Als Erzieher*in in der Pandemie

Bericht von der Corona-Front

Ich bin 21 Jahre alt und arbeite als staatlich anerkannter Erzieher in einer Kindertageseinrichtung. Nach gut einem Jahr Covid-19 lässt sich die aktuelle Situationin meiner Einrichtungimmer noch nicht als großartig „besser“ deklarieren. Zugegeben, als pädagogische Fachkraft ist man nun mal ständig mit anderen Menschen konfrontiert. Seien es Kinder, oder auch Eltern, sowie die Kolleg*innen. Und genau deswegen habe ich mich auch für diesen Beruf entschieden. Erzieher*in ist und bleibt ein wirklich schöner Beruf. Nur machen es uns die Umstände in einem profitorientierten System wirklich schwer. Auch ohne Covid-19 gäbe es noch genug Baustellen, wie z.B. die nicht vorhandene Ausbildungsvergütung, die befristeten Verträge, sowie der Geiz bei der Ausstattung der Kitas und vieles mehr.

von Julian Moritz Müller, Lemgo

Nun mit der Coronakrise werden bzw. wurden diese Probleme nur noch heftiger. Dies konnte ich selbst am eigenen Leibe erfahren. Mit Ausbruch der Pandemie war schnell klar, dass Kindergärten mit einem offenen Konzept (Kinder sind zwar einer Gruppe zugehörig, doch können sich frei in der Einrichtung bewegen), genau dieses zum Schutz einschränken müssen. Das war bei uns zum Beispiel der Fall. Doch einen strikten Fahrplan über die Monate gab es nicht, auch aufgrund von Anordnungen der schwarz-gelbenLandesregierung NRW. Wir mussten einige kuriose Situationen aushalten.

So sammelten sich zum Beispiel in den Herbstmonaten ab 7 Uhr die Kinder, wenn sie in die Einrichtung kamen, in einer Gruppe. Ab 8 Uhr verteilten sie sich dann wieder in ihren eigentlichen Gruppen. Die Leitung argumentierte damals, dass man so gerade in den Morgenstunden ein kleineres Personalaufkommen hätte. Trotzdem sammelten sich auch die Erzieher*innen morgens nun in dieser Gruppe. Einen wirklichen Sinn ergab dieses Unterfangen nicht, es führte das Kohortenprinzip völlig ad absurdum.

Ein weiteres Problem war und ist immer noch, dass die Geschwisterkinder in getrennten Gruppen betreut werden. Sollte es also zu einer möglichen Infektion kommen, kann diese auch andere Gruppen gefährden. Eine Zeit lang gab es Überlegungen vom Personal nun doch die Geschwisterkinder zusammenzulegen. Ein großes Gegenargument von Seiten der Leitung, dass dadurch ja noch mehr Personal von Nöten gewesen wäre. Doch aus zwei Geschwisterkinder werden ja nicht gleich drei, oder?

Dass die Leitungen des Trägers, sowie die Leitung der Kita, kein vernünftiges Hygienekonzept entwickeln, ist keine besondere Überraschung mehr, nichts desto trotz wurde uns auch so der Kindergartenalltag schwerer gemacht. So erhielten wir die Anweisung durch das Führungspersonal in unserer Einrichtung, doch „sämtliche Legosteine einzeln zu desinfizieren“ oder auch generell einmal in der Woche, komplett alles was im Gruppenraum vorgefunden werden konnte, neben Interieur auch weitere Spielzeuge etc. gründlich zu säubern. Zeitgleich gab es ebenfalls die strikte Anordnung bloß keine Überstunden zu generieren. Kurz gesagt, ein unmögliches Unterfangen, gerade wenn Kinder erst um 15:30 Uhr oder 16 Uhr abgeholt wurden und der Dienstplan eine Arbeitszeit bis 16 Uhr vorschreibt. So gelangte man als Fachkraft in die Bedrängnis bereits Gegenstände zu desinfizieren, während noch Kinder im Gruppenraum anwesend waren, was gerade aus pädagogischer Sicht nicht sehr vorteilhaft ist, oder die Gegenstände nur grob zu desinfizieren. Meist desinfizierte ich also nur gröbere Flächen, damit ich pünktlich Feierabend machen konnte.

