Eine instabiler und multipolarer werdende Welt und ihre Folgen
Die weltweiten Beziehungen zwischen den imperialistischen und kapitalistischen Mächten befinden sich in einem noch nie dagewesenen Zustand des Wandels und der Unruhe. Die unipolare, vom US-Imperialismus beherrschte Welt, die nach dem Zusammenbruch der ehemaligen UdSSR im Jahr 1991 kurzzeitig bestand, ist endgültig zu Ende. Es wird ein neues Kapitel der Weltgeschichte geschrieben. Ein Kampf zwischen rivalisierenden imperialen Mächten, insbesondere den USA und China zusammen mit Russland, spiegelt sich in regionalen Machtkämpfen wider.
von Tony Saunois, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale
Weltweit gibt es die Tendenz, dass sich zwei instabile Blöcke herausbilden. Der eine gruppiert sich um den westlichen Imperialismus – die USA, Westeuropa, Japan, Australien und Kanada. Der zweite umfasst China, Russland, Iran, Nordkorea und andere, wobei es innerhalb beider Blöcke zu Spannungen und Konflikten kommt. Es gibt auch einen zunehmenden Trend zur Stärkung der erweiterten BRICS, zu denen Russland und China gehören – als Block, wie das auf dem jüngsten Gipfel in Kasan, Russland, deutlich wurde.
Das Gipfeltreffen, an dem über dreißig Länder teilnahmen, war ein Erfolg für Putin. Die BRICS gewinnen mehr Bedeutung als früher. Es handelt sich um einen instabilen neuen Block, der die neue Weltlage und die sich entwickelnde geopolitische Situation widerspiegelt. Putins Vorschlag, den Handel mit Nicht-US-Dollar-Währungen zwischen ihnen zuzulassen, wurde zwar auf diesem Gipfel nicht vereinbart, könnte aber irgendwann erneut auftauchen, wenn diese Länder versuchen, die Vorherrschaft des US-Dollars zu schwächen.
Die neue Ära der Weltbeziehungen hat unweigerlich einen Zusammenprall wirtschaftlicher und strategischer Interessen mit sich gebracht. Dies spiegelt sich nun in zwei großen Kriegen wider, die derzeit stattfinden – in der Ukraine und im Nahen Osten. Beide haben globale Züge angenommen, einschließlich der Beteiligung der wichtigsten imperialistischen Mächte und instabilen Blöcke.
Der westliche Imperialismus, der Kapitalismus und das ultrarechte nationalistische Regime von Netanjahu in Israel haben im Nahen Osten die Pforten der Hölle geöffnet. Im Gazastreifen, im besetzten Westjordanland, im Libanon, im Jemen, im Irak und in Syrien kommt es zu massenhaftem Gemetzel und Abschlachten, während sich ein regionaler Krieg anbahnt. In vielerlei Hinsicht wird bereits ein regionaler Krieg geführt, mit Kämpfen im Gaza-Streifen, im Libanon, im Jemen, im Irak, in Syrien und nun auch mit offenen gegenseitigen Bombenangriffen zwischen Israel und dem Iran. Obwohl es sich noch nicht um einen totalen Krieg zwischen Israel und Iran handelt, könnten weitere Entwicklungen andere Länder, einschließlich der USA, in direkte militärische Auseinandersetzungen und möglicherweise längere Konflikte verwickeln.
Das palästinensische Volk leidet seit über einem Jahr unter dem brutalen Ansturm des völkermörderischen Krieges, den das israelische Regime entfesselt hat. Dies geschah nach den blutigen Angriffen der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023. Die offizielle Zahl von über 42.000 Toten verschleiert sogar das Ausmaß des dystopischen Albtraums, der sich hier abspielt. Zehntausende liegen unter den Trümmern des Gazastreifens und 1,9 Millionen Palästinenser*innen wurden vertrieben.
Die „Hunde des Krieges“ sind entfesselt
Das israelische Regime hat die „Hunde des Krieges“ entfesselt. Das palästinensische Volk leidet unter einem nicht enden wollenden Ansturm von Raketen, Bomben, Panzern, erzwungenem Hunger, Hungersnot, Schlägen, körperlichem und sexuellem Missbrauch und Folter. Diese Qualen sind seit dem 7. Oktober 2024 noch schrecklicher geworden, als anlässlich des Jahrestages der Angriffe der Hamas ein erneuter Angriff und eine neue Bodenoffensive im nördlichen Gazastreifen gestartet wurde. Dort werden den Menschen im Zuge der ethnischen Säuberung zwei Möglichkeiten angeboten. Der so genannte „Plan der Generäle“, der für die Palästinenser*innen das Prinzip „Verlassen, Aufgeben oder Verhungern“ vorsieht, wird ausgeführt. Man hat die Wahl zwischen ethnischer Säuberung, Vertreibung auf einen ebenso unsicheren Trümmerhaufen oder Tod durch Verhungern, Erschießen oder beides. Jetzt wurde auch das medizinische Personal des Jabalia-Krankenhauses entführt. Diese Angriffe spiegeln sich in der zunehmenden Unterdrückung und Ermordung im Westjordanland wider, wo Siedler*innen zusammen mit den israelischen Verteidigungskräften (IDF) Palästinenser*innen angreifen und sie zunehmend von ihrem Land und ihren Häusern vertreiben. Die Umsetzung des Knesset-Beschlusses, die UN-Hilfsorganisation UNHWR zu verbieten und zu einer „terroristischen“ Organisation zu erklären, wird verheerende Auswirkungen angesichts der Kürzung der Hilfe für die Palästinenser*innen haben. Dies wurde von den meisten Oppositionsparteien in der Knesset befürwortet.
Das CWI hat von Anfang an darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Krieg nicht um eine bloße Wiederholung früherer Konflikte oder um eine bloße Verschärfung der Unterdrückung des palästinensischen Volkes handelt. Dieser Krieg hat einen qualitativ anderen Charakter, der verheerende Folgen in der Region und große Auswirkungen auf der ganzen Welt hat. Die Auswirkungen werden über Generationen hinweg zu spüren sein.
