Erste ordentliche Sol-Bundeskonferenz
Gut 14 Monate nach der Gründung der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol) fand ihre erste ordentliche Bundeskonferenz (nach einer außerordentlichen Gründungskonferenz am Tag nach der Spaltung der alten SAV) statt. Der große zeitliche Abstand zur Gründung war eine Folge der Coronakrise, wegen der die für den 20. bis 22. März geplante Konferenz abgesagt werden musste. Auch jetzt musste die Konferenz wegen Corona online stattfinden.
Von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Wir konnten auf der Konferenz bilanzieren, dass wir die Herausforderungen, die Corona für die Arbeitsweise der Organisation darstellte, gut gemeistert haben. Das galt auch für den Konferenzablauf selbst. Auf der anderen Seite erleichterte der Online-Charakter der Konferenz die Teilnahme aus dem Ausland. Es nahmen achtzig Teilnehmer*innen aus 17 Orten in Deutschland und Mitglieder unserer Schwesterorganisationen in Österreich, England, Frankreich und Chile, vom Internationalen Sekretariat des CWI und ein Gast aus Kamerun teil.
Die Coronakrise
Auch inhaltlich spielte die Coronakrise eine große Rolle auf der Konferenz. Sol-Sprecher Sascha Staničić wies darauf hin, dass die Stimmung sich gegenüber dem Lockdown im Frühjahr gewandelt habe. Damals überlagerte die Angst vor dem Virus alles. Es gab die Hoffnung, dass es nur einen kurzen Einschnitt geben werde. Jetzt nimmt die Skepsis gegenüber der staatlichen Coronapolitik zu, was auch die Folge ihres Klassencharakters und der Unsinnigkeit einiger Maßnahmen ist. Die Realität in den Krankenhäusern und Schulen werde in der Öffentlichkeit kaum zum Ausdruck gebracht, aber sie präge trotzdem das Bewusstsein. Man stelle sich vor, die Gewerkschaften würden Befragungen der Betroffenen durchführen und deren Ergebnisse dann medienwirksam veröffentlichen. Das würde die öffentliche Diskussion verändern. Eine Lockerung der Maßnahmen über Weihnachten könne zu einem Anstieg der Fallzahlen danach führen. Wir müssen von einem Coronawinter ausgehen.
Olaf aus Rouen schilderte die französische Coronapolitik: Die Tests nutzten nichts, weil die positiven Fälle nicht wirksam nachverfolgt wurden. Dafür wurde der Lockdown sehr repressiv umgesetzt. Man durfte nicht einmal im Wald spazieren gehen. Marie aus Berlin stellte dar, dass dort die Gesundheitsämter überfordert seien und Tests oft zu spät stattfänden. Julian aus Lemgo berichtete, dass dort in einer Kita die Kinder täglich eine Stunde zusammen und dann erst getrennt betreut würden, wodurch in der ersten Stunde eine hohe Ansteckungsgefahr bestünde. Ursel aus Stuttgart rief dazu auf, nicht zu akzeptieren, wenn unter Berufung auf Corona Demokratie in der Gesellschaft, in Gewerkschaften oder der LINKEN abgebaut wird. Alexandra aus Berlin teilte mit, dass es (auch wegen der Ungerechtigkeit bestimmter Maßnahmen) auch bei linken Menschen wegen Corona Verwirrung gab. Sascha sagte, dass DIE LINKE und die Gewerkschaften über weite Strecken rechten „Covidioten“ das Feld der Kritik an Regierungsmaßnahmen überlassen haben (die aber von der großen Mehrheit der Arbeiter*innenklasse durchschaut wurden), so dass der Eindruck entstehen konnte, es gebe zwei Lager: eines der Vernunft, zu dem auch die Regierung gehöre, und die anderen. Wir müssten stattdessen eine alternative Coronapolitik im Interesse der Arbeiter*innenklasse anbieten. Tom von der Sol-Bundesleitung meinte, wir könnten stolz sein, wie wir politisch und organisatorisch reagiert, unser Programm weiterentwickelt und mehrmals unsere Arbeitsweise umgestellt haben.
