Erklärung des Internationalen Sekretariats des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) vom 7. Oktober 2020
1. Mehr als sechs Monate der globalen COVID-Pandemie und der globalen Krise haben alles offenbart, was in dieser Ära des kapitalistischen Niedergangs verfault ist. Der globale Kapitalismus befindet sich in einem verwesenden, anhaltenden Todeskampf, der Millionen von Menschen Leid in einem Ausmaß zufügt, das es in einer ganzen historischen Ära nicht gegeben hat. Die Produktivkräfte der Menschheit stagnieren, und die technologischen Sprünge der letzten Jahre schaffen es nicht, den materiellen Reichtum der Masse der Weltbevölkerung zu erhöhen. Die Umweltkrise, die sich in den jüngsten Bränden und Überschwemmungen widerspiegelt, verursacht zusätzliches Leid und Verwerfungen. International entfaltet sich in den meisten Ländern eine seit den 1930er Jahren nicht mehr erlebte wirtschaftliche, politische und soziale Krise mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. Ihre schrecklichen Folgen haben gezeigt, dass die Arbeiter*innenklasse unbedingt sozialistische Massenparteien aufbauen muss, die eine Alternative zum Kapitalismus in einer dekadenten Niedergangsära bieten. „Die weltpolitische Lage insgesamt ist vor allem durch eine historische Krise der Führung des Proletariats gekennzeichnet”, schrieb Leo Trotzki 1938. Worte, die der Lage, vor der wir heute stehen, angemessen sind.
2. Die Führungen der ehemaligen sozialdemokratischen und „kommunistischen” Parteien haben den Kapitalismus akzeptiert. Diejenigen, die die Maske von „Linken” in der Führung der neueren Organisationen wie PODEMOS, der LINKEN, dem Linksblock oder Momentum und den Corbynistas trugen, sind ihnen hinterher getrottet und haben sich dem Kapitalismus angepasst. Es gelingt ihnen nicht einmal, die Idee zu vermitteln, dass eine sozialistische Alternative möglich ist. In den meisten Ländern hat sich die Mehrheit der Gewerkschaftsbürokratie, auch die linke, in Quarantäne begeben und es versäumt, einen ernsthaften Kampf zur Verteidigung der Arbeiter*innen und Unterdrückten zu führen. Je mehr sich die Krise verschärft hat, desto weiter haben sich die „linken” Führer*innen nach rechts bewegt, um dem Kapitalismus entgegenzukommen und ihn zu verwalten, und haben sich dem Druck der Forderung nach „nationaler Einheit” gebeugt.
3. Die Notwendigkeit, neue Massenparteien und revolutionäre Parteien der Arbeiter*innen und der Jugend mit einem sozialistischen Programm aufzubauen und die Gewerkschaften in kämpferische Organisationen umzuwandeln, ist jetzt weltweit eine dringende historische Aufgabe für die Arbeiter*innenklasse. Die bitteren Klassenspaltungen, die sich in der Gesellschaft auftun, und die zunehmende Polarisierung, die innerhalb und zwischen den Nationen stattfindet, zeigen, dass diese Aufgaben sich von Tag zu Tag schärfer stellen. Das zeigen die elektrisierenden Ereignisse im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen und die verheerenden Krisen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Das Fehlen solcher Organisationen der Arbeiter*innenklasse hat ein Vakuum hinterlassen. In einigen Ländern hat dies dazu geführt, dass die populistische Rechte und die extreme Rechte die Lücke teilweise füllen konnten, während gleichzeitig von zahlreichen Regierungen zunehmend autoritäre Maßnahmen eingeführt wurden, die eine ernsthafte Bedrohung für die Unterdrückten darstellen. Die massive Polarisierung und die Umwälzungen, die stattfinden, werfen die Frage auf, welche Kräfte davon profitieren werden.
4. Es ist notwendig, dass Marxist*innen und Aktivist*innen in der Arbeiter*innenbewegung einschätzen, welche Phase wir in der Krise und im Klassenkampf durchlaufen, und gleichzeitig eine genaue Einschätzung des Charakters der rechten Kräfte haben, die sich in vielen Ländern entwickeln. Dies ist wesentlich, um ein aktives Eingreifen bei den bevorstehenden Umwälzungen und anstehenden Klassenkämpfen vorzubereiten, um den Arbeiter*innen und Unterdrückten dabei zu helfen, die Schlussfolgerungen zu ziehen, wie der Kapitalismus und die herrschende Klasse besiegt werden können.
Der Kapitalismus in seiner tiefsten Krise seit den 1930er Jahren.
5. Der Kapitalismus steht vor seiner tiefsten Krise seit den 1930er Jahren. Der „große Beschleuniger”, COVID, hat alle wirtschaftlichen Merkmale, die vor dem Ausbruch der Pandemie in der Weltwirtschaft vorhanden waren, beschleunigt. In der neokolonialen Welt, insbesondere in Lateinamerika und Afrika, entfaltet sich derzeit eine Schuldenkrise. Sie hat den Präsidenten der Weltbank veranlasst, die staatlichen chinesischen Banken und Kreditgeber aufzufordern, sich an einer Umschuldung für diese Länder zu beteiligen. Sie mögen bereit sein, die Schuldenrückzahlung für einen bestimmten Zeitraum anders zu gestalten, aber sie werden die Schulden nicht vollständig abschreiben. Japan, die drittgrößte imperialistische Macht, wird von einer Wirtschaftskrise erfasst. Einige kapitalistische Ökonomen haben das Schreckgespenst aufgeworfen, dass Großbritannien vor seiner tiefsten wirtschaftlichen Kontraktion seit 300 Jahren stehe. Sie haben sich kürzlich getröstet, dass es nur die schlimmste Rezession seit 1918 sein werde! Eine ähnliche Lage, nur schlimmer, gibt es in den USA. Obwohl die Arbeitslosenquote offiziell noch nicht die höchsten erwarteten Werte erreicht hat, bleibt sie katastrophal. Von den zwanzig Millionen während der Pandemie verlorenen Arbeitsplätzen sind nur 11 Millionen neue „geschaffen” worden. Die von der US-Bundesregierung genannte Zahl von 12,6 Millionen Arbeitslosen im September unterschätzt aufgrund der Art und Weise, wie die Statistiken erstellt werden, die reale Lage bei weitem.
