Nein zu Ausgangssperren!

Demokratische Rechte verteidigen – effektive Schutzmaßnahmen gegen das Virus erkämpfen

In vielen Städten und Landkreisen gibt es nun bei steigender Inzidenz nächtliche Ausgangssperren. Die Bundesregierung hat solche nun auch im neuen Infektionsschutzgesetz bundesweit festgelegt. Die Herrschenden treiben damit gefährliche Symbolpolitik auf Kosten der psychischen Gesundheit der Arbeiter*innenklasse und der Jugend. Gleichzeitig schieben sie notwendige Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie vor sich her und gefährden damit auch die physische Gesundheit von Millionen.

Von Caspar Loettgers, Mainz

Offiziell lautet die Begründung der Bundesregierung für die Entscheidung, dass eine Ausgangssperre Menschen daran hindert, andere Leute zu besuchen – weil sie nicht ihr Haus verlassen dürfen. So soll etwa verhindert werden, dass Menschen um 20 Uhr auf eine Feier gehen, da sie um 21 Uhr wieder daheim sein müssen. Ob diese Wirkung erzielt wird bzw. welche Auswirkungen das auf den Pandemieverlauf hat, ist zumindest fraglich:was hindert Leute daran, bei Freund*innen zu übernachten, wenn sie nicht mehr raus dürfen? Werden Jugendliche sich nicht bei Ausgangssperren vermehrt zu Hause treffen statt im Freien, wo Ansteckungen nachweislich deutlich seltener stattfinden?

Beispiel Frankreich

In Frankreich herrscht schon länger eine Ausgangssperre ab 18 Uhr bzw. seit kurzem ab 19 Uhr. Dies hat es Forscher*innen ermöglicht, Studien zu den Auswirkungen der Ausgangssperre anzustellen.. Dabei ist raus gekommen, dass die Ausgangssperre kaum Auswirkungen auf Infektionen hat. Vielmehr konnten in einigen Städten seit der Einführung der Ausgangssperre erhöhte Infektionszahlen festgestellt werden. Die Forscher*innen begründeten dies damit, dass Menschen ihre Tätigkeiten (Einkaufen, sich mit Freund*innen treffen, zur Arbeit fahren etc.) einfach früher machen und es dadurch zu größeren Ansammlungen in U-Bahnen, Supermärkten etc. kommt1.

Wir sind keine Wissenschaftler*innen und können diese Informationen nicht aufs Detail genau überprüfen. Viele der zugänglichen Berichte deuten darauf hin, dass Ausgangssperren als Maßnahme im besten Fall nutzlos sind und im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv. Aber es gibt auch andere Studien und es ist kaum zu beurteilen, welche der Realität näher kommen. Vieles spricht dafür, dassohnehineine Maßnahme alleine keine entscheidende Wirkung erzielt, die Untersuchungen über positive Wirkungen von Ausgangssperren also etwas damit zu tun haben können, welche sonstigen Einschränkungen bestanden. Und natürlich sind Ausgangssperren, die über einen Großteil des Tages verhängt werden, wie derzeit in Chile oder Mobilitätseinschränkungen auf einen Bereich von einem oder wenigen Kilometer um die eigene Wohnung herum, effektiv bei der Beschränkung sozialer Kontakte – haben aber auch enorme psychosoziale Auswirkungen und sind ein noch größerer Eingriff in die demokratischen Rechte der Arbeiter*innenklasse.

Wir sind gegen die nächtlichen Ausgangssperren, weil diese einmal mehr das Privatleben der Arbeiter*innenklasse und Jugend belasten und einen weiterer Eingriff in demokratische Rechte darstellen, ohne dass ihre Wirkung sicher ist, während gleichzeitig effektive Schutzmaßnahmen nicht ergriffen werden. Damit gaukeln die Regierenden vor, zu handeln, während sie in Wirklichkeit nicht bereit sind, wirksame Maßnahmen zu finanzieren. Denn es gäbe genug Maßnahmen, die sofort getroffen werden könnten und mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit die Verbreitung des Virus eindämmen würden. In einem offenen Brief an die Bundesregierung schreiben Aerosolforscher*innen, dass über 99 Prozent aller Infektionen in Innenräumen stattfinden. Warum werden deshalb nicht alle Betriebe, die nicht zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung nötig sind, für mehrere Wochen bei voller Lohnfortzahlung geschlossen? Auch hätten schon längst bundesweit in allen Schulen und öffentlichen Räumen Luftfilter installiert werden können, die nachweislich Infektionen verhindern können.2 Die Sol hat diese Forderung schon im Sommer letzten Jahres aufgeworfen. In vielen Orten sind Eltern und Lehrer*innen selbst zur Tat geschritten und haben kurzerhand Luftfilter installiert. Die Regierenden selbst weigern sich jedoch und geben stattdessen Geld für neue Kampfjets aus.

