IG Metall in die Offensive für Arbeitsplätze, Löhne und Klima

Gegenwehr statt Co-Management

Angesichts der drohenden Kahlschlags in der Industrie ist ein Kurswechsel bei der IG Metall dringend nötig. 

Mitten in der tiefen Wirtschaftskrise verkündet Daimler für das dritte Quartal einen Gewinnsprung und einen voraussichtlichen operativen Gewinn für 2020 auf das Vorjahresniveau von 4,3 Milliarden Euro – trotz weniger verkaufter Autos.  Eine ähnliche Meldung gab es von BMW. Das ist kein Anzeichen für das Ende der Krise, sondern Ausdruck davon, dass wenige Reiche und Krisengewinner im staatskapitalistischen China und anderswo sich die neuen Luxuskarossen mit hohen Gewinnspannen für die Premiumhersteller leisten können.  

Von Ursel Beck, Stuttgart

Der Gewinnsprung bei Daimler ist  aber vor allem Ergebnis davon, dass von den bis 2025 geplanten 30.000 Jobs, die vernichtet werden sollen, in 2020 bereits 13.000 abgebaut wurden. Auch die anderen Konzerne in der Auto- und Zulieferindustrie planen die massenweise Vernichtung von Arbeitsplätzen und  Kostensenkungsprogramme zu Lasten der Belegschaften. Laut KfW-Bank plant der Mittelstand den Abbau von einer Million Arbeitsplätze. Dazu gehören hunderttausende Jobs der Zuliefererindustrie.  

Corona beschleunigt Krise 

Die Autoindustrie steckt in einer tiefen Krise und zieht den Maschinenbau, die Stahlindustrie und die Wirtschaft insgesamt in eine tiefe Rezession. Corona hat diese Krise nicht verursacht sondern nur beschleunigt und kann sie bei weiteren Infektionswellen weiter verschärfen. Seit 2018 geht der weltweite Absatz von Autos zurück. 2019 sank die Produktion um neun Prozent. Dieses Jahr wird ein Produktionsrückgang von zwanzig Prozent erwartet. „Die internationalen Märkte sind in einem Ausmaß eingebrochen, für das wir keine Vergleiche haben“ erklärte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller. Der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöfer geht von weltweiten Überkapazitäten von sieben Millionen Autos aus. Die Folge davon ist ein harter Konkurrenzkampf. Dieser Konkurrenzkampf wird gnadenlos auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen und zusätzlich durch milliardenschwere staatliche Subventionen der jeweiligen Nationalstaaten unterstützt. Obendrauf sollen die Beschäftigten auch für die Milliardenverluste des von den Managern zu verantwortenden Dieselskandals bezahlen.  

Es geht um Profit

Trotz der Kaufprämie von  9000 Euro und der Steuerbefreiung bis 2030 lag der Anteil der E-Autos im September 2020 bei nur acht Prozent der Neuzulassungen; zwanzig Prozent waren Hybrid-Fahrzeuge mit E- und Verbrennerantrieb. Es hat auch nichts mit  Transformation zu tun, wenn Daimler die Produktion von Dieselmotoren von Untertürkheim nach Polen, oder Zuliefererbetriebe wie Mahle, Bosch, ZF und Continental Arbeitsplätze nach Ungarn, Tschechien, Rumänien oder China verlagern. Hier geht es um Lohndumping für Profite. Bei Continental hat der Betriebsrat im Werk Karben ausgerechnet, dass mit dem Standortsicherungsvertrag aus dem Krisenjahr 2009 bis 2020 insgesamt 52 Millionen Euro bei den Löhnen eingespart wurden: „Für einen wertgleichen Betrag der eingesparten Löhne wurden zwei neue Werke in Osteuropa aus dem Boden gestampft“. 

Die Beschäftigten – nicht nur bei Continental – haben mit Lohnverzicht und Arbeitsplatzabbau den Bau von neuen Werken in Niedriglohnländern finanziert, in die jetzt die Produktion verlagert wird. Die niedrigeren Löhne in Osteuropa und Asien dienen weiter als Mittel der Erpressung für Lohnsenkungen hierzulande. Doch nicht die Löhne sind zu hoch, sondern die Profite und Managergehälter. Wir können uns dieses Profitsystem nicht mehr leisten. Die Produktion muss raus aus Unternehmerhand. 

