Kunststudierende auf der Straße gegen Corona-Politik

Interview mit Johanna Ehlers, AStA-Vorsitzende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart

Der AStA Eurer Hochschule hat anlässlich der neuen Corona-Verordnung am 11.11.2020 Studierende zu einer Protestaktion vor dem Landtag aufgerufen. Wer gegen Corona-Verordnungen auf die Straße geht, läuft Gefahr als Corona-Leugner*in abgestempelt zu werden. 

Wir sehen Corona als große Gefahr. Und unsere Protestaktion hat auch unter Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen stattgefunden und wir distanzieren uns klar von derartigen Bewegungen. Wir sind aber  der Meinung, dass die Verhältnisse der Maßnahmen nicht stimmen. Und das wollen wir öffentlich machen und Druck aufbauen, dass sich was ändert.

Was bedeutet der Lockdown für Musik- und Kunststudierende?

Es ist für uns naheliegend, unser Studium mit Auftritten zu finanzieren, denn das ist das, was wir lernen. Wenn wir  nicht auftreten können, brechen unsere Einnahmen weg und es gibt derzeit dafür weniger denn je eine Alternative. Im Gegenteil. Auch die Jobs in Kneipen und Bars gibt es nicht mehr. Hinzu kommt, dass große Teile unseres Studiums online nicht funktionieren. Egal, ob es ums Hören musikalischer Feinheiten geht oder um plastisches Erfassen im Figurentheater  – immer sind es Mikroexpressionen und unmittelbare soziale Interaktionen, die online nicht übertragen werden. 

Wie könnt Ihr in so einer Situation überleben?

Viele haben schlicht und einfach kein Geld mehr, Kommiliton*innen erzählen von einstelligen Summen auf dem Konto. Manche müssen gerade jeden schlecht bezahlten Putz- oder anderen Job annehmen. Einige ziehen zu ihren Eltern. Andere leben von Ersparnissen und schränken sich total ein, kaufen nur noch das billigste Essen. Hinzu kommt, dass bei uns sehr viele Studierende aus Nicht-EU-Ländern kommen. Die müssen in Baden Württemberg 1500 Euro Studiengebühren pro Semester bezahlen, ähnliches gilt für Kommiliton*innen im Zweitstudium. Solche Gebühren sind herkunftsdiskriminierend, weit mehr als eine Bürde und nichts, worauf unsere Politiker*innen stolz sein können.

Bei der Protestaktion wurde auch der Wert von Musik und Kultur für die Gesellschaft und fürs Studium verteidigt. 

Es war uns wichtig darauf hinzuweisen, dass es bei Auftritten nicht nur ums Geld geht, das wir dabei verdienen. Vor Publikum aufzutreten ist meiner Meinung auch wichtig für das Studium und für die Kunst. Wir sind bei Auftritten in Interaktion mit dem Publikum. Genauso wenig wie im Online-Unterricht funktioniert diese sehr sensible Interaktion in einem Konzert-Livestream. Wenn ich mir ein Konzert online anhöre, dann ist das für mich rein informativ, das hat nichts mit Erleben von Musik zu tun. Wir bekommen jetzt vermittelt, dass das, was wir machen, nicht „systemrelevant“ und völlig unwichtig ist. Denn wie ist es sonst zu verstehen, wenn Shoppen dicht gedrängt möglich ist und ein Konzert mit zehn Zuschauer*innen nicht? Die Politik will die Kontakte um einen bestimmten Prozentsatz verringern. Soweit so gut. Aber warum dann genau den Bereich, in dem unter hervorragenden Hygienebedingungen keine Infektionsketten entstehen, völlig lahm legen statt differenzierter Maßnahmen, die mehr bringen?

Was macht das mit Euch?

Wir bekommen durch das totale Auftrittsverbot vermittelt, dass unsere Arbeit für die Gesellschaft völlig unwichtig ist. Wir fühlen uns dadurch selbst auch entwertet. Und da ist es berechtigt sich zu fragen: wofür studiere ich das überhaupt? Klar, auch aus Leidenschaft, ich finde Kunst großartig und sehr relevant. Aber finden wir statt Rechnungen von Stuttgarter Mieten monatlich Notenblätter in unseren Briefkästen und spielen diese unseren Vermieter*innen vor? Nein – alles, was andere Berufsgruppen kennen, gilt auch für Künstler*innen. Und da man von Leidenschaft alleine nicht leben kann, treibt uns Existenzangst auf Demonstrationen.

Was müsste sich ändern?

Wir brauchen eine unbürokratische kreditlose staatliche Nothilfe für Studierende. Im Moment ist es so, dass die staatliche Nothilfe jeden Monat neu beantragt werden muss.  Und das nur in der Höhe, bis das Konto ein Guthaben von 500 Euro hat. Wenn man also 300 Euro auf dem Konto hat, bekommt man nur 200 Euro für diesen Monat. Außerdem fordern wir die sofortige vollständige Aussetzung der Studiengebühren. Eigentlich brauchen wir ein elternunabhängiges Bafög, das zum Leben reicht. Und das komplette Verbot von Kunst- und Kulturveranstaltungen muss ersetzt werden durch einen Plan mit ausgereiften sinnvollen Maßnahmen, um alle zu schützen und die Kunst ihren Beitrag dazu leisten zu lassen.

Das Interview führte Ursel Beck.

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