Myanmar: Der Kampf gegen den Militärputsch

Lehrer*innen in Myanmar demonstrieren. Foto: Ninjastrikers/Wikimedia Commons

Bewegung ist an einem kritischen Punkt

Der Ruf nach einem zweiten Generalstreik in Myanmar am 8. März wurde durch das Regime mit brutalem Durchgriff beantwortet. Laut Berichten wurden zumindest zwei Demonstrierende durch das Militär erschossen. Das Militär hatte in der Nacht Razzien durchgeführt, um viele führende Aktivist*innen und Gewerkschaftsführer*innen festzunehmen. Trotz dieser Attacken haben die Demonstrierenden Barrikaden errichtet und sind entschlossen, die Proteste fortzusetzen. 

von TU Senan, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale

Der Ruf danach, die Wirtschaft des Landes zur Gänze zum Halt zu bringen, wurde in vielen Teilen vollständig umgesetzt. Hafenarbeiter*innen, Eisenbahner*innen, die die Bahnstrecken blockierten, und Industriearbeiter*innen stellten sicher, dass die Streikaktionen hielten. Dieser Generalstreik und jener, der am 22. Februar in Myanmar stattfand, zeigen die tiefe Wut über den Militärputsch am 1. Februar, die unter Arbeiter*innen und allen Teilen der Gesellschaft herrscht. 

Der Generalstreik involvierte Arbeiter*innen aus allen Teilen der Wirtschaft. Kleine Gewerbetreibende schlossen sich ebenso den Protesten an. Das Militär hat nun die Angriffe auf die Protestierenden erhöht. Trotz dieser Angriffe und der Schüsse mit scharfem Geschütz setzen sie die Proteste fort und trotzten dem Militär sowie den verstärkten Repressionen, die während der Pandemie gegen die Streikenden eingesetzt wurden. Im Moment wurden mehr als 50 Demonstrierende getötet oder verletzt. 

Myanmar hat die höchste Rate an Corona-Infektionen unter den ostasiatischen Ländern mit bisher über 150.000 Fällen und über 3.200 Toten. Während keine adäquaten Maßnahmen getroffen wurden, um Covid-19 zu kontrollieren, benutzte das Militär die Situation, um drakonische Maßnahmen zu implementieren, bis hin zu dreijährigen Gefängnisstrafen, für diejenigen, die die Maßnahmen brechen. Diese Maßnahmen halfen dem Militär den sogenannten “Covid-Coup” umzusetzen. 

Die Militärspitzen behaupteten, Wahlbetrug wäre der Grund für die Übernahme der Macht. Die Wahl war nicht völlig demokratisch; viele Minderheiten waren ausgeschlossen. Aber das Militär wurde aktiv, da die Wahl gezeigt hatte, wie schwach seine Unterstützung gewesen war. Es gab Berichte über eine interne Krise im Militär. Die Spannungen intensivierten sich nach der bedeutenden Niederlage der vom Militär unterstützten Solidaritäts- und Entwicklungspartei (Union Solidarity and Development Party, USDP) bei den Wahlen im November. Obwohl die Nationale Liga für Demokratie (NLD) unter der Führung von Aung San Suu Kyi die Mehrheit der Sitze gewann (440 von 476), gab es Anschuldigungen von Wahlbetrug, die das Militär nutzte, um den Putsch durchzuführen. 

Die obersten Militärs haben nun angekündigt, dass sie alle Aktivist*innen verhaften werden, die immer noch protestieren, und haben begonnen, Tränengas und scharfe Munition einzusetzen, um Proteste aufzulösen. Die Aktivist*innen haben bis jetzt gegen diese brutalen Angriffe gehalten und die Mobilisierungen fortgesetzt. Allerdings ist es nicht klar, wie lange sie diese aufrecht erhalten können, da die Offensive des Militärs gegen die Proteste zunimmt. Die Tatmadaw (Militär in Myanmar) hat eine blutige Geschichte von Massakern und Blutbäder gegen die Bevölkerung. Die Rolle der Tatmadaw im Genozid der Rohingya ist breit bekannt. Führende Militärs kontrollieren ebenso Teile der Wirtschaft. Das militärische Establishment ist gespickt mit Kriegsverbrecher*innen und korrupten Individuen. Dennoch besitzen sie immer noch eine Basis in einem Teil der Gesellschaft, besonders jenen, die in Gebieten mit Konflikten auf ihre militärische Unterstützung bauen. Dieser Teil wird nun zu Gegenprotesten mobilisiert und attackiert Protestierende mit der Unterstützung des Militärs. 

