Neue Möglichkeiten für den Wiederaufbau einer Arbeiter*innenpartei
In der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in Peru, die am Sonntag, den 6. Juni, stattfinden wird, tritt der linke Kandidat Pedro Castillo gegen die rechte Kandidatin Keiko Fujimori an.
Von Patricio Guzmán S. (Socialismo Revolucionario – CWI Chile)
Am vergangenen Sonntag, 12. April 2021, fanden in Peru die Wahlen zur Präsidentschaft, zum Nationalkongress und zum Andenparlament statt. Die große Gewinnerin des Tages war die linke sozialistische Partei Perú Libre1, deren Präsidentschaftskandidat, Pedro Castillo, mit etwa 19% der Stimmen in einer Wahl mit einer großen Anzahl von Präsidentschaftskandidat*innen den ersten Platz belegte. Seine Partei belegte auch den ersten Platz im peruanischen Kongress und bei der Wahl der Mitglieder des Andenparlaments, mit einem ähnlichen Prozentsatz der Stimmen. Perú Libre wird 28 Kongressabgeordnete haben.
Verónika Mendoza, die bei den letzten Präsidentschaftswahlen im ersten Wahlgang 18,74% der Stimmen erhielt, erreichte jetzt nur noch 7,8% der Stimmen. Dies ist das Ergebnis ihres Bemühens, nicht als „radikale Linke” zu erscheinen, indem sie Erklärungen abgab, um sich von Venezuela zu distanzieren, während sie Ouvertüren an die Unternehmerschaft machte. Da sie zu sehr der verrotteten politischen Kaste ähnelte, die von ihrer eigenen Wähler*innenerschaft verabscheut wird, wurde Mendoza von ihren Anhänger*innen im Stich gelassen. Die Partei, die sie anführt, erhielt sogar noch weniger Unterstützung für ihre Kongresskandidat*innen, nämlich nur 6,8%.
Kein Analyst sah das exponentielle Wachstum der Unterstützung für Pedro Castillo, den Sozialisten und Gewerkschafter aus dem kämpferischsten Flügel der Lehrer*innengewerkschaft, zusammen mit dem Wachstum seiner Partei, Perú Libre, voraus. Eine wichtige Schicht der Wähler*innen hat politisch ihre Empörung und Verzweiflung über die permanente politische Krise und das Fehlen effektiver Maßnahmen des Staates zum Ausdruck gebracht, insbesondere inmitten einer Coronavirus-Pandemie. Diese hat zu 55.230 Todesfällen geführt und die Bevölkerung verarmen lassen. So warnt Unicef, dass die Armut von 20,2 % auf 30,3 % ansteigen wird. Bei den unter 18-Jährigen wird die Armut um 13 % zunehmen.
Das Land befand sich schon vor der Ankunft von Covid-19 in einer permanenten politischen Krise. Seit der Diktator Alberto Fujimori im Jahr 2000 aus Peru floh, war jeder Präsident in Fälle von notorischer Korruption verwickelt oder wurde vom Kongress angeklagt. Die Tiefe der institutionellen politischen Krise in Peru ist so groß, dass die traditionellen Parteien verschwunden sind oder höchstens eine legale Hülle ohne wirkliche Inhalte bleiben. Bei den letzten Wahlen war die sogenannte politische Mitte die große Verliererin; im Kongress wird es 11 verschiedene Blöcke geben. Zu dieser Spaltung gesellt sich eine noch größere Polarisierung.
Keiko Fujimori, die wegen Korruption angeklagt ist und nach Meinung vieler Peruaner das Gefängnis verdient hat, ist in die zweite Runde gegangen, um gegen Pedro Castillo anzutreten. Sie ist die Tochter des ehemaligen Diktators Alberto Fujimori, der einst wegen mehrerer Menschenrechtsverbrechen verurteilt wurde. Keiko Fujimori ist die Vorsitzende der Partei der Volkskräfte, die das Erbe der Fujimori-Diktatur für sich beansprucht. Seit einiger Zeit wird gegen sie wegen Korruption ermittelt. Die Staatsanwaltschaft legte in einem 18.000-seitigen Dokument Beweise vor und forderte eine 30-jährige Haftstrafe für sie.
Die Rechte ging gespalten in die Wahlen, mit mehreren Präsidentschaftskandidat*innen. In der zweiten Wahlrunde wird Keiko wahrscheinlich erfolgreich sein, wenn sich die Gruppen der verschiedenen konservativen Wähler*innen umgruppieren und für sie stimmen, aus Angst vor Reformen oder einer sozialen Revolution, sollte Pedro Castillo gewinnen. Dies kann den Weg für Pedro Castillo und die Partei Perú Libre versperren. Doch selbst wenn dies der Fall sein sollte, werden sowohl die nächste Regierung als auch der Kongress sehr schwach sein.