Generell sollte man sich einmal die Frage stellen, wie gut eine Corona-Ausbreitung verhindert werden kann, wenn zwar sämtliche Legosteine einzeln desinfiziert worden waren, aber Gruppen aus Kindern sich mischen.

Wir konnten ständig nur auf Sicht fahren und mussten gleichzeitig eine desinteressierte Landesregierung als auch sinnbefreite Anweisungen unserer Leitung aushalten. Darunter litt die Qualität unserer Arbeit.

Bei den doch größeren Kontakten zu anderen Menschen ist die Schutzausrüstung ebenfalls von einer unglaublichen Wichtigkeit. Sie entscheidet im Ernstfall zwischen Infektion oder keiner Infektion. Über die Monate hinweg mussten sich die meisten Fachkräfte selbst mit klinischen Schutzmasken ausstatten. Zwar gab es eine Stoffmaske direkt vom Arbeitgeber für jede Person, doch diese erbrachte nicht die erforderlichen Standards wie z.B. eine FFP-2 Maske oder eine OP-Maske. Erst in den Wintermonaten erhielten wir vom Arbeitgeber OP-Masken und stark rationierte FFP-2 Masken.

Zwischenzeitlich kam es auch zu einer Knappheit von Desinfektionsmittel und Tüchern. Übrigens wurde über mögliche Lüftungsanlagen für die unterschiedlichen Räume nicht einmal ein einziges Wort verloren. Stattdessen muss das Stoßlüften reichen.

Auch bei den Corona-Tests für das Personal verlief es eher mau. Zwar gab es bis jetzt einen Vordruck der Landesregierung, mit denen sich Kitamitarbeiter*innen bei ihren Hausärzten hätten testen lassen können. Diese waren aber auf eine gewisse Stückzahl reduziert. So konnte man sich zum Beispiel in einem Zeitraum meist von drei bis vier Wochen nur fünfmal testen lassen. Jetzt können wir das zwar häufiger machen, dennoch ist dies keine optimale Lösung. Es braucht ganz klar die Option, sich innerhalb der Einrichtung testen zulassen. Zwar behauptet die Landesregierung dies sei zweimal in der Woche möglich, jedoch klappt dies in unserer Kita bis heute nicht.

Zudem sei zu betonen, dass es sich bei dem Test nur um einen Test für das Personal handelt. Mögliche kostenlose Tests für die Kinder standen bis heute in unserer Einrichtung nie zur Debatte.

Laut einer Studie der AOK ist die Berufsgruppe der Erzieher*innen, die die am meisten an Covid-19 erkrankt ist. Von 100.000 Beschäftigten waren 2672 an Covid-19 erkrankt. Damit liegt der Wert 2,2- fach über dem Durchschnittswert. Es sollte also klar sein, wie wichtig die unterschiedlichsten Schutzmaßnahmen sind!

Zur Winterzeit Dezember 2020/ Januar 2021 schoss der Arbeitgeber den Vogel dann komplett ab.

Lange Zeit gab es eine Debatte über eine „Corona-Zulage“ die sich nach dem Einkommen des Personals richtete. Während des Kindergartenjahres 2020/21 waren zwei Menschen in der Kita eingestellt, die nicht ausgebildete Fachkräfte waren. Zum einen eine FSJ´lerin und eine Schülerin. Zwar erledigten diese Personen genau die gleichen Aufgaben wie die ausgebildeten Fachkräfte, aber dennoch waren sie gerade wenn man den Aspekt „Corona“ berücksichtigt der komplett gleichen Gefahr ausgesetzt wie alle anderen auch. Diese beiden Personen erhielten keine Zulage, nicht mal einen kleineren Prozentsatz! Zwar erhielten die Personen eine besseres „Taschengeld“ über die Monate hinweg, aber die Zuschläge blieben aus. Bei dem genau gleichen Arbeitsumfeld!