Corona-Impfstoff
Einen relativ großen Raum nahm in der Debatte die Frage eines Impfstoffs ein. Grundsätzlich begrüßen wir natürlich die Entwicklung von Impfstoffen, die ein Ende von Corona näher rücken lassen, nicht zuletzt, weil dann wieder soziale Fragen dominanter werden können. Ursel aus Stuttgart wies aber darauf hin, dass Pharmakonzerne Impfstoffe entwickeln, um Profite zu machen. Auch sei unklar, wie das Virus mutiert oder welche Nebenwirkungen Impfstoffe haben. In Russland sei ein geimpfter Abgeordneter trotzdem positiv getestet worden. Zugleich gehe die Politik weiter, die künftige noch schlimmere Pandemien vorbereitet. Sie erinnerte am Vorabend von Friedrich Engels 200. Geburtstag an dessen Satz (aus dem Text „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“), dass sich die Natur an den Siegen des Menschen über sie rächt. Wir müssten betonen, dass die Pharmaindustrie verstaatlicht und die Konkurrenz der Konzerne beseitigt werden müsse. Sowohl sie als auch Torsten aus Rostock verwiesen auf den Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und dem internationalen Konkurrenzkampf: wer zuerst den Lockdown beenden kann, hat Wettbewerbsvorteile. Zugleich haben die Kapitalist*innen ein Interesse an der internationalen Überwindung der Pandemie, die internationale Lieferketten unterbricht.
Internationale Beziehungen
Aber auch mit einem Impfstoff wird es keinen Weg zurück zur Zeit vor der Pandemie geben. Wir stehen am Anfang einer neuen Periode der Geschichte. Das internationale Kräfteverhältnis hat sich geändert, der Abstieg der USA und der Aufstieg von China gingen weiter, es gab eine gewisse Deglobalisierung. Es ist offen, wie weit der Trend gehen wird. Immer wieder gibt es internationale Konflikte wie in Nagorny Karabach. In den neokolonialen Ländern der „Dritten Welt“ hat sich die Verschuldungskrise zugespitzt. Sambia ist bereits pleite.
Bei der Diskussion über die internationale Lage war natürlich das Wahlergebnis in den USA Thema. Es ist zwar gut, dass Biden gewonnen hat, weil seine Regierung weiter Illusionen in die Demokratische Partei zerstören und die Notwendigkeit einer unabhängigen Arbeiter*innenpartei deutlicher machen wird, aber das bedeutete nicht, dass Linke Biden hätten unterstützen sollen..
Aleksandra aus Aachen schilderte, wie es der polnischen Regierung gelingt, durch die Erfüllung eines Teils ihrer sozialen Wahlversprechen Unterstützung in der Bevölkerung zu behalten.
Svenja aus Dortmund ging ausführlicher auf China ein, insbesondere auf die extreme Kluft zwischen arm und reich dort und die den kolonialistischen Umgang mit unterentwickelten Volkswirtschaften.
Massenbewegungen
Ein Thema waren die beeindruckenden Massenbewegungen und Proteste in verschiedenen Ländern, in denen Jugendliche oft eine führende Rolle spielten. Die Ereignisse haben oft ein rasendes Tempo, auch weil anders als in früheren Jahrzehnten meist keine großen reformistischen oder stalinistischen Apparate an der Spitze von Bewegungen stehen, die sie deckeln können. Andererseits zeigten sich auch die Grenzen von spontanen Bewegungen: Ohne demokratische Selbstorganisation und eine Arbeiter*innenpartei mit sozialistischem Programm können Bewegungen schnell wieder verpuffen.
