AnarchistInnen, linken AktivistInnen und insbesondere auf die TrotzkistInnen aus, die seiner Politik im Wege standen.

Währenddessen, intensivierte Stalins Geheimpolizei auch ihre Maßnahmen, um das Zentrum der Internationalen Linken Opposition zu zerstören, die von Paris unter der Anleitung von Trotzkis Sohn Leon Sedov agierte. Sedov war für Trotzki in seiner literarischen Arbeit unersetzlich. Er vorbereitete und verbreitete das Bulletin der Opposition und hielt Kontakt mit den oppositionellen Gruppen international. Aber Sedov machte auch herausragende, unabhängige Beiträge zur Arbeit der Opposition. Anfang 1938 wurde er jedoch krank mit Verdacht auf eine Blinddarmentzündung. Auf den Rat eines Mannes namens „Étienne“, der sein engster Mitarbeiter wurde, ging Sedov in eine Klinik, die gleichzeitig von „weißen“ russischen Emigranten und Russen mit bekannten stalinistischen Positionen betrieben wurde. Sedov schien sich von der Behandlung zu erholen, aber kurz darauf starb er unter extrem mysteriösen Symptomen. Die Beweise und die Meinung von mindestens einem Arzt deuteten auf eine Vergiftung hin. Eine weitere Untersuchung führte zur starken Vermutung, dass schon seine Krankheit durch ein ausgeklügeltes, praktisch unnachweisbares Gift verursacht wurde.

Trotzki schrieb eine bewegende Ehrung für seinen toten Sohn: „Leon Sedov – Sohn, Freund, Kämpfer“9. Er zollte Sedovs Rolle Anerkennung in seinem Kampf die echten Ideen des Marxismus gegen die stalinistische Perversion zu verteidigen. Aber er machte auch deutlich, wie tief der persönliche Schlag für ihn war.

„Er war ein Teil von uns“, sprach Trotzki für sich und für Natalia: „Unser Jüngster. Auf hundert Wegen reichen unsere Gedanken und Gefühle zu ihm in Paris. Zusammen mit unserem Jungen ist alles gestorben, was in uns noch jung war.“

Schließlich kam heraus, das Leon Sedov von „Étienne“ verraten wurde, der ein weitaus heimtückischerer und rücksichtsloserer GPU Agent war, als alle vorherigen Spione und Provokateure, die Trotzkis Kreis eingedrungen waren. Étienne wurde später als Mark Zborowski entlarvt, der 1950 als zentrale Schlüsselfigur im US Spionage Netzwerk der GPU enthüllt wurde. Zu dieser Zeit hatte Zborowski schon einen langen Weg aus Falschheit und Blut hinter sich. In seinem US-Gerichtsverfahren gab Zborowski zu, dass er Rudolf Klement, Erwin Wolf und Ignaz Reiss „verpfiffen“ hatte.

Zborowski stand in Kontakt mit den Agenten der Speziellen GPU Eingreiftruppe in Spanien, die für die Ermordung von Erwin Wolf verantwortlich war und solche berüchtigten Personen, wie Oberst Eitingon in ihren Reihen hatte. Es war dieser Mann, der unter zahlreichen Pseudonymen, die Ermordung zusammen mit seiner Mitarbeiterin und Geliebten, Caridad Mercader und ihrem Sohn, Ramon Mercader anführen sollte, der letztlich Trotzki umbrachte.

Der Anschlag des 24. Mai

Trotzki, Natalia Sedova und eine Handvoll seiner engsten Unterstützernnen und Unterstützer kamen im Januar 1937 in Mexiko an. Die Verwaltung von General Lazaro Cardena war die einzige Regierung auf der Welt, die Trotzki für die letzten Jahre seines Lebens Asyl gewährte. Im Gegensatz zu seinen Empfängen in anderen Ländern, bekam Trotzki einen großspurigen Staatsempfang und lebte dann in Coyoacan, einem Vorort von Mexiko City, im Haus seines Freundes und Unterstützers, Diego Rivera, einem bekannten mexikanischen Maler.

Trotzkis Ankunft fiel mit dem zweiten Moskauer Schauprozess zusammen, der kurz darauf von einem dritten noch groteskeren Prozess gefolgt wurde.

„Wie hörten Radio“, erinnert sich Natalia „lasen die Post und die Moskauer Zeitungen und wir fühlten das Irrsinn, Absurdität sowie Wut, Betrug und Blut von allen Seiten auf uns hereinstürzte, hier in Mexiko wie in Norwegen…“10

Einmal mehr enthüllte Trotzki die inneren Widersprüche der fabrizierten Beweise in diesen monströsen Komplotten und in einem Berg von Artikeln entkräftete er alle Vorwürfe gegen ihn und seine UnterstützerInnen.

