Sozialismus: Keine Utopie, sondern Notwendigkeit

Zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels

„Am 5. August (…) 1895 verschied in London Friedrich Engels. Engels war nach seinem Freund Karl Marx (der 1883 starb) der bedeutendste Gelehrte und Lehrer des modernen Proletariats in der ganzen zivilisierten Welt.” So fängt der Nachruf auf Engels an, den Lenin im Herbst 1895 verfasste. Engels hatte zusammen mit Marx den wissenschaftlichen Sozialismus entwickelt. Mit ihm schrieb er das „Kommunistische Manifest”, finanzierte dessen Studien bei der Erstellung des „Kapitals” und entwickelte selber vor allem die philosophischen und geschichtlichen Grundlagen des Sozialismus weiter.

Von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

Friedrich Engels wurde am 28. 11. 1820 in Barmen (gehört heute zu Wuppertal) geboren. Sein Vater war Baumwollfabrikant und Anhänger des Pietismus, einer besonders reaktionären Strömung des Christentums. Friedrich floh aus der geistigen Enge des Elternhauses und stürzte sich in die moderne Literatur und Philosophie.

Auf diesem Weg und durch die Erfahrung der unerträglichen Lebensverhältnisse der Lohnarbeiter*innen und ihres Kampfes dagegen wurde er Revolutionär und Kommunist. 1842-44 war er in Manchester, wo sein Vater Teilhaber einer Firma war. Dort lernte er Mary Bums kennen, die als Arbeiterin, Frau und Irin gleich dreifach unterdrückt war und ihn gewissermaßen bei den klassenbewussten Arbeiter*innen einführte.

Zusammen mit Marx begann er 1844 den Kampf gegen die verschwommenen philosophischen und sozialistischen Strömungen, zu denen sie selbst bis vor kurzem gehört hatten und für einen Sozialismus, der sich auf das Proletariat als revolutionäre Klasse stützt.

Revolution 1848/49

Sie knüpften Kontakte zu bestehenden Arbeiterorganisationen in Frankreich, Belgien und England. Unter ihrem Einfluss wurde der „Bund der Gerechten“ zu einer politischen Organisation mit klarem Programm und wurde später in den „Bund der Kommunisten“ umbenannt.

1848 brachen in vielen Ländern Europas Revolutionen aus, das Land mit der stärksten Arbeiter*innenklasse, Großbritannien, blieb allerdings ruhig. Marx und Engels gaben mit ihren Genossen in Köln eine Zeitung heraus, die „Neue Rheinische Zeitung“.

Die Revolutionen von 1848/ 49 waren eigentlich Revolutionen, in denen die Bourgeoisie, die Kapitalisten, die immer noch mächtigen Reste des Adels hätten abschütteln können. Sie waren keine proletarischen Revolutionen, denn die Arbeiter*innenklasse war noch zahlenmäßig zu klein und politisch zu unerfahren, um eine Revolution anzuführen.

Doch die kommende Stärke des Proletariats war schon zu sehen. Die Bourgeoisie zog es vor, auf den entschiedenen Kampf gegen den Feudalismus zu verzichten und verbündete sich allerorten mit den Herrschenden gegen die Revolution. Anders als die englischen Bürgerlichen im 17. Jahrhundert verzichtete zum Beispiel die deutsche Kapitalistenklasse auf „ihre“ Revolution und beließ zumindest bis 1918 einen Teil der Macht in den Händen der Großgrundbesitzer und ihrer politischen Vertreter.

Die 48er-Revolutionen scheiterten. Bevor die Revolution ganz zu Ende war, kam es aber noch einmal zu bewaffneten Aufständen, an denen sich auch Engels beteiligte, im Mai 1849 in Elberfeld, im Juni und Juli in der Pfalz und Baden. Nach der endgültigen Niederlage der Revolution brachte sich Engels’ Abteilung als letzte über die Schweizer Grenze in Sicherheit. Im Herbst reiste er nach London, wohin Marx schon voraus war.

Pariser Kommune

Nachdem sie erkannten, dass die Revolution auf Jahre hinaus vorbei war, übernahm Engels einen Job in der Firma seines Vaters in Manchester, um mit seinem Einkommen Marx theoretische Arbeit unterstützen zu können. Erst 1869 erlaubte es ihre finanzielle Situation, dass Engels den „hündischen Kommerz“ aufgab.