Anfang März gab es dann die Möglichkeit sich freiwillig mit AstraZeneca impfen zu lassen. Die Organisation dabei war ein reinstes Chaos. Die Leitung der Kita erläuterte, dass wir uns selbst Termine suchen und somit organisieren mussten. Vom Träger gab es kein einheitliches Angebot der Organisation, was die Frage aufwirft, inwieweit der Arbeitgeber wirklich an den Schutz der Beschäftigten interessiert sind. Eine gute Planung, zum Beispiel für den Ausfall von Kolleg*innen durch mögliche Nebenwirkungen, erfolgte nicht.

Ich denke, es wird klar, dass in unserem Berufsfeld vieles im Argen ist. Die Pandemie als solche war, wenn überhaupt nur ein Verstärker der bereits vorhandenen Probleme.

Die Unzufriedenheit bei den Eltern allgemein wurde mit den Monaten immer lauter. Viele Eltern äußerten auch mir gegenüber, dass es schwierig sei, die Kinder zu betreuen und zeitgleich immer noch einem Beruf nachzugehen. Selbst im Homeoffice wurde es meist schwierig. Die Entscheidungen auf Landesebene, wie weiter mit den Kitas verfahren werden soll, führte durchaus auch dazu, dass die Interessen der Beschäftigten mit denen der Eltern kollidierten. Gerade die Bürgerlichen nutzen dies als „Spaltkeil“, wie es solidaritaet.info bereits in einem anderen Artikel erwähnt hat. Dabei dürfen wir uns in diesen Zeiten nicht spalten lassen! Viele Interessen können miteinander verknüpft und erkämpft werden. Forderungen nach flächendeckenden Tests für Kinder und Personal sollten einhergehen mit massiven Investitionen in bessere Arbeits- und Betreuungsbedingungen. Es braucht vor allem eine demokratische Kontrolle von Beschäftigten und unter Einbeziehung der Eltern über den Kitabetrieb, um für Verbesserungen in diesem Bereich zu sorgen!

Für die Zukunft würde ich mir vor allem mehr Widerstand unter den Beschäftigten wünschen.Vor allem die Gewerkschaften sehe ich da in der Pflicht, den wachsenden Unmut unter Kolleg*innen in Kämpfe für Verbesserungen zu verwandeln. Auch finde ich fehlt an vielen Stellen die Anerkennung uns gegenüber. Die bürgerlichen Politiker*innen und das Führungspersonal interessieren sich schlicht weg nicht für uns – auf sie ist kein Verlass.

Egal wo man auch hinsieht, gibt es doch immer wieder die gleichen Probleme. Nur gemeinsam können wir in Zukunft ein Bildungssystem schaffen, indem der Profit keine Rolle mehr spielt, und endlich die Kinder und Jugendlichen, die Eltern und Angehörigen, sowie die Beschäftigten im Mittelpunkt stehen!

Deshalb sind die Forderungen der Sol so wichtig:

  • Höhere Löhne und mehr Personal für dieKitas!
  • Flächendeckende, regelmäßige und anlasslose Coronaschnelltests für Kinder und Personal!
  • Luftfilteranlagen an allen Kitas, Schulen und öffentlichen Einrichtungen
  • Erlassung aller Schulden der Kommunen und Städte!
  • Massive Investitionen in Kitas und öffentliche Betreuungseinrichtungen!
  • Freistellung bei voller Lohnfortzahlung für alle Elterndie ihre Kinder betreuen müssen!
  • Einmalige Vermögensabgabe für Millionär*innen, Reaktivierung der Vermögenssteuer und höhere Steuern auf Unternehmensprofite und Erbschaften!
  • Gemeinsame Kampagnen von ver.di, DIE LINKE, Eltern und weiteren sozialen und linken Organisationen zur Durchsetzung aller Forderungen! Notfalls auch die Vorbereitung von Streiks im Erziehungsbereich!
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