Charakter des israelischen Regimes
Dieser Krieg spiegelt eine grundlegende Veränderung des Charakters des israelischen Regimes in einem veränderten internationalen Umfeld wider. Das Netanjahu-Regime ist eine rechtsextreme nationalistische Koalition, der eine Minderheit faschistischer Parteien aus der Koalition der Religiösen Zionistischen Partei angehört, wie z.B. die von Ben-Gvir geführte Jewish Power. Um zu verstehen, was derzeit geschieht, ist es wichtig, den wahren Charakter des derzeitigen israelischen Regimes zu erkennen. Es sieht die Chance, das Kräfteverhältnis dramatisch zu seinen Gunsten zu verschieben, indem es eine große Zahl von Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen verdrängt, im Westjordanland durch den weiteren Ausbau der so genannten Siedlungen das Gleiche tut und seine Gegner im Nahen Osten, angefangen bei der Hamas, der Hisbollah und dem Iran, schwächt.
Das bedeutet nicht, dass die Mehrheit der israelischen Bevölkerung alle Kriegsziele der israelischen Regierung unterstützt. Das ist nicht der Fall. Das derzeitige Regime verfügt jedoch über die Staatsmacht, hat eine bedeutende gesellschaftliche Basis und gibt das Tempo in diesem blutigen Krieg gegen das palästinensische Volk vor.
Vor dem Krieg brach im Jahr 2023 eine Massenbewegung gegen das Netanjahu-Regime aus. Sie dauerte neun Monate und schloss einen Generalstreik ein (sowie einige der größten Demonstrationen seit der Gründung Israels im Jahr 1948). Diese bedeutende Bewegung richtete sich gegen die Netanjahu-Regierung, die versuchte, die Justiz außer Kraft zu setzen. Allerdings fehlte es ihr an einer ausreichenden Organisation der Arbeiter*innenklasse und an einem Programm zur Absetzung der Regierung oder zur Veränderung der Gesellschaft. Seitdem wird das Netanjahu-Regime von den meisten Israelis für die Sicherheitsmängel, die durch die Angriffe vom 7. Oktober aufgedeckt wurden, und für das Versäumnis, der Rückkehr der Geiseln Priorität einzuräumen, verantwortlich gemacht. Seit Beginn des Krieges kam es schließlich zu großen Protesten, die sich darauf konzentrierten, die bisher nicht verfolgte Freilassung der von der Hamas entführten Geiseln sicherzustellen.
Doch trotz des Widerstands eines Teils der herrschenden Klasse und des größten Teils der israelischen Bevölkerung gegen das Regime waren die Proteste bisher nicht in der Lage, es zu entmachten. Teile der Kapitalist*innenklasse sahen sich gezwungen, sich an die Massen zu wenden und den eintägigen Generalstreik zu unterstützen, zu dem der Histadrut-Anführer*innen aufgerufen hatte. Dieses Ereignis war äußerst bedeutsam und verdeutlichte die potenzielle Macht der Arbeiter*innenklasse. Es handelte sich jedoch um eine klassenübergreifende Aktion, die von einer Schicht der Unternehmer*innen unterstützt wurde. Einige Unternehmen schlossen oder baten ihre Mitarbeiter, nicht zur Arbeit zu kommen. Der Streik hatte etwas von einem klassenübergreifenden „Hartal“, der in der Vergangenheit in Indien ausgerufen worden war. Diese Aktion in Israel war bedeutend, aber sie wurde von den rechten Histadrut-Gewerkschaftsführer*innen nicht als unabhängige Klassenaktion der Arbeiter*innenklasse organisiert. Es handelte sich um eine gemeinsame Aktion mit dem größten Teil der herrschenden Klasse. Sie wandte sich gegen Netanjahus Kriegsführung und forderte die Freilassung der Geiseln, aber große Teile waren nicht unbedingt gegen den Krieg an sich, vor allem nicht gegen den Krieg gegen die Hisbollah und die Hamas.
Die offensichtlichen israelischen Erfolge bei den Angriffen auf die Hisbollah haben Netanjahu jedoch einen gewissen Rückhalt gegeben, dessen Regierung jetzt relativ stabiler ist als in der letzten Zeit. Wie lange dies anhält, bleibt abzuwarten. Die Furcht, aus Israel vertrieben zu werden, ist in der israelischen Gesellschaft tief verwurzelt. Die Hisbollah an der Nordgrenze Israels wird als eine der größten Bedrohungen angesehen. So konnte Netanjahu vorübergehend aus den Schlägen, die der Hisbollah zugefügt wurden, Kapital schlagen.
Krieg im Libanon
Seit dem 2. September hat das Netanjahu-Regime den Krieg dramatisch auf den Libanon ausgeweitet. Er hat das libanesische Volk gewarnt, dass, wenn es die Hisbollah nicht beseitigt, „der Libanon mit Zerstörung und Leid konfrontiert wird, wie wir es in Gaza sehen“. Bevor die Bomben fallen, sendet die IDF euphemistisch so genannte „Evakuierungsbefehle“ (eine angebliche Warnung, das Gebiet vor der Bombardierung zu verlassen). Oft wird die Nachricht mitten in der Nacht an Mobiltelefone gesendet, manchmal mit einer Vorlaufzeit von 30 Minuten. Die Botschaft des israelischen Militärsprechers auf Arabisch ist unverblümt. „Verschwindet oder sterbt“.
Mehr als eine Million Libanes*innen sind bereits aus ihren Häusern vertrieben worden, hinzu kommen fast zwei Millionen Palästinenser*innen. Mit der weiteren Eskalation der Krise werden sicherlich noch mehr Elend und Leid folgen.