6. Es gibt in unmittelbarer Zukunft keine wahrscheinliche Aussicht auf eine Rückkehr selbst zu dem ephemeren Wachstum, das schließlich nach dem Absturz von 2007-08 einsetzte. Die Wirtschaft kehrte nie wieder auf das vor dem Crash erreichte Niveau der Beschäftigung, des realen Lebensstandards, des Wohneigentums oder der Unternehmensinvestitionen in Prozent des BIP zurück. In den fünf Jahren, die der Pandemie vorausgingen, wurde das Wachstum der US-Wirtschaft hauptsächlich von den Verbraucherausgaben und der wachsenden Verschuldung angetrieben. Dies wird sich in den 2020er Jahren, die diesem Absturz und der tiefen Rezession/Depression, die es jetzt gibt, folgen, nicht wiederholen. Wir haben eine „V-förmige” Erholung richtigerweise zurückgewiesen.
7. Die Pandemie hat den globalen Markt für viele hochentwickelte Güter, auf dem die USA führend sind, verwüstet. Das offenkundigste Beispiel ist die zivile Luftfahrtindustrie, die von der weltweiten Nachfrage abhängig ist. Diese ist derzeit tot, da die meisten Flugzeuge am Boden bleiben. Der Bau von Büros stagniert praktisch und wird auch weiterhin stagnieren, da immer mehr Büroangestellte von zu Hause aus arbeiten. Das begrenzte Wachstum nach dem Absturz 2007-08 betraf nicht den Einkauf von Waren, sondern eher die Produktion und den Verbrauch von Dienstleistungen. Das Beschäftigungswachstum war in Bars, Restaurants, Hotels und anderen Bereichen des Dienstleistungssektors am ausgeprägtesten. Ein großer Teil davon wird durch die Pandemie ausgelöscht und wird nicht einfach wiederkehren. Es wird geschätzt, dass die Zahl der US-Bürger*innen, die im Jahr 2020 „ernährungsunsicher” sein werden, auf 54 Millionen steigen wird!
8. Die beispiellosen Konjunkturpakete, die der Kapitalismus weltweit eingeführt hat, haben die Krise nicht lösen können. Der Rückgriff auf keynesianische Methoden hat bisher einen katastrophaleren Zusammenbruch der Weltwirtschaft verhindert. Es ist ihnen jedoch nicht gelungen, die Rezession und Depression in den meisten Ländern zu lösen, was die Grenzen des Keynesianismus offenbart. Der globale Kapitalismus in den 2020er Jahren wird von einer Krise zur nächsten stolpern wie ein Betrunkener, der die Straße entlang torkelt.
Aufruhr auf jedem Kontinent
9. Die Wirtschaftskrise und die Folgen der Pandemie haben auf allen Kontinenten für Aufruhr gesorgt. Besonders ausgeprägt ist das in den USA, wo die Entwicklungen bereits das Weltgeschehen prägen. Gleichzeitig hat die Krise Erschütterungen in der neokolonialen Welt hervorgerufen. Der stattfindende Prozess der Deglobalisierung hat zu einer Zunahme der Spannungen und zum Ausbruch einer Reihe von Konflikten zwischen den wichtigsten imperialistischen Mächten, aber auch zwischen verschiedenen Ländern und regionalen Blöcken geführt. Sie veranschaulichen, wie instabil der Kapitalismus geworden ist. Der Zusammenstoß zwischen China und dem US-Imperialismus wird nach den Wahlen in den USA nicht gelöst werden. In der Tat hat Biden Trump dafür angeprangert, sowohl gegenüber China als auch gegenüber Russland „zu weich” zu sein. Die Spannungen zwischen China und Indien wegen Kaschmir flammen weiter auf. Putin hat die internationalen Interventionen Russlands durchgesetzt, aber mit wachsender Opposition im eigenen Land. Der Zusammenstoß zwischen der Türkei und dem von Frankreich unterstützten Griechenland um Gasreserven lässt die Aussicht auf einen militärischen Konflikt zwischen zwei NATO-Mächten aufkommen. Nun droht die Auseinandersetzung zwischen Armenien und Aserbaidschan um das umstrittene Gebiet Berg-Karabach Russland, die Türkei und den Iran hineinzuziehen. Spannungen innerhalb der EU halten an, was zu ihrer Auflösung oder Neukonfiguration führen kann, wobei die Aussicht auf einen „No-Deal”-Brexit kurzfristig die Spannungen weiter zu verschärfen droht.
10. Die Wirtschafts- und COVID-Krise hat auch die nationale Frage in einer Reihe von Ländern verschärft. Die starke Zunahme der Unterstützung für die Unabhängigkeit in Schottland ist ein Spiegelbild dieses Prozesses. Auch in Katalonien hat die Unterstützung für die Unabhängigkeit zugenommen. Die hinduistisch-nationalistische Agenda, die von Modi in Indien verfolgt wird, stärkt die nationalistische Stimmung in Tamil Nadu und anderen Bundesstaaten. In Afrika gibt es in einigen Ländern wie Libyen, Äthiopien und Kamerun die Tendenz zum Auseinanderbrechen. In Nigeria und einigen anderen Ländern haben nationale und religiöse Kräfte an Stärke gewonnen, vor allem dort, wo die Arbeiter*innenklasse keine Alternative darstellt. Innerhalb anderer Nationen haben sich während der Krise eine Reihe von Konflikten entwickelt. Die spanische Regierung steht mit Madrid im Konflikt über den Umgang mit der Krise, und Macron in Frankreich steht im Konflikt mit Marseille und anderen Regionen. Die zentrifugale Tendenz einiger US-Bundesstaaten, in Opposition zu Washington zu handeln, wird sich wahrscheinlich noch verstärken, wenn Trump sich verbarrikadiert und im Weißen Haus bleibt.