Es stellte sich als machbar heraus, einen „Gegenprozess“ zu organisieren, dessen Vorsitz der liberale amerikanische Philosoph John Dewey übernahm. Diese Kommission sprach Trotzki von allen Vorwürfen frei, die gegen ihn erhoben wurden. Trotzki warnte davor, dass der Zweck der Prozesse sei, eine neue Terrorwelle zu rechtfertigen – die sich gegen alle richten würde, die auch nur die leiseste Gefahr für Stalins diktatorische Führung darstellen würden, seien es aktive GegnerInnen, potentielle bürokratische Rivalen oder einfach nur beschämende Komplizen der Vergangenheit. Trotzki war sich sehr bewusst, dass die Todesstrafe, die ihm ausgesprochen wurde, weit mehr war als nur eine platonische Bestrafung.

Seit seiner Ankunft begann die Mexikanische Kommunistische Partei, dessen Führer loyal der Moskauer Linie folgten, für Einschränkungen zu agitieren, die Trotzki davon abhalten sollten, die Schauprozessvorwürfe zu beantworten und letztlich dazu führen sollen, dass er aus dem Land geschmissen wird. Die Zeitungen und Magazine, die von der Kommunistischen Partei und von ihrem Gewerkschaftsverband CTM herausgegeben wurden, stießen einen Berg von verleumderischen Anschuldigungen aus, bis dahin, dass Trotzki einen Putsch gegen die Cardena-Regierung planen und dafür mit Faschisten und Reaktionären zusammen arbeiten würde. Trotzki war sich sehr bewusst, dass die stalinistische Presse die Sprache derjenigen Menschen sprach, die Dinge nicht mit ihrer Stimme sondern mit der Maschinenpistole entscheiden.

Mitten in der Nacht vom 24. Mai 1940 ereignete sich der erste direkte Angriff auf Trotzkis Leben. Eine Gruppe von Bewaffneten Eindringlingen verschaffte sich Zutritt zu seinem Haus, feuerte in die Schlafzimmer Salven mit Maschinenpistolen und legte Feuer, nachweisbar darauf ausgerichtet Trotzkis Archiv zu zerstören und den größtmöglichen Schaden anzurichten. Trotzki und Natalia entgingen nur knapp dem Tod, in dem sie auf dem Boden unter dem Bett lagen. Ihr Enkel Eva wurde leicht durch eine Kugel verletzte. Eine große Bombe, die von den Eindringlingen hinterlassen wurde, zündete glücklicherweise nicht. Im Nachhinein fand man heraus, dass die Eindringlinge von Robert Scheldon Harte, einem der Sicherheitsleute ins Haus gelassen wurden, der von einem der Eindringlinge, den er kannte und vertraute hereingelegt wurde. Sein Körper wurde später in einem Kalkbergwerk begraben gefunden.

Alle Beweise deuteten auf die mexikanischen Stalinisten und hinter ihnen die GPU. Durch eine detaillierte Analyse der stalinistischen Presse in den Wochen vor dem Überfall, zeigte Trotzki klar, dass sie Kenntnis von dem Anschlag hatten und sich darauf vorbereiteten. Die mexikanische Polizei verhaftete schnell einige der kleineren Komplizen und ihre Aussagen belasteten bald führende Mitglieder der mexikanischen Kommunistischen Partei. Das Verfahren führte zu David Alfaro Siquereiros, der wie Diego Rivera ein bekannter Maler war, aber im Gegensatz zu ihm ein führendes Mitglied in der Kommunistischen Partei. Siqueiros war auch in Spanien gewesen und wurde schon lange verdächtigt, Verbindungen zur GPU zu haben. Trotz des skandalösen Versuchs der Stalinisten, den Angriff als „selbstverschuldet“ darzustellen, organisiert von Trotzki um die Kommunistische Partei und die Cardena Regierung zu diskreditieren, verhaftete die Polizei einige der Anführer inklusive Siqueiros. Jedoch wurden sie auf Druck von der Kommunistischen Partei und der CTM im März 1941 wieder freigelassen aufgrund eines „Mangels an Material und belastenden Beweisen“!

Siqueiros leugnete nicht mal seine Rolle in dem Angriff. Tatsächliche rühmte er sich öffentlich damit. Allerdings versuchte sich die Führung der Kommunistischen Partei, peinlich berührt, nicht von dem Angriff, aber der Art und Weise wie es vermasselt wurde, zu distanzieren und beschuldigte eine Bande von „unkontrollierbaren Elementen“ und „Provokateuren“.

