Frankreich in der Corona-Krise

Wut und Widerstand nehmen zu

Nach dem katastrophalen Jahr 2020 für die französische Arbeiter*innenklasse und Jugend, beginnt sich Anfang 2021 vermehrt Widerstand zu regen. 

von Olaf van Aken

Die Kampfbereitschaft steigt; lokale und landesweite Streiks sind zahlreich. Um nur einige aufzuzählen: lokale Streiks der Beschäftigten des noch zum Teil staatlichen Energie-Giganten EDF am 19. Januar, Streiks in Krankenhäusern am 21. Januar, zentrale Demonstration gegen Massenentlassungen in Paris am 23. Januar, landesweiter Streik im Schulbereich am 26. Januar, landesweiter Streik der EDF-Beschäftigten am 28. Januar, landesweite Mobilisierung gegen das repressive Gesetz zur inneren Sicherheit am 30. Januar, landesweiter Streik der Lastwagenfahrer am 1. Februar und eintägiger Generalstreik am 4. Februar. All dies zeigt, dass die französischen Arbeiter*innen trotz der extrem schwierigen Lage versuchen, ihre Arbeitsplätze und -bedingungen zu verteidigen. Es gibt Bestrebungen für einen verallgemeinerten Kampf, aber ein erneuter repressiver Lockdown könnte diese Ansätze im Keim ersticken.

Covid-Krise

Weltweit hat das Jahr 2020 das völlige Versagen des Kapitalismus noch deutlicher gemacht. Für Macron und seine Regierung existiert in der Covid- und der Wirtschaftskrise nur ein einziger Sachzwang: maximale Profite für die Großbetriebe und möglichst hohe Dividenden für die Aktionäre. Die mit unverminderter Härte weitergeführte kapitalistische Politik und die kriminelle Krisenführung in der Covid-Pandemie haben die Arbeiter*innenklasse und die Jugend einen hohen Preis zahlen lassen: Massenverarmung in den Arbeiter*innenvierteln und unter Studierenden, Explosion der Zahl der prekär Beschäftigten, Massenentlassungen und Massenarbeitslosigkeit, Anstieg der Depressionen und Suizide,  beschleunigte Zerschlagung der öffentlichen Dienste, neue repressive und rassistische Gesetze, Pflege- und Impfnotstand und nicht zuletzt über 70.000 Corona-Tote (Stand 21. Januar).

Die Regierung Macron hat ihren Unternehmerfreund*innen unter dem Vorwand der Wirtschaftskrise ein kleines „Rettungspaket“ im Frühjahr 2020 zukommen lassen: 110 Milliarden Euro. Was folgte: Tausende Arbeitsplätze wurden und werden weiterhin in den Großunternehmen vernichtet: bei Renault, Air France, Airbus, Michelin, Lindt, Cargill, TUI, … Eine Sondergesetzgebung ermöglicht den Kapitalist*innen, spezielle „Performance-Verträge“ mit den Beschäftigten abzuschließen, die auf der Regel basieren: mehr arbeiten oder weniger verdienen oder Urlaubsstreichung. Oder alles auf einmal. Im öffentlichen Dienst fehlt es an allen Ecken und Enden an Mitteln und der Stellenabbau geht munter weiter. Selbst in den Krankenhäusern sind seit März 2020 hunderte Stellen und Betten abgebaut worden. In den Schulen der Sekundarstufe plant der Bildungsminister über 2000 Lehrer*innenstellen abzubauen. Geld ist anscheinend genug da, nur in den falschen Händen.

Initiativen von unten

Die Führungen der Gewerkschaften, auch der traditionell kämpferischsten Gewerkschaft CGT, sind ihrer Verantwortung bei weitem nicht gerecht geworden und haben letztes Jahr keinerlei Kampagnen oder Streikaktionen organisiert, um sich gegen den massiven Arbeits- und Stellenabbau zu wehren. Daraufhin hat der kämpferische Regionalverband CGT der Region Marseille die Initiative ergriffen, im Dezember 2020 einen Marsch durch ganz Frankreich gegen die Massenentlassungen zu organisieren und wurde dabei vom Großteil der CGT völlig allein gelassen. CGT-Aktivist*innen der Gruppe TUI haben ebenfalls im Dezember ein landesweites Komitee gegen Entlassungen gegründet, mit dem Ziel, von Entlassung bedrohte Arbeiter*innen aus verschiedenen Betrieben zusammenzubringen und eine Großdemonstration in Paris zu organisieren. Diesmal musste die CGT-Führung aufgrund des Drucks der Basis diese Initiative zumindest halbherzig unterstützen. Gewerkschafter*innen der Gauche Révolutionnaire haben sich an diesen Initiativen von unten beteiligt und dort die Forderung nach Verstaatlichung der Großbetriebe unter Verwaltung und Kontrolle der Arbeiter*innen nach vorne gestellt.

Sozialistische Massenpartei nötig

Es mangelt momentan in Frankreich nicht an Kämpfen und Streiks; es mangelt aber an einer Strategie und an gemeinsamen, verallgemeinernden Forderungen für diese und an kämpferischen Gewerkschaftsführungen und -strukturen. Es fehlt vor allem eine kämpferische, sozialistische Massenpartei, die das politische Rückgrat für die Kämpfe bilden und somit Zigtausende Arbeiter*innen und Jugendliche organisieren könnte. Zurzeit steht die französische Arbeiter*innenklasse politisch und programmatisch völlig unbewaffnet da, auch wenn sie über eine gewisse Kampfkraft verfügt.

Die France Insoumise (FI) von Jean-Luc Mélenchon stellt die einzige ernstzunehmende politische Opposition zu Macron dar und hat in den letzten Monaten durchaus korrekte Positionen und Forderungen vertreten. Mélenchon hat in der Arbeiter*innenklasse eine große Sympathie und ist Präsidentschaftskandidat für 2022. Die FI ist aber nur eine eher lockere Bewegung und stellt den Kapitalismus nicht grundlegend in Frage. Mélenchon, ein ehemaliger Marxist, und seine führenden Mitstreiter*innen beschränken sich oft auf parlamentarische Opposition, auch wenn sie Kämpfe und Streiks unterstützen und bekannt machen. Sie weigern sich nach wie vor, eine kämpferische Partei mit festen, demokratischen Strukturen und einem sozialistischen Programm aufzubauen.

Eine solche Partei ist dringend nötig und hat das Potenzial, sich in der Arbeiter*innenklasse, in den Gewerkschaften, in Arbeiter*innenvierteln und in der Jugend zu verankern und den Kampf für die konkreten Tagesforderungen mit dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft zu verbinden.

Olaf van Aken lebt in Rouen. Er ist Lehrer und Aktivist der Gewerkschaft UGT und Mitglied der Sol-Schwesterorganisation Gauche Révolutionnaire.

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