Häufigere Pandemien durch Raubbau des Kapitalismus

Verschärftes Risiko der Krankheitsübertragung von Tieren auf Menschen durch Zerstörung natürlicher Lebensräume und industrieller Tierproduktion

Epidemien und Pandemien breiten sich immer wieder auf der Erde aus. So gab es zum Beispiel die Pest, Pocken, Fleckfieber, Cholera und Typhus schon seit der Mensch sesshaft geworden ist. Dies waren Epidemien, die zwar überall auf der Erde auftraten, aber sehr stark zeitverzögert.

von Lucie Dussle, Stuttgart und Hans Neumann  Hildesheim

Die „Spanische Grippe“ (1918-1920) war die erste dokumentierte Pandemie. Sie nahm ihren Anfang in einem Betrieb für Massentierhaltung in den USA. Seither gab es weitere Pandemien wie die Asiatische Grippe (1957-58), die Hongkong Grippe (1968-70), HIV (1980-), Sars (2002-03), Vogelgrippe (2004-16), Schweinegrippe (2009-10) und jetzt Corona (2019-). Am Anfang steht meist eine Zoonose. Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden.

Seit dem Ausbruch von HIV sind Pandemien immer häufiger aufgetreten. In den letzten 17 Jahren waren es drei Pandemien. Wissenschaftler*innen haben schon vor Jahren gewarnt, dass der Ausbruch einer weiteren Pandemie wahrscheinlich ist.

Es gibt mehrere Ursachen für Pandemien. Der Handel mit Wildtieren wird dabei in den Vordergrund gerückt. Das Coronavirus wurde wahrscheinlich in Wuhan (China) von einem Pangolin (Gürteltier) auf den Menschen übertragen, hatte dort aber nicht seinen Ursprung. Von den 41 ersten nachgewiesenen Fällen konnte die örtliche Gesundheitsbehörde in Wuhan im Dezember letzten Jahres nur nachweisen, dass lediglich 27 Personen Kontakt zum Markt in Huanan hatten. Folglich müssten auch andere Übertragungswege bestanden haben, zum Beispiel andere Märkte, Küchen oder Transportbereiche. In der Fachzeitschrift Nature Medicine vom 17. März 2020 werden sogar zwei unterschiedliche Szenarien entworfen: Entweder entstand das Virus durch eine natürliche Selektion im Tier vor der Übertragung auf den Menschen oder nach einer Übertragung, durch die natürliche Selektion im Menschen. Bei einer Entstehung des Coronavirus im Tier, wäre es nach Ansicht dieser Forschenden sogar wahrscheinlich, dass der Tierbestand eine hohe Dichte haben musste und damit Massentierhaltung als Ursprung wahrscheinlicher wäre.

Eine der Hauptursachen für Zoonosen ist darin zu suchen, dass der Mensch immer mehr den Lebensraum von Tieren zerstört, um das Land industriell zu nutzen. Wenn nun aber Politiker*innen wie Umweltministerin Svenja Schulze den Ausbruch der Pandemie dadurch erklären wollen, dass sich Tiere und Menschen einfach nur zu Nahe kamen, blenden sie dadurch wesentliche Probleme aus: Den Verlust von Artenvielfalt, Massenzucht und Massenhaltung, sowie die günstigeren Virenherde durch den Klimawandel.

Zerstörung des Regenwaldes

Vor etwa hundert Jahren wurde mit der groß angelegten Zerstörung des Regenwaldes begonnen. Dabei sind in Südostasien in den letzten vierzig Jahren dreißig Prozent der Wälder verloren gegangen. Weltweit dürfte derzeit jährlich etwa eine Fläche in der Größe Bayerns (7,6 Millionen Hektar) verloren gehen. Der Regenwald bedeckte 1950 noch elf Prozent der Erdoberfläche heute sind es noch sechs Prozent.

