Bei allem nötigen Respekt: no, we can’t, no, we won’t

Bernie Sanders und die US-Präsidentschaftswahl

Die Vorwahlen in den USA der Jahre 2015/2016 haben – vielleicht besonders für Nicht-US-Amerikaner – eine wichtige Funktion erfüllt. Vorher bestand das Bild der US-Bevölkerung für viele, wenn wir ehrlich sind, vor allem aus dem, was man aus Filmen, Musikvideos und den Nachrichten kannte. Eine bigotte, rückständige Volksmasse; wenige aufgeklärte Enklaven an den Küsten, dazwischen Schusswaffen, Bibeln und Fastfood. Ein ultrarechtes Dystopia – wahrscheinlich nicht zu retten.

Eine Kolumne von Martin Schneider 

Die Ergebnisse bestimmter Umfragen, die es während der ganzen Jahre auch schon immer gab und aus denen hervorging, dass die US-Amerikaner*innen sich ihrer Situation und auch deren Ursachen sehr wohl bewusst sind, erschienen akademisch, theoretisch, nicht real. Eine Mehrheit dieser Hinterwäldler*innen war für höhere Mindestlöhne, mehr Sozialhilfe, höhere Besteuerung der Reichen, staatliche Krankenversicherung, Schusswaffenregulierung, Umweltschutz, Liberalisierung der gesellschaftlichen Normen in Bezug auf Ehe, Homosexualität, Frauen, Migrant*innen etc.? Das kann ja wohl nicht sein! Das kommt ja gar nicht so im Fernsehen.

Unter anderem die Kandidatur von Bernie Sanders hat dies aufgebrochen. Die massenhafte Mobilisierung einer in Bezug auf Alter, Herkunft, sexueller Orientierung und auch weltanschaulicher Prägung äußerst diverser Bewegung hat gezeigt, dass Labels und Gruppenzuordnungen in einer Klassengesellschaft vor allem spalten und verschleiern. Fragt man die Menschen nach ihrer Parteiaffinität, Demokrat*in oder Republikaner*innen, Liberale*r oder Konservative*r, links oder rechts, erhält man Antworten, die sehr stark von dem abhängen, was das Individuum mit diesen Labels verbindet. Da sieht es dann mitunter sehr finster aus.

Fragt man aber nach konkreten politischen Maßnahmen, erhält man im Schnitt auch in den USA eine siebzig- bis achtzigprozentige Zustimmung zu Forderungen, wie sie auch in Europa und anderswo als zumindest links der Mitte gelten dürften. Die Sanders-Bewegung hat dies sichtbar gemacht und dafür gebührt ihm und ihr Dank.

Wenn sich dieser Sanders nun hinstellt und mit bebender Stimme vor Trump warnt und meint, dieses Mal sei es die wichtigste, schicksalshafteste Wahl ever – war sie das nicht schon letztes Mal und das Mal davor? – dann ist das nur scheinbar eine Enttäuschung oder ein Widerspruch.

Sanders’ Aufgabe, wie er sie auch selbst verstand, war es, eine glaubwürdige Alternative im demokratischen Wahlzirkus anzubieten, um das Vertrauen der Wählerschaft wiederherzustellen bzw. zu erhalten. Um das Gewinnen ging es – ähnlich wie bei Trump – nicht wirklich. Wäre Liz Warren – „Ich bin Kapitalistin durch und durch!“ – 2016 angetreten, hätte Bernie auf seine Kandidatur verzichtet. Sowohl in 2016 als auch jetzt war seine Hauptaufgabe, dem letztendlichen Wunschkandidaten des DNC, des Demokraten-Establishments, die widerspenstigen Wähler*innen zuzutreiben. Sanders als der Hütehund der repräsentativen Demokratie. So soll die Erkenntnis über den vollständigen Bankrott dieses Systems, über den Betrug eines Zwei-Parteien-Spiels, die doch in Wirklichkeit eine einzige Partei der Konzerne mit zwei rechten Flügeln sind (Gore Vidal), weitere vier Jahre hinausgeschoben werden.

Dies ist der Schaden, den Sanders der Linken wiederholt zugefügt hat. Und dies ist der Grund, warum man sich von solchen Führungsfiguren nicht blenden und abhängig machen darf. Seine politischen Kampagnen auf Figuren oder Labels auszurichten – Nein, Bernie, nur weil die Regierung für Sachen bezahlt, ist das noch kein Sozialismus! – führt früher oder später zur Rat- und Tatenlosigkeit, wenn diese Führungsfiguren die Ausfahrt zur Lösung ihrer eigenen sozialen Frage nehmen.

Es ist davon auszugehen, dass es bei Sanders weniger materieller Reichtum war, als der Wunsch, auch weiterhin als loyaler Demokrat in Washingtoner Kreisen anerkannt zu werden. Joe Biden, der ihm als junger Anfänger unter die Arme griff – einfach nett zu ihm war – bezeichnet er voller Inbrunst als seinen Freund. Diese Verbindung und Anerkennung ist ihm scheinbar wichtiger als politische Prinzipien. So haben völlig konsternierte Kampagneninsider berichtet, dass Bernie inmitten des Wahlkampfes 2016 überlegt hatte, Spenden von sogenannten SuperPacs, also Millionärs- und Konzernspenden, anzunehmen. Völlig ignorant der Tatsache gegenüber, dass gerade dieser Verzicht eine seiner größten Stärken bei den Wähler*innen war. Ebenfalls 2016 öffnete er seinen Mailverteiler für den DNC, damit dieser direkt Party-Unity-Nachrichten an Sanders’ Anhänger*innen senden konnte.

Nun, bei manchen drückt sich Korruption in Geld aus. Bei Bernie Sanders in der oft ausgesprochenen Furcht davor, als zweiter Ralph Nader in die Geschichte einzugehen. Um diesen für ihn unangenehmen Nachruf zu verhindern, warf er ein ums andere Mal ohne Not das Handtuch und die politischen Interessen seiner Bewegung über Bord, erklärte Medicare4all zur Makulatur und den blutigen Feind der Arbeiterklasse Joe Biden zu einem anständigen Mann. Und seine Stimme bebt, wenn er uns anbefiehlt, für den Demokraten zu stimmen, sonst seien wir verantwortungslos und schuld an der zweiten Amtszeit von Donald Trump. Deshalb sollten wir unsere politischen, inhaltlichen Forderungen hintanstellen und auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben.

Unsere Antwort sollte sein: Sorry, Bernie, bei allem nötigen Respekt – no, we can’t, no, we won’t.

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