Der Einmarsch in den Libanon wurde vom israelischen Regime nach dem Krieg gegen die Hisbollah im Jahr 2006 über fast zwei Jahrzehnte hinweg genau geplant und ausgefeilt. Den israelischen Geheimdiensten ist es gelungen, die Hisbollah zu infiltrieren. Die geplante, koordinierte Explosion von Pagern und Walkie-Talkies, die von Hisbollah-Kämpfer*innen und -Anhänger*innen benutzt wurden, und die verheerende Auswirkungen auf die Kommunikation hatte, war eine Operation, die Jahre im Voraus geplant wurde.
Die aktuelle Offensive folgte auf die letzte größere Konfrontation mit der Hisbollah im Jahr 2006, die ergebnislos verlief. Eine erneute Konfrontation war irgendwann unvermeidlich.
Der westliche Imperialismus, angeführt von Biden, hat Krokodilstränen vergossen, Netanjahu zur „Zurückhaltung“ ermahnt und zur Beendigung des Konflikts aufgerufen. Sie befürchten einen ausgewachsenen regionalen Krieg zwischen dem Iran und Israel, in den auch arabischen Staaten und sogar andere Länder wie die Türkei hineingezogen werden könnten. Die regionalen und globalen Folgen eines solchen Schlachtfeldes wären katastrophal. Hinter den Krokodilstränen, die der US-Imperialismus vergießt, verbirgt sich jedoch die Tatsache, dass er Israel allein im letzten Jahr mit 18 Milliarden US-Dollar Militärhilfe versorgt hat. Außerdem hat er Tausende weiterer US-Soldat*innen in den Nahen Osten entsandt, darunter Geschwader von F-15E-, F-16- und F-22-Kampfjets, und einen zusätzlichen Flugzeugträger in die Region.
Die Ermordung des Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallah und des Hamas-Anführers im Gazastreifen, Yahya Sinwar, hat die Krise, wie von Netanjahu beabsichtigt, dramatisch eskaliert. Beide wurden von vielen in der arabischen Welt und in einigen Gebieten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas als „heldenhafte“ Kämpfer gegen Israel angesehen. Dies ist jedoch nicht einheitlich.
Die Ermordungen und die militärischen Bombardierungen, durch die weitere wichtige Führungspersönlichkeiten beider Organisationen ausgeschaltet wurden, haben beiden Organisationen zweifellos einen schweren Schlag versetzt. Die IDF haben nach eigenen Angaben auch den nächsten Hisbollah-Anführer, Hashem Safieddine, getötet, den Vorsitzenden des höchsten Exekutivrats der Organisation, der vor einigen Jahren als Nachfolger Nasrallahs vorgesehen war. Die IDF behaupten außerdem, sie hätten Ali Hussein Hazima, den Leiter des Geheimdienstes der Gruppe, getötet. Diese Hinrichtungen in Verbindung mit den massiven Luftangriffen haben die Hisbollah zweifellos schwer getroffen.
Kriegsführung wie in „Matrix“
In diesem Krieg haben die IDF KI und moderne Technologie eingesetzt, wie dies auch im Krieg in der Ukraine der Fall war. Die IDF haben sie jedoch auf ein höheres Niveau gebracht. Die explodierenden Walkie-Talkies und Pager am 17. September illustrierten die spektakulären High-Tech-Methoden, die die IDF entwickelt haben.
Unter anderem verwendet es algorithmisch erstellte Tötungslisten. Der Einsatz der algorithmischen Kriegsführung hat die militärischen Operationen Israels verändert. Es verfügt über zahlreiche KI-gestützte Systeme. Laut der Tageszeitung Yedioth Ahronoth hat der ehemalige Generalstabschef der IDF, Aviv Kochavi, in jeder Armeebrigade einen „hochentwickelten Geheimdienstapparat, der an den Film ‚The Matrix‘ erinnert“.
Im Gazastreifen wurden vor allem drei Instrumente eingesetzt: „Lavender“, „Gospel“ und „Where’s Daddy“. „Lavender“ liefert eine Liste von Personen, die zur Ermordung freigegeben sind. „Gospel“ ermittelt, wo sie leben, angeblich Waffen lagern oder militärische Operationen planen. „Where’s Daddy“ sendet Warnungen, wenn die Zielperson ihr Haus betritt, und informiert das Militär darüber, wo es zuschlagen soll. Alle drei durchforsten Unmengen von Daten aus Drohnen, Satellitenaufklärung, Standortüberwachung, sozialen Medien, Telefonaten, Textnachrichten und verschlüsselten Messaging-Anwendungen.
Vor zwanzig Jahren war die Einheit 8200 der IDF unbedeutend. Heute ist die Einheit die größte der IDF und hat sich auf die Entwicklung dieser Methoden spezialisiert. Einige ihrer Mitarbeiter verbringen die Vormittage in ihren technischen Berufen in Tel-Aviv und die Nachmittage in den Kommandozentralen mit der Bedienung von Attentatstechnologie. Das ist Matrix-Kriegsführung im Jahr 2024! Der Einsatz dieser Methoden und der KI ist eine Warnung an die internationale Arbeiter*innenklasse. Sie können auch in anderen Kriegen eingesetzt werden. Sie sind auch eine Warnung an die Arbeiter*innenklasse, dass die herrschende Klasse in jedem Land, das sich einer ernsthaften Bedrohung seiner Herrschaft durch die Arbeiter*innenklasse gegenüber sieht, zu solchen repressiven Mitteln greifen könnte. In den 1970er Jahren koordinierten die verschiedenen Militärregime in Lateinamerika zusammen mit dem US-Imperialismus ihre Repression gegen Arbeiter*innen und linke Aktive auf dem gesamten Kontinent in der „Operation Condor“. Hätten sie Zugang zu künstlicher Intelligenz gehabt, wäre die Unterdrückung und Hinrichtung von Aktiven noch brutaler und klinisch effektiver gewesen. Die einzige Möglichkeit, solche Repressionsmethoden zu besiegen, ist eine Massenbewegung, die so stark ist, dass sie einen Staatsapparat, der sie einsetzt, überwältigen kann. Der anfängliche Erfolg der Anschläge vom 7. Oktober 2023 gegen zahlreiche IDF-Stützpunkte zeigt jedoch auch, dass kein System narrensicher ist.