Umstellung der Produktion

Die Verschärfung der Krise durch Corona macht die Umstellung der Autoindustrie auf alternative Produktion zu einer noch dringenderen Notwendigkeit für die arbeitende Bevölkerung. Es kann nicht sein, dass sich die Reichen und Superreichen  in luxuriösen Autos einschließlich Virenfilter fortbewegen, während viele auf einen öffentlichen Verkehr mit viel zu wenig Kapazitäten und ohne Möglichkeit Abstand zu halten, angewiesen sind. Es kann nicht länger akzeptiert werden, dass die Arbeitskraft der Ingenieur*innen, Softwareentwickler*innen und Produktionsarbeiter*innen für immer mehr Schnickschnack und die digitale Hochrüstung von Autos verschwendet wird, während Signalanlagen, Weichen und Stellwerke bei der Bahn völlig veraltet, ständig defekt und der öffentliche Verkehr miserabel ausgebaut und vielfach unzuverlässig ist. Nur wo Profite winkten oder es den Unternehmern in den Kram gepasst hat, wurden in den letzten Monaten  Produktionsanlagen der Autoindustrie teilweise für die Produktion von Atemschutzmasken, Beatmungsgeräten und anderem medizinisches Equipment genutzt, sonst nicht. 

Mitarbeiter*innen von Bosch haben ein Gerät für einen Corona-Schnelltest entwickelt. Würde dieses Gerät in hoher Stückzahl produziert, könnten Massentest durchgeführt und viele Kontaktbeschränkungen vermieden werden. Beschäftigte, die Lüftungstechnik und Filtersysteme für Autos bauen, können dies auch für Klassenzimmer, Hörsäle und  öffentliche Verkehrssysteme. Während die Bundesregierung für die Profitinteressen der Autoindustrie weitere zwei Milliarden Euro für „Zukunftstechnologien“ wie autonomes Fahren zur Verfügung stellen will, ist sie  nicht bereit, eine Milliarde Euro für die Ausstattung aller Schulklassen mit HEPA-Luftfiltern zur Verfügung zu stellen, mit denen nachweislich infektiöse Aerosole aus der Raumluft fast vollständig herausgefiltert werden könnten.  

Mit einer Konversion der Autoindustrie für öffentliche Verkehrsmittel und andere gesellschaftlich sinnvolle Produktion könnten die Arbeitsplätze in der Autoindustrie und das Klima gerettet sowie die Pandemie eingedämmt werden. Grundvoraussetzung ist, die Abschaffung der Profitproduktion und des Konkurrenzkampfes durch Überführung der Autoindustrie in Gemeineigentum und demokratische Verwaltung und Kontrolle durch die arbeitende Bevölkerung. 

Proteste ausweiten

In den letzten Wochen haben IG Metall und Betriebsräte  Proteste gegen Arbeitsplatzabbau organisiert. In einigen Fällen gab es kurz darauf eine Vereinbarung mit Sozialplan und Transfergesellschaft zum Abbau von Arbeitsplätzen. In vielen anderen Betrieben wird darüber verhandelt. 

Das darf nicht so weitergehen. Zugeständnisse von Belegschaften in der Vergangenheit, der Verzicht auf eine Lohnerhöhung der IG Metall für die Jahre 2019 und 2020 haben dazu geführt, dass die Unternehmer ihre Angriffe verschärfen. Gesamtmetall-Präsident Wolf verlangt für die Tarifrunde  2021 eine Nullrunde,  die Abschaffung von bezahlten Pausen, Spätzulagen und Weihnachtsgeld. Die „starre 35-Stunden-Woche“ solle fallen, stattdessen soll „Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgleich“ kommen. 

Der Generalangriff des Kapitals muss mit einer Offensive der IG Metall beantwortet werden. Wenn die Unternehmer Beschäftigungssicherungsverträge aufkündigen, sollte die IGM die dafür gemachten Zugeständnisse ebenfalls aufkündigen. Die bei den Protesten in den letzten Monaten gezeigte Kampfbereitschaft muss für  konzern- und branchenweite Ausweitung und Steigerung der Proteste, für Großdemonstrationen, Streiks und notfalls Betriebsbesetzungen genutzt werden. 