Der Aufenthalt in Manchester wurde Engels immer unangenehmer, als in den 1860em die internationale Arbeiter*innenbewegung wieder auflebte und 1864 in London die Internationale Arbeiterassoziation (die Erste Internationale) gegründet wurde. Während Marx bald ihre zentrale Figur war, konnte sich Engels bis 1869 nur indirekt beteiligen.

1870 führte in Frankreich die Niederlage im Krieg gegen Deutschland zu einer Revolution. Die neue bürgerliche Regierung verlor bald immer mehr den Rückhalt der Arbeiter*innen. Im März 1871 wurde die Regierung aus Paris vertrieben, die Pariser Kommune entstand. Erstmals hatten die arbeitenden Menschen für mehrere Monate die Macht in einer Weltstadt. Die Bewegung breitete sich aber nicht aus und wurde blutig unterdrückt.

0er Einfluss der Internationale auf die Bewegung war nur indirekt gewesen. Da sie sich aber mit dem Kampf der Pariser Arbeiterinnen solidarisierte, wurde sie zum Schreckgespenst für die Herrschenden in ganz Europa. Die nun einsetzenden Verfolgungen führten – zusammen mit den Konflikten über die richtige Politik zwischen den Vertreter*innen der Marxschen Linie und den Anarchisten um Bakunin – in wenigen Jahren zum Niedergang der Internationale.

Engels Hoffnung, sich jetzt endlich mit theoretischen Problemen beschäftigen zu können, trog aber. Bald sah er sich gezwungen, gegen den in der deutschen Sozialdemokratie grassierenden Möchtegern-Sozialismus eines Eugen Dühring aufzutreten. Die Schrift, die er dazu verfasste, erwies sich bald als wichtigstes Instrument, um Marx und seine Theorie in der Arbeiter*innenbewegung zu verbreiten.

Mit ihrer Hilfe wurde in den folgenden 15 Jahren Marxismus zur theoretischen Grundlage der SPD. Engels vertiefte in dieser Schrift den wissenschaftlichen Charakter des Sozialismus: Der Sozialismus ist nicht einfach eine „bessere“ Gesellschaft, sondern die Notwendigkeit, den Kapitalismus abzuschaffen, ergibt sich aus dessen Widersprüchen.

Die Staatsfrage

Eine zentrale Frage für eine politische Partei ist natürlich die Rolle des Staats. Viele führende Sozialdemokrat*innen standen damals dem Staat sehr feindselig gegenüber. Aber das hieß nur, dass sie den „preußischen Militärstaat“ durch einen „freien Volksstaat“ ersetzen wollten.

Engels erklärte, dass der Staat als Institution überhaupt nur entstanden ist, als sich in der Geschichte die Spaltung der Gesellschaft in Klassen mit gegensätzlichen Interessen herausgebildet hat. Der Staat ist ein Instrument der jeweils herrschenden Klasse(n), um ihre gemeinsamen Interessen zu vertreten, auch gegen äußere Feinde, aber vor allem gegen die Unterdrückten und Ausgebeuteten im eigenen Land.

Die Formen und Methoden ändern sich in der Geschichte natürlich sehr. Manchmal, wenn zwischen verschiedenen Klassen ein ungefähres Kräftegleichgewicht herrscht, kann der Staat zwischen ihnen lavieren und eine scheinbar selbständige Rolle spielen. Aber in letzter Instanz wird er immer die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse verteidigen. Das lässt sich auch durch eine sozialistische Parlamentsmehrheit oder einzelne Reformen nicht ändern.

Deshalb müssen die Arbeiter*innen, wenn sie die grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft in Angriff nehmen wollen, die bürgerliche Staatsmaschinerie beseitigen und durch eine eigene Organisation auf der Grundlage der Wählbarkeit und jederzeitigen Abzählbarkeit aller Funktionsträger*innen und eines normalen Arbeiter*innenlohns für alle Funktionsträger*innen ersetzen.

Die Möglichkeit, den alten bürgerlichen Staatsapparat auch nur ansatzweise für sozialistische Veränderungen zu nutzen, verwarfen Marx und Engels endgültig nach den Erfahrungen der Pariser Kommune, wo die Arbeiter*innen noch zu sehr die alte Bürokratie intakt ließen. Sie betonen, die Staatsmaschinerie müsse „zerbrochen“, „zerschlagen“ werden.

Wenn dann in einer sozialistischen Gesellschaft die sozialen Gegensätze verschwinden, kann mit ihnen auch der Staat verschwinden, absterben.