Joe Biden, Kamala Harris und der US-Außenminister Lloyd Austen haben den Tod Nasrallahs schnell gefeiert. Wie Netanjahu betrachten sie diese Morde als willkommenen Teil des Kampfes zur Zerschlagung von Hamas und Hisbollah. Doch wie der britische Premierminister Robert Walpole im 18. Jahrhundert sagte: „They now ring the bells, but they will soon wring their hands“ (sinngemäß: „Jetzt feiern sie, aber schon bald werden sie jammern“, A.d.Ü.).
Obwohl geschwächt, existieren sowohl die Hamas als auch die Hisbollah-Organisationen weiter. Das Wiederaufflammen der schweren Kämpfe im nördlichen Gazastreifen zeigt, dass die „Erfolge“ der IDF künftigen Widerstand nicht verhindern werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Niederlage solcher Organisationen nicht von Dauer sein wird. Kapitalismus und Imperialismus sind nicht in der Lage, die zugrunde liegenden nationalen und sozialen Widersprüche zu lösen, die Hamas und Hisbollah und diesen Krieg hervorgebracht haben. Dies wird, insbesondere nach dem Ausmaß des Gemetzels, das von den IDF angerichtet wird, nur zu ihrem Wiederaufleben oder ihrer Wiedergeburt in einer stärkeren und extremeren Form führen. Dies kann in Form der Wiederbelebung bestehender oder der Entwicklung neuer Organisationen geschehen, wie beispielsweise die Entwicklung der provisorischen IRA im Norden Irlands in den frühen 1970er Jahren zeigt. Ein militärischer Sieg, selbst wenn er möglich wäre, kann die zugrunde liegenden sozialen und politischen Wurzeln des Konflikts nicht lösen, die solche Organisationen hervorbringen, die eine soziale Unterstützer*innenbasis haben.
Das von Netanjahu geführte Regime spiegelt ein Merkmal wider, das in der heutigen Weltlage in unterschiedlichem Ausmaß anzutreffen ist. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus dem Verlust der Kontrolle über die politische und staatliche Infrastruktur durch den dominanten Teil der herrschenden Klasse, der häufig von tiefen politischen Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse begleitet wird. Dies betrifft derzeit viele Länder in unterschiedlichem Ausmaß. Israel veranschaulicht dies in einer extremen Form. Das enorme politische Vakuum, das in den meisten Ländern besteht, wo die traditionellen Parteien des Kapitalismus ihre soziale Basis verloren haben, hat es politischen Parteien und Einzelpersonen ermöglicht, dieses Vakuum zu füllen, die nicht immer die besten Interessen des Kapitalismus vertreten.
Große Teile der israelischen herrschenden Klasse sind gegen Netanjahu, dessen Regime die gesamte Region destabilisiert hat. Sie sehen in Netanjahus ultra-rechtsnationalistischem Regime eine Bedrohung für ihre Interessen. Das bedeutet nicht, dass sie gegen einen Krieg gegen die Hisbollah oder die Hamas sind oder dass sie die nationalen und demokratischen Rechte der Palästinenser*innen unterstützen.
Netanjahu will ein ‘Groß-Israel’
Der Krieg, der von Netanjahus Regierung geführt wird, ist auch ideologisch motiviert. Netanjahu und sein Regime wollen nämlich ein „Groß-Israel“ („Eretz Israel“) errichten. Wie es im Gründungsprogramm seiner Partei Likud von 1977 heißt, wird es „zwischen dem Meer und dem Jordan nur israelische Souveränität geben“. Sie versuchen nun, an einer Reihe von Fronten voranzukommen, um den Nahen Osten neu zu konfigurieren und ihre eigene Hegemonie in der Region zu etablieren. Dazu gehören der Regimewechsel in Teheran, die Zerschlagung der Hisbollah, der Hamas und der iranischen Stellvertreterkräfte, der „Achse des Widerstands“ im Jemen, Irak, Syrien und anderswo.
Die Konfrontation zwischen Israel und Iran hat sich während der aktuellen Krise qualitativ verändert. Seit Jahren finden Zusammenstöße statt. Bislang ging es dabei um Spionage, Attentate und einige Angriffe Israels, die es nie zugegeben hat. Jetzt sind die Zusammenstöße eskaliert, werden offen ausgetragen und nehmen im Allgemeinen zu.
Die Mehrheit des iranischen Regimes will unbedingt vermeiden, dass der Konflikt zu einem totalen Krieg eskaliert. Bislang hat es sich bei seinen Vergeltungsmaßnahmen gegen israelische Angriffe zurückgehalten. Die jüngsten Bombardierungen bedeuten jedoch eine deutliche Steigerung gegenüber den bisherigen Angriffen. Bei seinem letzten Angriff beschränkte Israel seine Reaktion und traf nur militärische Ziele. Dennoch war es eine verschärfte Reaktion. Offenbar ist es der Regierung Biden in diesem Fall gelungen, Netanjahu zu zügeln. Der Iran scheint zum jetzigen Zeitpunkt nicht bereit zu sein, Vergeltung zu üben, wird dies aber wahrscheinlich in irgendeiner Form tun.
Es wird jedoch auch befürchtet, dass das Netanjahu-Regime sein Vorgehen im Libanon wiederholen wird.
Eine Reihe schrittweise verstärkter Angriffe als Vorspiel zu einem tödlichen Angriff. Die jüngsten beispiellosen Bombenangriffe mit dem Codenamen „Operation Tage der Reue“ zielten auf iranische Raketenproduktionskapazitäten und betrafen in erheblichem Maße Luftabwehrsysteme, die zum Schutz mehrerer wichtiger Öl- und petrochemischer Raffinerien eingerichtet wurden. Diese Angriffe deuten auf die Möglichkeit weiterer Angriffe auf Öl- und Gasraffinerien zu einem späteren Zeitpunkt hin.