Das Militär hat in der Vergangenheit mit buddhistisch-chauvinistischen Kräften bei blutigen Übergriffen auf Minderheiten zusammengearbeitet. Einige führende Mönche des Therevada-Buddhismus (besonders vorherrschend in Myanmar und Sri Lanka) propagieren extreme Gewalt gegen alle, die sich ihnen entgegenstellen. Die Führung der Arakan National Party (ANP) sind buddhistische Großgrundbesitzer*innen und rechte Nationalist*innen, die Verbindungen zum Militär haben. Diese Partei gewann eine Mehrheit der Sitze in der Wahl von 2015 in der Region Rakhaing. Diese Wahlunterstützung wurde ihnen doch durch die Nationale Liga für Demokratie abspenstig gemacht durch diverse Maßnahmen inklusive der Repressionen gegen die nationalistischen Kräfte der ANP. Aung San Suu Kyi soll gesagt haben, sie würde die Aufständischen von Arakan “zerstören”. Die 15 Mitglieder starke Militärregierung unter General Min Aung Hlaing als Oberhaupt nach dem Putsch – sie wird “Administrativer Staatsrat” genannt – beinhaltet nun fünf Mitglieder der ANP. 

Allerdings hat die Bewegung gegen den Coup nun breitere Schichten diverser ethnischer Minderheiten in die Proteste gezogen, inklusive der Rohingya. Teile der Protestierenden haben begonnen, die Verbrechen gegen Minderheiten in der Vergangenheit anzuerkennen. 

Ethnische Minderheiten

Es gibt über 100 verschiedene ethnische Minderheiten in Myanmar. Das Land ist tief gespalten entlang religiöser Linien. Seit der sogenannten “Rückkehr zur Demokratie” hat die von Aung San Suu Kyi geführte NLD keine Anstrengungen unternommen, um auf die Forderungen der Minderheiten einzugehen. Nicht nur hat die NLD die Macht mit dem Militär geteilt, sie hat auch deren Bluttaten verteidigt – am offensten im Dezember 2019 als Aung San Suu Kyi beim Internationalen Gerichtshof sprach.

Aung San Suu Kyis Rolle bei der Verschleierung der Wahrheit in Bezug auf die Rohingya hat ihren Ruf als “Menschenrechtsverteidigerin” beschädigt. Sie war in der Vergangenheit von den westlichen kapitalistischen Medien als Verteidigerin der Demokratie gezeichnet worden. Aung San Suu Kyis Opposition gegenüber dem Militär bedeutet aber nicht, dass sie für demokratische Rechte und bessere Bedingungen für alle, insbesondere die 30 Prozent der Bevölkerung, die ethnischen Minderheiten angehören, einstand. Sie und ihre Partei haben die Versprechen demokratischer Rechte und besserer Bedingungen in den Jahren ihrer Regierung nie eingelöst. Stattdessen wurden Angriffe auf Arbeiter*innenrechte durchgeführt. Selbst das Gesetz zu Cybersecurity, das dem Militär erlaubt, jeden der einen Protest online organisiert, für drei Jahre einzusperren, stammt aus der Feder von Aung San Suu Kyi und ihrer Regierung und wurde von dieser umgesetzt. 

Aung San Suu Kyi und die NLD haben kaum Unterstützung unter den Minderheiten. Daher war die NLD gerne bereit, die Wahlen in Regionen mit ethnischen Minderheiten nicht abzuhalten. Vertreter*innen der Minderheiten, wie zum Beispiel Kandidat*innen der Rohingya, wurden daran gehindert bei den Wahlen anzutreten. Zwei Millionen Menschen waren im Wahlprozess nicht eingebunden. Es ist dieses Versagen der NLD und das daher fehlende Vertrauen durch die Bevölkerung, die die Basis des Militärs aufrechterhalten.

Die Proteste sind nicht sofort nach der Verhaftung der NLD Führung ausgebrochen. Das ist zum Teil auf Angst vor dem Militär zurückzuführen – aber auch auf fehlenden Enthusiasmus für die Verteidigung der Führer*innen der NLD, die in der Vergangenheit mit der Militärjunta zusammengearbeitet hatten. Es waren die mutigen Aktionen der Beschäftigten im Gesundheitssektor und dem öffentlichen Dienst, die den Massen das Selbstvertrauen für Mobilisierungen auf der Straße gegeben haben. Diverse Gewerkschaften, darunter der Hauptgewerkschaftsverband, schlossen sich dem Kampf an und riefen das Civil Disobedient Movement (CDM) ins Leben. Dies führte schließlich zum Generalstreik, der die Opposition zum Putsch weiter vereinte. Die Formierung eines Generalstreikkomitees der Nationalitäten (GSCN) brachte 27 verschiedene ethnische Gruppen zusammen. 