Klassenschlachten und Aufstände
11. Wir haben bereits gesehen, wie in einer Reihe von Ländern als Folge der Gesundheits- und Wirtschaftskrise große Klassenschlachten und sogar mehrere Aufstände ausbrachen. In anderen, wie Frankreich und den USA, hat es kleinere, aber bedeutende Streikbewegungen gegeben. Der ungeheuer inspirierende vereinigte Aufstand im Libanon dauert seit zwölf Monaten an! Der Libanon steht vor dem wirtschaftlichen Bankrott und einer wiederkehrenden Krise. Die Massenmobilisierung gegen die herrschende Klasse, die Korruption, die Banken, das (religiöse, A.d.Ü.) Sektierertum und die sektiererischen politischen Führer*innen veranschaulicht die Prozesse der sich entfaltenden Revolution. Die anhaltende Bewegung in Belarus gegen das Lukaschenko-Regime, die Generalstreiks und/oder Massendemonstrationen in Bolivien, Ecuador, Algerien, Irak und Hongkong zusammen mit den beispiellosen Jugendprotesten in Thailand und den Streiks und Demos im Iran veranschaulichen den Charakter der Periode, in der wir uns jetzt befinden, und die Forderung nach Veränderung und Beendigung des Systems, wie es ist. Die sozialen Aufstände der BLM-Bewegung, insbesondere in den USA, Großbritannien und anderswo, waren ebenfalls Teil dieses Prozesses.
12. Die größeren Massenbewegungen und Revolten, die sich herausgebildet haben, entwickelten sich spontan von unten, in der Hauptsache ohne Organisation durch das Proletariat, und sind durch das Fehlen jeglicher Massenparteien der Arbeiter*innenklasse gekennzeichnet. Sie haben oft die Forderung nach einer „Revolution” oder der Entfernung der bestehenden Regime von der Macht erhoben. Sie waren weitgehend durch eine scharfe Klassenpolarisierung und die Forderung nach Veränderung, größerer Gleichheit und Demokratie gekennzeichnet, aber ohne ein abgerundetes sozialistisches Programm zum Sturz des Kapitalismus. Der spontane Charakter der Bewegungen in vielen der Länder, in denen sie stattgefunden haben, ermöglichte es ihnen, eine Zeit lang voranzukommen. Oft waren die reformistischen oder stalinistischen Organisationen nicht in der Führung, um als Bremse zu wirken. Dies wird natürlich bei künftigen Bewegungen und sozialen Explosionen nicht immer der Fall sein. Der spontane Charakter, den sie angenommen haben, war in diesem Sinne eine Zeit lang die Stärke dieser Bewegungen. Dies spiegelte sich im Generalstreik in Bolivien wider, zu dessen Einberufung die Führung der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen aufgrund des Massendrucks von unten gezwungen war. Diese massive Bewegung wurde jedoch von der Führung abgebrochen und ein fauler Kompromiss erzielt, anstatt die Bewegung voranzubringen und der Arbeiter*innenklasse und den Massen zu erlauben, die Macht selbst in die Hand zu nehmen.
13. Diese Kämpfe haben nun aber auch die Grenzen einer spontanen Bewegung aufgezeigt. Das Fehlen einer Organisation oder Partei mit einem klaren Programm und einer klaren Strategie, um in die Offensive zu kommen und die herrschenden Regime zu stürzen und sie durch eine Arbeiter*innendemokratie und ein revolutionäres sozialistisches Programm zu ersetzen, wirkt jetzt als ein großes Hindernis, das es zu überwinden gilt. Diese Schwäche stellt eine Bedrohung für diese revolutionären Umwälzungen dar.
14. Das Fehlen einer sozialen Basis der Regime in den Ländern, in denen diese Bewegungen ausgebrochen sind, deutet darauf hin, dass sich solche Umwälzungen über eine relativ lange Zeitperiode hinziehen. Es wird ein unvermeidliches Auf und Ab in der Massenbewegung geben. Die Bewegungen können sich jedoch über einen längeren Zeitraum erschöpfen und ermüden. Dies kann es einem altersschwachen Regime erlauben, sich eine Zeit lang an die Macht zu klammern. Alternativ dazu kann in kosmetischen Akten von Augenwischerei die Macht an „neue Regierungen” oder Regime übergeben werden, bei denen sich wenig ändert, außer dass die herrschende Klasse Zeit gewinnt. In Hongkong verstärkt das chinesische Regime trotz einiger anhaltender Proteste Schritt für Schritt seinen Griff und verschärft die Repression.
15. Im Libanon gab es im August einen Versuch, eine neue von Mustafa Adib geführte Regierung zusammenzuschustern. Sie war als eine Regierung des „Konsenses” gedacht. Als ehemaliger Diplomat und Botschafter in Deutschland hatte Adib zunächst die Unterstützung aller bestehenden sektiererischen politischen Parteien im Libanon. „Plus ça change, plus c’est la même chose”. [Je mehr sich ändert, desto mehr bleibt es das Gleiche] Aufgrund der explosiven Lage war er jedoch gezwungen, zurückzutreten. Macrons „Wiederaufbau”-Initiative wurde nicht zum Erfolg geführt. In Mali griff im August nach monatelangem Protest gegen die Regierung Keita das Militär mit einiger Unterstützung der Bevölkerung ein. Doch fast sofort stellte sich die Frage nach dem Charakter der Übergangsregierung, insbesondere nach der Rolle des Militärs. Eine ähnliche Entwicklung fand im vergangenen Jahr im Sudan statt, wo im August am ersten Jahrestag der Übergangsregierung Proteste stattfanden.
16. Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass spontane Massenbewegungen und -kämpfe – oder selbst Massenwut und Druck – ohne eine Führung und ein abgerundetes kohärentes Programm keine Wirkung hätten. Sie können die herrschende Klasse zwingen, für eine gewisse Periode einige Zugeständnisse zu machen. Dies kann eine entscheidende Wirkung haben, das Selbstvertrauen und die Stimmung von Arbeiter*innen und Jugendlichen im Kampf zu stärken. In Großbritannien wurde Johnson innerhalb von acht Monaten zu elf Kehrtwendungen gezwungen! Mehr als genug, um die Regierung zum Sturz zu bringen, wenn es eine kämpferische politische Opposition gäbe, und nicht die neue rechte Labour-Führung unter Keir Starmer. In Chile sah sich das Piñera-Regime im Anschluss an die Massenbewegung gezwungen, ein Referendum über eine Verfassungsänderung zuzulassen, wenn auch auf betrügerischer, undemokratischer Grundlage, und den Arbeiter*innen zu gestatten, 25% der in ihren Rentenfonds eingezahlten Gelder abzuheben. Diese Forderungen wurden ursprünglich von seinem Regime unerbittlich abgelehnt. In manchen Situationen können spontane Massenaufstände die bestehenden Regime stürzen, aber dann stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Dies wird durch den Aufstand in Kirgisistan veranschaulicht. Ohne die Macht in den Händen der Arbeiter*innenklasse zu konsolidieren und den Griff der herrschenden Klasse zu brechen, kann sich eine kapitalistische Konterrevolution entwickeln. Dies wurde durch die Ereignisse, die sich in Portugal nach der Revolution von 1974 entfalteten, veranschaulicht.
