Querstellen statt “Querdenken”!

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Zu den Ereignissen in Leipzig am 7. November

Wer bislang noch Zweifel über den Charakter der „Querdenken“-Bewegung hatte, der muss sich nur die Berichte aus Leipzig ansehen. Wer noch Zweifel hatte an dem Verdacht, der sächsische Staatsapparat sei rechts unterwandert, der muss nur die Geschehnisse vor und während des Demo-Samstags in Leipzig betrachten. Das, was sich in Leipzig am 7. November abgespielt hat, war polizeilicher Flankenschutz für eine rechte Demonstration, die eigentlich verboten war, gewürzt mit einem in seiner Praxis nicht selten brutalen Angriff der Polizei auf linke Gegendemonstrant*innen. Der sächsische Staatsapparat hat „Querdenken“ am 7. November einen Sieg verschafft und nun will es natürlich wieder niemand gewesen sein.

Von Steve Hollasky, Dresden

Schon Tage vor dem Demo-Samstag in Leipzig war klar, was da auf die Messestadt zurollte: Rechte Gruppierungen wie die NPD hatten aufgerufen, nach Leipzig zu fahren. Die „Leipziger Internetzeitung“ sprach von anonymen Mordaufrufen. Im Telegram-Kanal des Erfurter Querdenken-Ablegers rief eine Birgit K. auf, dem Ministerpräsidenten von Thüringen, Bodo Ramelow, „immer mal Dinge“ vor die Tür zu legen, wie sie wörtlich schrieb. Und man setzte ihre Idee in die Tat um: Vor dem Haus des Linksparteipolitikers fand sich ein Flugblatt mit dem Demo-Aufruf für den 7. November und darauf eine Grabkerze.

Auf den Gedanken war K. gekommen, weil sie zuvor eine Rede des AfD-Fraktionschefs im Erfurter Landtag gehört hatte. Der spreche „eins zu eins aus, was wir wollen“, hatte K. im Chat erklärt.

Rechte Strukturen kündigten im Internet an, es in Leipzig richtig krachen zu lassen. Was auf der Rechten Rang und Namen hatte, trommelte für die Demo in der größten sächsischen Stadt. Beobachter*innen der Szene warnten eindringlich vor einer möglichen gewaltsamen Eskalation.

Die angemeldete Demonstration der „Querdenker“ war längst durch die Allgemeinverfügung aufgrund der Infektionslage untersagt. Und schließlich verlegte die Stadt die nun zur Standkundgebung gewordene Versammlung vom Augustusplatz auf das weiträumigere Messegelände, um so die Einhaltung der Corona-Auflagen durch die Veranstalter zu ermöglichen: Abstand konnten die angemeldeten 16.000 Menschen auf dem Augustusplatz nicht halten. Wer daran glaubt, der hat entweder diesen Platz noch nicht gesehen oder es ist ihm egal oder – noch schlimmer – der hegt Sympathien für die Querdenker.

Es war das Bautzener Oberverwaltungsgericht, das – auf Klage der Veranstalter hin – am Vorabend der Kundgebung entschied, dass Querdenken doch auf den Augustusplatz durfte und nicht zur Messe ausweichen musste.

Zwei Folgen waren damit mehr als gewiss: Das antirassistische Bündnis „Leipzig nimmt Platz!“, welches nach Verlegung der Querdenker auf den Augustusplatz mobilisiert hatte, musste weichen und man musste mit einem Versuch der Querdenker rechnen, über den Ring zu laufen. Wahrscheinlich, ja beinahe logisch, wurde dies durch die Selbststilisierung der Querdenker als Erben der Wende von 1989. Damals waren Zehntausende – wirklich und ernsthaft mutig – über den Ring gelaufen und hatten Montag für Montag den stalinistischen Staatsapparat mehr und mehr in die Knie gezwungen. Dass Querdenken diese Leistung nun versucht, propagandistisch zu entern und sich als Nachfolger dieser revolutionären Bewegung darstellt, ist in rechten Kreisen ein schon fast archaischer Taschenspielertrick. Obszön bleibt er allemal!