In Deutschland herrscht „eine abergläubische Verehrung des Staates und alles dessen, was mit dem Staat zusammenhängt, und die sich um so leichter einstellt, als man sich von Kindesbeinen daran gewöhnt hat, sich einzubilden, die der Gesellschaft gemeinsamen Interessen könnten nicht anders besorgt werden, als wie sie bisher besorgt worden sind, nämlich durch den Staat und seine wohlbestallten Behörden. Und man glaubt schon einen ganz gewaltig kühnen Schritt getan zu haben, wenn man sich frei gemacht vom Glauben an die erbliche Monarchie und auf die demokratische Republik schwört. In Wirklichkeit aber ist der Staat nichts als eine Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andre, und zwar in der demokratischen Republik nicht minder als in der Monarchie; und im besten Fall ein Übel, das dem im Kampf um die Klassenherrschaft siegreichen Proletariat vererbt wird und dessen schlimmste Seiten es ebenso wenig wie die Kommune umhin können wird, sofort möglichst zu beschneiden, bis ein in neuen, freien Gesellschaftszuständen herangewachsenes Geschlecht imstande sein wird, den ganzen Staatsplunder von sich abzutun. “ (Engels 1891)

1878 starb Engels’ zweite Frau Lissy Burns. In den nächsten fünf Jahren folgten Marx’ Frau Jenny und schließlich Marx selber. Neben dem menschlichen und politischen Verlust für Engels bedeutete das auch, dass er sich jetzt wieder nicht seinen eigenen theoretischen Arbeiten widmen konnte, sondern die Herausgabe des zweiten und dritten Bandes von Marx’ „Kapital“ zu seinem Arbeitsschwerpunkt wurde.

Daneben widmete sich Engels dem Aufbau der internationalen Arbeiter*innenbewegung. Diese Bemühungen führten 1889 zur Gründung der Zweiten Internationale, deren Mitgliedsorganisationen anders als die der Ersten Internationale in mehreren Ländern Massenorganisationen wurden und die den wissenschaftlichen Sozialismus mehr oder weniger als ihre theoretische Grundlage akzeptierten.

Engels und die SPD

Innerhalb der internationalen Arbeiter*innenbewegung stand die SPD Engels am nächsten. Trotzdem hatte er auch an ihr erhebliche Kritik. So schrieb er über ihr Erfurter Parteiprogramm (1891), das das „marxistischste“ war, das die Partei je hatte: „Die politischen Forderungen des Entwurfs haben einen großen Fehler. Das, was eigentlich gesagt werden sollte, steht nicht drin … Eine solche Politik kann nur die eigene Partei auf Dauer irreführen. Man schiebt allgemeine, abstrakte politische Fragen in den Vordergrund und verdeckt dadurch die nächsten konkreten Fragen, die Fragen, die bei den ersten großen Ereignissen, bei der ersten politischen Krise sich selbst auf die Tagesordnung setzen. Was kann dabei herauskommen, als dass die Partei plötzlich, in entscheidenden Moment, ratlos ist, dass über die einschneidendsten Punkte Unklarheit herrscht, weil diese nie diskutiert worden sind … Dies Preisgeben der Zukunft der Bewegung um der Gegenwart der Bewegung willen mag ,ehrlich’ gemeint sein, aber Opportunismus ist und bleibt es, und der ,ehrliche’ Opportunismus ist vielleicht der gefährlichste von allen.”

Engels sah die gefährliche Entwicklung in der Sozialdemokratie. Obwohl diese sich theoretisch auf den Marxismus berief, waren doch in der Praxis Fehler eingebaut, die zur völligen Abkehr vom Sozialismus führen sollten. Die allgemeine sozialistische Propaganda wurde von der Tagespolitik getrennt, es wurde keine Brücke zwischen den aktuellen Forderungen und dem Ziel der Machteroberung durch das Proletariat gebaut.

Dies bestärkte bei vielen Mitgliedern die Haltung, man müsse nur immer mehr Stimmen und Mitglieder bekommen und dann werde einem irgendwann nahezu automatisch die Macht zufallen.

Diese enormen theoretischen Schwächen der gesamten Partei erleichterten den Aufstieg der Partei- und Gewerkschaftsbürokratie. Funktionäre lösten zunehmend ihre eigene soziale Frage als Gewerkschaftshauptamtliche oder Parlamentsabgeordnete. Eine pragmatische, opportunistische, reformistische Tagespolitik entsprach mehr und mehr ihren sozialen Interessen, die sich von denen der Arbeiter*innenklasse abhoben.

Im Manifest-Verlag sind verschiedene von Friedrich Engels’ wichtigsten Schriften erschienen: https://manifest-buecher.de/brand/engels/

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