Die Moderne Monetäre Theorie ist keine Alternative.
17. Zugeständnisse oder Kehrtwendungen der herrschenden Klasse können die Massenbewegung unter bestimmten Bedingungen ermutigen, besonders wenn sie im Aufwind ist. In dieser Ära der kapitalistischen Todesqualen sind nachhaltige Reformen jedoch nicht möglich. Das ist etwas, was die „neuen linken” Unterstützer*innen der „Modernen Monetären Theorie” (MMT) wie die amerikanische Ökonomin Stephanie Kelton nicht begreifen. Wie die Führer der Parteien der „neuen Linken” bleiben sie in den Grenzen des kapitalistischen Denkens gefangen. Sie schaffen es nicht einmal, die Idee zu vertreten, dass ein völlig anderes Sozial- und Wirtschaftssystem – der Sozialismus – möglich sei, wie es selbst die Reformist*innen und Sozialdemokrat*innen alten Stils in der Vergangenheit taten. Sie träumen von einer Rückkehr zur goldenen Ära des kapitalistischen Booms und Aufschwungs, die zu einem vergangenen Zeitalter gehört. Bei der Definition der MMT in einem Interview mit „The Intercept” im März 2020 argumentierte Kelton: „Nun, in der Tat ist die MMT fast ein rein deskriptives Projekt … Aber bei der MMT geht es hauptsächlich darum, den Menschen zu einem besseren Verständnis der Natur des Geldsystems zu verhelfen, das wir heute haben … Wir haben keine festen Wechselkurse, und wie können wir das Geldsystem des politischen Raumes am besten nutzen, um eine bessere Wirtschaft aufzubauen? Darum geht es bei der MMT im Wesentlichen”. Mit anderen Worten: den Kapitalismus besser managen! In der Praxis bedeutet es, das Elend zu managen. Jedes Programm, das im Interesse der Arbeiter*innenklasse liegt, wird auf den Widerstand und die Sabotage der Märkte und des Kapitalismus stoßen.
Die Rolle der Gewerkschaften und der Aufbau von kämpferischen Oppositionen
18. Mit der Verschärfung der Wirtschafts- und Gesundheitskrise wurde der größte Teil der „Linken”, einschließlich der „linken” Intelligenz und der Gewerkschaftsführung, weiter nach rechts in die Arme der kapitalistischen Klasse getrieben. Der Auftritt des Generalsekretärs des [Gewerkschaftsdachverbandes] TUC auf den Stufen der Downing Street 11 in London – der Residenz des britischen Finanzministers –, der zusammen mit dem konservativen Schatzkanzler [=Finanzminister] und dem Führer der Arbeitgeber*innenorganisation CBI auftrat und die Wirtschaftspolitik der Regierung unterstützte, veranschaulichte dies anschaulich. In Nigeria hat die Gewerkschaftsführung kürzlich den Generalstreik gegen den Anstieg der Brennstoff- (Benzin-) und Strompreise abgesagt. Sie unterzeichnete ein Dokument, in dem sie „die katastrophalen finanziellen Verhältnisse des Bundes akzeptierten, die jegliche Subventionierung des Benzins ausschließen und somit die Deregulierung des Benzins unausweichlich machen”. Die drakonischen Arbeitsgesetze, die von Modi in Indien eingeführt wurden, und andere Angriffe auf die Arbeiter*innenrechte wurden weder von der Gewerkschaftsbürokratie noch von der CPI und der CPI(M) bekämpft. Auf ihren Aufruf zu einem Generalstreik wird, wie üblich, keine aussagekräftige Kampagne folgen. In Spanien wurde die PSOE/PODEMOS-Regierung von der CCOO- und UGT-Bürokratie unterstützt.
19. Unter dem Druck der Arbeiter*innenklasse können einige Teile der Gewerkschaftsbürokratie gezwungen werden, einige Aktionen zu organisieren, wie wir kürzlich in Deutschland, Südafrika und Irland gesehen haben. In Österreich haben die Krise und die Entlassungswelle Proteste ausgelöst, die zu Streiks und sogar zu Besetzungen führen könnten. Die verfaulte Rolle, die die Mehrheit der Gewerkschaftsbürokratie während dieser Krise gespielt hat, hat jedoch die Entwicklung größerer Arbeiter*innenbewegungen gebremst und es den Unternehmern und der herrschenden Klasse ermöglicht, in die Offensive zu gehen und die Rechte und Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen anzugreifen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, an den Arbeitsplätzen zu kämpfen, um die Arbeiter*innen im Kampf für die Umwandlung der Gewerkschaften in kämpferische Organisationen zu mobilisieren. Dies ist eine entscheidende Aufgabe in dieser Krise, bei der das CWI und andere eine wichtige Rolle bei der Unterstützung spielen können, wie die Arbeit des NSSN in England, Wales und Schottland zeigt.
20. Die Gründung einer „Gewerkschaft” durch die rechtsextreme VOX im spanischen Staat, die die bestehenden Gewerkschaften als Werkzeuge der Regierung anprangert, ist eine Warnung, auch wenn es ungewiss ist, ob dies ein großes Echo finden wird. Die rechtsextreme paramilitärische RSS in Indien kontrolliert eine der größten Gewerkschaftsorganisationen, die Bharatiya Mazdoor Sangh (BMS). Diese Warnungen unterstreichen die Bedeutung des Aufbaus kämpferischer Oppositionsgruppen in den Gewerkschaften. Wo dies blockiert wird, könnten andere Initiativen zur Organisierung von Arbeiter*innen, die kämpfen wollen, notwendig sein.
