USA: Die Linke nach Sanders

Bernie Sanders Foto: https://www.flickr.com/photos/96739999@N05/ CC BY-NC-ND 2.0

Joe Biden gegen Donald Trump unterstützen oder unabhängige Position einnehmen?

„Daher beende ich heute meine eigene Kampagne und gratuliere Joe Biden, einem sehr anständigen Mann, zu seinem Sieg“ (Bernie Sanders am 08. April 2020)

Bernie Sanders’ Kampagne um die Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat im laufenden Wahlkampf endete Anfang diesen Jahres. Viele liberale und fortschrittliche Wähler*innen sowie einige Sozialist*innenen waren schockiert und enttäuscht, als Sanders plötzlich aus dem Rennen um die Präsidentschaft ausstieg. Einige Organisationen, die nach amerikanischen Maßstäben als links gelten oder die sich selbst als links bezeichnen, wie die DSA (Democratic Socialists of America), hatten Sanders und seine Kampagne in den Wahlkämpfen 2015/16 sowie 2019/20 unterstützt.

von Jeff Booth und Elisabeth Wichser

Vor Sanders’ „Rückzug“ gab es mindestens drei Telefonate zwischen ihm und Ex-Präsident Barack Obama. Vertreter*innen seines Wahlkampfteams und Vertreter*innen von Joe Biden arbeiteten drei Wochen vor dem 8. April an einer Strategie, wie man Sanders-Unterstützer*innen überzeugen könne, dass Biden zumindest einige fortschrittliche Forderungen von Sanders übernehmen würde.

Nach seinem Rückzug versprach Sanders, energisch für Biden zu kämpfen und beschwor seine Unterstützer*innen, es sei verantwortungslos, nicht für Biden zu stimmen. Bevor Sanders ihm den Sieg überließ, erklärte er noch, Biden repräsentiere alles, was an den Demokraten falsch sei. Seit dem Ende seiner Kampagne redet Sanders öffentlich über seine Freundschaft zu Biden und sagt „Wir brauchen Dich (Biden) im Weißen Haus.“

Er versuchte sogar, seine verbleibenden Unterstützer*innen einzuschüchtern: „Die Kampagne des Senators von Vermont (Sanders, A.d.Ü.) hat einige Unterstützer, die ihn in diesem Jahr repräsentieren sollten, dazu aufgefordert, Vereinbarungen zu unterzeichnen, die Angriffe auf andere Kandidaten oder Parteiführer in den sozialen Medien oder bei Gesprächen mit Reportern ohne Berechtigung ausschließen.“ (Washington Post, 20. Mai 2020)

Seit Sanders begonnen hat Joe Biden zu unterstützen, hat dieser lediglich die Forderung nach kostenlosem Studium für Angehörige aus Familien mit einem Jahreseinkommen unter 125.000 US-Dollar aufgegriffen. Diese Forderung ist sehr populär, doch unterliegt Biden – abgesehen von seinen Lippenbekenntnissen – weder außerhalb noch innerhalb der Demokratischen Partei keinerlei Rechenschaft, die sicherstellen könnte, dass diese Forderung umgesetzt wird, sobald Biden im Amt ist.

Biden hat die zentrale Forderung der Sanders-Kampagne „Medicare (die staatliche Krankenversicherung für alte und behinderte Menschen, A.d.Ü.) for all“ als zu teuer abgelehnt. Das geschah vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie, die das Desaster von „Obamacare“ und der privaten, profitorientierten Krankenversicherungen offenbarte, die den Bedarf an gesundheitlicher Versorgung schamlos ausbeuten.