Es gibt viele Falken im israelischen Regime, die dafür sind, die ihrer Meinung nach einmalige Gelegenheit zu nutzen, das iranische Regime zu beseitigen, wenn seine „Achse des Widerstands“ geschwächt und desorientiert ist, die iranischen militärischen Fähigkeiten geschwächt sind und der Iran von wirtschaftlichen und sozialen Turbulenzen im eigenen Land betroffen ist (letzteres gilt auch für Israel). Gleichzeitig gibt es im Iran Hardliner, die einen Krieg mit Israel jetzt vorziehen, anstatt ihn auf einen Zeitpunkt zu verschieben, an dem sich der Iran in einer noch schwächeren Position befinden könnte.
In dieser Situation, insbesondere wenn die israelischen Angriffe andauern, ist es nicht ausgeschlossen, dass das iranische Regime die Schritte unternimmt, die es bisher vermieden hat, um sein Atomwaffenprogramm zu entwickeln. Dies hätte auch entscheidende Auswirkungen auf das Kalkül des israelischen Regimes, das bereits über Atomwaffen verfügt und sich zu einem „Erstschlag“ verleiten lassen könnte. Der US-Imperialismus und der westliche Imperialismus würden versuchen, einen solchen schrecklichen Alptraum zu verhindern. Ob ihnen das in einer solchen Situation gelingen würde, bleibt abzuwarten, insbesondere wenn Trump oder eine ähnliche Figur im Weißen Haus sitzen sollte. Der Einsatz irgendeiner Form von A-Waffen oder „Superbomben“ im Nahen Osten hätte enorme regionale und globale Auswirkungen. Er würde massive Proteste auslösen. Es könnte auch andere Länder wie Saudi-Arabien ermutigen, sich mit Atomwaffen zu bewaffnen.
Die begrenzten Vergeltungsmaßnahmen, die sowohl Israel als auch der Iran bei den jüngsten militärischen Auseinandersetzungen ergriffen haben, bedeuten nicht, dass der Konflikt zwischen ihnen gelöst ist. Eine weitere Eskalation ist vorprogrammiert, zumal der Krieg in Gaza und Libanon weitergeht.
Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen kann einen entscheidenden Einfluss auf die kurzfristige Entwicklung dieses Konflikts haben.
Die Veränderung des Charakters des israelischen Regimes, die eine Veränderung der israelischen Gesellschaft in den letzten Jahren widerspiegelt, wurde vom westlichen Imperialismus, einschließlich der USA, sowie vom Iran und der Hisbollah unterschätzt.
Iran und Hisbollah
Nasrallah und das iranische Regime haben einen umfassenden regionalen Krieg nicht gewollt, weil dies Konsequenzen hätte und angesichts der militärischen Überlegenheit Israels eine Bedrohung für sie darstellen würde. Die Menschen im Libanon und im Iran wollen keinen Krieg. Der schreckliche Angriff am 7. Oktober 2023 lieferte dem israelischen Regime den Vorwand für seinen brutalen Angriff auf den Gazastreifen und nun auf den Libanon. Nasralla ging davon aus, dass er durch Angriffe auf militärische und verteidigungspolitische Infrastrukturen und die Vermeidung ziviler Angriffe seine Solidarität mit dem palästinensischen Volk demonstrieren und Israel zu einem Waffenstillstand und einer Einigung mit der Hamas bewegen könnte.
Sowohl das iranische Regime als auch die Hisbollah haben betont, dass sie dies nicht als eine endgültige apokalyptische Schlacht mit Israel betrachten. Der Iran hat auch versucht zu vermeiden, dass die Hisbollah als Kampftruppe verkrüppelt wird, und wollte sie für künftige Konflikte mit Israel erhalten. Beide haben sich verkalkuliert und den Charakter des israelischen Regimes falsch eingeschätzt.
Der US-Imperialismus will nicht, dass ein größerer Konflikt in der Region ausbricht, weil er dessen globale Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die geopolitischen Rivalitäten insbesondere mit Russland und China fürchtet. Doch wie sich die Ereignisse in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln werden, liegt nicht allein in der Hand der Hisbollah, des iranischen Regimes oder gar des US-Imperialismus.
Das israelische Regime hatte die Hisbollah von Anfang an im Visier. Nach dem 7. Oktober wollte Verteidigungsminister Yoav Gallant Berichten zufolge zuerst die Hisbollah und nicht die Hamas angreifen. Obwohl Netanjahu dies ablehnte, blieb die Frage eines Angriffs auf die Hisbollah aktuell. Elf Monate lang bombardierte Israel den Südlibanon, und die Hisbollah reagierte innerhalb bestimmter Grenzen. Die roten Linien wurden jedoch überschritten, als der Konflikt auf beiden Seiten immer weiter verschärft wurde (obwohl 80 Prozent der Angriffe entlang der Grenze von Israel ausgingen).
Gleichzeitig ist eines von Netanjahus lang gehegten, reaktionären zionistischen Zielen die vollständige Kontrolle und Annexion des Westjordanlandes. Dies beinhaltet die mögliche Aussicht, die Masse der Palästinenser*innen nach Jordanien oder Ägypten zu treiben und damit jede Hoffnung auf einen palästinensischen Staat zu zerstören, den Netanjahu und sein Regime strikt ablehnen. Dies ist Teil des Ziels eines „Großisrael“. Die jordanische Monarchie fürchtet die Annexion des Westjordanlandes und die Umwandlung Jordaniens in einen alternativen palästinensischen Staat im Exil, zu dem es teilweise in den 1960er Jahren wurde. Dieses Ziel gehört zum Programm von Netanjahus Likud-Partei seit ihrer Gründung, als sie erklärte, „die Errichtung eines ‚palästinensischen Staates‘ gefährdet die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung, gefährdet die Existenz des Staates Israel und vereitelt die Aussichten auf Frieden“. Das Netanjahu-Regime versucht nun, ihn zu verwirklichen. Es wird in seiner Regierung und wahrscheinlich auch in Mar-a-Lago offen diskutiert. Sollte Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewinnen, ist es möglich, dass er Netanjahus Versuche, dieses Ziel zu erreichen, unterstützen wird.