Die USA sind ein Vorbote für die 2020er Jahre
21. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Eruptionen, die in den USA stattfinden, sind ein Vorbote für die Klassen- und sozialen Umwälzungen, die jeden Kontinent und jedes Land in den 2020er Jahren erschüttern werden. Die Ereignisse im mächtigsten imperialistischen Land haben ausgeprägte internationale Auswirkungen und werden zusammen mit den Entwicklungen in China das Weltgeschehen in der kommenden Zeit prägen. Die am stärksten polarisierten Präsidentschaftswahlen seit Jahrzehnten finden derzeit vor dem Hintergrund von Zusammenstößen, einschließlich bewaffneter Zusammenstöße, in einer Reihe von Bundesstaaten statt. Das politische Erdbeben, das sich mit einem hohen Grad an sozialer und Klassenpolarisierung abspielt, beinhaltet Elemente eines Bürgerkriegs, die nicht aufgelöst werden werden, wer auch immer die Wahl gewinnt. Die Wahl ist dadurch durcheinander geraten, dass Trump COVID 19 bekam. Zahlreiche Drehungen und Wendungen, Verfassungskrisen und Kämpfe stehen vor der Tür. Sollte Trump sich nicht von dem Virus erholen, sind weitere Unruhen und Umwälzungen vorprogrammiert.
22. Der überwiegende Teil der US-amerikanischen kapitalistischen Klasse will Trump loswerden. Sie mobilisieren ihre Kräfte, um zu versuchen, Trumps Niederlage sicherzustellen. Das Durchsickern seiner Steuererklärungen, die Erklärung hunderter pensionierter Generäl*innen zur Unterstützung von Biden und die Angriffe auf ihn in den Medien sind alles Anzeichen dafür. Die nationalen Umfragen deuten auf seine Niederlage hin. Ein Sieg Bidens ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch alles andere als sicher. Der knappe Vorsprung für Biden in vielen Swing-Staaten, die Schwäche von Bidens Kampagne und Programm und der völlig undemokratische Charakter des Wahlkollegiums-Wahlsystems bedeuten, dass eine zweite Amtszeit für Trump nicht ausgeschlossen werden kann.
23. Darüber hinaus bedeuten die beispiellosen Erklärungen und Handlungen von Trump und seiner Wahlkampfmaschine, dass sich vielleicht weigern wird, eine Niederlage zu akzeptieren, und dass ein umstrittenes Ergebnis zu einem massiven sozialen Konflikt einschließlich bewaffneter Auseinandersetzungen führen könnte. In der erbitterten Präsidentschaftsdebatte deutet Trumps Weigerung, die weißen Rassisten zu verurteilen, und die Aufforderung an die Miliz Proud Boys, „abzuwarten und sich bereitzuhalten”, darauf hin, dass er sich darauf vorbereitet, einen Kampf daraus zu machen. Er hat eindeutig einen Schlachtplan, um das Ergebnis anzufechten: die Anfechtung der Briefwahl, die Anwendung von Wähler*innenunterdrückung, die Verlagerung der Wahl der Delegierten des Wahlkollegiums von der Volkswahl zu den Parlamenten oder Gouverneuren der Bundesstaaten und schließlich die Verlagerung der Wahl des Präsidenten in den Kongress. Trumps Versuch, den vakanten Posten am Obersten Gerichtshof mit der Erzreaktionärin Amy Coney Barrett zu besetzen, ist Teil seines Schemas. Er wurde auch dadurch zurückgeworfen, dass sich drei republikanische Senatoren mit COVID 19 angesteckt haben. Die Stimmen im Senat müssen persönlich abgegeben werden, was bedeutet, dass Trump eine Mehrheit verloren hat, um die Nominierung durchzusetzen, es sei denn, die Regeln des Senats werden geändert. Ob er mit seinem Schlachtplan durchkommen kann, ist eine andere Frage, aber sollte er es versuchen, wird wahrscheinlich eine massiv polarisierte Situation und ein Konflikt ausbrechen. Die Mehrheit der herrschenden Klasse ist verzweifelt bestrebt, dies zu vermeiden, und kann, wenn nötig, auf Teile des Staates zurückgreifen, um Trump auszubooten. Ein Teil der Republikanischen Partei hat sich gegen Trump ausgesprochen und befürchtet eine Gegenreaktion. Sollte Trump sich in diese Richtung bewegen, wird es eine heftige Reaktion gegen ihn und die Republikanische Partei geben, die die bereits bestehende Polarisierung vertieft.
24. Unglaublicherweise hat Biden das Schreckgespenst einer Mobilisierung der Armee aufgeworfen, um Trump aus dem Weißen Haus zu eskortieren. Der Vorsitzende der Generalstabschefs antwortete daraufhin, dass dies nicht in ihrer Verantwortung läge, sondern in der der Sicherheitsdienste oder Polizeimarschalls! Das Drama, das sich bei dieser Wahl abspielt, lässt die Präsidentschaft von Francis Underwood in „House of Cards” wie ein Modell für eine ruhige, einvernehmliche und ehrliche Regierung erscheinen!
25. Sollten sich die Ereignisse in diese Richtung bewegen, wird dies zu massiven Umwälzungen innerhalb der USA führen, einschließlich bewaffneter Zusammenstöße und der möglichen Inkraftsetzung des Antiaufstandsgesetzes und des Einsatzes der Armee. Trump-freundliche rechtsgerichtete Milizen sind in einer Reihe von Bundesstaaten – mit der Zustimmung von Trump per Twitter – entstanden. Solche Milizen gab es schon früher in den USA. Vor der Wahl Obamas wurde geschätzt, dass es bis zu fünfzig solcher Milizen gebe. Nach der Wahl Obamas stieg die Zahl auf mehr als 200. Mittlerweile sind noch mehr gebildet worden. Als Reaktion darauf und auf die brutalen Tötungen durch die Polizei in jüngerer Zeit haben sich auch schwarze Milizen gebildet, wie die Minnesota Freedom Fighters, die ihre Rolle in der „Verteidigung der Community” sehen.
26. Die Auswirkungen solcher Entwicklungen wären international zu spüren und würden die Glaubwürdigkeit des US-Imperialismus vor allem in der neokolonialen Welt enorm beschädigen. Dies ist jedoch die Natur der Periode, in die wir jetzt eingetreten sind.