Und gerade deshalb hätte man wissen können, wenn man hätte wissen wollen, dass es in Leipzig den Versuch rechter Kräfte geben würde, diesen Tag zu nutzen, um nicht nur eine Standkundgebung abzuhalten, sondern eben auch zu laufen.

Sie hatten sich darauf vorbereitet: Rechte Kampfsportler, von anwesenden Journalist*innen später eindeutig identifiziert, wollten es krachen lassen und man würde ihnen den Raum zum Spielen geben – das geschah am 7. November in Leipzig!

Alles Nazis?

Nein, nicht alle der – nach der Studierendeninitiative „Durchgezählt“ – 45.000 Teilnehmenden sind Nazis. Viele sind verängstigt, nicht wenige verwirrt. Hippies, mit einem ordentlichen Hang zur Esoterik; Kleinunternehmer, die Umsatzeinbußen durch die Coronamaßnahmen fürchten; Menschen mit Angst um ihren Arbeitsplatz. In Interviews äußerten sich Angestellte, die „Frieden für die Welt“ wollten und Rentner*innen, die fürchteten, Mund-Nasen-Masken würden ihren Enkeln die Luft zum Atmen rauben. Und natürlich gab es auch die, die wenigstens vorgaben, schon 1989 dabei gewesen zu sein und sich – zumindest das kann man sehr wohl verstehen – enttäuscht zeigten über das, was aus ihren Idealen von 1989 geworden war. „Leute mit Schrammen“, wie Leo Trotzki dieses Mischmasch in den dreißiger Jahren einmal genannt hatte.

Die waren es, die am 7.11. zusammengekommen waren. Geeint durch ihr tiefsitzendes Misstrauen gegen „die da oben“ und dennoch bereit, unter Führung eines Michael Ballweg zu demonstrieren, der Querdenken nicht nur ins Leben gerufen hat, sondern seines Zeichens auch noch IT-Unternehmer ist. Sein Interesse, gegen die Corona-Maßnahmen zu wettern, dürfte zu einem gehörigen Teil durch seinen sozialen Status diktiert sein. Ballweg will verkaufen: IT-Krimskrams und krude Ideen.

Eine zutiefst reaktionäre Bewegung, nicht faschistisch, aber mit der sozialen Basis des Faschismus in den zwanziger und dreißiger Jahren. „Ein Gemischtwarenladen“, um noch einmal Trotzki zu zitieren. Ähnlich der frühen Pegida-Bewegung. Und mit der hat sie sehr wohl gemein, dass sich gern Rassist*innen und militante Rechte unter sie mischen. Gehindert werden sie von niemandem, daran können auch die lauen Erklärungen der Veranstalter am Vorabend des 7. November nicht viel ändern. Man sei besorgt über die Rechten, die kommen wollen und man sei besorgt über die gesamtgesellschaftliche Zuspitzung der Debatte um die Coronamaßnahmen, gab da einer der Organisatoren mit ernstem Gesicht der ARD gegenüber zu Protokoll. Als sei er und sein Haufen nicht vorantreibender Teil dieser Zuspitzung.

Letztes Alarmsignal: Der 6. November

Schon am Vorabend rief dann eine Rednerin auf einer gut besuchten Kundgebung in Leipzig aus: Man brauche die Rocker und auch die Hooligans. Denn auch die seien ja eine Gemeinschaft mit Werten. Sie sollten sich an der Demonstration beteiligen. Und natürlich fehlte auch das passende Zitat von Hermann Göring nicht, von dem sie kein Fan sei, wie sie beschwichtigend zu Gehör brachte.

Wer da noch nicht sehen wollte, dass man in Leipzig auf eine Katastrophe zusteuerte, der hätte es wissen können, wenn er sich nur einmal kurz die Liste von Bussen aus verschiedenen Städten angesehen hätte, die in die Messestadt unterwegs waren.

Was geschah am 7. November?