Die Bewegung steht allerdings nun an einem kritischen Punkt. Die Hoffnung, die unter Teilen der Menschen in Bezug auf den Westen und die internationale Gemeinschaft bestanden hatte, erodiert. Die Krokodilstränen der westlichen kapitalistischen Länder haben keine Ergebnisse hervorgebracht. 

Rolle Chinas

Die chinesische Regierung, die direkte Verbindung zu allen politischen Parteien und der Tatmadaw unterhält, unterstützte das Regime, inklusive der Entsendung eines Expertenteams, das half, das Internet und die Sozialen Medien zu unterdrücken. Sie stellten sich auch gegen jegliche Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat. In der jüngsten Vergangenheit hat das chinesische Regime bedeutende Investitionen in Myanmar als Teil ihrer Seidenstraßeninitiative unternommen. Obwohl das chinesische Investment unter dem Militär begann, war es unter der NLD-Regierung, dass der China-Myanmar Wirtschaftliche Korridor (CMEC) sich weiterentwickelte. Nach der sogenannten “Politischen Reform” 2011 unter der Regierung von Thein Sein wurde eine Reihe von chinesischen Verträgen unter dem Vorwand der “Opposition“ der Bevölkerung beendet. Aber die Wahl der NLD 2015 führte zu einer Veränderung dieser Position, da die NLD Führer*innen aktive chinesisches Investment bewarben. Hydroelektrischer Bau von Dämmen im Wert von mehr als 3,6 Milliarden Dollar zusätzlich zur Sino-Myanmar Öl- und Gas-Pipeline sowie ein Kupferminenprojekt waren einige der chinesisch kontrollierten Projekte, die Kontroversen auslösten und durch die NLD Regierung vorangetrieben wurden. Es ist diese geopolitische Situation, die dazu führte, dass der Westen auf das Rohingya Massaker aufmerksam machte – und die zur Verurteilung für Völkermord beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag führte. Allerdings wurden keine Aktionen gegen die NLD Regierung oder das Militär umgesetzt. China, das in die Verhandlungen über Rohingya eingebunden waren, argumentiert nun, dass andere “nicht in die internen Angelegenheiten von Myanmar intervenieren sollten”. 

General Min Aung Hlaing, der Berichten zufolge vor dem Coup die chinesischen Behörden getroffen hatte, kündigte an, dass sie die Unterstützung des chinesischen Regimes hätten. Allerdings ist dies viel komplizierter, da das chinesische Regime auch enge Verbindungen mit der NLD unterhält. Das chinesische Regime würde die vorhergehende Konstellation mit der NLD gemeinsam mit dem Militär an der Macht unter dem dünnen Mäntelchen einer Scheindemokratie bevorzugen, um ihre regionalen Interessen zu wahren. Es ist nun bekannt geworden, dass die Junta auch Deals mit Russland macht, inklusive militärischer Verträge sowie dem Kauf des russischen Corona-Impfstoffes. Russland hat nicht nur den Putsch verteidigt, sondern ist weiter gegangen und hat den Westen gebeten, “die neue Regierung in Myanmar darin praktisch zu unterstützen, ihre Verpflichtungen einzuhalten, auch im Bereich der Menschenrechte”. Diese Länder blockierten auch jede Verurteilung des Putsches im UN-Sicherheitsrat. 

Das Einbeziehen anderer Regime in der Region, die wie in Thailand ebenfalls mit Oppositionsbewegungen im eigenen Land zu tun haben, wird nicht das Ende der Herrschaft der Junta in Myanmar bringen. Die westlichen kapitalistischen Regierungen wiederum sind lediglich durch ihre eigenen Interessen und ihre Rivalität zu China und Russland motiviert. Diese Regierungen kämpfen nicht für demokratische Rechte, wo ihre eigenen Interessen nicht gefährdet sind, wie zum Beispiel in Saudi-Arabien, Indien oder der Türkei, wo grobe Verstöße gegen die Menschenrechte durch autoritäre Regime stattfinden. Indien zwang geflüchtete Rohingya zur Rückkehr. Wenig überraschend denkt das Militär, dass es den Westen davon überzeugen kann, dass es die NLD und Aung San Suu Kyi die Myanmar unter chinesischen Einfluss brachte.

Mit all diesen Faktoren, die das Militär an der Macht stützen, steht die sich entwickelnde Bewegung vor einer größeren Frage, als es von außen scheint: Die simple Rückkehr an die Macht der NLD hat nicht geklappt. Der Versuch der NLD, zwischen den rivalisierenden Kräften zu balancieren, ist ihnen auf den Kopf gefallen. Diese Faktoren, gemeinsam mit Repression, können für eine gewisse Zeit ein Gefühl der Machtlosigkeit schaffen, das die Massen demobilisieren und das Militär an der Macht halten. Aber die Massen haben bereits enorme Stärke in den machtvollen Generalstreiks gezeigt. Es ist klar, dass das Eingreifen der Arbeiter*innenklasse geholfen hat die Bewegung zu entwickeln. Wie wir in anderen Massenbewegungen auf der ganzen Welt sahen, sahen wir auch, wie die Bewegung in Myanmar medizinische Hilfe und Nahrung organisiert, Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat, etc. 