27. Die objektive Lage in den USA schreit nach der Gründung einer neuen Arbeiter*innenmassenpartei. Die Kapitulation Sanders’ vor der Demokratischen Partei und seine Weigerung, die notwendigen Schritte zur Gründung einer solchen Partei im Jahr 2016 zu unternehmen, war eine verpasste Gelegenheit. Die seither vertiefte soziale und wirtschaftliche Krise macht diese Aufgabe jetzt noch dringlicher. Eine unabhängige Partei der Arbeiter*innenklasse würde heute die Unterstützung von Millionen von Menschen gewinnen. Mehr als fünfzig prozent der jungen Menschen in den USA sehen heute die Idee des Sozialismus positiv. Dies stellt eine Zeitenwende in der US-Gesellschaft dar, auch wenn viele noch nicht vollständig begreifen werden, was Sozialismus ist. Während das Thema Sozialismus in der Vergangenheit Gespräche beendete, löst es heute solche aus, wie Howie Hawkins, der Kandidat der Grünen bei den Präsidentschaftswahlen, es ausdrückte.
28. Das verständliche Gefühl von Millionen von Menschen, Trump loszuwerden, und eine Stimmung des „kleineren Übels” bei den Wahlen wird unweigerlich zu einer Verringerung des Stimmenpotenzials für Howie Hawkins’ Kampagne führen. Aber die Notwendigkeit einer Arbeiter*innenmassenpartei in den USA wird sich nach der Wahl, wer auch immer die Präsidentschaft gewinnt, noch stärker bemerkbar machen. Einige der Kräfte, die von Hawkins’ Kampagne angezogen werden, könnten zusammen mit anderen, insbesondere Basis-Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen der BLM, zu einem Bezugspunkt für eine Kampagne zum Aufbau einer neuen Arbeiter*innenpartei nach der Wahl werden.
Der Charakter der populistischen und extremen Rechten
29. Die Polarisierung innerhalb der US-Gesellschaft und das Fehlen einer Arbeiter*innenmassenpartei werfen wichtige Fragen von internationaler Bedeutung über das Wesen der rechten Kräfte auf, die um Trump herum entstanden sind. Dies ist Teil eines internationalen Prozesses, der in vielen Ländern stattfindet. Die entstandenen schrecklichen sozialen Verhältnisse und das Fehlen einer sozialistischen Massenalternative haben ein Vakuum hinterlassen. Die extreme Rechte und die populistische Rechte haben in einigen Ländern erhebliche Fortschritte gemacht und ihre Unterstützung, vor allem bei Wahlen, verstärkt. Es ist wichtig, zwischen den rechtspopulistischen Parteien wie Forza Italia in Italien, der Freiheitlichen Partei FPÖ in Österreich und dem Rassemblement National (Nationale Sammlungsbewegung) in Frankreich und den rechtsextremen Parteien und Organisationen mit einem stärkeren faschistischen Element oder Kern zu unterscheiden.
30. In Europa ist die rechtsextreme VOX im spanischen Staat, die ihren Ursprung in der faschistischen Falange hat, heute die drittgrößte Partei mit 50 Sitzen im Parlament. Ihre Basis besteht derzeit hauptsächlich aus der Mittelschicht, Sicherheitskräften und rechtsextremen römisch-katholischen Gruppen. In Italien haben die faschistischen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) vor kurzem die Kontrolle über eine zweite Region gewonnen. In Deutschland wurde die rechtspopulistische AfD zur größten Oppositionspartei zu Merkels Koalition, hat aber während der Pandemie an Boden verloren. Die rechtsextremen Parteien bedienen sich einer populistischen Rhetorik, die in einigen Ländern von den traditionellen rechtsbürgerlichen Parteien übernommen wurde. Die populistischen rechten und rechtsextremen Parteien haben in jedem Land ihre eigenen Merkmale, werden aber oft von Brüchen und Spaltungen geplagt, wenn sie wachsen.
31. Das Wachstum dieser und anderer Parteien wurde während der COVID-19-Krise von einer Zunahme autoritärer Maßnahmen und Repressionen durch zahlreiche Regierungen begleitet. Dies war der Fall in den imperialistischen Ländern wie den USA unter Trump und Großbritannien unter Johnson. Johnson hat nun ein Gesetz eingeführt, das die Verwendung „antikapitalistischer” und „extremistischer” Unterrichtsmaterialien in Schulen verbietet. Sein Versuch, rechte Unterstützer*innen an die Spitze der BBC und der Kommunikationsaufsicht Ofcom zu berufen, ist ein Echo von Trumps Versuch, den Obersten Gerichtshof mit rechten Anhänger*innen zu besetzen. Die repressiven Machtbefugnisse dieser und anderer Regierungen, einschließlich größerer Machtbefugnisse für die Polizei und Drohungen mit dem Einsatz der Armee, beinhalten ein Element parlamentarisch-bonapartistischer Methoden – der Herrschaft per Dekret und der Rücknahme parlamentarischer Kontrollen. Dies hat zu offenen Spaltungen innerhalb der Konservativen Partei und der herrschenden Klasse in Großbritannien geführt.
32. In den USA ist es Trump weitgehend gelungen, die Kontrolle über die Republikanische Partei zu übernehmen und sie dramatisch nach rechts zu verlagern. Die Republikanische Partei hat sich zwar schon früher nach rechts verschoben, aber die Tiefe der Krise und die politischen Merkmale von Trump verleihen dem ein anderes Ausmaß. Die Milizen und das Anwachsen vormals obskurer verschwörungstheoretischer Gruppen wie QAnon sind ein Maß für die Verzweiflung, in die Schichten der Gesellschaft als Folge der Krise getrieben werden. Ohne das Wachstum von QAnon überzubewerten, gewinnt es auch innerhalb der Republikanischen Partei an Einfluss. Die meisten Republikaner*innen befürworten es zwar nicht offen, aber sie ziehen es für eine gewisse Unterstützung heran, und einige QAnon-Anhänger*innen werden wahrscheinlich in den Kongress einziehen. Es gibt Anklänge an das Wachstum von Mystizismus und religiösen Ideen um Rasputin in Russland vor der Revolution von 1917. Dies veranschaulicht die Sackgasse, in der sich die kapitalistische Gesellschaft jetzt befindet.
33. An einigen der Milizen sind Gruppen wie der Michigan Freedom Fund beteiligt, der 2012 von Unternehmer gegründet wurde, um Lobbyarbeit für gewerkschaftsfeindliche Gesetze zu betreiben. QAnon und andere haben eine eindeutig rechtsgerichtete Agenda. Doch einige, die sich von den Antilockdownprotesten in den USA und anderswo angezogen fühlen, werden auf verwirrte Weise von der Opposition gegen den Lockdown und seine verzweifelten Folgen angezogen, die er für Millionen von Arbeiter*innen und Armen hatte. Dies wird auch durch einen Mangel an Vertrauen und Zuversicht in die Regierung oder in die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen genährt. Kräfte der extremen Rechten haben auf populistische Weise interveniert und in dieser Phase ein gewisses Echo bei einer relativ kleinen Schicht gefunden.
