Bernd Riexingers Buch über den “linken Green New Deal“
Im Zentrum der „Flugschrift“ des LINKE Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger stehen Vorschläge für einen „linken Green New Deal“. Sie versucht darüber hinaus unter anderem auch eine Analyse der Lage, in der wir uns befinden, und von Durchsetzungsstrategien.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Das Büchlein enthält eine Reihe von richtigen Gedanken, auch solchen, die in der LINKEN und Linken nicht selbstverständlich sind. Es ist positiv, dass Bernd Riexinger nicht einfach einen „Green New Deal“ propagiert, sondern sich mit dem vorgesetzten „links“ von anderen Versionen abgrenzt.
Aber insgesamt hätten die propagierten Forderungen kühner sein können. Er schreibt auf Seite 119: „Ich habe einen Vorschlag für neue Eigentumsverhältnisse beispielsweise bei Mercedes vorgelegt: Öffentliche Hand und Belegschaft sollen 51 Prozent der Aktien erhalten, also Belegschaftseigentum als kollektives Eigentum mit entsprechenden Mitbestimmungs- und Vetorechten.“ Auch wenn uns dieses Modell nicht weit genug geht, ist es ein Fortschritt, wenn er auch in der Automobilindustrie die Eigentumsfrage aufwirft. Doch sein folgender Satz lautet: „Ich hatte mit empörten Zuschriften und Leserbriefen gerechnet, aber die kamen nicht.“ Die Ehrlichkeit, mit der er zugibt, das Bewusstsein der Bevölkerung unterschätzt zu haben, ist lobenswert. Aber wäre das nicht eine Motivation, auch in anderen Fragen weitergehende Forderungen zu stellen? Sehr richtig schreibt er: „Es ist eine Erkenntnis aus der Geschichte, dass die meisten Zugeständnisse und Verbesserungen dann erzielt werden konnten, wenn es starke gesellschaftliche Kräfte gab, die den Kapitalismus grundsätzlich infrage stellten und überwinden wollten.“ (S. 91) Mit radikaleren Forderungen würde DIE LINKE einen wesentlich größeren Beitrag dazu leisten, solche gesellschaftlichen Kräfte wieder aufzubauen. Die Forderungen, die Riexinger propagiert, werden über weite Strecken dem Anspruch eines „System Change“, also einer Systemänderung, den der Titel formuliert, nicht gerecht.
Wenn er die berechtigte Forderung nach einem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur als „Infrastruktursozialismus“ bezeichnet, verwässert er den Begriff „Sozialismus“.
Er sagt zurecht, dass es heute kein linkes Lager der Parteien gibt, dass SPD und Grüne „in der derzeitigen Verfassung“ (S. 106) seinen linken Green New Deal nicht unterstützen. Aber anscheinend hofft er, dass deren „Basis“ die Parteien verändern werde. Auf sie scheint er sein Programm zuschneiden zu wollen. Die Massenbewegungen (Hong Kong, Chile, Black Lives Matter etc.), die es in den letzten Jahren international gab, erwähnt er zwar (S. 28), aber eine künftige Massenbewegungen in Deutschland scheint nicht sein Adressat zu sein.
Reformen und Überwindung des Kapitalismus
Die programmatischen Begrenztheiten sind mit Schwächen der Analyse verbunden.Auf Seite 50 schreibt er über drohende verschärfte Verteilungskämpfe: „Das liegt nicht daran, dass wir auf ein Zeitalter des Mangels und der Knappheit zusteuern. Jedes Jahr wachsen Wohlstand, Wissen und Reichtum.“ Aber abgesehen davon, dass das kein geradliniger Prozess („jedes Jahr“) ist, ist die Triebfeder der kapitalistischen Wirtschaft nicht die Steigerung von Wohlstand, Wissen und Reichtum, sondern die Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft, um sich dadurch Mehrwert (Profit) anzueignen. Die Verschärfung von Ausbeutung oder die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen, um zusätzliche profitable Anlagesphären für das Kapital zu schaffen, sind mehr als Folgen ungünstiger Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen, die sich durch geschickte Bündnispolitik etc. korrigieren ließen. Sie sind Ausdruck der sich zuspitzenden Widersprüche im Kapitalismus. Das Kräfteverhältnis verbessern, für Reformen kämpfen? Ja, aber nicht mit der Hoffnung, so stabile kapitalistische Verhältnisse zu erreichen, sondern mit der Perspektive der Überwindung des Kapitalismus!
Wir können Bernd Riexinger sicher in vielem zustimmen. Aber das konnten wir bei Jeremy Corbyn in Großbritannien, den er wiederholt lobt, auch. Trotzdem haben Corbyns Begrenztheiten dazu geführt, dass eine der größten Chancen für die Linke in Westeuropa seit Jahrzehnten in einem totalen Desaster geendet hat und Labour wieder fest im Griff der Neoliberalen ist. Deshalb ist es unsere Pflicht, nicht nur die Gemeinsamkeiten mit Bernd Riexingers Ausführungen zu benennen, sondern auch auf den Meinungsverschiedenheiten auch „herumzureiten“.