Am 7. November füllte sich gegen 13.00 Uhr der Augustusplatz. Abstandsregeln oder Mund-Nasen-Schutz? Die Bilder verraten, dass es all das kaum gab. Eine Woche zuvor hatte die Polizei in Dresden bei einer Querdenken-Demo Ähnliches geschehen lassen. Der Polizeisprecher erklärte dort das fehlende Einschreiten der Ordnungshüter*innen damit, dass man nicht durch einen polizeilichen Eingriff die Corona-Schutzmaßnahmen selbst konterkarieren wollte. Jenes groteske Motto schien sich auch die Leipziger Polizei zu eigen gemacht zu haben.

Schließlich erklärten die Beamt*innen denn auch, es werde den polizeilichen Anweisungen zum Infektionsschutz vielfach nicht Folge geleistet. Aber man wolle ja deeskalieren. Deeskalieren? Schnell machten in der Presse Bilder die Runde von zu Boden geworfenen Gegendemonstrant*innen, auf denen gleich mehrere Beamt*innen knieten. So vielfältig kann polizeiliche Deeskalation aussehen.

Gegen 15.35 Uhr erklärte dann die Polizei die Querdenker-Demo für aufgelöst, die Verstöße gegen die Auflagen waren zu enorm. Nur hatte die Polizei ein durchaus eigenwilliges Verständnis vom Wort „auflösen“. Denn es geschah nichts. Die Menge blieb auf dem Platz. Querdenken beendet die Veranstaltung und war damit rechtlich aus dem Schneider und die Menge blieb auf dem Platz.

Irgendwann attackierten dann Rechte – nach Presseberichten vielfach Kampfsportler, eine Polizeikette, die diesen Namen kaum verdient, wie es Bilder zeigen.

Folglich wurden die Beamt*innen überrannt. Da es an schwerem Gerät mangelte, ließ man den Zug laufen. Tausende Querdenker strömten nach. Die untersagte Demonstration über den Ring fand statt. Und wurde schließlich sogar polizeilich begleitet.

Und selbst nachdem die Demonstration auf dem Augustusplatz ankam, endete der Spuk nicht. Querdenker feierten sich: Musik, Tanz, Polonaise. Und die Polizei zog sich zurück.

Längst gab es ein lohnenderes Ziel. Eine Gruppe von 300 Gegendemonstrant*innen zog von der Innenstadt nach Connewitz. Auch das nicht erlaubt, ohne Frage. Aber diktiert von der Angst in kleinen Gruppen durch die Stadt zu laufen und von Rechten angegriffen zu werden. In Connewitz flogen Steine gegen die dortige Polizeiwache. Dämlich, klar; aber die Querdenker hatten dergleichen den ganzen Tag veranstaltet und durften zum Lohn auch noch demonstrieren.

Die Polizei griff nun hart durch. Und das, was den ganzen Tag gefehlt hatte: Räumfahrzeuge und Wasserwerfer sowie Beamt*innen in ausreichender Stärke, gab es nun mehr als genug.

Immer wieder: Der sächsische Staatsapparat

Was von diesem Tag bleibt, sind zwei unwiderlegbare Tatsachen: Den Querdenkern rollte man ohne viel Widerstand den roten Teppich aus und die linken Gegendemonstrant*innen wurden polizeilich repressiert. Auf dem Sündenregister des sächsischen Staatsapparates könnte das nur ein weiterer Anstrich sein. Aber einer, der es in sich hat: Dass man Rechten die Innenstadt von Leipzig praktisch zum Geschenk macht, ist eine neue Qualität. Sie war zu erwarten. Spätestens dann, als der sächsische Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz gegenüber der Welt erklärte „Rechtsextremismus“ bekämpfe man nicht „mit linksradikaler Gewalt“ und vor einer Beteiligung an den Gegenveranstaltungen warnte, war die Marschrichtung klar.

Es ist nur ein weiterer Anstrich auf dem Sündenregister des sächsischen Staatsapparates, aber einer, der in seiner Qualität monströs ist.

Was wird jetzt geschehen?

Der Weg ist jetzt vorgezeichnet. Die Grünen, selbst Teil des sächsischen Landeskabinetts kritisieren den Innenminister Roland Wöller. LINKE und SPD verlangen eine Untersuchung im Innenausschuss. Und Wöller? Der zeigt auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts.