Pablo aus Chile schilderte die dort vor einem Jahr begonnene „Revolte, die eine Revolution werden kann“. Auslöser waren Fahrpreiserhöhungen um dreißig Pesos, aber der Grund waren nicht dreißig Pesos, sondern dreißig Jahre, nämliche die Fortsetzung der neoliberalen Politik nach dem Ende der Pinochet-Diktatur. Er erinnerte daran, dass Studierenden- und feministische Massenproteste in den vergangen Jahren vorausgegangen waren. Er betonte, dass die Bewegung trotz der massiven Polizeigewalt weiter ging, weil viele der jungen Menschen ihre Angst verloren haben.
Wirtschaft
Bei der Diskussion über die deutsche Wirtschaft verwies Sascha darauf, dass die Industrie schon Ende 2019 in der Rezession war. Die Pandemie wirkte dann als enormer Brandbeschleuniger. Die deutsche Wirtschaft hatte zwar Polster, um die Krise abzufedern, auf der anderen Seite ist sie wegen ihrer großen Exportabhängigkeit stark von der Weltwirtschaftskrise betroffen. Tom wies darauf hin, dass nach dem tiefen Einbruch im Frühjahr eine Erholung als „Abpralleffekt“ zu erwarten war. Die Entwicklung bestätigte aber, dass es keinen V-förmige Verlauf gibt, in der auf einen tiefen Einbruch eine geradlinigen Erholung auf das Vor-Krisen-Niveau folgt. Sascha unterstrich, dass die Krise anders als 2008 nicht vom Finanzsektor, sondern der „Realwirtschaft“ ausging. Ursel ergänzte, dass der kapitalistische Charakter der Krise damals klarer war, während sie jetzt vielen als Naturkatastrophe erscheine.
Torsten aus Rostock und Angelika aus der Bundesleitung beschäftigten sich mit den Auswirkungen der Krise auf verschiedene Wirtschaftssektoren: die Gastronomie ist massiv betroffen, aber dort ist es wegen der kleinteiligen Strukturen schwierig, Widerstand der Beschäftigten aufzubauen. Aber auch Bereiche wie die Autoindustrie und Autozulieferer sind stark betroffen, während Versandhändler schon seit Monaten „Weihnachtsgeschäft“ haben. Für bereits Arme verschärft sich die Lage drastisch, aber auch bisher gut bezahlte Facharbeiter*innen sind von Arbeitsplatzabbau und Schließungen bedroht. Wenn man jetzt einen Arbeitsplatz verliert, hat man wenig Aussicht, einen neuen zu finden.
Neben den direkten Auswirkungen der Krise gibt es auch solche auf der ideologischen Ebene: eine krasse Abkehr vom schlanken Staat und dem Dogma der „schwarzen Null“. Nicht nur wegen der Tiefe der Krise sondern aus Angst vor der Reaktion der Arbeiter*innenklasse ergreifen Regierungen Keynesismus-artige Maßnahmen. Wir begrüßen es, wenn solche Maßnahmen Krisenfolgen für die Arbeiter*innenklasse abmildern, aber wir warnen zugleich, dass sie zu gering sind, meist nur zeitweiligen Charakter haben, nur einem Teil der Klasse zugute kommen und es in der neokolonialen Welt meist nicht einmal solche beschränkten Maßnahmen gibt. Wolfram aus Stuttgart ging in einem Beitrag auf die gerade besonders in den USA in linken Kreisen beliebte „moderne monetäre Theorie“ ein und betonte ihre Begrenztheit.
Soziale Krise
Die soziale Krise als Folge der Wirtschafts- und Coronakrise war ebenfalls Thema. Olaf schilderte, dass in ihrer Arbeit in Le Petit-Quevilly bei Rouen die Frage der Organisierung des Sammelns und Verteilens von Nahrungsmitteln aufkam. Brent aus England verwies darauf, dass solche Fragen in den 1930er Jahren oder in der Geschichte des Trotzkismus in Sri Lanka Bedeutung hatten, aber eher Massenorganisationen als kleine Gruppen betreffen. Sascha betonte, dass eine solche Frage vor zwei Jahren gar nicht aufgeworfen worden wäre. Beide Aspekte seien wichtig. Auch wenn die Arbeiter*innenbewegung keine Wohltätigkeitsorganisation ist, können in bestimmten Situationen solche Aktivitäten richtig sein.