Politisches Vakuum auf der Linken

Sanders zog sich aus dem demokratischen Kandidat*innenenfeld zurück, als das Covid-19-Virus begann, die US-amerikanische Gesellschaft zu zerreißen und eine bereits angeschlagene Wirtschaft zu demolieren. Eine schleichende Rezession verwandelte sich in den schwersten Abschwung seit der Großen Depression von 1929-41. Die Mehrheit der Amerikaner*innen sieht sich mit  Massenarbeitslosigkeit sowie unsicherer Wohnungs- und Ernährungslage konfrontiert. In der vergangenen Woche beantragten 1,3 Millionen Menschen Arbeitslosenunterstützung und wurden damit Teil des arbeitslosen Drittels unter den Arbeiter*innen. Ein kürzlich erschienener Artikel der Agentur Bloomberg berichtet, dass zwei Drittel der New Yorker zur Miete wohnen, was die Stadt zum größten Wohnungsmarkt der USA macht. Bei steigender Arbeitslosigkeit und Mieten doppelt so hoch wie der Landesdurchschnitt, geht die Rechnung nicht mehr auf. Nach Angaben des CHIP (Community Housing Improvement Program, einer Gruppe, die überwiegend Vermieter repräsentiert) haben ein Viertel der Wohnungsmieter*innen seit März ihre Miete nicht mehr bezahlt.

Sanders nannte seine Kampagne selbst eine Bewegung, eine politische Revolution. Unmittelbar nachdem Sanders begonnen hatte, Biden zu unterstützen, erweckte der Mord an George Floyd durch einen Polizisten am 25. Mai die Black Lives Matter (BLM) Bewegung zu neuem Leben. Aus massiven Protesten wurde ein Aufstand, die größte Massenbewegung seit Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre. In dieser extrem wichtigen Bewegung haben weder Bernie Sanders, noch andere fortschrittlich populistische Demokraten wie Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) ein besonderes Standing. Joe Biden steht hier ebenfalls im Abseits.

Im Gegenteil, Sanders, AOC und die sogenannte “Linke” der Demokraten scharten sich um Biden und richteten ihre Aktivitäten auf innerparteiliches Geplänkel, unterstützten andere Demokraten bei den Vorwahlen und drückten sich darum, ernsthafte antirassistische Politik zu betreiben, während tausende gegen Rassismus demonstrierten und im ganzen Land, in großen und kleinen Städten, die Polizeigewalt explodierte.

Es gibt ein politisches Vakuum auf der Linken. Die Vereinigten Staaten haben keine Massenpartei der Arbeiter*innenklasse – egal welcher Tradition. Keine Sozialistische, keine Kommunistische, keine Labour- oder Sozialdemokratische Partei. Die Demokratische Partei ist eine angepasste, kapitalistische Partei, ein Wahl-Etikett, das von einer Firma mit dem Namen Democratic National Committee, DNC, vermarktet wird. Die Demokratische Partei der USA ist heute keine sozialdemokratische Partei und ist es in ihrer Geschichte niemals gewesen. Sie hat keine wirklichen Mitglieder oder demokratische Mitgliederstrukturen, keine formalen Verbindungen zu Gewerkschaften, sie enthält keine Massenorganisationen und wird letztlich von den reichen Kapitalisten kontrolliert. Die amerikanische Arbeiter*innenklasse hat keine politische Interessenvertretung. Es gibt keine Massenpartei mit linker Tradition, nicht einmal mit einer reformistischen.

Das Grundproblem der amerikanischen Arbeiter*innenklasse, der kleinen Linken und den wirklich fortschrittlichen Kräften in den USA besteht darin, dass es bis heute nicht gelungen ist, eine Massenpartei der Arbeiter*innenklasse aufzubauen. Karl Marx und Friedrich Engels, die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, brachten dieses Problem schon früh international in der sozialistischen Bewegung zur Sprache:

„Selbst da, wo gar keine Aussicht zu ihrer Wahl vorhanden ist, müssen die Arbeiter ihre eigenen Kandidaten aufstellen, um ihre Selbständigkeit zu bewahren, ihre Kräfte zu zählen, ihre revolutionäre Stellung und Parteistandpunkte vor die Öffentlichkeit zu bringen. Sie dürfen sich hierbei nicht durch die Redensarten der Demokraten bestechen lassen, wie z.B., dadurch spalte man die demokratische Partei und gebe der Reaktion die Möglichkeit zum Siege. Bei allen solchen Phrasen kommt es schließlich darauf hinaus, dass das Proletariat geprellt werden soll. Die Fortschritte, die die proletarische Partei durch ein solches unabhängiges Auftreten machen muss, sind unendlich wichtiger als der Nachteil, den die Gegenwart einiger Reaktionäre in der Vertretung erzeugen könnte.“ (Marx/Engels, Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850)

In den USA ist es ein geflügeltes Wort unter Linken und fortschrittlichen Aktivist*innen, dass die Demokratische Partei der Friedhof sozialer Bewegungen ist. Wenn es der Demokratischen Partei nicht gelingt, eine soziale Bewegung zu kontrollieren oder zu vereinnahmen, deren Energie in die Demokratische Partei zu lenken, dann wird sie mit anderen kapitalistischen Institutionen zusammenarbeiten, um zu verhindern, dass links von ihr eine Bewegung oder Partei an Einfluss gewinnen kann.