Allerdings wird dies nicht genug sein. Arbeiter*innenkomitees in den Betrieben müssen gewählt werden und zusammenkommen, um eine Machtbasis außerhalb der Mauern der Institutionen aufzubauen, die im Moment durch das Militär besetzt sind. Die Bewegung sollte auch an die Basis von Polizei und Armee appellieren, sich den Oppositionskräften anzuschließen. Solidarität sollte ausgedehnt und Kräfte mit Massenbewegungen in anderen Ländern der Region wie Thailand und Hongkong vereint werden. Arbeiter*innen in China und Russland leiden unter repressiven Regimen. An sie sollte appelliert werden, damit sie sich ergeben und mit der Arbeiter*innenbewegung im Westen und weltweit vereinen. Dies ist der beste Weg, um die Bewegung für Demokratie zu stärken. 

Die Forderungen sind nun viel weitergehender als die simple Forderung nach einem Freilassen der NLD Führer*innen und aller gefangenen Oppositionellen. Nun ist auch die Forderung nach einer Veränderung der Verfassung aufgekommen. Die momentane Verfassung von Myanmar, die vom Militär 2008 erlassen wurde, gibt dem Militär enorme Macht und Autorität. Ein Viertel der Parlamentssitze und der Schlüsselministerien (Inneres, Verteidigung, Äußeres) liegen automatisch beim Militär. Allerdings wirft die Forderung nach einer neuen Verfassung die Frage auf: Durch was soll sie ersetzt werden? Und: Durch wen werden diese Veränderungen vorgeschlagen und umgesetzt? 

Unabhängigkeit der Arbeiter*innen 

Die Arbeiter*innenbewegung muss ihre Unabhängigkeit verteidigen. Der Kampf gegen den Putsch kann keine politische Unterstützung der NLD Führung bedeuten. Vielmehr ist es ein Kampf für demokratische Rechte. Eine zivile Regierung zu fordern sollte keine Koalition mit der NLD bedeuten. Die Arbeiter*innenbewegung muss sowohl für demokratische Rechte wie auch die Interessen der Arbeiter*innen und Armen kämpfen. 

Die Entwicklung einer machtvollen Massenbewegung würde die Frage stellen, wer das Militär ersetzen soll. Viele werden nun eine Rückkehr von Aung San Suu Kyi und der NLD unterstützen, aber Sozialist*innen sollten gleichzeitig mit der Opposition zum Militärputsch argumentieren, dass jenen, die bis jetzt die militärische Elite öffentlich verteidigt haben, nicht vertraut werden darf. Stattdessen sollte für eine revolutionäre Regierung von Vertreter*innen der Arbeiter*innen und der Armen aufgerufen werden, die den Putsch effektiv besiegen, die Putschist*innen von der Macht entfernen und sicherstellen, dass eine demokratische Entscheidung über die Zukunft des Landes möglich ist. 

Die Forderung nach der Etablierung einer revolutionären, verfassungsgebenden Versammlung kann in diesem Kampf eine wichtige Rolle spielen. Demokratisch gewählte Vertreter*innen aller wichtigen Teile des Landes können über die Zukunft diskutieren, die sie sich wünschen. Das beinhaltet auch die Frage von demokratischen Rechten, inklusive des Rechts auf Selbstbestimmung von ethnischen Minderheiten. Allerdings kann diese Aufgabe nicht in den Händen der Kapitalist*innen und Grundbesitzenden gelassen werden, die eine Geschichte der Kollaboration mit repressiven Regimen besitzen. Die Arbeiter*innenklasse als führende Kraft wird der Schlüssel im Kampf für eine sozialistische Gesellschaft sein. Unter einer Arbeiter*innenregierung kann eine echten sozialistische Föderation von Myanmar möglich werden. Dabei kann die Bewegung jedoch nicht Halt machen. Eine sozialistische geplante Wirtschaft wird nötig sein, um diese Rechte zu garantieren und die Gesellschaft zu entwickeln. Damit die Bewegung erfolgreich sein kann, muss sie diese Ideen diskutieren, debattieren und annehmen. 

Das CWI ruft all jene, die interessiert sind, sich uns anzuschließen, dazu auf, diese Ideen zu diskutieren. 

Der Artikel erschien im englischen Original am 9. März 2021 auf socialistworld.net