Ein Schwerpunkt der sozialen Frage ist die Mietenfrage. Ursel aus Stuttgart unterstrich, dass eine weitere Verarmung droht, wenn auf der einen Seite Kurzarbeit und Tarifabschlüsse wie im Öffentlichen Dienst zu Reallohnverlusten führen, auf der anderen Seite für das Kapital der „Anlagenotstand“ weiter besteht und in „Immobilien“ als Betongold investiert wird. Die Enteignungskampagne in Berlin wird wieder ein bundesweites Echo bekommen. Sie sei ein Riesenfortschritt im Bewusstsein. Wir dürfen aber in der Kampagne in Berlin nicht zum Anhängsel anderer Kräfte werden, sondern müssen uns mit eigenen programmatischen und organisatorischen Vorschlägen an der Kampagne beteiligen und dabei insbesondere Vorschläge machen, die dazu dienen die Selbstorganisation von Mieter*innen voran zu treiben, die Kampagne auf die Arbeiter*innenklasse zu orientieren, Kämpfe zusammenzufassen und über den Tag des Volksentscheids hinaus zu denken. Das müsste angesichts der niedrigen Löhne der Beschäftigen in diesen Gesellschaften auch im Interesse der Gewerkschaften sein. Ronald aus Berlin berichtete, dass die Kampagne vor allem über Kiezgruppen (plus Gruppen in Hochschulen, Betrieben etc.) organisiert werde und erinnerte daran, dass wir schon seit Jahren im Reuterkiez in Neukölln aktiv sind.
Alexandra aus Berlin wies auf die Gefahr hin, dass ohne die Entwicklung des Massenbewusstseins und Organisierung zum Beispiel Gewalt gegen Frauen oder Selbstmordversuche ansteigen werden.
Die politische Ebene
Wir gehen nicht davon aus, dass es vor den Wahlen verallgemeinerte Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung auf Bundesebene geben wird. Anders sieht es in den Kommunen aus, wo es weniger finanzielle Spielräume gibt und die Finanzlage schnell drastisch werden kann. Auch gibt es hier weniger Gründe, auf die Bundestagswahl Rücksicht zu nehmen. Bei solchen Angriffen auf kommunaler Ebene können wir unter Umständen eine wichtige Rolle bei der Organisierung von Widerstand spielen.
Ein Thema war die Krise der AfD. Steve aus Dresden betonte, dass der Konflikt zwischen den beiden Parteiflügeln seit der Gründung der AfD angelegt war und nicht erst durch Corona und die Anbiederung an Coronaleugner entstand. Der „Flügel“ sei zwar formal aufgelöst, habe aber tatsächlich in der Partei auch in West-Landesverbänden an Unterstützung gewonnen. Sie wollen eine Spaltung vor den Bundestagswahlen verhindern, aber der Riss sei so tief, dass das nicht auszuschließen sei. Aber selbst dann sei es möglich, dass zwei rechte Parteien in den Bundestag kommen. Die Gefahr sei trotz der aktuellen niedrigen AfD-Umfrageergebnisse auf keinen Fall vorbei.
DIE LINKE
Wir haben die Entwicklung der Partei DIE LINKE seit Jahren ausführlich diskutiert. In der letzten Zeit mussten wir eine eindeutige Rechtsentwicklung feststellen. Auch die designierte Co-Vorsitzende Janine Wissler wird dabei keinen Unterschied machen. Die Partei hat den Test durch die Corona-Pandemie nicht bestanden. Auch wenn sie sich in den letzten Monaten etwas bewegt und gegen das jüngste Corona-Paket der Regierung gestimmt hat, hat sie auch nicht für ein Gegenkonzept mobilisiert.