Ob dieses Ziel realisierbar ist, bleibt abzuwarten und hängt davon ab, wie sich die Ereignisse auf dem Schlachtfeld und in der Politik entwickeln. Um dieses reaktionäre Alptraumszenario zu verwirklichen, müssen massive Hindernisse überwunden werden. Sollte dieses Ziel erreicht werden, würde dies keineswegs, wie von den Befürwortenden behauptet, „Frieden“ und Sicherheit für die jüdische Bevölkerung Israels bringen, sondern eine weitere Ära des Konflikts, der Konfrontation und ein weiteres Blutbad mit einer massiven Gegenreaktion, insbesondere in der arabischen Welt, zur Folge haben. Wie auch immer es ausgeht, das zionistische Regime, der Imperialismus und der Kapitalismus werden die nationalen Bestrebungen der palästinensischen Massen nicht zerstören.
Die Angst des israelischen Volkes, einen künftigen Krieg zu verlieren und „ins Meer gestoßen“ zu werden, wäre mit einer erneuten Vertreibung der Palästinenser*innen – einer weiteren Nakba – nicht verschwunden.
Selbst wenn Israel die Hisbollah und andere Mitglieder der „Achse des Widerstands“ vorübergehend lahmlegen würde, wäre es mit dem Auftauchen eines weiteren Hydra-Kopfes konfrontiert, der noch grausamer ist.
Die Hisbollah wurde 1982 mit Unterstützung des iranischen Regimes nach der israelischen Invasion im Libanon gegründet. Mit der PLO war seit 1981 ein Waffenstillstand geschlossen worden. Wie die anderen nationalen Befreiungsbewegungen jener Zeit war auch die PLO radikaler und vertrat die Ansicht, sie führe einen antiimperialistischen Kampf für ein säkulares Palästina, wenn auch mit den falschen Methoden des individuellen Terrorismus. Die PLO bot jedoch zunehmend keinen Ausweg mehr, verstrickte sich in Korruption und verlor an Rückhalt in der Bevölkerung. Ein Attentat auf den Londoner Botschafter im Juni 1982 diente dem damaligen israelischen Verteidigungsminister Ariel Sharon als Vorwand, in den Libanon einzumarschieren und der dort ansässigen PLO den Krieg zu erklären. Der Einmarsch Israels rief schließlich großen Widerstand und eine Revolte unter der schiitischen Jugend im Libanon hervor.
Nasrallah war einer von ihnen. Er stammte aus einem Arbeiter*innenvorort von Beirut, der größtenteils von Armenier*innen bewohnt war, bis diese zu Beginn des sektiererischen Bürgerkriegs im Libanon 1975 von einer christlichen Miliz vertrieben wurden. Die Hisbollah wurde als ein Flügel des reaktionären politischen Islam gegründet. Politisch unterscheidet sie sich ebenso wie die Hamas völlig von den nationalen Befreiungsbewegungen, die es in der Vergangenheit gab. Die Hisbollah appelliert auf populistische Weise an die Unterdrückten und Armen, die einen Großteil ihrer sozialen Basis ausmachen. Nasrallah bewunderte die „Bewegung der Entrechteten“ des aus dem Iran stammenden Klerikers Musa al-Sadr, die sich für die unterdrückten Schiit*innen im Libanon einsetzte. 1982 schickte die iranische Revolutionsgarde 1500 Kämpfer*innen in den Libanon und begann, die Hisbollah als Miliz zu organisieren. Die Hisbollah entwickelte sich zu einem „Staat im Staat“ mit einer starken sozialen Infrastruktur und politischen Basis und baute einen mächtigen militärischen Flügel auf.
Der populistische Appell an die Unterdrückten sollte nicht über das politisch reaktionäre Programm und die Rolle, die die Hisbollah gespielt hat, hinwegtäuschen. Nasrallah wurde in den 1980er Jahren nachgesagt, an der Ermordung libanesischer Kommunist*innen beteiligt zu sein. Im Jahr 2012 gingen Hisbollah-Kämpfer*innen unter der Führung von Nasrallah zur Unterstützung der Assad-Diktatur nach Syrien und griffen sunnitische Dörfer an. Sie griffen unter anderem deshalb ein, weil es nach dem Sturz des Assad-Regimes schwieriger geworden wäre, Waffen aus dem Iran in den Libanon zu liefern. Die Hisbollah war auch aus konfessioneller Sicht gegen die sich bildenden sunnitischen Milizen. Im Libanon selbst hat die Hisbollah die konfessionelle Spaltung gefördert, obwohl sie die konfessionelle Infrastruktur opportunistisch nutzte, um ihre eigene politische Position und ihren Einfluss zu stärken.
Die israelischen Angriffe auf den Libanon richteten sich zum Teil gegen diejenigen, die aus den schiitischen Gebieten geflohen sind und in überwiegend christlichen und sunnitischen Gebieten und anderen Bezirken Zuflucht gefunden haben. Dies ist eine bewusste Politik, mit der versucht wird, den Ausbruch eines erneuten konfessionellen Konflikts im Libanon zu provozieren.
Geopolitik des Nahen Ostens im Wandel
Die Ereignisse der letzten 12 Monate haben die politische Lage in der Region verändert. Wie sich dies nun weiterentwickeln wird, ist derzeit ungewiss. Es herrscht ein Zustand des Wandels. Vor zwölf Monaten bereitete der andere Hauptanwärter auf die Regionalmachtrolle, das sunnitische Regime in Saudi-Arabien, die Anerkennung Israels im Rahmen einer „Normalisierungsvereinbarung“ vor, die die geopolitische Lage möglicherweise verändert hätte. Es hätte seinen Rivalen, den schiitisch dominierten Iran, weiter isoliert und gleichzeitig die Interessen des palästinensischen Volkes beiseite geschoben.