Einen Teil der neu gerodeten Fläche nutzen von ihrem Land vertriebene Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, um ihren eigenen Bedarf an Lebensmitteln anzubauen. In Brasilien verloren seit 1985 über fünf Millionen Menschen unter Zwang ihr Land. Dafür wurde zum Beispiel Soja angebaut. Auf 22 Millionen Hektar, das ist die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche, wird Soja für Europa produziert. In Indonesien erwarten die Vereinten Nationen in den nächsten Jahren die Vertreibung von fünf Millionen Indigenen von ihrem Land im indonesischen West-Kalimantan, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen. Entgegen den Versprechungen der Plantagenbetreiber schaffen diese Plantagen nur wenige Arbeitsplätze für die ansässige Bevölkerung. Dies zeigt, dass der größte Teil von Konzernen und großen Unternehmen gerodet wird, um großflächig Landwirtschaft zu betreiben. Das ist zum einen Viehwirtschaft und zum anderen Agrarwirtschaft, wie der Anbau von Soja und Palmöl. Etwa 36 Prozent der gehandelten Agrarrohstoffe aus den ehemaligen Regenwäldern werden an die Lebensmittel- Kosmetik- und Pharmaindustrie in Europa geliefert.

Zudem haben Konzerne natürlich auch ein großes Interesse an den Rohstoffvorkommen, wie Erdöl, Kupfer und seltenen Metallen in den tropischen Regenwäldern. Dies trägt nicht nur zum Landverbrauch bei, sondern auch zu einer großen Umweltverschmutzung.

Abnahme der Artenvielfalt

Obwohl die tropischen Regenwälder nur sechs Prozent der Landoberfläche ausmachen, lebt in ihnen die Hälfte aller bekannten Arten. Durch die Rodung sind viele dieser Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Wenn aber die Anzahl der Tierarten schrumpft, bedeutet das einen höheren Anteil von Tieren einer Art. Da diese die gleichen Krankheitserreger in sich tragen, steigt die Anzahl dieser Erreger in einem Gebiet enorm. Damit steigt auch das Risiko für Menschen, sich zu infizieren. In Brasilien wird durch die Zerstörung des Regenwaldes vermutlich Malaria zunehmen, weil die Stechmücken am Rand der Wälder ideale Brutbedingungen vorfinden und dort auch noch mehr Menschen vorfinden, die sie stechen können. Es werden zwar viele Tiere vom Aussterben bedroht – aber nicht alle. Zum Beispiel sind einige Fledertiere und Ratten in der Lage urbane Lebensräume zu erobern. Sie nutzen Schweineställe und Speicher, und fühlen sich in sogenannten „anthroposierten Nischen“ wohl. Fledertiere ernähren sich in Obsthainen und finden in Städten an Lichtern Insekten. Damit kommen sie den Menschen näher. Sie beherbergen eine große Anzahl an Krankheitserregern; unter anderem 3200 verschiedene Coronaviren. Da sie ein ausgezeichnetes Immunsystem haben, werden sie nicht krank. Aber durch Kontakt mit anderen Tieren können sich Krankheitserreger anpassen und über ein Wirtstier Menschen anstecken. In Indonesien zum Beispiel wurden 1997 durch Brandrodung innerhalb von drei Monaten fünf Millionen Hektar Wald vernichtet. Die Rauchschwaden hatten zur Folge, dass in Gebieten Malaysias Obstbäume keine Früchte mehr trugen, von denen sich Flughunde ernährten. Der Hunger trieb die Fledertiere aus dem Urwald. Sie fanden Früchte in der Nähe von Schweinemastbetrieben, wo tropische Obstbäume wuchsen. Die angefressenen Früchte, mit dem Nipah-Virus aus dem Speichel der Fledertiere, fielen in die Schweineställe. Es erkrankten zuerst Schweine und dann Menschen. Inzwischen kann dieser Virus auch von Mensch zu Mensch übertragen werden und tritt in Indien und Bangladesch immer wieder auf.

Infektionsrisiko durch Wildtierhandel

Auch Geflügel und Wasservögel sind oft Wirtstiere. Ebenso Wildtiere, die auf Wildtiermärkten in Asien und Afrika angeboten werden. Der Wildtiermarkt bietet jährlich allein in Afrika mehr als eine Million Tonnen Fleisch an. In China gibt es eine profitable Wildtierindustrie. Jährlich werden zig Millionen Euro umgesetzt und es sind geschätzt 14 Millionen Menschen beschäftigt. Der Staat vergibt Lizenzen für Wildtierfarmen. Dahinter steht eine starke Lobby. Zurzeit stehen 19.000 Wildtierfarmen unter Quarantäne. Jetzt soll der Handel und Konsum von Wildtieren wieder einmal verboten werden. Es gab auch schon bei früheren Krankheiten Verbote. Aber nachdem die Krankheiten wieder abgeklungen waren, wurden diese Verbote wieder gelockert. Die Wildtiermärkte sind ein „Infektionskessel“, da weder die Haltung der Tiere noch die Hygiene angemessen sind.

