Warum die Polizei gegen Links härter durchgreift
Leipzig am 7. November: Die sächsische Polizei setzt mit Rückendeckung des Bautzener Oberverwaltungsgerichts einen “Querdenker”-Aufmarsch durch. Über 40.000 Menschen demonstrieren durch die Innenstadt – gegen Corona-Einschränkungen und Maskenpflicht, die sie trotz Auflagen massenhaft nicht einhalten. Dann wird hart durchgegriffen: allerdings gegen linke Gegendemonstrant*innen und beobachtende Journalist*innen.
von Tom Hoffmann, Berlin
Die Leipziger Ereignisse (ausführlich auf www.solidaritaet.info dokumentiert) haben die schon länger anhaltende Debatte über die Polizei weiter angeheizt. Doch wahr ist auch, dass die Prioritätensetzung der sächsischen Beamten nicht Ausnahme sondern Regelerscheinung in Deutschland ist – zumindest für die, die in den letzten Jahren an antifaschistischen und anderen linken Demonstrationen teilgenommen haben. Schon eine Woche nach Leipzig setzte die Frankfurter Polizei Wasserwerfer zuerst gegen linke Gegendemonstrant*innen ein, die sich an Hygieneauflagen hielten, bevor es die Leugner-Demo ohne Infektionsschutzmaßnahmen traf.
Kein Querschnitt der Gesellschaft
Solche Berichte sind keine Zufälle. Sie müssen im Gegenteil auch in den Zusammenhang der zahlreichen aufgedeckten rechtsextremen Netzwerke im Staatsapparat gesetzt werden. Dass Horst Seehofer sich einer Studie über Rassismus in der Polizei weiterhin verweigert, zeigt wie sehr die Behörden weitere Enthüllungen befürchten. Doch warum ist das so? Sicher hat das viel mit den autoritären Strukturen der Polizei zu tun, die Persönlichkeiten anziehen, welche weniger als andere von Gleichheit und Demokratie halten. Die Polizei bildet nicht nur keinen “Querschnitt der Gesellschaft” ab (von Kapital-Lesekreisen unter Polizist*innen hat man zum Beispiel bisher noch nichts gehört). Sie steht auch scheinbar über der Gesellschaft, ihre Mitglieder oder Leitungspersonal werden nicht gewählt, unterliegen keiner demokratischen Kontrolle oder Rechenschaftspflicht. In ihren Reihen muss man keine Konsequenzen befürchten, wenn man Gewaltfantasien gegen Linke auslebt. Doch das erklärt noch nicht, warum die Polizei ist wie sie ist. Das wiederum hat mit ihrer tieferen Rolle in der Klassengesellschaft zu tun.
Im Dienste des großen Geldes
Fünf Wochen vor den Leipziger Ereignissen versammelten sich in Stuttgart am 28. September 2000 Menschen und erinnerten an den zehnten Jahrestag des sogenannten “Schwarzen Donnerstag”. Damals prügelte die Polizei 13 Stunden auf Demonstrant*innen, darunter viele Schülerinnen und Schüler, ein, die gegen das Prestigeprojekt “Stuttgart21” demonstrierten. Ein Rentner verlor durch einen Wasserwerfer sein Augenlicht. “Primitive Gewalt im Dienste des großen Geldes” nannte das treffend ein Teilnehmer der Gedenkkundgebung. Dieses System “des großen Geldes” braucht die Polizei im Einsatz gegen Linke, bei Demonstrationen und Streiks. In Großbritannien hat gerade eine Untersuchungskommission zu den “Spycops” ihre Arbeit aufgenommen. Die Polizei und der Geheimdienst haben dort über Jahrzehnte zahlreiche Organisationen der linken, sozialen und Umweltbewegung infiltriert – unter anderem auch die Schwesterorganisation der Sol, die Socialist Party. Die Spione gingen teilweise Beziehungen mit Aktivist*innen ein, um an Informationen zu kommen.
Kein “Rassismusproblem”
Dass sich in der Polizei Rassismus, Hass gegen Linke usw. breitmacht, hat mit ihrer grundlegenden Aufgabe zu tun: der Aufrechterhaltung der herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse des Kapitalismus. Die Herrschenden haben Angst vor den Beherrschten. Sie nutzen Repression, aber sie brauchen auch Rassismus und andere Formen von Spaltung, um von den sozialen Problemen und ihren Verursachern abzulenken. Deshalb wäre es falsch zu sagen, die Polizei hat ein “Rassismusproblem”. Eine “diversere” Polizei hätte immer noch dieselbe Aufgabe. Rassismus in der Polizei ist vielmehr Teil des Kapitalismusproblems.
Das macht Kritik daran, dass die Polizei mit linken Demonstrationen grundsätzlich härter umgeht als mit Rechten, natürlich nicht überflüssig. Aber daraus sollte nicht die Forderung an selbige Beamt*innen folgen, die Rechten endlich mal genauso aufs Korn zu nehmen. Solche pauschalen Forderungen nach härterem staatlichen Vorgehen, sei es gegen Querdenker- oder Nazi-Demos, sind vielleicht auf den ersten Blick verständlich aber trotzdem falsch: Erstens weil sich der Staat nicht zu schade sein wird mit härterem Vorgehen gegen Rechts ein noch härteres Vorgehen gegen Links zu rechtfertigen. Und zweitens weil solch eine Forderung von der eigentlichen Aufgabe ablenkt: Eine soziale Bewegung von links aufzubauen, die den Corona-Leugnern usw. weder die Kritik an der Regierung noch die Straßen für Proteste überlässt. Dieser Aufgabe sollten sich Gewerkschaften und DIE LINKE endlich annehmen.