NRW probt Polizeistaat

Polizeigewalt auf der Demo gegen das Versammlungsgesetz

Am Samstag, den 26. Juni haben sich circa 8000 Menschen in Düsseldorf zusammengefunden, um gegen das geplante Versammlungsgesetz der nordrhein-westfälischen schwarz-gelben Regierung zu demonstrieren. Das Gesetz sieht massive Einschränkungen von Grundrechten vor. Dass es erst noch verabschiedet werden muss, hielt die Einsatzkräfte nicht davon ab, mit ihrer Brutalität gegenüber Linken ein Exempel zu statuieren.

von Luhan Saner Güney, Hamm

Das neue Gesetz unter Ministerpräsident Laschet und Innenminister Reul sieht zahlreiche Einschränkungen der Versammlungsfreiheit vor, die gleichzeitig der Polizei massive Befugnisse über Demonstrationsteilnehmer*innen verschaffen. Durch das sogenannte Militanzverbot soll bezweckt werden, dass zukünftig „militantes Auftreten“ untersagt wird. Das kann zwar auch Rechte in Militäruniformen treffen, sehr sicher aber werden davon vor allem der so genannte schwarze Block von Antifaschist*innen oder auch die Klimakativist*innen von Ende Gelände und andere organisierte Gruppen kriminalisiert.

Vor allem Linke sollen durch die Erweiterung des Störungsverbots bei zum Beispiel Nazidemonstrationen oder dem gewaltfreiem zivilem Ungehorsam von Klimaaktivist*innen in Braunkohelrevieren verfolgt und kriminalisiert werden.

Die Anmelder*innen und Ordner*innen werden außerdem verpflichtet ihren vollen Namen und ihre Adresse anzugeben. So wird zum einen von der Anmeldung einer Veranstaltung unter freiem Himmel abgeschreckt und die Demonstration kann im Vorfeld aufgrund unzureichender Ordner*innen-Angaben leichter verboten werden.

Auf Demonstrationen soll künftig die Errichtung von Kontrollstellen zur Überprüfung der Identität von Teilnehmer*innen erlaubt werden und der rechtswidrigen Kameraaufnahme, von der auch am 26.6 Gebrauch gemacht wurde, soll ein rechtskräftiger Rahmen erteilt werden.

Die neuen Befugnisse für die polizeiliche Staatsgewalt und die Einschränkungen der Grundrechte, die die Arbeiter*innenbewegung in einem langen Kampf errungen haben, dienen vor allem dazu, das bestehende kapitalistische System zu erhalten. Sozialer und politischer Widerstand passt den Herrschenden nicht und das neue Gesetz steht im Zusammenhang von internationalen Erhebungen in Folge der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krise des Kapitalismus ist ein Versuch, kritische und revolutionäre Stimmen in Deutschland im Keim zu ersticken. Außerdem ist klar, dass das Gesetz vor allem Linke treffen wird. Nicht nur die unzähligen „Einzelfälle“ von rechtsextremen Strukturen in Polizei und Justiz, sondern jahrelange Erfahrungen mit Polizei und Justiz, wie am vergangenen Samstag, zeigen, dass der kapitalistische Staat auf dem rechten Auge blind ist.

Demonstration

Organisiert wurde die Demonstration von dem breiten linken Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“. Aufgerufen haben zahlreiche Fußballfans, Antifagruppen, Klimaorganisationen, sozialistische und kommunistische Organisationen, Parteien, Bündnisse und internationale Gruppen und Organisationen, wie zum Beispiel kurdische und türkische Genoss*innen. Die LINKE.NRW hat gemeinsam mit der linksjugend [‘solid] nrw und dem SDS einen eigenen Block organisiert, an dem sich Mitglieder der Sozialistischen Organisation Solidarität – Sol beteiligten. Die Demonstrierenden protestierten friedlich, weil keine Blockade und Störungsversuche geplant oder durchgeführt wurden.

Polizeigewalt

Das hielt die Polizei allerdings nicht davon ab gegen die Demoteilnehmer*innen und auch umliegende Journalist*innen und Pressesprecher*innen massive Gewalt anzuwenden. Der angemeldete Demonstrationszug wurde immer wieder aufgehalten, bis zu sechzig Teilnehmer*innen wurden durch Schlagstöcke und Pfefferspray verletzt und zahlreiche herausgezogen. Circa 200 Menschen aus unserem beziehungsweise dem naheliegenden Block wurden eingekesselt, dazu gehörten auch Minderjährige und Kranke. Ein Bitten um Toilettennutzung und Zugang zu Essen und Wasser wurden (bei 30°C Hitze) verweigert. Es gibt Berichte, dass Demonstrierende unter diesen Bedingungen ohnmächtig geworden sind und medizinische Hilfe brauchten.