Damit befindet sich DIE LINKE leider in der Gesellschaft anderer linker Parteien international. Robert vom Internationalen Sekretariat berichtete von den Massenaustritten der Labour Party angesichts der Hexenjagd gegen Corbyn und seine Anhänger*innen. Die doppelte Aufgabe des Aufbaus unserer eigenen revolutionären Organisation und der breiteren Arbeiter*innenbewegung stellt sich gerade in Großbritannien sehr konkret.
Trotz der Rechtsentwicklung hat DIE LINKE weiterhin zwei Seiten, spielt weiterhin eine Rolle in Bewegungen und Kämpfen und ist immer noch der einzige Ansatzpunkt für eine neue Arbeiter*innenpartei. Eine rot-rot-grüne Regierung sei unwahrscheinlich. Wenn es aber eine Mehrheit dafür gäbe und zum Beispiel die Grünen die Möglichkeit sehen würden, in so einer Konstellation den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen, würde sie nicht an der LINKEN scheitern. In einem solchen Falle würden wir mit unserer Opposition gegen eine Regierungsbeteiligung mit den neoliberalen Parteien SPD und Grünen gegen den Strom gewisser Illusionen auch bei Aktivist*innen schwimmen müssen.
Wir sind weiterhin der Ansicht, dass nur eine Minderheit der Arbeiter*innenklasse und der Jugend direkt zu revolutionären Schlussfolgerungen kommen wird und deshalb die oben erwähnte doppelte Aufgabe auch in Deutschland bestehen bleibt. Wichtig für unsere Arbeit innerhalb der LINKEN bleibt die Antikapitalistische Linke (AKL). Jonas aus Dortmund berichtete über die Arbeit in der dortigen LINKEN und Ursel über Stuttgart, wo sie bei den bevorstehenden Landtagswahlen Kandidatin im Wahlkreis Stuttgart IV ist. Wir konnten die Wahl unseres Genossen Frank auf der Liste der LINKEN in den Gemeinderat von Lemgo feiern. Wir mussten zugleich feststellen, dass wir im Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen zu wenig mit eigenem Material präsent waren. Das soll sich bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg nicht wiederholen.
Unsere Stellung innerhalb der LINKEN ist durch die Spaltung der alten SAV im letzten Jahr schwächer. Das Thema spielte in der Diskussion bezeichnenderweise eine geringere Rolle als die Entwicklungen in den Betrieben und Gewerkschaften.
Betriebe und Gewerkschaften
Betriebe und Gewerkschaften sind für Revolutionär*innen ein zentrales Arbeitsfeld und schon bei ihrer Gründung hatte die Sol betont, ihnen besonders große Aufmerksamkeit zu schenken. Olaf aus Rouen erinnerte an den Satz eines führenden Gewerkschaftsaktivisten unserer englischen Schwesterorganisation, dass Gewerkschaftsarbeit auch die schwierigste Arbeit für Revolutionär*innen sei.
Sol-Bundessprecher Sascha meinte, wir müssten auf die drohende Welle von Arbeitsplatzabbau und Betriebsschließungen jeweils schnell reagieren, weil die Gewerkschaften oft nur kleine Proteste statt der notwendigen Abwehrkämpfe organisieren würden. Es könne aber trotz der Rolle der Gewerkschaftsführungen zu Streiks und Betriebsbesetzungen kommen. Ob so etwas stattfindet, kann von einzelnen Kolleg*innen abhängen. Sascha erinnerte an den Kampf bei Deutz Fahr in Köln 1996, wo ein einzelner Kollege, der in Diskussion mit uns stand, eine Schlüsselrolle dabei spielte, dass es zu einem Streik von unten kam. Angelika von der Bundesleitung betonte, dass in den von der Krise betroffenen Bereichen die klassischen reformistisch-sozialpartnerschaftlichen Konzepte der Gewerkschaftsführungen hilflos sind und zu Niederlagen führen.
Sie und Tim aus Berlin berichteten vom Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde, wo von unten ein Protest organisiert wurde und daraufhin die IG Metall ebenfalls einen (größeren) Protest organisierte. Sie teilten mit, dass die Offenheit für sozialistische Ideen, insbesondere für unsere positiven Forderungen, angesichts der schwierigen Lage größer war als in der Vergangenheit.