Sanders und andere Demokraten reden manchmal von sozialen Bewegungen, aber sie nutzen ihre Ressourcen oder Einfluss niemals um Massenbewegungen aufzubauen. Sie verteidigen den kapitalistischen Status Quo, Demokratische Parteipolitik als Organisation. Sanders Forderung „Medicare for all“ blieb im Rahmen der demokratischen Wahlkampagne. Jetzt unterstützt Sanders Biden und die Demokratische Partei, die beide „Medicare for all“ ablehnen.

Schließlich steht Sanders da mit einem Anspruch, die Demokratische Partei zu reformieren, was er in den frühen siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als er noch Sozialist war, für ein schmerzhaftes und hoffnungsloses Unterfangen hielt. 1989 sprach Sanders, als er noch Bürgermeister von Burlington, Vermont, war in New York auf der Gründungskonferenz der “Kampagne für eine Labor Party” neben dem britischen marxistischen Parlamentsabgeordneten Terry Fields, der ein Unterstützer des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) war. Seitdem hat sich Sanders von der Forderung nach einer Arbeiter*innenpartei verabschiedet und in Richtung der Demokraten bewegt.  Spätestens seit den frühen neunziger Jahren kann man ihn nicht mehr als Sozialisten bezeichnen, selbst wenn er dieses Label bis heute trägt.

Die anstehende Präsidentschaftswahl

Trump ist deprimiert von seinen Umfrageergebnissen. Er rutscht in den Umfragen ab, weil er die Kreise der Kapitalisten unterstützt, die Arbeiter*innen in die gefährlichen Jobs mit direktem Kontakt zu anderen Menschen (“face-to-face jobs”) zurückdrängen wollen, während COVID-19 noch um sich greift.

Bidens Kampagne steht praktisch still. Wenn man von ihm hört, handelt es sich fast immer um Antworten auf Trumps letzten rechtslastigen Tweed, besonders wenn Trump die Gefahr von COVID-19 herunterspielt. “Trump passt nicht in dieses Amt” ist ein geflügeltes Wort Bidens, mit eigenen, vorwärts weisenden Forderungen hält er sich zurück.

Die „Dump Trump“-Stimmung („Trump in die Tonne“) unter Arbeiter*innen, Angestellten und Jugendlichen ist gut verständlich. Fatalerweise befördern linke politische Organisationen, die es besser wissen sollten, eine Dynamik, für eine der beiden großen Parteien die Stimme abzugeben. Das kleinere Übel zu wählen ist das beste, das viele linke Gruppen angesichts der kapitalistischen Krise anzubieten haben. Die gängigste Anwendung dieser Kleineres-Übel-Haltung kommt in der Parole „Vote blue – no matter who“ (Wähl Blau, egal wen – Blau ist die Parteifarbe der Demokraten, A.d.Ü.) zum Ausdruck, weil die Republikaner schlimmer als die Demokraten angesehen werden.

Viele der größten Städte der USA haben eine Ein-Parteien-Regierung der Demokraten, in manchen  Bundesstaaten getoppt durch eine staatliche Legislative der Demokraten. In den Clinton- und Obama-Legislaturen gab es Jahre, in denen die  Demokratische Partei den Präsidenten stellte und den Kongress kontrollierte, neben der Dominanz in vielen Städten und Bundesstaaten. Diese Dominanz hat nicht verhindert, dass die Demokratische Partei eine Politik der Umverteilung von unten nach oben, Verarmung ganzer Regionen und Bevölkerungsschichten, Polizeiwillkür und systematischem Rassismus betrieben hat. Wachsende Ungleichheit gedeiht unter einer Politik des kleineren Übels! Demokratische und Republikanische Partei sind nicht dasselbe. Ihre Schnittmenge besteht jedoch darin, Kapitalismus und Imperialismus bedingungslos zu verteidigen und die Herrschaft des Big Business über Politik und Gesellschaft sicher zu stellen.