34. In der neokolonialen Welt wurden brutale Unterdrückungsmaßnahmen verhängt und es ging sogar noch weiter. Modi in Indien hat vor und während der Lockdownperiode eine bösartige, drakonische Repressionswelle in Gang gesetzt. Sri Lanka hat nach der Wahl von Gotabaya Rajapaksa die Vorlage für ein de facto militärisch-diktatorisches Regime geschaffen. In Brasilien gibt es jetzt mehr Militärangehörige, die Regierungsabteilungen und -ämter leiten, als es sie unter der Militärdiktatur gab! In Bolivien und Ecuador sind Morales und Correa von der Kandidatur bei den bevorstehenden Wahlen ausgeschlossen worden, nachdem gegen sie fadenscheinige Gerichtsverfahren geführt wurden. Es scheint jedoch wahrscheinlich, dass die MAS die Wahlen in Bolivien gewinnen wird, was die schwache soziale Basis der rechten Regierung widerspiegelt, die nach dem De-facto-Putsch gegen Morales eingesetzt wurde. Ob die Rechten diese wahrscheinliche Niederlage akzeptieren werden, ist eine andere Frage.
35. Das Anwachsen der extremen Rechten und die Tendenz zu mehr autoritären Herrschaftsmethoden stellen wichtige Bedrohungen für die Arbeiter*innenklasse dar und machen es dringend erforderlich, dass die Arbeiter*innenklasse die notwendigen Schritte zu ihrer Bekämpfung unternimmt. Verständlicherweise sehen einige Jugendliche und Aktivist*innen in diesen Tendenzen die Aussicht auf eine faschistische Bedrohung ähnlich der, die sich in den 1920er und 1930er Jahren entwickelt hat. Einige haben Trump und seine Unterstützer*innen sogar als Faschisten bezeichnet. Bolsonaro in Brasilien und Modi in Indien werden oft als Faschisten angeprangert. Dieses Gefühl ist eine verständliche Reaktion derer, die diese reaktionären repressiven Regime bekämpfen wollen.
36. Um die Bedrohung, die von der extremen Rechten und der Einführung einer verstärkten autoritären Herrschaft ausgeht, zu bekämpfen, ist es für Marxist*innen und die Arbeiter*innenklasse jedoch wichtig, diese Regime und Entwicklungen genau einzuschätzen und zu bewerten. Das bedeutet nicht, ihre Bedrohung zu unterschätzen, sondern in der Lage zu sein, sich dem, was sie darstellen, zu stellen und sie zu bekämpfen.
Faschismus in den 1920er und 30er Jahren.
37. Der Faschismus, wie er sich in den 1920er und 1930er Jahren entwickelte, hatte sehr spezifische Merkmale und Ziele, obwohl er in jedem Fall eine besondere Form der Reaktion darstellte. Unter den Bedingungen, die sich in den 1920er und 1930er Jahren entwickelten, erlangte er schnell eine Massenbasis unter dem Kleinbürgertum, den am meisten unterdrückten und niedergedrückten Teilen der Arbeiter*innenklasse und einigen demoralisierten Arbeiter*innen. Der Begriff „faschistisch” hat seinen Ursprung in Italien unter Mussolinis Führung und entwickelte sich dann in Deutschland und Spanien. Der Faschismus hatte das sehr spezifische Ziel, die Organisationen der Arbeiter*innenklasse zu zerstören und zu atomisieren. Wie Trotzki hervorhob, war die Diktatur von Primo de Rivera in Spanien (1923-30) trotz ihres reaktionären, repressiven Charakters nicht dasselbe wie die faschistischen Massenbewegungen und -regime, die später an die Macht kamen.
38. Der Faschismus entstand als Folge der sozialen Krise, die sich entwickelt hatte, und der Bedrohung durch die Machtübernahme der Arbeiter*innenklasse. Es war das Versagen der Arbeiter*innenklasse in diesen Ländern, die Macht zu übernehmen, als Folge der falschen Politik und des falschen Programms der Arbeiter*innen-Massenparteien, die damals existierten: der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, was den Faschisten den Triumph ermöglichte, insbesondere in Deutschland die Weigerung der kommunistischen und SPD-Führer*innen, eine Einheitsfront zur Bekämpfung der Faschisten zu bilden.
39. Die Tiefe der politischen und sozialen Krise und die Furcht vor weiteren revolutionären Explosionen bedeutete für die Bourgeoisie in diesen Ländern, dass die parlamentarische Demokratie kein zuverlässiges Herrschaftssystem des Kapitalismus mehr war. Die kapitalistische Klasse warf daher schließlich ihr Gewicht und ihre Unterstützung hinter die Faschisten und erlaubte ihnen, an die Macht zu kommen.
40. In Deutschland gewann die Nazi-Partei ihre stärkste Unterstützungsbasis in den ländlichen Gebieten und kleineren Städten, wo die Arbeiter*innenklasse und ihre Parteien schwächer waren. Im Allgemeinen wurde in den großen Industriegebieten die faschistische Vorherrschaft erst nach der Machtübernahme Hitlers 1933 durch brutale Einschüchterung durch den Staat und die faschistischen Hilfstruppen erreicht. In Deutschland gewannen die Arbeiter*innenparteien im November 1932 immer noch 13 Millionen Stimmen. Bei den Wahlen im Juli 1932 schossen die Stimmen für die Faschisten auf 13,7 Millionen in die Höhe, bevor sie vier Monate später auf 11,7 Millionen fielen. Die Nazis gewannen nie eine absolute Mehrheit, und im November gewannen die Arbeiter*innenparteien über 1,5 Millionen Stimmen mehr als die Faschisten. Der Stimmenzuwachs der Nazis war vor allem das Ergebnis des Kollabierens der bürgerlichen Liberalen, der gemäßigten Nationalist*innen und der Arbeitslosen, die infolge des wirtschaftlichen Zusammenbruchs verzweifelt waren, in die Arme der Faschisten.