Marius und Björn aus Bochum sprachen über ThyssenKrupp. Letzterer erwähnte auch, dass die Offenheit für unsere Vorschläge immer dann größer war, wenn es neue „Hiobsbotschaften“ gegeben hatte. Marius sagte, dass die IG Metall die Forderung von Betriebsräten nach einem „Staatseinstieg“ ignoriere. Um so wichtiger sei es, dass wir eine Brücke zu der Idee der Verstaatlichung schlagen. Brent aus England verwies auf die Bedeutung von ThyssenKrupp über Deutschland hinaus. Robert vom Internationalen Sekretariat erinnerte daran, dass es Ende der 1980er Jahre beim historischen Arbeitskampf in Rheinhausen in unserer damaligen Vorläuferorganisation eine Kontroverse gegeben hatte, ob wir dort intervenieren sollten. Heute wäre eine solche Kontroverse bei uns kaum vorstellbar. Auch wenn es heute auch so ist, dass wir Jugendliche an leichtesten gewinnen können, ist für uns doch selbstverständlich, dass wir an gewerkschaftlichen Kämpfen teilnehmen, unser Programm dort einbringen, Kolleg*innen kennen lernen und Erfahrungen sammeln. Jan aus Dortmund unterstrich, dass gerade im betrieblich-gewerkschaftlichen Bereich einzelne Mitglieder einer revolutionären Organisation einen großen Unterschied machen können.
Ein weiteres Thema war die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst. Angelika von der Bundesleitung, Marén aus Rostock und Dorit aus Dresden gingen auf sie ein. Übereinstimmend wurde berichtet, dass Kolleg*innen das Ergebnis zwiespältig sehen. Es gibt keine breite Empörung, aber Wut über die lange Laufzeit.
Dorit ging vor allem auf die Lage in den Krankenhäusern ein. Dort zeigte die Pandemie die fatalen Folgen der Fallpauschalen (DRGs). Sie schilderte die zwiespältigen Erfahrungen mit gewerkschaftlichen Organizing-Teams, die oft sehr unpolitisch agieren und Aktive im Betrieb zu wenig einbeziehen. Auch die vor einigen Jahren im Arbeitskampf an der Charité zur Demokratisierung des Streiks entwickelten „Tarifbotschafter*innen“ haben jetzt eher das, was von oben kam, nach unten weitergeleitet. Ein Vorteil von Corona ist, dass es viel virtuelle Vernetzung gibt, die wir auch zu nutzen versuchen, um gemeinsam mit anderen die Idee einer Aktivenkonferenz zu verbreiten.
Steve aus Dresden berichtete noch vom Kampf gegen die Schließung eines Krankenhauses in Dresden und darüber, dass die Sozialbürgermeisterin, die sie vorantreibt, ausgerechnet Mitglied der LINKEN ist.
Genoss*innen aus Stuttgart hatten die Frage aufgeworfen, welche Perspektiven für rechte Pseudogewerkschaften wie das „Zentrum Automobil“ bestehen. Wir wollen diese Diskussion im Bundesvorstand fortsetzen.
René aus der Bundesleitung und andere Genoss*innen gingen auf die Vernetzung für Kämpferische Gewerkschaften (VKG) ein, die einen großen Fortschritt darstellt und immer wieder Stellungnahmen verfasst. Es gibt auch mit ihr verbundene örtliche Strukturen, zum Beispiel in München und Stuttgart und in Berlin ist der Aufbau einer örtlichen Gruppe unter unserer Beteiligung in Arbeit.
Olaf aus Rouen berichtete nicht nur von den dortigen gewerkschaftlichen Kämpfen, zum Beispiel in Krankenhäusern oder an Schulen, und der staatlichen Repression gegen Gewerkschafter*innen. Er betonte auch, dass wir dafür kämpfen, dass Gewerkschaften auch in den Arbeiter*innenvierteln aktiv sind. Sol-Bundessprecher Sascha unterstrich, wie wichtig es ist, dass Gewerkschaften nicht nur den Betrieb im Kopf haben.