Trotz der sich vertiefenden Rezession, fortgesetzten schlechten Nachrichten über die Auswirkungen der Pandemie und wachsendem Hass auf Trump gibt es unter fortschrittlich eingestellten Menschen und Linken wenig Enthusiasmus für Biden. Es gibt eine wachsende Schicht von Lohnabhängigen und Jugendlichen, die ihre Stimmen nicht an einen weiteren kapitalistischen Politiker verschwenden wollen.

Biden ist eindeutig eine Marionette der „Milliardärsklasse“, wie die Sanders Kampagne es ausdrückte. Erst am 30. Juni 2020 titelte das Forbes Magazin genüsslich „Biden hat 106 Millardärs-Spenden, Trump hat 93“. In den sozialen Medien sammeln Aktivist*innen Schandtaten aus Bidens politischer Vita. Von seiner früheren Unterstützung der so genannten “Rassentrennung”, seiner Unterstützung für Massen-Inhaftierungen als Architekt des Federal Crime Bill von 1994 bis zu den zahllosen Vorwürfen sexueller Belästigung.

In Abwesenheit einer Arbeiter*innen-Massenpartei oder linken Partei ist es verständlich, dass individualisierte Wähler*innen und unerfahrene Aktivist*innen Illusionen in einen fortschrittlichen Populisten wie Sanders entwickeln. Sogar linke Organisationen und Kleinparteien kommen unter den Einfluss der Demokratischen Partei und versuchen, die Partei von innen zu reformieren (Obwohl es dieses Innen im Sinne einer echten Mitgliedschaft und Parteidemokratie nicht gibt, nur Wähler*innen, Kampagnen-Mitarbeiter*innen und Erlasse des DNC). Die fortgesetzte Dominanz der Demokratischen und Republikanischen Partei über die US-Politik ist ein wichtiger Grund für den gravierenden Niedergang der Arbeiter*innenbewegung und die chronisch schlechten Sozialleistungen.

Bestandsaufnahme der US-Linken

Historisch gesehen enden viele Linke als Anhängsel der Demokratischen Partei. Das gilt bis heute. Die größte linke Gruppe, die DSA (Democratic Socialists of America) möchte gerne der offizielle linke Flügel der Demokratischen Partei sein. Sie berufen sich dabei auf eine inside/outside (drinnen/draussen) Strategie. In der Praxis bedeutet das eine Unterstützung und Kampagnenarbeit für fortschrittliche Kandidat*innen der Demokraten. Dabei tritt die DSA häufig als Stellvertreterin der Demokraten auf. In ihrer Quintessenz vertritt die DSA liberale Positionen, was innerhalb der DSA zunehmend auf Widerstand kleinerer linker Fraktionen stößt, die sich innerhalb der DSA bildeten, während diese wuchsen.

Nach Sanders’ Kampagnen von 2015/16 und 2019/20 erlebten die DSA ein relativ starkes Wachstum an Mitgliedern. Derzeit geben sie ihre Mitgliedschaft mit 70.000 an, die Zahl der Aktiven ist unbekannt.

Auf der DSA-Konferenz 2019 gab es keine Anstalten, die Unterstützung für Kandidat*innen der Demokraten zu beenden, stattdessen wurde lediglich eine Resolution verabschiedet, die besagte, dass „die DSA keinen anderen demokratischen Kandidaten unterstützen, falls Bernie Sanders sich nicht durchsetzt“.

Diese Resolution war ein kleiner Schritt vorwärts, jedoch ohne praktische Bedeutung, bis Sanders seine Kampagne plötzlich beendete. Bis zu diesem Punkt gab es innerhalb der DSA große Illusionen, dass Sanders das Rennen innerhalb der Demokraten für sich entscheiden könnte. Die Resolution betrifft nur die Präsidentschaftswahl. Die DSA unterstützt nicht Joe Biden, jedoch andere Demokraten, die sich nicht um die Präsidentschaft bewerben.