Der Staat hat sich durch die Diktatur von Alberto Fujimori aus allen sozialen Verpflichtungen verabschiedet. Er privatisierte alles, was er konnte, und plünderte zusammen mit seinem Handlanger Vladimiro Montecinos alles aus, was sie konnten. Der Mangel an staatlichen Dienstleistungen war wohl noch nie so spürbar wie inmitten einer Pandemie, die bis heute 55.230 Tote gefordert hat. Das öffentliche Gesundheitssystem kann Patient*innen, deren Familien nicht die Mittel haben, um Gesundheitsleistungen zu kaufen, keinen Sauerstoff garantieren.
Peru ist eines der Länder, die am stärksten von der Coronavirus-Pandemie betroffen sind, sowohl in gesundheitlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Vereinigten Staaten, Peru und Brasilien sind die drei Länder mit dem höchsten Verhältnis von Covid-Todesfällen pro 100.000 Einwohner*innen in Nord- und Südamerika. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Krankheitsverlaufs in Peru sowie die Störung der internationalen Wirtschaft führten dazu, dass das BIP des Landes in der ersten Hälfte des Jahres 2020 um 17,4 % sank.
Wer ist Perú Libre?
Der zentrale Slogan von Perú Libre ist „keine armen Menschen mehr in einem reichen Land”. Die Partei wurde in der Region Cajamarca gegründet, der ärmsten Region Perus, obwohl sie eine Region mit großem mineralischen Reichtum ist.
In ihrer Ideologie und seinem Programm2 erhebt Perú Libre den Anspruch, „eine Organisation der sozialistischen Linken zu sein (…) Um zur Linken zu gehören, ist es notwendig, sich der marxistischen Theorie anzuschließen und in ihrem Licht alle in der Welt, auf dem Kontinent und in der nationalen Gesellschaft auftretenden Phänomene, ihre Ursachen und Auswirkungen zu interpretieren und aus dieser Diagnose Kriterien für Lösungen vorzuschlagen, die zur Zufriedenheit der Mehrheit des Volkes führen. Ebenso sind die Mariateguistischen Postulate von entscheidender Bedeutung in Bezug auf unsere nationale, lateinamerikanische und sogar weltweite Realität”. Im gleichen Programm prangern sie die Linke an, die in ständiger Opposition lebt, ohne ein Regierungsprogramm zu haben. Und sie greifen die Linke an, die ihre historische Mission aufgegeben hat und die sich für den Weg des Banken-, Arbeits- und NGO-Unternehmertums entschieden hat und die sie des schändlichen Verrats beschuldigen.
Ein zentrales politisches Ziel von Perú Libre ist die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, um die Verfassung von 1993 zu ersetzen, die durch Fujimoris Staatsstreich erzwungen wurde.
In ihrem Programm schlägt Perú Libre auch eine robuste Beteiligung des Staates an der Wirtschaft vor, die Verstaatlichung strategischer Sektoren, die Erhöhung der derzeitigen 3,5 % des BIP für die öffentliche Bildung und der 5,4 % des BIP für das öffentliche Gesundheitswesen auf jeweils 10 %. Im Gesundheitsbereich schlägt Perú Libre die Schaffung eines universellen, kostenlosen und qualitativ hochwertigen Systems vor. Sie schlagen vor, das nationale Rentensystem zu stärken und das private Rentensystem schrittweise abzuschaffen.
Pedro Castillo
Der Präsidentschaftskandidat von Perú Libre, Pedro Castillo, ging aus seiner Rolle als Gewerkschaftsmitglied der Lehrer*innengewerkschaft CONARE als nationaler Arbeiter*innenführer hervor. Die zahlenmäßig größte Gewerkschaft in Peru ist der Sindicato Unitario de Trabajadores en la Educación del Perú (SUTEP), der die Lehrer*innen der staatlichen Schulen organisiert. Ein Teil der Gewerkschaft, der von den ständigen Vereinbarungen der SUTEP-Führung mit den Regierungen frustriert war, gründete das Nationale Komitee für die Neuausrichtung der SUTEP – CONARE. CONARE führte im Jahr 2004 einen landesweiten Streik an. Im Juni 2007 führte CONARE einen neuen unbefristeten Streik an, um gegen „Lehrer*innen-Evaluierungen” zu kämpfen, die die Arbeitsplatzstabilität der peruanischen Lehrer*innen beendeten, und gegen die Kommunalisierung der öffentlichen Schulen, ähnlich den Maßnahmen, die in Chile zur Privatisierung der Bildung eingesetzt wurden. SUTEP schloss sich dem Streik im Juli 2007 an.
Die Wahlerfolge von Perú Libre, die im Laufe des Wahlkampfes wuchsen und stärker wurden, eröffnen die Möglichkeit, eine Arbeiter*innenpartei in Peru aufzubauen, die sich auf Massenorganisationen stützt und ein echtes sozialistisches Programm hat.
1Die landesweite Partei Perú Libre wurde ursprünglich als regionale politische Bewegung im Jahr 2008 unter der Führung von Dr. Vladimir Cerrón gegründet, der diese Führung bis heute beibehalten hat.
2Perú Libre. Ideologie und Programm, Vladimir Cerrón Rojas, Huancayo 2020.