Die stalinistische Presse schwankte dazwischen Siqueiros als einen Held auf der einen Seite und als „halb-verrückten Wahnsinnigen“ auf der anderen darzustellen, der sogar von Trotzki bezahlt werden würde! Mit der schamlosen „Logik“, dass der Angriff eine Provokation sei, der gegen die Kommunistische Partei und gegen den mexikanischen Staat gerichtet sei, verlangten sie, dass Trotzki sofort ausgewiesen werden sollte.

Jedenfalls gab 38 Jahre später ein führendes Mitglieder der mexikanischen Kommunistischen Partei die Wahrheit zu. In seinen Memoiren, „Mein Zeugnis“, veröffentlicht im eigenen Verlag der mexikanischen Kommunistischen Partei, widersprach Valentin Campa, ein langjähriges Mitglied der Partei, glanzlos der Nichteinmischung der Partei und verriet Details der Vorbereitungen des Anschlags auf Trotzkis Leben.

Campa erinnert sich, wie er im Herbst 1938 zusammen mit Raphael Carriloo von Herman Laborde einbestellt und über eine „extrem vertrauliche und delikate Affäre“ informiert wurde. Laborde erzählte ihnen, dass sie von einem Delegierten der Komintern – in Wirklichkeit ein Repräsentant der GPU – besucht wurden, der sie über die „Entscheidung Trotzki zu eliminieren“ informierte und sie um ihre Kooperation bat. Nach einer „lebhaften Analyse“ sagt Campa jedenfalls, dass sie den Vorschlag ablehnten:

„Wir kamen zu der Schlussfolgerung … dass Trotzki politisch erledigt sei und sein Einfluss fast null, wie wir das schon so oft überall in der Welt sagten. Außerdem wäre das Ergebnis seiner Elimination, dass Ende der mexikanischen KP, der revolutionären Bewegung in Mexiko und der kommunistischen Bewegung der Welt. Wir kamen deshalb zu dem Schluss, dass die Elimination Trotzkis klar ein ernster Fehler sei.“

Für ihre Opposition wurden Laborde und Campa des „sektiererischen Opportunismus“ beschuldigt und dass sie „soft zu Trotzki“ seien. Sie wurden aus der Partei geschmissen.

Die Kampagne, um die mexikanische Kommunistische Partei für die Ermordung Trotzkis vorzubereiten wurde von einer ganzen Anzahl von stalinistischen Führern durchgeführt, die alle darin erfahren waren, rücksichtslos die Anweisungen ihrer Vorgesetzten in Moskau auszuführen: Siqueiros selbst, der aktiv in Spanien war und wahrscheinlich ein GPU Agent seit 1928; Vittoria Codovila, eine argentinische Stalinistin, die in Spanien unter Eitingon operierte, wahrscheinlich involviert in die Folter und Ermordung des POUM-Führers Andreas Nin; Pedro Checa, ein Führer der Spanischen Kommunistischen Partei, exiliert in Mexiko, der seinen Decknamen sogar von der sowjetischen Geheimpolizei Tscheka ableitete und Carlos Contreras, alias Vittorio Vidali, der in der Speziellen Eingreiftruppe der GPU in Spanien unter dem Decknamen „General Carlos“ aktiv war. Ihre Anstrengungen zu koordinieren war die Aufgabe des allgegenwärtigen Oberst Eitingon.

Stalin bereitet neuen Anschlag vor

Nach dem Fehlschlag durch Siqueiros und seiner Gruppe, Trotzkis Haus im Sturm zu nehmen, schrieb Campa „wurde eine dritte Alternative angewendet. Raymond Mercader, der unter dem Pseudonym Jacques Mornard lebte, ermordete Trotzki am Abend des 20. August, 1940.“

Trotzki sah sein Entkommen von Siqueiros Überfall als eine „Erleichterung“:

„Unsere frohen Gefühle von Erlösung“ schrieb Natalia im Nachhinein „wurden durch die Möglichkeit eines neuen Angriffs gedämpft und der Notwendigkeit sich darauf vorzubereiten.“11

Die Verteidigung von Trotzkis Haus wurde verstärkt und neue Vorkehrungen getroffen. Aber unglücklicherweise – tragischer Weise – wurden keine Anstrengungen unternommen den Mann genauer zu prüfen, der schließlich der Mörder wurde, trotz der Vorbehalte, den verschiedene Mitglieder des Haushaltes gegenüber diesem merkwürdigen Charakter hatten.