Wegen der Überfischung vor der Westküste Afrikas, durch Fischfangflotten aus Europa, Japan, Korea und Russland, bleibt für die einheimischen Fischer*innen kaum noch Fisch übrig, der früher als Nahrungsgrundlage diente. Die EU hat sieben Fischereiabkommen mit westafrikanischen Staaten abgeschlossen. Die großen Trawler plündern die Fischgründe oft mit zerstörerischen Methoden und die Menschen in diesen Staaten erhalten keinen angemessenen Wert für ihren Fisch. Es werden auch keine Arbeitsplätze (Fischverarbeitung) geschaffen.

Deshalb sind immer mehr Menschen in Afrika auf Buschfleisch angewiesen, um sich ernähren zu können. So wurde zum Beispiel das Ebolavirus durch den Verzehr von Primatenfleisch übertragen.

Profitgetriebene Massentierproduktion

In der kapitalistischen Profitlogik lohnt sich eine Haltung von Tieren umso mehr, wenn eine größere Anzahl von Tieren mit geringeren Ressourcen „produziert“ werden kann. Je weniger Hallen oder Beschäftigte für die Haltung aufgewandt werden müssen, je billiger die Hygiene- und Sicherheitsstandards ausfallen, desto mehr rollt der Rubel. Eine Folge ist damit, dass mehr Tiere auf kleinerem Raum gehalten werden und sich damit die Bestandsdichte erhöht, was die schnelle Verbreitung von Erregern begünstigt. Die hier entstehende Masse an Exkrementen wird dort, wo eine anderweitige Entsorgung nicht vorgesehen ist oder mit Mehrkosten verbunden wäre, auf Ackerflächen oder ins Grundwasser entsorgt, was wiederum eine Infektionsquelle ausmacht, von der gerade wild lebende Tiere betroffen sind. Nach einem Forschungsbericht von der „Pro-Poor Livestock Policy Initiative“ vom Juni 2007 werden über einen Zyklus von 10.000 produzierten Hähnchen, 42 Tonnen Futter und 100.000 Liter Wasser verabreicht, wobei zwanzig Tonnen Abfall entstehen. Wenn hier keine stringenten Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden und auch kein Schutz vor Insekten getroffen wird, sind das immense Gefahren für Infektionswege.

In derartigen Massenbetrieben findet zudem ein hoher Durchlauf von Tieren statt, was Viren mit ständig neuen Wirtstieren versorgt und somit die Ansteckungsfähigkeit fördert. Tiere aus Zuchtbetrieben, Brütereien oder Nutztiermärkten werden häufig in andere Betriebe, Märkte oder Schlachthäuser geliefert. Kein Wunder, dass bisherige Krankheitsausbrüche eine derart schnelle Verbreitung fanden!

Um möglichst schnell fette Tiere zu produzieren, die möglichst geringe Gefahr laufen, an natürlichen, leichten Infektionen zu erkranken, setzt die profitgetriebene Produktion vermehrt auf die Gabe von Antibiotika. Dass aber Bakterien dieser permanenten Gabe an Antibiotika ausgesetzt werden, begünstigt eine Anpassung und Resistenz der Bakterien. Schon jetzt ist davon auszugehen, dass 70 bis 80 Prozent der weltweit produzierten Antibiotika in der Nutztierhaltung eingesetzt wird und nur der kleinere Rest in der Humanmedizin. Bis 2030 wird dabei sogar mit einem Anstieg des Verbrauchs um 70 Prozent gerechnet!

Ein weiterer Faktor kommt dabei erschwerend hinzu: Die Tierproduktion stützt sich auf Zuchtbetriebe, deren Markenzeichen die biologischen Eigenschaften ihrer Zuchttiere sind. Da sich die weltweite Produktion von Lebendtieren auf eine nur kleine Anzahl von Züchtungen stützt, muss mittlerweile von einer genetischen Monokultur von Nutztieren ausgegangen werden, womit Immunschranken weiter abgebaut werden, die Infektionsübertragungen verlangsamen könnten und insgesamt weniger genetische Möglichkeiten bestehen, auf Umweltbedingungen reagieren zu können.

