Manifest Verlag veröffentlicht Alexandra Kollontais Vorlesungsreihe
Bis heute bieten die Studien und Werke, die Autor*innen und Revolutionär*innen wie Bebel, Zetkin oder Engels schon vor über hundert Jahren schufen, eine hervorragende Grundlage für weitergehende Diskussionen, so auch diese Sammlung.
Von Alexandra Arnsburg, Berlin
Die Vorlesungsreihe entstand 1921 im Kontext des Kampfes um Frauenemanzipation, welchen die regierenden Bolschewiki nach der sozialistischen Revolution in Russland führten. Alexandra Kollontai wirkte nach 1917 als Ministerin für soziale Wohlfahrt und später als Vorsitzende der Frauenabteilung an den Maßnahmen mit, die das Leben von Frauen in der Sowjetunion verbessern sollten, wie unter anderem die Einführung der kostenlosen und freien Abtreibung, Kinderbetreuung, die Legalisierung von Ehescheidungen und ein staatlicher Mutterschutz. Die sofortige Umsetzung dessen ist zum einen dem Einsatz Kollontais zu verdanken, zum anderen der Politik der Bolschewiki. Diese verschoben trotz des herrschenden Bürgerkriegs die Lösung der Frauenfrage nicht in eine entfernte Zukunft.
In dieser hoffnungsvollen Zeit hält Kollontai 14 Vorlesungen vor Arbeiterinnen und Bäuerinnen an der Swerdlow-Universität. Denn rechtliche und organisatorische Verbesserungen waren zwar eingeführt, doch war der Kampf um die Köpfe noch lange nicht gewonnen. Kollontai begann mit der Entstehung von Frauenunterdrückung und zeichnete dann die Entwicklung der Lage der Frau mit dem Fokus auf Frauenarbeit nach. Dabei betonte sie stets den Zusammenhang der Frauenunterdrückung und der Klassengesellschaft: „Jene Kraft in der bürgerlichen Gesellschaft, die die Frau unterdrückt, ist ein Teil des großen gesellschaftlichen Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit.“ Eine detaillierte Beschreibung der Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung und ihre Abgrenzung von der proletarischen Frauenbewegung folgen.
Zum Schluß legte Kollontai großes Augenmerk auf die von den Bolschewiki eingeführten Maßnahmen, welche nur in einer Gesellschaft möglich waren, die frei von Profitinteressen und nach den Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen organisiert wird. Einige Passagen geben ein Bild vom zunehmenden Mangel in der sowjetischen Wirtschaft, der viele der Maßnahmen behinderte.
Ein Angebot, zu diskutieren und sich zu organisieren
Auch wenn sich das Frauenbild ein Stück weit verändert hat und viele Rechte erkämpft wurden – solange eine auf Profitmaximierung und ungleicher Verteilung von Eigentum und Macht basierende Klassengesellschaft besteht, werden reaktionäre Vorstellungen männlicher Überlegenheit nicht überwunden werden und die Benachteiligung von Frauen kein Ende finden. Die Folgen sind, dass Frauen weiterhin Einschränkungen und Gewalt unterworfen sind. Die zunehmende Krise zwingt viele Menschen, in scheinbar sicheren Partnerschaften Geborgenheit zu suchen und sich in verschiedenen, nicht unbedingt progressiven Ideen etwas vermeintliche Erleichterung und Ablenkung zu erhoffen. Das kann ohne ein ehrliches Angebot zur Diskussion und zum Kampf für Verbesserungen von Seite der Linken zu einem regelrechten Backlash führen.
Der herausgegebenen Sammlung sind ein Vorwort und ein umfassender politisch-biografischer Artikel über Kollontai von Steve Hollasky vorangestellt, die bei der Einordnung des Werks helfen. Das macht es nachvollziehbar, warum der Manifest-Verlag eine Autorin neu veröffentlicht, die sich später dem Regime Stalins beugte und wortlos hinnahm, dass viele der Errungenschaften für Frauen zerstört wurden: In der stalinistischen Sowjetunion der 30er Jahre war es die Pflicht der Frau, Kinder zu bekommen, sie zu erziehen und dem engagierten Ehemann eine gute Ehe- und Hausfrau zu sein. Zunehmend wurden die Rechte der Frauen wie das Scheidungsrecht und Abtreibungen eingeschränkt und abgeschafft während in der Verfassung die Gleichstellung von Mann und Frau erklärt wurde.
Der Manifest-Verlag und die Sozialistische Organisation Solidarität schaffen darüber hinaus ein Angebot, herrschende Verhältnisse nicht nur in Frage zu stellen, sondern sich zu organisieren und für eine Gesellschaft zu kämpfen, die sich nicht im Interesse des Profits auf Spaltung und Gewalt stützen muss, sondern die im Interesse der Mehrheit der Menschen aufgebaut wird und damit die Befreiung nicht nur der Frau, sondern der gesamten Menschheit und des Planeten, möglich machen wird.