Trotzki widersetzte sich einigen der zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen, die ihm von seinen Sicherheitsleuten empfohlen wurden: Eine Wache, die die gesamte Zeit bei ihm ist, zum Beispiel.

„Es war unmöglich, sein Leben komplett auf Selbstverteidigung umzustellen,“ schrieb Natalia „weil in diesem Fall alles verloren ist, was im Leben einen Wert hat.“

Nichtsdestotrotz, waren im Hinblick auf die lebenswichtige, unverzichtbare Natur von Trotzkis Arbeit und der Unvermeidbarkeit eines neuen Anschlags auf sein Leben, einige sehr ernste Defizite in seiner Sicherheitspolitik. Schärfere Maßnahmen wären notwendig gewesen. Kurz vor Scheldon Hartes Verrat, zum Beispiel, bemerkte Trotzki, dass er allen Arbeitern, die an der Befestigung des Hauses arbeiten, freien Zugang zum und runter vom Hof gewährte. Trotzki beschwerte sich bei ihm, dass es sehr nachlässig sei und fügte hinzu – ironischer Weise wenige Wochen vor seinem tragischen Tod – „du könntest eins der ersten Opfer deiner eigenen Nachlässigkeit werden.“12

Mercader hat Trotzki das erste Mal einige Tag nach Siqueiros‘ Überfall getroffen. Aber die Vorbereitungen für seinen Anschlag waren schon lange vorher getroffen worden. Durch Zborowski und andere GPU Agenten, die Trotzkis Unterstützer in den Vereinigten Staaten infiltriert hatten, wurde Mercader in Frankreich Sylvia Ageloff vorgestellt, einer jungen amerikanischen Trotzkistin, die nach Coyoacan ging, um für Trotzki zu arbeiten. Der GPU-Agent schaffte es Sylvia Ageloff zu überzeugen und machte sie zur ungewollten Komplizin seines Verbrechens.

Mercader hatte eine „ausgearbeitete Tarnung“, die obwohl sie viel Verdacht erregte, unglücklicherweise zu ihrem Zweck reichte. Mercader trat der Kommunistischen Partei in Spanien bei und wurde in ihr in der Periode von 1933 bis 1936 aktiv, wo sie bereits eine stalinistische Partei war. Wahrscheinlich trat er durch seine Mutter, Caridad Mercader, die schon eine GPU Agentin war und mit Eitingon verbunden, auch der GPU bei. Nach der Niederlage der Spanischen Republik, befördert durch Stalins Sabotage der Revolution, ging Mercader nach Moskau, wo er für seine zukünftige Rolle vorbereitet wurde. Nach einem Treffen mit Ageloff in Paris 1938 begleitete er sie nach Mexiko im Januar 1940 und integrierte sich teilweise in die Mitglieder von Trotzkis Haushalt.

Nachdem er die Akzeptanz von Trotzkis Haushalt gewonnen hatte, arrangierte Mornard ein persönliches Treffen mit Trotzki, um einen Artikel zu diskutieren, den er geschrieben hatte und den Trotzki für peinlich banal und bar jeden Interesses hielt. Das erste Treffen, war klar eine „Generalprobe“ für die wirkliche Ermordung.

Das nächste Mal kam er am Morgen des 20. August. Trotz der Missbilligung von Natalia und Trotzkis Wachen, wurde es Mornard wieder gestattet Trotzki allein zu sehen – „drei oder vier Minuten vergingen“ erinnert sich Natalia, „Ich war im Zimmer nebenan. Dann gab es einen furchtbar stechenden Schrei… Lew Dawidowitsch erschien, am Türrahmen lehnend. Sein Gesicht war mit Blut bedeckt, seine blauen Augen funkelten ohne Glanz und seine Arme hingen lose an seiner Seite.“

Mornard hatte Trotzki einen schweren Schlag in seinen Hinterkopf versetzt, mit einem Eispickel, der in seinem Regenmantel versteckt gewesen war. Aber der Schlag war nicht sofort tödlich. Trotzki „schrie sehr lang, unendlich lang“ wie es Mercader selbst beschrieb – und er rang mutig mit seinem Mörder, um weitere Schläge zu verhindern.

„Der Doktor sagte, dass die Verwundung nicht sehr ernst sei.“ sagte Natalia. „Lew Dawidowitsch hörte ihm ohne jede Emotion zu, als ob ihm jemand eine gewöhnliche Nachricht überbrachte. Auf sein Herz zeigend, sagte er ‘Ich fühle … hier .. dass es das Ende ist … diesmal … haben sie es geschafft.“13

Trotzki wurde ins Krankenhaus gebracht, operiert und überlebte für mehr als einen Tag bevor er im Alter von 62 Jahren am 21. August 1940 starb.