Man wird die Schuld hin- und herschieben. Die Polizei zum Oberverwaltungsgericht, das Oberverwaltungsgericht wird auf das Demonstrationsrecht verweisen und so weiter. Und am Ende wird es wohl im Sande verlaufen, wie all die vielen sächsischen Polizeiskandale der letzten Jahre. Business as usual.

Marco Böhme, Mitglied der sächsischen Linksfraktion, bereitete noch am Samstag eine kleine Anfrage zum Polizeiversagen am 7. November in Leipzig vor. Löblich! Aber es muss erlaubt sein zu fragen, ob es sich wirklich um ein „Versagen“ handelt. Wer versagt, der hatte eigentlich die Fähigkeiten und den Willen, nicht zu versagen. Und die Berichte und Bilder aus Leipzig machen es einem schwer zu glauben, dass das nur „Versagen“ war.

Was müsste jetzt geschehen?

Was man jetzt dringend bräuchte, wäre eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft verzeichnete 32 Angriffe auf Pressevertreter*innen. Die, wie all die anderen unzähligen Angriffe auch und nicht zuletzt auf Gegendemonstrant*innen müssen aufgeklärt werden! Ebenso wie das polizeiliche Verhalten einer genauen Untersuchung unterzogen werden muss.

Das geht nur durch unabhängige Untersuchungskommissionen aus Gewerkschaften, den Organisator*innen der Gegenaktivitäten, Migrant*innengruppen. Man kann nicht ernsthaft hoffen, dass Polizei gegen Polizei ermittelt oder dass der Innenminister, der in den nächsten Wochen damit beschäftigt sein wird, seine politische Karriere zu sichern, Licht ins Dunkel bringen wird.

Und so mehr muss es darum gehen, Kommissionen zu bilden aus jederzeit wähl- und abwählbaren Mitgliedern, die den Vorfall untersuchen und danach zusammen bleiben, um die Polizei einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen.

Doch rechte Mobilisierungen wird man damit allein nicht stoppen. Es muss jetzt auch darum gehen, dem endlich gewerkschaftliche und linke Mobilisierungen entgegenzusetzen. Mehrere Tausend haben am 7. November den Querdenkern gezeigt, dass sie nur „eine laute Minderheit und nicht die leise Mehrheit“ seien, wie es einer der interviewten Gegendemonstrant*innen ausdrückte.

Aber allein antirassistische Mobilisierungen werden nicht reichen. Gerade DIE LINKE und die Gewerkschaften sind dingend aufgefordert soziale Kämpfe zu entfachen, die Wohnen für alle, Pflege, Rekommunalisierungen unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung und die Übernahme der ungeheuren Kosten der Pandemie durch die Profite der Großunternehmen zum Thema hätten. Und die gleichzeitig auch deutlich machen, dass man das Virus nicht klein reden muss, um die Corona-Politik der Regierung zu kritisieren, denn diese stellt nicht die Gesundheit der Bevölkerung in den Mittelpunkt, sondern die Interessen der „Wirtschaft“, also der Kapitalistenklasse. Anders kann man es nicht interpretieren, wenn die Schulen nicht mit Luftfiltern ausgestattet werden, wenn Monate lang nichts dafür unternommen wird, mehr Personal im Gesundheitswesen und den Schulen und Kitas einzustellen, wenn Zoos und kulturelle Einrichtungen mit überzeugenden Hygienekonzepten geschlossen werden, Autohäuser, Möbelhäuser aber weiter geöffnet bleiben und unzählige Arbeiter*innen weiterhin Waffen Autos und Werbeprospekte produzieren, als ob die Gesellschaft das wirklich bräuchte. Eine Bewegung für eine andere, wirklich effektiv gegen die Verbreitung des Virus gerichtete und die Gesundheit der Menschen in den Mittelpunkt stellende, Corona-Politik wäre dringend nötig. Querdenken ist das nicht. Im Gegenteil: Querdenken erinnert an die frühen Zeiten von Pegida und diese Bewegung ist leider noch lange nicht am Ende. Business as usual darf es jetzt auf keiner Ebene mehr geben!