DSA-Mitglieder und erst recht Demokraten, die von den DSA unterstützt werden, sind nicht an Resolutionen des Parteikonvents gebunden. Es ist gut möglich, dass die DSA von Sanders und den Demokraten unter Druck gesetzt werden und die Verweigerung einer Unterstützung für Biden bis zu den Wahlen im November noch bröckeln wird. Es kann sein, dass die DSA eine formale Rücknahme des Beschlusses versucht oder in der Praxis dieser ignoriert und DSA-Mitglieder für Biden Wahlkampf machen und ihre Stimme abgeben.

Viele kleine linke oder sich als links verstehende Gruppen, wie die Kommunistische Partei, Socialist Alternative, die Party of Socialism and Liberation, Workers World und andere haben ihre eigene Variante entwickelt, die Demokraten zu unterstützen. Mit einer Strategie des “all in” oder eines “drinnen und draußen”, sind sie Sanders und anderen “progressiven” Demokraten gefolgt, die “links” erscheinen. Einige sind einen Zick-Zack-Kurs gefahren und haben Sanders nicht dafür kritisiert, dass er innerhalb der Demokratischen Partei angetreten war, um als er den Rückzug antrat, plötzlich wieder von einer neuen Partei zu sprechen. 

Einige kleinere linke Gruppen und Splitter von kleinen linken Gruppen, die vom Wachstum der DSA eingeschüchtert wurden, haben eine opportunistische Herangehensweise an die DSA kultiviert. Sie kopieren Elemente der DSA-Orientierung auf eine Reform der Demokraten oder lösen sich in den DSA auf. Eine kleine, aber innerhalb der Linken gut bekannte Organisation war die ISO (International Socialist Organisation). Sie löste sich unter internen Spannungen, unter anderem zur Frage der Sanders-Unterstützung, in den DSA auf.

Die DSA und kleinere linke Gruppen reagierten überwiegend mit Bedauern, als Sanders zweimal seine Bewerbung zurückzog. Ihre Analyse der Ereignisse geht in die Richtung, die korrupte und angepasste Natur der Demokratischen Partei zu kritisieren, ohne wenigstens eine elementare materialistische Analyse vorzunehmen. Auf magische Weise gelingt es ihnen, Bernie Sanders von den Demokraten zu trennen und den Kandidaten einer pro-kapitalistischen Partei zu unterstützen. Sanders hat sich seit den frühen neunziger Jahren an die Demokraten angelehnt und mitgeholfen, diese aufzubauen.

Andere kleinere Gruppen haben nicht vor den Demokraten-mit-einem-Sanders-Gesicht kapituliert. Einige haben sich davon verabschiedet, Wahlkampf zu machen oder sich zu Wahlen zu äußern. Andere sitzen diesen Wahlkampf scheinbar aus, aus Angst Druck von den Liberalen zu bekommen, für die Demokraten zu stimmen.

Andere kleinere linke Gruppen unterstützen die ökosozialistische Präsidentschaftskampagne des links-grünen Howie Hawkins. Seine Kampagne hat ein ernsthaftes Programm, deutlich links von allen Demokraten, einschließlich Sanders. Sie fordern einen ökosozialistischen Green New Deal, eine ökonomische Bill of Rights (Ökonomische Grund- oder Menschenrechte in Anlehnung an die Zusätze zur Amerikanischen Verfassung, A.d.Ü.) und eine sozialistische Wirtschaftsweise.

Aus den Trümmern von Sanders erster Kampagne hat ein hochrangiger Kampagnenleiter das Movement for a People’s Party (MPP) gegründet. Diese Formation ist fortschrittlich und linksorientiert, ist aber im Wesentlichen in den sozialen Medien präsent. Sie entwickeln ein Programm und rekrutieren Unterstützer*innen.

Doch auch MPP folgt teilweise einer Art von inside/outside-Strategie gegenüber der Demokratischen Partei. Sie bieten in ihren öffentlichen Auftritten Demokraten eine Plattform zum Sprechen und nehmen an diesen Wahlen nicht teil. Trotz dieser Schwächen haben sie Potenzial, zu wachsen.