41. Der „antikapitalistische” Anstrich der faschistischen Propaganda sowohl in Deutschland als auch in Italien, der notwendig war, um die Unterstützung derjenigen zu gewinnen, die von Verzweiflung und dem Versagen der Arbeiter*innenparteien, eine Alternative anzubieten, getrieben waren, wurde nach der Machtübernahme über Bord geworfen. Der faschistische Knüppel der SA-Sturmtruppen wurde benutzt, um die Arbeiter*innenklasse und ihre Organisationen zu zerschlagen und zu atomisieren. Die Säuberung der SA im Jahre 1934 in der „Nacht der langen Messer” bedeutete jedoch eine Veränderung, da sich die Diktatur zu einer reaktionären bürgerlichen Regierung entwickelte. Infolgedessen begann ihre Massenbasis abzuebben. Das Regime stützte sich dann auf die Auswirkungen und Folgen des Sieges der Faschisten auf das politische Bewusstsein und die Angst vor dem Repressionsapparat.
Die Bedrohung durch die Rechten heute – die Notwendigkeit einer sozialistischen Alternative.
42. Im Allgemeinen existiert heute die soziale Basis für faschistische Massenbewegungen, wie sie in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland, Italien und Spanien zu beobachten waren, nicht mehr so wie damals. Große Teile der ehemals kleinbürgerlichen Schichten sind dabei, proletarisiert und oft nach links politisch radikalisiert zu werden. Darüber hinaus haben auch die weitsichtigeren Teile der kapitalistischen Klasse aus der Geschichte und den Erfahrungen der Faschisten an der Macht gelernt. Die deutsche kapitalistische Klasse hat einen Preis dafür bezahlt, dass die Faschisten an die Macht kommen konnten. Die bürgerlichen Politiker*innen verloren für eine Zeit lang die Macht an den faschistischen Staat. Die herrschende Klasse hat einen hohen Preis bezahlt, sowohl wirtschaftlich als auch durch die Niederlage im Krieg. Die Aussicht, dass sich ein solches Ergebnis in der einen oder anderen Form wiederholen wird, wird die kapitalistische Klasse im Allgemeinen davon abhalten, die faschistischen Massenkräfte an die Macht kommen zu lassen.
43. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die herrschende Klasse, wenn sie bedroht wird, nicht bereit sein wird, zu drastischen Maßnahmen zu greifen, wenn sie keine Alternative hat. In den 1970er Jahren wandte sie sich in ganz Lateinamerika der Herrschaft durch das Schwert in einer Reihe von brutalen militärisch-polizeilichen Diktaturen zu. Diesen fehlte in der Hauptsache die Massenbasis, die die Faschisten genossen, obwohl sie sich auf die Unterstützung vor allem der Mittelschicht und lumpenproletarisierter Teile der städtischen Armen stützten. In Chile genoss das Pinochet-Regime auch die Unterstützung einer bedeutenden faschistischen Hilfstruppe, Patria y Libertad.
44. Heute wirkt sich das Ausmaß der wirtschaftlichen und sozialen Krise für Teile der Mittelschicht verheerend aus und führt in vielen Ländern auch zu einer Massenreservearmee von Arbeitslosen. Daher ist es möglich, dass sich in einigen Ländern substanziellere rechtsextreme oder sogar faschistische Kräfte auf einer größeren Basis entwickeln können, als dies in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Diese können von der herrschenden Klasse als Hilfswaffe gegen die Arbeiter*innenklasse eingesetzt werden. Wie weit sich dies entwickelt, hängt von der Fähigkeit der Arbeiter*innenklasse und von Sozialist*innen ab, Parteien und Organisationen aufzubauen, die eine Alternative bieten können. Das jüngste Entstehen von rechtsextremen Parteien, Gruppen und Milizen ist eine Warnung an die Arbeiter*innenklasse.
45. Das brutale Regime von Modi in Indien veranschaulicht die Gefahr, die in einigen Ländern besteht. Modi führt die BJP an – die größte Partei der Welt mit mehr als 100 Millionen Mitgliedern – und wird von der paramilitärischen Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS – „Nationale Freiwilligenorganisation”) mit einem großen faschistischen Kern unterstützt, aus der Modi selbst stammt. Auf die hinduistisch-nationalistische Stimmung, die sein Regime aufpeitscht, und die brutalen Angriffe vor allem gegen Muslim*innen und andere Minderheiten folgen nun brutale Angriffe auf die Rechte der Arbeiter*innen, der Arbeiter*innenbewegung und von Bäuerinnen und Bauern.
46. Diese Entwicklungen spiegeln den stark polarisierten Charakter der Periode wider, in die wir nun eingetreten sind. Ein Kampf zwischen den Kräften der Revolution und der Konterrevolution entfaltet sich global. Der Rhythmus dieses Konflikts mag von Land zu Land unterschiedlich sein, aber er ist weltweit präsent. Extrem schnelle Veränderungen können sich im Rhythmus des Klassenkampfes vollziehen. Die Geschwindigkeit der Ereignisse, die sich in dieser Krise entfalten, ist eines ihrer zentralen Merkmale. Wenn neue soziale Explosionen ausbrechen, müssen wir darauf vorbereitet sein, dass während des Kampfes neue Organisationsformen, Versammlungen und Aktionskomitees entstehen.
47. Revolutionäre Sozialist*innen müssen bereit sein, in sie einzugreifen und, wo möglich und sinnvoll, sie zu initiieren. In der explosiven Lage, die sich entwickelt, können selbst kleine revolutionäre Gruppen mit kühnen Interventionen, Taktiken und konkreten Aktions- und Kampfvorschlägen große Wirkung erzielen. Revolutionäre sozialistische Gruppen und Parteien gehen mit relativ kleinen Kräften in diese Periode des Aufruhrs.
48. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie es auch bleiben werden. Mit den richtigen Taktiken, Strategien, Slogans und Programmen und kühnen Interventionen können kleine Organisationen ein explosives Wachstum erleben und die fortschrittlichsten und kämpferischsten Teile der Arbeiter*innenklasse und der Jugend gewinnen, die nach einem Weg suchen, um der dystopischen Ära des Kapitalismus, in die wir jetzt eingetreten sind, zu entkommen. Eine historische Verantwortung und Gelegenheit steht vor dem CWI und den revolutionären Sozialist*innen, aktiv in die stürmischen Ereignisse einzugreifen, die sich derzeit abspielen, und eine mächtigere sozialistische Alternative aufzubauen.