„Quelle der Inspiration“?

Mitglieder der Democratic Socialist Movement (CWI in NIgeria) protestieren für Infektionsschutz für Arbeiter*innen

Afrika: Corona bringt das soziale Gefälle weltweit ans Licht

Wer sich zwischen der Bewältigung der Krise vor der eigenen Haustür für einen Blick über den Gartenzaun Zeit nahm, erwartete für Afrika nichts Gutes. Es kam anders. In der Apotheken-Umschau wird Christian Drosten mit den Worten zitiert: „Afrika ist eine Quelle der Inspiration.“

von Johannes Bauer, Köln

Ein Artikel in der Apotheken-Umschau vom 20. Oktober 2020 geht der Frage nach, warum in Afrika vergleichsweise wenige Menschen an Corona sterben. Die Lebensrealität in Afrika ließ erwarten, dass alle sanften Schutzmaßnahmen, die bei uns in der AHA-Formel ihren Ausdruck finden, in Afrika, insbesondere in den Städten, schlicht nicht umsetzbar sind. Abstand oder Privatsphäre sind für die große Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung ein nicht erreichbarer Luxus. Hygiene ist von einer stabilen Versorgung mit sauberem Wasser sowie Desinfektionsmitteln abhängig; die Maskenversorgung war selbst in wirtschaftlich starke Norden der Welt unter den kapitalistischen Verhältnissen nicht sichergestellt.

Afrika – wenn man diesen Kontinent voller Widersprüche mit seinen 1,2 Milliarden Menschen in gewohnt neo-kolonialer Diktion auf die sechs Buchstaben reduziert – wird dankbar dafür sein, einmal mit einem positiven Kommentar verbunden zu werden. Die Apotheken-Umschau ist ein kostenloses Monatsblättchen, kein Hetzblatt und auch keine Fachzeitschrift. Hier wird der Mainstream gepflegt und den Konflikten die Spitzen genommen. Die Recherche der Apotheken-Umschau nach den Ursachen für die ausgebliebene Katastrophe hat dann auch schnell eine Hauptursache gefunden: die junge Bevölkerung des Kontinents. Das hört man doch gerne. Die Leser*innen freuen sich still über die glücklichen jungen Menschen zwischen Marokko und Südafrika, zwischen Senegal und Somalia, die mit ihrer urwüchsigen Vitalität dem Angriff des Killer-Virus trotzen.

Niedrige Lebenserwartung

Tatsächlich ist „die junge Bevölkerung“ eine widerliche Umschreibung für ein Phänomen, das man niedrige Lebenserwartung nennt. In Nigeria beispielsweise liegt die Lebenserwartung bei knapp 54 Jahren und damit 27 Jahre niedriger als in Deutschland. In Europa wirft die Pandemie ein Schlaglicht auf die schlechte Behandlung der Menschen in Altenwohnheimen und auf die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich. In den postkolonialen Ländern erreichen überhaupt nur wenige Menschen das Alter, das sie zur Risikogruppe für das Virus macht, weil sie vorher an Mangelernährung, fehlender medizinischer Versorgung, Krieg oder anderen Folgen von Armut sterben. Gleichzeitig mit Corona wütet in Zentralafrika eine Masernepidemie und in Westafrika treten neue Ebola-Fälle auf, die den Horror der Epidemie von 2014 bis 2015 in Erinnerung rufen. Damals mussten 11.000 Menschen sterben, weil die einfachsten Hilfsmittel, Hygiene und Desinfektionsmittel nicht gewährleistet werden konnten.

Impfstoffe

Corona bringt das soziale Gefälle weltweit ans Licht – und beschreibt die Aufgaben, die sich der Menschheit in der gegenwärtigen Epoche stellen. Bis auf ein Unternehmen in Indien befinden sich alle Produktionswerke von Corona-Impfstoffen in China oder den industriellen Zentren der nördlichen Halbkugel. Die gegenwärtigen Eliten lavieren zwischen der globalen Krise, der Klima-Katastrophe, der Pandemie und der Rezession und doktern an den Symptomen herum, um ihre Macht und ihren obszönen Reichtum zu verteidigen. Nur eine demokratisch und sozialistisch organisierte Gesellschaft ist den Aufgaben der Gegenwart und der Zukunft gewachsen und kann eine gerechte Verteilung der Ressourcen für alle Menschen gewährleisten. Die Sol tritt für Aufhebung der Patente auf Impfstoffe, öffentliche und demokratische Kontrolle über ihre Weiterentwicklung und Produktion sowie Überführung privater Forschungseinrichtungen und der Pharmaindustrie in öffentliches, demokratisch kontrolliertes und verwaltetes Eigentum. Unsere Genoss*innen vom DSM in Nigeria, dem Democratic Socialist Movement, stehen derzeit mitten in der Bewegung gegen Korruption und Polizeigewalt in ihrem Land. Sie kämpfen dagegen, dass internationale Konzerne und nationale Kapitalist*innen nach wie vor die Ressourcen ihres Landes plündern, die Umwelt zerstören und die Politik durch Korruption bestimmen. Das CWI, die Internationale, in der die Sol organisiert ist, kämpft mit ihnen. 

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