Mercader schien darauf gehofft zu haben, dass nach der milden Behandlung Siqueiros’, er vielleicht auch eine leichte Strafe bekommen würde. Aber er wurde zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt, die er absaß. Trotzdem hatte er sich sogar nach dem seine Identität mit Fingerabdrücken und anderen Beweisen ausreichend festgestellt war, geweigert zuzugeben, wer er war oder wer ihm befohlen hatte, Trotzki umzubringen. Obwohl das Verbrechen überall Stalin und der GPU zugeschrieben wurde, haben die Stalinisten jede Verantwortung geleugnet. Es gibt jedenfalls den indirekten Beweis, dass Mercaders Mutter, die zusammen mit Eitingon aus Mexiko geflohen war, zu Stalin gebracht wurde und mit hohen bürokratischen Ehren für sich und ihren Sohn ausgezeichnet wurde. Mercader selbst wurde geehrt als er nach seiner Freilassung nach Osteuropa zurückkehrte. Trotz seiner Verschwiegenheit stellt eine Kette von Beweisen, die jetzt mit dem Zeugnis von russischen Spionen gegenüber Gerichten in den USA, von Top-GPU-Agenten, die in die westlichen Länder zu verschiedenen Zeiten übergelaufen sind und den späten Memoiren von stalinistischen Führern selbst, rekonstruiert werden kann, eine Verbindung von Mercader zu Stalins geheimer Terrormaschine in Moskau her.

Letztlich war Stalin damit erfolgreich den Mann umzubringen, der – neben Lenin – zweifellos einer der größten revolutionären Führer in der Geschichte war. Aber, wie Natalia Sedova später schrieb:

„Die Strafe wird die widerwärtigen Mörder ereilen. Während seines gesamten heroischen und schönen Lebens, hat Lew Dawidowitsch an die emanzipierte Menschheit in der Zukunft geglaubt. Während der letzten Jahre seines Lebens, ist sein Vertrauen nicht erschüttert, sondern wurde im Gegenteil nur erwachsener, stärker als je zuvor. Die zukünftige Menschheit, emanzipiert von aller Unterdrückung wird über jeden Zwang triumphieren …“14

Trotzkis Vermächtnis

Es wurden viele Versuche unternommen, Trotzki, als eine „tragische“ Figur darzustellen, als ob die Perspektive der sozialistischen Revolution in den kapitalistischen Ländern und die politische Revolution in der Sowjetunion „edel“ wäre, aber hoffnungslos idealistisch. Das ist die Ansicht in Isaac Deutschers drittem Band seiner Trotzki Biographie „Der verstoßene Prophet“, in der er Trotzkis Anstrengungen verunglimpft, eine neue marxistische Führung zu reorganisieren und wieder zu bewaffnen und seine beharrlichen und mühsamen Anstrengungen als aussichtslos abtut.

Aber wenn es ein tragisches Element in Trotzkis Leben gab, dann, dass sein gesamtes Leben und seine Arbeit nach der siegreichen Russischen Revolution untrennbar mit dem revolutionären Kampf der internationalen Arbeiterklasse verbunden war – in einer Periode erst von Rückzügen und dann von katastrophalen Niederlagen. Gerade weil Trotzki eine führende Rolle in der Oktoberrevolution gespielt hatte, sorgte seine Vergangenheit dafür, dass er mit dem Abebben der Revolution ins Exil und in die politische Isolation gezwungen werden würde. Aber während Feiglinge und Skeptiker marxistische Perspektiven ablegten und ihren Frieden entweder mit dem Stalinismus oder dem Kapitalismus machten – oder sogar beidem – hat Trotzki und die kleine Handvoll, die den Ideen der Opposition verbunden blieben, gekämpft eine neue Generation revolutionärer Führer wieder zu bewaffnen für den zukünftigen Wiederaufstieg der Arbeiterbewegung.

1Siehe: Leo Trotzki, Tagebuch im Exil, dtv, 1. Januar 1962

2ebenda

3ebenda

4ebenda

5siehe: Writings of Leon Trotsky, Pathfinder Press, Juni 1976

6ebenda

7siehe: Leo Trotzki, Tagebuch im Exil

8siehe: Writings of Leon Trotsky

9siehe: Writings of Leon Trotsky 1937/1938

10siehe: Victor Serge, Natalia Sedova: Life and Death of Leon Trotsky

11siehe: Natalia Sedova, Vater und Sohn

12ebenda

13siehe: Victor Serge, Natalia Sedova, Life and Death of Leon Trotsky

14siehe: Natalia Sedova, Wie es geschah, November 1940).

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