Die Jugend und Linksjugend [‘solid]
Die Arbeit in Linksjugend [‘solid] ist einer der Arbeitsschwerpunkte der Sol und spielte natürlich auch auf der Konferenz eine wichtige Rolle, auch wenn bedauert wurde, dass es nicht mehr Beiträge zu diesem Thema in der Diskussion gab. Das soll nachgeholt werden.
Tom von der Bundesleitung betonte, dass die Jugend nicht unpolitisch ist und es große Bewegungen zu Themen wie Umwelt und Antirassismus gegeben hat. Auch von der Coronakrise ist die Jugend besonders betroffen, junge Arbeiter*innen ebenso wie Schüler*innen und Studierende. Auch in Deutschland gibt es eine kapitalismuskritische Schicht von Jugendlichen. Die Frage ist aber, welchen „Mehrwert“ Jugendorganisationen wie Gewerkschaftsjugenden oder Linksjugend [‘solid] in ihrem aktuellen Zustand für solche Jugendlichen haben. Junge Sozialist*innen können mit ihren Vorschlägen und ihrem Eingreifen in bestehenden Strukturen aber einen Unterschied und Jugendlichen ein Angebot zur Selbstorganisation zu machen. Es wurde festgestellt, dass der Bundesverband von Linksjugend [‘solid] noch weiter nach rechts gegangen ist. Es bestehe die Gefahr von neuen organisatorischen Angriffen auf Linke im Verband. Marius und Jens schilderten die Lage im Landesverband Nordrhein-Westfalen, wo Sol-Mitglieder (ebenso wie in Rheinland-Pfalz) im Landessprecher*innenrat (LSP*R) vertreten sind. Dort konnten Versuche von Verbandsrechten, die linke Mehrheit im LSP*R zu kippen, verhindert werden. Der neue LSP*R ist „breiter“. Das hat den Vorteil, dass mehr Orte in ihm vertreten sind. Auf der anderen Seite besteht die Herausforderung, die LSP*R-Arbeit weiter zu politisieren.
Aufbau der Sol
Wir haben uns auf der Konferenz ausführlich mit Perspektiven beschäftigt, aber nicht aus akademischen Gründen. Perspektiven sind vielmehr für uns eine Anleitung zum Handeln.
Die erste Konferenz nach der Spaltung der alten SAV war natürlich auch ein Anlass zum Rückblick. Auch wenn der zahlenmäßige Rückschlag bitter war, waren wir mehr denn je von der Notwendigkeit der Spaltung überzeugt. Angelika von der Bundesleitung stellte fest, dass es gut war, dass die Auseinandersetzung nicht erst während der Pandemie stattfand. Wir wurden zwar zahlenmäßig geschwächt, aber politisch gestärkt. Der Aktivitätsgrad der neuen Organisation ist wesentlich höher als früher. Die Diskussionen auf der Konferenz bestätigten das hohe politische Niveau. Neben den drei neuen Ortsgruppen, die wir auf der Konferenz begrüßen konnten, haben wir auch zum Beispiel in Köln, Hildesheim und Kaiserslautern Aufbaumöglichkeiten in neuen Orten.
Auch die Höhe der Mitgliedsbeiträge und der Spendenappell bei der Konferenz zeigen die große Verbundenheit der Mitgliedschaft mit der Organisation.
Bundessprecher Sascha wies auf den proletarischen Charakter der neuen Organisation hin. Der Anteil der Schüler*innen und Studierenden sei sogar niedriger als wir es gerne hätten. (Tatsächlich ergibt sich aus der vor der Konferenz erhobenen Sozialstatistik, dass die Anzahl der Lohnabhängigen und Auszubildenden gut viermal so groß ist wie die der Schüler*innen und Studierenden.)