Jugendrandale

Unbeachtet der Auswirkungen auf die Verbreitung des Virus haben Maßnahmen, wie eine nächtliche Ausgangssperre vor allem psychische Folgen für viele Menschen. Diese treten vor allem in der Arbeiter*innenklasse und der Jugend auf. Wer eine großzügige Eigentumswohnung oder ein Haus mit großen Garten hat, stört sich natürlich nicht so sehr an einer Ausgangssperre, wie jemand der eine enge Wohnung hat oder Jugendliche, die ihr Zimmer mit mehreren Geschwistern teilen müssen. Vor allem Jugendliche leiden zur Zeit an den fehlenden sozialen Kontakten mit Freund*innen. Jegliche Freizeitangebote haben geschlossen und im Freien soll man sich nun auch nur noch bis 22 Uhr aufhalten dürfen. Gleichzeitig bleibt der Leistungsdruck in den Schulen und Unis oder die Arbeitsbelastung in den Betrieben bestehen, ohne irgendeinen Ausgleich. Jugendrandale wie wir es zuletzt in St. Gallen in der Schweiz gesehen haben oder im Sommer letzten Jahres in Stuttgart, werden logische Konsequenzen dieser Situation sein.

Genauso werden auch sogenannte Coronaparties weiter stattfinden und nicht durch eine nächtliche Ausgangssperre verschwinden. Wir wollen nicht leugnen, dass diese auch zu Infektionsketten führen können, vor allem wenn Alkohol mit im Spiel ist. Ohne Möglichkeiten dem alltäglichen Stress zu entkommen werden sich zweifellos Jugendliche mit Freund*innen nach der Arbeit oder Schule treffen. Dies werden sicher einige auch trotz Ausgangssperre und Kontaktbeschränkungen machen. Viele werden denken: Warum sollte man Maßnahmen im Privaten beachten, wenn der Maßstab an dem diese gemessen werden in Betrieben und Schulen scheinbar keine Rolle spielt. Nicht zuletzt werden die Maßnahmen nur von Oben herab bestimmt. Die Menschen, die die Auswirkungen auszubaden haben, werden nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen. Würden Maßnahmen wie Hygienekonzepte in den Betrieben oder an Schulen demokratisch durch Vertreter*innen von Gewerkschaften, Belegschaften oder Schüler*innen und Lehrer*innen beschlossen, würden diese unter der Jugend und der Bevölkerung sicher auch anders aufgenommen als zur Zeit.

Für effektive Maßnahmen!

Als Sol sind wir für Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Doch wir sind für effektive Maßnahmen, die demokratisch beschlossen werden und im Interesse der Arbeiter*innenklasse sind. Für uns gehört aber genauso dazu, dass die Forschungsergebnisse zur Pandemieentwicklung (beispielsweise zu Ausgangssperren) offen und allgemeinzugänglich diskutiert werden und Maßnahmen dementsprechend verhängt werden. Die derzeitigen Maßnahmen sind weder in der Lage die Arbeiter*innenklasse effektiv vor dem Virus zu schützen noch die psychischen Auswirkungen der Pandemie aufzufangen. Das Hauptaugenmerk der Regierenden liegt nämlich beim Schutz der Profite der Konzerne. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir aktiv werden und für Maßnahmen in unserem Interesse handeln. In vielen Städten gab es in den letzten Wochen auch schon örtliche Proteste gegen Ausgangssperren und für eine solidarische Pandemiebekämpfung. Diese sollten nun ausgebaut werden. DIE LINKE und der DGB sollten dabei helfen die Proteste zu verbreiten und zusammenzuführen. Durch aktiven Widerstand auf der Straße könnten wichtige Verbesserungen zum Schutz der Arbeiter*innenklasse erkämpft werden.

Das alleine wird aber leider nicht reichen. Als Sol haben wir in einigen Orten schon selber Proteste organisiert oder mit initiiert. Dabei haben wir uns stark gemacht für eine sozialistische Krisenlösung. Die derzeitige Krise ist auch eine Krise des Kapitalismus. Substanziell werden wir nur etwas verändern, wenn wir auch den Kapitalismus als ganzes überwinden und eine sozialistische Demokratie errichten, in der die Interessen der Arbeiter*innenklasse wegweisend sind und nicht die Profite der Konzerne!

Ein vollständiges Programm der Sol zur Corona Pandemie findet ihr hier: https://solidaritaet.info/2021/01/fuer-corona-massnahmen-im-interesse-der-arbeiterinnenklasse/)

1: https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-04/ausgangssperre-frankreich-corona-massnahmen-lockdown-wirkung/komplettansicht?fbclid=IwAR1kBkBjRgC3unzGrl2l7qymnahKtpwJpxt1T7ER24q1BCtoE1MfPYBT0s0&utm_referrer=https%3A%2F%2Fl.facebook.com%2F

2https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Coronavirus-Was-bringen-Luftfilter-an-Schulen,luftfilter100.html

Print Friendly, PDF & Email