Wenn diese Art kapitalistischer Nahrungsmittelproduktion nun für kürzere Lieferwege in Gegenden mit einer hohen Menschendichte verlagert wird und dazu keine ausreichenden Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten gesichert werden, wie Desinfektionsfußbäder oder Schutzbekleidung, dann ist auch die nächste große Pandemie lediglich eine Frage der Zeit. Dies gilt umso mehr, da die Industrialisierung der Nutztierhaltung insbesondere in warmen, feuchten Klimazonen eine Gefahr für die Ausbreitung neuer Krankheitserreger darstellt. Eben solche Gegenden breiten sich durch den Klimawandel immer weiter aus. Und auch dieser ist eine unmittelbare Folge der kapitalistischen Produktionsweise!

Mobilität der Menschen

Eine wesentliche Ursache ist auch, dass der Mensch inzwischen sehr schnell in der ganzen Welt unterwegs ist und es keine natürlichen Grenzen, wie Gebirge und Meere mehr gibt. So verbreiten sich Krankheiten rasend schnell über die ganze Erde.

Es muss intensiv geforscht werden, wie Tiere interagieren um Übertragungswege der Viren zu finden. Denn die Fledertiere nehmen die Viren auf ihren Wegen irgendwo auf. Forschung wird aber in den letzten Jahren immer mehr von der Industrie finanziert. Dabei bleibt die Grundlagenforschung auf der Strecke, denn sie bringt in der Regel keine schnellen Gewinne.

Fazit

Egal wie Krankheiten übertragen werden, nicht die Natur ist schuld, sondern der Umgang mit der Natur. Deshalb ist Naturschutz auch Gesundheitsschutz. Der Kapitalismus führt nicht nur dazu, dass es keinen menschengerechten Umgang mit der Pandemie gibt. Ohne die weltweite kapitalistische Produktionsweise und ihre Folgen für Mensch und Natur, hätte es  keinen derartig verheerenden Ausbruch geben können.

Die Medizin hat unbestreitbar große Fortschritte gemacht, aber das hilft nicht viel gegen den Ausbruch von Pandemien. Raubau und Umweltzerstörung sind Folgen des Kapitalismus. Die Logik des Kapitalismus beruht auf Profitmaximierung, die zu schrankenlosem Wirtschaftswachstum führt. Dafür beuten die Konzerne die Ressourcen der Erde, auf Kosten von Mensch und Umwelt, aus. Deshalb  ist eine sozialistische Demokratie nötiger denn je, in der nach einem gesamtgesellschaftlichen und demokratisch aufgestellten Plan produziert wird. Dieser muss sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und nicht an den Marktmechanismen des Kapitalismus.

Die Coronakrise zeigt, dass es möglich wäre, notwendige Maßnahmen sofort umzusetzen, wenn es den politischen Willen dazu gäbe.

  • Schluss mit der Abholzung des Regenwaldes
  • Keine Vertreibung von indigenen Bevölkerungen
  • Keine Freihandelsabkommen
  • Nein zu profitgetriebener Massentierproduktion und Wildtierhandel
  • Mehr Geld für Grundlagenforschung
  • Global handeln gegen die Zerstörung von Klima und Umwelt. Weltweite Umstellung auf nachhaltige Produktion von Gütern, Energie, und Lebensmitteln sowie umweltverträgliche Umgestaltung des Verkehrs.
  • Statt Konkurrenz und Produktion für den Profit, international demokratische Kooperation und nachhaltige Planung entsprechend der Bedürfnisse von Mensch und Umwelt
  • Deshalb sofortige Enteignung der Konzerne, die die Erde zerstören und damit das Überleben der Menschheit bedrohen.
  • Überführung in Gemeineigentum unter demokratische Kontrolle und Verwaltung durch gewählte Vertreter*innen der Beschäftigten, Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltorganisationen.
  • Für sozialistische Demokratie weltweit

Dieser Text erschien zuerst im Buch “Pandemische Zeiten” im Mai 2020.