Jede linke oder fortschrittliche Organisation oder jede*r prominente linke Aktivist*in in den USA wird mit voller Wucht vom liberalen Establishment, das mit der Demokratischen Partei verbunden ist, attackiert. Die offiziellen Medien werden Druck auf jeden ausüben, der sich weigert Biden und andere Demokraten zu unterstützen, weil sie Angst vor der unabhängigen Selbstorganisation der Menschen aus der Arbeiter*innenklasse haben. Die ganze Wut der liberalen Eliten und NGO-Karrierist*innen kommt alle vier Jahre zum Vorschein. Ein Beispiel dafür ist der Offene Brief an die Grüne Partei vom Januar 2020, verfasst von prominenten Liberalen und linken Lichtgestalten wie Noam Chomsky, Barbara Ehrenreich und anderen, in dem sie unter anderem feststellen, dass die Grüne Partei verantwortlich für Hillary Clintons Niederlage in der Wahl 2016 war. Sie drängen die Grünen, einschließlich Hawkins, nicht in Staaten anzutreten, wo sie die Demokraten Stimmen kosten könnten und stellen fest, dass „… echte Lösungen voraussetzen, dass Trump sein Amt verliert. Echte Lösungen werden selbst etwas wahrscheinlicher, mit einem wie Biden im Amt”. Dieser offene Brief ist ein Beispiel für die schmutzige Art, wie viele sogenannte und selbsternannte Linke die Demokratische Partei pushen und damit Jahr für Jahr bei den Versuchen, eine politische Kraft links der Demokraten aufzubauen, eine Vorstufe für eine Arbeiter*innenpartei zu schaffen, großen Schaden anrichten.

Die Howie Hawkins-Kampagne, die Anfänge der MPP und einige unabhängige linke Kampagnen und die Forderungen, die von diesen Organisationen verbreitet werden, können Schritte in Richtung einer zukünftigen Arbeiter*innenpartei sein. Enorme politische und wirtschaftliche Veränderungen in den USA, verbunden mit beharrlich wachsender Unterstützung für Sozialismus zeigen, dass es für eine echte sozialistische Bewegung Herausforderungen und Möglichkeiten gibt. Eine Umfrage des Pew Research Institute, einem überparteilichen Meinungsforschungs-Institut, ergab, dass vier von zehn US-Amerikaner*innen eine positive Meinung über Sozialismus haben, weil dadurch Gleichheit befördert werde. Dabei variierte allerdings die Vorstellung von Sozialismus erheblich von sozialdemokratischen Vorstellungen bis zu echtem Sozialismus.

Die Independent Socialist Group (ISG) ist eine neue Gruppe mit einem revolutionär-sozialistischen Programm. Wir stehen in politischer Solidarität mit dem Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale. Wir unterstützen weder Sanders noch andere Kandidat*innen der Demokraten. Wir forderten Sanders auf, unabhängig zu kandidieren und dazu beizutragen, eine Arbeiter*innenpartei aufzubauen. Wir sind freundlich in die Debatte mit Sanders Unterstützer*innen getreten und fordern sie weiterhin auf, mit uns gemeinsam die Auseinandersetzungen für fortschrittliche Forderungen zu führen. Wir fordern sie auf, gemeinsam in kommunalen Auseinandersetzungen, Arbeitskämpfen und bei linken politischen Kämpfen zu handeln.

Wir wollen einen Beitrag zur Überwindung der kapitalistischen Herrschaft durch die Arbeiter*innenklasse in den USA leisten. Unsere Aktivitäten reichen von Unterstützung der Black Lives Matter-Bewegung bis zum Aufbau demokratischer, solidarischer und kämpferischer Strukturen in der Arbeiter*innenbewegung, um die politische Unabhängigkeit der US-Arbeiter*innenklasse zu erreichen. Wir leisten einen Beitrag, um fortschrittliche linke Kräfte zu einer breiten Massenpartei der Arbeiterklasse zu formen, als Teil eines Kampfes für revolutionären Sozialismus.

Jeff Booth und Elisabeth Wichser sind Mitglieder der Independent Socialist Group (ISG) in den USA.

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