Die Grausamkeit der israelischen Offensive gegen das palästinensische Volk war jedoch ein entscheidender Faktor, der das saudische Regime zu einem Kurswechsel gezwungen hat. Mohammed bin Salman, der Kronprinz von Saudi-Arabien, sagte kurz nach dem 7. Oktober zu Anthony Blinken: „Liegt mir persönlich die palästinensische Frage am Herzen? Mir nicht, aber meinem Volk schon, also muss ich dafür sorgen, dass [die Frage der Palästinenser*innen] von Bedeutung ist“. Die sehr junge Bevölkerung in Saudi-Arabien, deren Mehrheit unter neunundzwanzig Jahre alt ist, empfindet eine überwältigende Sympathie für das palästinensische Volk und ist gegen Israel. Selbst die theokratische Feudalmonarchie in Saudi-Arabien ist gezwungen, dieser Stimmung Rechnung zu tragen. Auch andere wichtige Veränderungen haben sich vollzogen. Das saudische Regime, dessen wichtigster Handelspartner jetzt China ist, fühlt sich sicherer, nicht einfach dem Diktat des US-Imperialismus zu folgen.
Es gibt zaghafte, instabile, aber wichtige Entwicklungen bei den geopolitischen Ausrichtungen in der Region. Trotz historischer konfessioneller Gegensätze und Rivalitäten zwischen den sunnitischen Staaten und dem schiitischen Iran trafen sich die Außenminister der Golfstaaten gemeinsam mit ihren iranischen Amtskollegen. Es folgten Besuche des iranischen Regimes im Irak, im Oman und dann in Jordanien, Ägypten und der Türkei. Diese Entwicklung ist noch sehr zaghaft, deutet aber auf einen möglichen Trend und Wandel hin, der sich in der Region anbahnt. Eine Annäherung der sunnitischen und schiitischen Regime ist jedoch mit massiven Problemen behaftet. Zum Beispiel die iranische Unterstützung für die Houthis im Jemen, die Saudi-Arabien angegriffen haben. Dennoch spiegelt es das wider, was ein saudischer Geschäftsmann sagte; dass jegliche Assoziation mit Israel angesichts der Entwicklungen in Gaza nun „toxisch“ sei.
Gleichzeitig werden das saudische Regime und seine Verbündeten versuchen, die Situation zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen und ihre Position gegenüber dem Iran und der „Achse des Widerstands“ zu stärken. Wie sich diese beiden Tendenzen entwickeln werden, ist in einer derart unbeständigen, explosiven Situation ungewiss. In ihr spielen nicht nur die regionalen geopolitischen Faktoren eine Rolle, sondern auch der geopolitische Kampf zwischen dem US-Imperialismus und China (zusammen mit Russland). Sie alle sind Akteure in dieser modernen Neuauflage des „Great Game“ des 19. Jahrhunderts, das sich zwischen den russischen und britischen Kolonialmächten um Einfluss und Kontrolle in Zentralasien abspielte.
Die Tragödie des sich abspielenden Alptraums ist das Fehlen einer unabhängigen organisierten Massenbewegung derjenigen, die unter den Folgen dessen leiden, was Imperialismus, Kapitalismus und der zionistische Staat hinterlassen haben. Das heißt, die palästinensische Arbeiter*innenklasse und die palästinensischen Massen neben den Völkern im Libanon, den arabischen Massen und der israelischen Arbeiter*innenklasse.
Obwohl in der arabischen Welt einige große Proteste stattgefunden haben, ist es noch nicht zu einer Massenexplosion der Wut auf der Straße gekommen. Die Aussicht auf Massenproteste erschreckt die arabischen Machthaber. Die Hamas genießt bei einer bedeutenden Schicht der Palästinenser*innen und in der arabischen Welt Unterstützung und Sympathie, auch wenn diese nicht einheitlich ist. Die Hisbollah genießt Unterstützung und Sympathie bei der schiitischen Bevölkerung im Libanon, und sowohl die Hisbollah als auch die Hamas werden zweifellos als diejenigen angesehen, die bereit sind, gegen die Israelis zu kämpfen. Sie verteidigen jedoch ein Programm des reaktionären politischen Islams, dass sich nicht gegen den Kapitalismus wendet und den Massen keinen Ausweg bietet.
Notwendigkeit einer Massenbewegung der Arbeiter*innenklasse
Der Aufbau einer Massenbewegung der palästinensischen Arbeiter*innenklasse und der Armen ist unerlässlich. Die Bildung gewählter Kampfkomitees zur demokratischen Organisation und Führung einer solchen Bewegung ist dringend erforderlich. Eine solche Bewegung müsste eine bewaffnete Massenmiliz zur Verteidigung des palästinensischen Volkes aufbauen. Eine solche Massenbewegung müsste an die arabischen Massen appellieren, sich dem Kampf anzuschließen und die reaktionären herrschenden Regime in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien zu stürzen, die nichts getan haben, um das palästinensische Volk zu unterstützen oder zu verteidigen. Im Iran gibt es eine bedeutende innenpolitische Opposition gegen das Regime, die auch zur Unterstützung einer Massenbewegung des palästinensischen Volkes gewonnen werden könnte. Eine solche Bewegung in der gesamten Region mit einem revolutionären sozialistischen Programm, das mit Großgrundbesitzertum und Kapitalismus bricht und eine demokratische Alternative bietet, könnte die Grundlage für eine freiwillige demokratische sozialistische Konföderation des Nahen Ostens und die Bildung eines palästinensischen Staates schaffen.