Als Problem wurde festgestellt, dass wir abgesehen von Berlin und dem Ruhrgebiet relativ kleine, verstreute Gruppen haben. Trotzdem wollen wir nach Möglichkeit nicht nur Propaganda betreiben, sondern auch, wo es ist, Kämpfe führen und Initiativen für Kampagnen ergreifen. Dabei müssen wir eine Balance zwischen dem flexiblen Eingehen auf neue Entwicklungen und Prioritätensetzung finden. Wir müssen unsere Kräfte anspannen, ohne sie zu überspannen. Wenn wir zu viel zu machen versuchen, würden wir nichts richtig machen. Die Bundesleitung hatte den Eindruck, dass wir bei der Zeitungskampagne unsere Kräfte teils überfordert hatten. Trotzdem wurde aus einzelnen Orten positive Ergebnisse durch die Kampagne berichtet.
Viel Lob gab es für die „Jugendmissionen“, die Besuche von jungen Genoss*innen zur Unterstützung in Orten, die Probleme mit der Jugendarbeit haben, die im Herbst stattfanden.
Caspar berichtete, dass der Aufbau der Ortsgruppe in Mainz zu einer besseren Arbeitsaufteilung und besseren Diskussionen in der Organisation vor Ort führte. Sie nutzten den Lockdown im Frühjahr und die seitherigen Monate für intensive Schulung, das Durcharbeiten von Texten wie Trotzkis „Übergangsprogramm“ oder Lenins „Staat und Revolution“. Im Herbst wurde dann die Außenarbeit verstärkt, wobei die bundesweite Zeitungskampagne ein guter Hebel war.
Auch wenn Entwicklungen nicht geradlinig verlaufen, zum Beispiel ein islamistischer Terroranschlag wie in Frankreich oder Österreich für Verwirrung sorgen könnte oder im Zusammenhang mit den Bundestagswahlen Illusionen in eine rot-rot-grüne Regierung aufkommen könnten, waren wir uns einig, dass uns zwar nicht die Leute „die Bude einrennen“ werden, sondern wir weiterhin um einzelne Mitglieder werden kämpfen müssen, dass aber doch die Möglichkeiten zur Mitgliedergewinnung sich verbessern werden. Wie die Möglichkeiten für Mitgliederwachstum genau sein werden, führte zu einer gewissen Diskussion, wobei Einigkeit bestand, dass die Sol im nächsten Jahr einen großen Schritt nach vorn machen kann, In verschiedenen Beiträgen wurde auch daran erinnert, dass es auch Phasen von sprunghaftem Wachstum gegeben hat und dass solche mittelfristig auch wiederkommen werden.
Neben der Mitgliedergewinnung wurde auch die Bedeutung der Konsolidierung und Schulung der neuen Mitglieder betont. Angelika aus der Bundesleitung erinnerte in ihrer Einleitung daran, dass die Hälfte unserer Mitglieder nach der Weltwirtschaftskrise 2007-2009 gewonnen wurden.
Ein Erfolg ist, dass wir den Manifest Verlag trotz Fraktionskampf und Spaltung im letzten Jahr und Corona-Pandemie in diesem Jahr (wodurch die Leipziger Buchmesse und andere Verkaufsmöglichkeiten ausfielen) erhalten können.
Am ersten Abend wurde die Satzung der Sol einstimmig beschlossen, die im Vergleich zur alten SAV-Satzung einige Dinge klarer fasst. Nach der Spaltung hatte es Diskussionen über die Satzung gegeben, die aber zu dem Ergebnis gelangt waren, dass letztlich nicht Satzungsparagraphen, sondern nur die ständige marxistische Schulung der Mitgliedschaft und ihr aktives Eingreifen im Klassenkampf einen Schutz gegen Fehlentwicklungen bietet.
Die Konferenz beschloss auch Resolutionen über die politische Lage und den Aufbau der Sol und wählte den neuen Bundesvorstand, sowie eine Kontrollkommission und Finanzrevisor*innen.