Dabei sollten auch die Stahlarbeiter*innen, die Beschäftigten der Werften und die gesamte Metallindustrie  einbezogen und der Schulterschluss zu Beschäftigten der Lufthansa und anderer von Arbeitsplatz bedrohten Kolleg*innen und ihrer Gewerkschaften gesucht werden. Die IG Metall muss aufhören immer wieder die Transformation und Corona als Krisenverursacher darzustellen, sondern die Ursache beim Namen nennen: das kapitalistische Profit- und Konkurrenzsystem. Bei jeder Kundgebung gibt es von Betriebsräten und IGM-Funktionären Appelle an die Unternehmer „gemeinsam mit den Beschäftigten Zukunftsperspektiven zu entwickeln“. Das ist völlig illusorisch. Denn das Interesse der Kapitalisten nach mehr Profit lässt sich nicht mit den Interessen der Beschäftigten nach sicheren Arbeitsplätzen und guten Löhnen vereinbaren. Wenn sich Betriebsräte am Hauen und Stechen um die Produktion einzelner Komponenten oder die Fertigungstiefe auf Kosten der Zulieferer beteiligen, spaltet das die Mitgliedschaft der IG Metall. Am Ende sind alle die Verlierer*innen. 

Kampfkraft nutzen

Betriebsrat Michael Clauss bei Daimler im Werk Untertürkheim hat nach einer Protestaktion am 8.10.2020 im Werksteil Mettingen gegen die Ankündigung 4000 Stellen am Stammwerk abzubauen erklärt: „Die wissen gar nicht, auf wen sie sich einlassen“. Tatsächlich gibt es gerade in den Fabriken der Autoindustrie das Potenzial, die Unternehmer in die Knie zu zwingen. Wenn die IG Metall die enorme Kampfkraft der Beschäftigten in der Metall- und Stahlindustrie in eine Offensive gegen die Angriffe aus den Chefetagen verwandeln würde, wird sich schnell zeigen, dass die Beschäftigten die Macht haben, ihre Interessen durchzusetzen und die Autobosse in die Knie zwingen können.

30-Stunden-Woche  

Als die IG Metall 1984 für die 35-Stunden-Woche gestreikt hat, gab es zwei Millionen Erwerbslose. Bezieht man die verdeckte Arbeitslosigkeit mit ein, sind es heute vier Millionen, Tendenz steigend. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die IG Metall die Forderung nach 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich auf die Tagesordnung setzt, statt einzelnen Unternehmern das Angebot zu machen, die Arbeitszeit auf vier Tage mit Lohnverlust zu verkürzen. Um eine Intensivierung der Arbeit zu verhindern und Arbeitsverdichtung der Vergangenheit zurückzunehmen, braucht es auch einen Personalausgleich. Die Angriffe auf die 35-Stunden-Woche und auf das Lohnniveau in der Metallindustrie zeigen, dass erkämpfte Errungenschaften immer wieder unter Beschuss geraten, erst recht in der Krise. 

Überführung in Gemeineigentum

Deshalb muss  der Kampf gegen die Arbeitsplatzvernichtung und Lohnraub  mit dem Ziel verbunden werden, die Macht der Konzerne zu brechen. In der Satzung der IG Metall steht nicht ohne Grund als Zielsetzung die „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen marktbeherrschenden Unternehmen in Gemeineigentum“. Angesichts der Dramatik der Krise in der Autoindustrie und der Klimakatastrophe ist es höchste Zeit für dieses Ziel eine Durchsetzungsstrategie zu entwickeln. Dazu sollte in der IG Metall eine demokratisch geführte Diskussion eröffnet werden, die auch die Notwendigkeit einer antikapitalistischen Perspektive beinhalten muss. In der Politik der IG Metall und der Betriebsräte muss ein radikaler Kurswechsel weg von Co-Management, hin zu konsequenter Gegenwehr und antikapitalistischer Politik erfolgen. Um einen solchen Kurswechsel in der IG Metall durchzusetzen, sollten sich kämpferische Kolleg*innen und Kollegen zusammenschließen. 

Hinweis:

In Stuttgart gibt es zwecks Vernetzung den „Metallertreff“, der wiederum Teil der bundesweiten „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG) ist. Der Metallertreff Stuttgart hat Ende Oktober einen Flyer herausgebracht, in dem er den gemeinsamen Kampf für Arbeitsplätze und Löhne und den Kampf für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich einfordert. Für die Tarifrunde 2021 bringt der Metallertreff zusätzlich eine Lohnerhöhung zwischen 5 und 6 Prozent, mindestens aber 150 bis 200 Euro und für Auszubildende 100 Euro mehr in die Diskussion. Siehe Flyer auf www.vernetzung.org