Was repräsentiert dieser Fehltritt politisch?
Heike Makatsch ist die erste gewesen, die sich von „#Alles dicht machen!“ distanziert und sich für ihre Teilnahme daran entschuldigt hat. Applaus bekommen die Künstler*innen nur von den Querdenkern – und das überrascht sie. Natürlich wäre eine gute Aktion nicht deshalb automatisch schlecht, weil sie von den Querdenkern oder der AfD unterstützt wird.
Von Johannes Bauer, Köln
Es ist zu begrüßen, dass Künstler*innen sich politisch zu Wort melden. Durch ihre Ausbildung und ihre Tätigkeit stehen ihnen Ausdrucksmittel zur Verfügung, die bekannte Sachverhalte aus neuen oder ungewöhnlichen Blickwinkeln erscheinen lassen. Sie besitzen Mittel der Visualisierung oder Abstraktion, die im politischen Betrieb zwischen Wissenschaftler*innen, Manager*innen, Berufspolitiker*innen und Journalist*innen selten zu finden sind.
Keine Reaktionär*innen
Keine*r der beteiligten Künstler*innen ist in der Vergangenheit durch reaktionäre Äußerungen aufgefallen. Es handelt sich um einen Teil der darstellenden künstlerischen Elite des Landes, die sich auch vorher bereits zu politischen Themen geäußert hat. Allgemein sind sie liberalen, demokratischen oder sogar fortschrittlich-solidarischen Positionen verpflichtet.
Ein Kollege der „Dichtmacher“, der deutsch-österreichische Schauspieler Christoph Waltz, weist einen Weg zum Verständnis: “Ich kann überleben. Ich hab keine Not. Ich hab eigentlich nur Unannehmlichkeiten”, erklärt er und fügt an: “Ich denke aber an die Menschen, die auf 50 Quadratmetern zu dritt leben und ihren Job verlieren. Das ist eine andere Sache. Für mich ist es, solange ich gesund bin, nicht existenziell. Für viele ist es trotz Gesundheit existenziell.”
Verhöhnung der Corona-Opfer
Die Schauspieler*innen, die sich für #allesdichtmachen zusammen getan haben gehören zu den besser Gestellten, die durch Serienrollen gut bezahlt sind und in der Pandemie nicht in eine wirtschaftliche Krise gerutscht sind. Vermutlich wollten sie sich mit ihren weniger gut abgesicherten Kolleg*innen solidarisch zeigen und ihre Prominenz zu diesem Zweck nutzen.
Die Beiträge kritisieren allgemein “die Corona-Maßnahmen”. Sie selbstbemitleiden den Verlust des lebenswerten Lebens. Sie unterscheiden nicht zwischen sinnvollen Schutzmaßnahmen und der Profilierungssucht von Politiker*innen im Vorwahlkampf. Sie differenzieren nicht zwischen verschiedenen Gruppen von Corona-Folgen – zwischen Corona-Profiteur*innen und Corona-Verlierer*innen. Sie verhöhnen in der pauschalen Ablehnung oder Verhohnepiepelung der Corona-Maßnahmen die extremsten Corona-Verlierer*innen: Die Toten und deren Hinterbliebenen. Daher kann man, wohlwollend, diese Kampagne nur einen Fehltritt nennen.
Man kann unterstellen, dass sie außerdem mit der durchaus kritikwürdigen Politik der Regierung abrechnen wollten, jedoch in die falsche Richtung geschossen haben. Denn es ist kein Zufall, dass der Applaus vor allem von Rechts kommt. Die Corona-Politik der Regierung erfordert konkrete Kritik und konkrete Alternativen (siehe hier das Sol-Programm zur Pandemiebekämpfung), sonst gibt es Anknüpfungspotenzial für Querdenker und AfD.
Unbehagen und politische Verwirrung
Als erste hat offenbar Heike Makatsch verstanden, dass sie einer kollektiven Auto-Suggestion aufgesessen ist. Heike Makatsch hat sich in der Vergangenheit unter anderem für die Tobin Steuer eingesetzt. Wir halten sie für eine politische Person. Dass sie in diesem unschönen Projekt gelandet ist, ist ein Hinweis, dass die widersprüchlichen Maßnahmen der Regierung zu einem großen Unbehagen und einer großer Verwirrung bei vielen Menschen geführt haben. Es ist aber keine Rechtfertigung dafür.
Die Dichtmachen-Künstler*innen gehören zu den Menschen, die in der Corona-Krise die Orientierung verloren haben, die aber selbst ökonomisch nicht zu den Abgehängten zählen. Sie repräsentieren eine reale Spaltungslinie, die auch durch die Arbeiter*innenklasse läuft. Ein Teil der Klasse kann die Krise materiell bisher auf Kurzarbeit mit bis zu 95 Prozent des normalen Lohnes aushalten, andere haben gleichzeitig die drei Minijobs verloren, mit denen sie vor der Krise bereits am Existenzminimum balancierten und sind in die Grundsicherung abgerutscht. Die Künstler*innen von #allesdichtmachen sind noch nicht für alle Zeiten an die Unmenschlichkeit verloren, sie haben aber an einer politischen Weggabelung einen schlechten Instinkt bewiesen. Man wird sehen müssen, wie sie sich in der weiter anhaltenden Krise positionieren.