Eine solche Entwicklung würde sich massiv auf die israelische Gesellschaft auswirken. Die Proteste und Streiks dort haben das Potenzial für den Aufbau einer unabhängigen Bewegung der Arbeiter*innenklasse gezeigt.
Der israelische zionistische Staat verfügt über einen der ausgeklügeltsten und mächtigsten Staatsapparate, die es gibt. Die israelische Gesellschaft ist von der Angst ergriffen, belagert und vertrieben zu werden. Israel ist zu der Falle geworden, vor der Leo Trotzki, der Mitanführer der russischen Revolution von 1917 und selbst jüdischer Abstammung, in den 1930er Jahren warnte. In jedem Jahrzehnt seit der Gründung des Staates Israel waren die Israelis mit Krieg und Gewalt konfrontiert. Bislang hat sich der israelische Staat damit gebrüstet, „jeden Krieg gewonnen“ zu haben, aber alle Israelis fürchten, dass ihnen im Falle einer Niederlage dasselbe widerfahren könnte, was sie den Palästinenser*innen angetan haben.
Daher die Unterstützung für die Brutalität der IDF-Angriffe nicht nur im Gazastreifen und im Libanon, sondern auch im Westjordanland. Sollte das israelische Regime zu dem Schluss kommen, dass es von außen existenziell bedroht ist, würde es mit dem gesamten ihm zur Verfügung stehenden Arsenal zuschlagen, möglicherweise einschließlich seines Atomwaffenarsenals. Außerdem würde der US-Imperialismus ihm zu Hilfe kommen. Die einzige Möglichkeit, eine solche Macht zu besiegen, besteht darin, das zu brechen, worauf sie sich stützt – die Masse der israelischen Bevölkerung. Ein revolutionäres sozialistisches Programm der palästinensischen und arabischen Massen müsste einen Appell an die israelischen Arbeiter*innen und Jugendlichen enthalten und ihnen das Recht auf einen eigenen Staat anbieten. Es würde einen Appell an die israelische Arbeiter*innenklasse beinhalten, sich freiwillig einer demokratischen sozialistischen Konföderation des Nahen Ostens anzuschließen. Dann wäre es möglich, eine Bewegung der palästinensischen Massen zusammen mit den israelischen Arbeiter*innen und Jugendlichen in einem Kampf zu vereinen, um die Gesellschaft zu verändern und den Alptraum zu beenden, den Imperialismus und Kapitalismus über die Region gebracht haben. Eine solche Bewegung, die beiden Völkern das Recht auf die Gründung eines eigenen Staates garantieren würde, falls sie dies wünschen, könnte einen Ausweg aus dem endlosen Kreislauf von Kriegen und Konflikten bieten. Auf einer kapitalistischen Grundlage ist eine solche Lösung nicht möglich. Eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft würde die Aussicht bieten, das demokratische und nationale Recht aller Völker der Region durchzusetzen.
Für eine sozialistische Alternative zu Kapitalismus und Imperialismus
Der Krieg im Nahen Osten ist ein militärischer Konflikt, in den der Kapitalismus und Imperialismus die Welt gestürzt hat. Ein anderer ist in der Ukraine. Das oligarchische kapitalistische Regime mit Putin an der Spitze ist aus eigenem Interesse in die Ukraine eingedrungen, um zu versuchen, die geopolitische Position Russlands zu stärken. Teilweise ideologisch motiviert, indem er sich weigerte, das Existenzrecht der Ukraine anzuerkennen, wollte Putin die Ukraine erobern und ihr die russische Herrschaft aufzwingen. Diese massive Fehleinschätzung hat dazu geführt, dass sich der Krieg seit fast zwei Jahren in die Länge gezogen hat. Die Ukraine hat es geschafft, sich Russland mit Hilfe massiver westlicher Unterstützung entgegenzustellen. Der westliche Imperialismus sah die Gelegenheit, einzugreifen und die Ukraine zu bewaffnen, um Putin, der zu einer Bedrohung seiner Interessen geworden war, in Schach zu halten. In der Tat führt die NATO jetzt einen Stellvertreterkrieg gegen Russland, indem sie ukrainische Truppen einsetzt. Der Ausgang des Krieges ist jedoch ungewiss; hinzu kommt die Möglichkeit, dass Trump die US-Wahl gewinnt, und sein erklärtes Ziel, das Selenskyj-Regime zu einem Deal mit Russland zu bewegen, um den Krieg zu beenden – was, so hofft Trump, auch die russischen Beziehungen zu China schwächen würde. Gegenwärtig dringen die russischen Streitkräfte weiter vor und bauen ihre Gebietsgewinne im Osten der Ukraine aus, was enorme Kosten an Menschenleben und Material verursacht.
Beide Kriege enthalten ein globales Element. Auch andere Konflikte können ausbrechen, insbesondere im südchinesischen Meer. Es gibt eine deutliche Tendenz, dass die beiden aktuellen großen Kriege, der Gaza-Krieg und der Ukraine-Krieg, die beiden wichtigsten instabilen Blöcke, die sich entwickeln, widerspiegeln. Das Engagement Russlands in Syrien, die Lieferung von Drohnen durch den Iran an Putin, die Entsendung von Truppen durch Nordkorea, um an der Seite der russischen Streitkräfte zu kämpfen, und die verstärkte Präsenz Chinas im Nahen Osten und andere Faktoren verdeutlichen diesen Trend. In dieser Hinsicht war das erweiterte Gipfeltreffen der BRICS-Staaten vor kurzem von Bedeutung. Die konkurrierenden Blöcke sind instabil und weisen viele Widersprüche auf, aber der Trend ist klar erkennbar.
Doch diese Konflikte spiegeln die Zeit wider, in der sich der Kapitalismus weltweit befindet. Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, einen der Kriege dauerhaft zu lösen. Die Aufgabe, eine revolutionäre sozialistische Massenalternative zu Kapitalismus und Imperialismus aufzubauen, ist dringender denn je.