Vorwand hierfür war die Nutzung von hellen Leuchtkörpern und das „Vermummen“ der Demonstrierenden durch medizinische Masken und zu hoch gezogene Banner und Fahnen und angeblicher Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen. Gewalt ging hierbei nicht von den Teilnehmer*innen aus. Der Zutritt von Sanitäter*innen wurde lange Zeit verweigert und erst später zähneknirschend gestattet.

An einzelnen Brennpunkten wurden Hunderte Demonstrierende, darunter Mitglieder (vom Landesvorstand) der LINKEN, Mitglieder von linksjugend [‘solid] nrw und Sol sowie weitere Antifaschist*innen grundlos vier Stunden eingekesselt, also von allen Seiten von der Polizei umschlossen, um ihnen ein Entfernen von der Demo zu verweigern. Schließlich verweigerte die Polizei weiten Teilen der Demonstration auch das Versammlungsrecht. Langsam wurden einzelne Genoss*innen aus dem Kessel herausgezogen. Gepaart mit einem Platzverweis wurden ihre Personalien und Lichtbilder aufgenommen. Auch am Ort der Schlusskundgebung wurden viele Menschen grundlos überprüft.

Kampf gegen Polizeigewalt heißt Kampf dem Kapitalismus

Ob die unverhältnismäßige Polizeigewalt Konsequenzen für die Verantwortlichen von der Polizei und für Innenminister Reul haben wird, bleibt abzuwarten. Da auf der Demonstration mehr Polizeigewalt als üblich angewendet wurde, ist ein einfaches unter den Teppich kehren, wie es für linke Demonstrationen üblich ist, eher unwahrscheinlich. Das Organisator*innenbündnis sollte eine unabhängige Untersuchungskommission einrichten und einen eigenen Bericht über die Polizeigewalt verfassen und ggf. auch rechtliche Schritte ergreifen.

Klar ist aber, dass die Polizei gestern Polizeistaat geprobt hat und es seit Jahren darum geht, polizeiliche Befugnisse auszuweiten und zu testen, wie weit man mit Repression und Gewalt gehen kann. Die Polizei dient in einem bürgerlichen Staat dazu, geltendes kapitalistisches Recht, sowie Eigentum an Produktionsmitteln und Grund und Boden zu verteidigen und damit die kapitalistische Klassenherrschaft aufrecht zu erhalten. Entreißt oder erschwert man der Arbeiter*innenklasse in Zukunft das Recht durch Streiks und Proteste ihrer Stimme Ausdruck zu verleihen, erteilt man der Polizei auf der anderen Seite mehr Befugnisse Leuten ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu entziehen, dann schafft sich die Landesregierung einen fruchtbaren Boden für weitere Angriffe auf weite Teile der Gesellschaft durch Lohnkürzungen, Arbeitsschikanen und Beseitigung von politischen Freiheiten.

Durch breite Kampagnen von Gewerkschaften, LINKE und sozialen Bewegungen und Initiativen müssen der gestrige Angriff auf das Demonstrationsrecht genauso wie mit dem Gesetz legitimierte kommende Angriffe zurückgeschlagen werden. Denn sobald die Folgen der kapitalistischen Krise deutlicher zu Tage treten, werden immer mehr Arbeiter*innen und Jugendliche auf die Straßen gehen, streiken und sich organisieren, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Repression, die jetzt oft vor allem die politische Linke trifft, wird in Zukunft auch gegen für ihre Arbeitsplätze und Lebensbedingungen streikenden und demonstrierenden Arbeiter*innen gerichtet werden. Das neue Versammlungsgesetz in NRW und die zunehmende Polizeirepression müssen bekämpft werden. Sie sind jedoch Ausdruck der kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse. Deshalb sollte der Kampf für demokratische Rechte verbunden werden mit dem Kampf gegen das kapitalistische System und für eine sozialistische Demokratie, in der Arbeiter*innen und Jugendliche in echter Freiheit leben können.