Corona – Wie weiter?

Regierende untergraben Kampf gegen die Pandemie weiter

Die von der Bundes- und den Landesregierungen am 10. August beschlossenen neuen Regeln zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sind eine Fortsetzung der verfehlten Corona-Politik der Regierenden. Einmal mehr wird der Klassencharakter dieser Politik deutlich: während die Profitinteressen der Pharmaindustrie und der Kapitalist*innen insgesamt weiter geschützt werden, sollen die Antigen-Schnelltests in Zukunft kostenpflichtig sein und werden Schülerinnen und Schüler einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Eine wirksame Pandemiebekämpfung im Interesse der Bevölkerung sähe anders aus.

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher

Die Inzidenz steigt wieder kontinuierlich an, vor allem unter Kindern und Jugendlichen ist sie überdurchschnittlich hoch. Zurecht wird darauf hingewiesen, dass bei einer Impfquote von über fünfzig Prozent die Inzidenz nicht mehr der einzige Indikator für die pandemische Gefahrenlage sein sollte, führt diese doch dazu, dass schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle seltener werden. Gleichzeitig sollte aber auch klar sein: die Pandemie ist nicht vorbei – weder in Deutschland und schon gar nicht global. Die Delta-Variante ist um ein Vielfaches ansteckender als vorherige Virusvarianten, Geimpfte können sich und andere anstecken, die Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung sind immer noch nicht ausreichend erforscht. Je länger das Virus global wüten kann, desto größer ist außerdem die Gefahr, dass sich weitere, noch gefährlichere Mutationen entwickeln. Es muss also weiter darum gehen, das Virus so weit wie möglich zurückzudrängen.

Impfen!

Eine erfolgreiche Impfkampagne ist das beste Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Es ist aber falsch, bei den ebenso notwendigen Tests nachzulassen. Die Entscheidung, Antigen-Schnelltests ab dem 11. Oktober für Ungeimpfte (mit einigen Ausnahmen) kostenpflichtig zu machen, verschlechtert die Pandemiebekämpfung und ist keine geeignete Maßnahme, um die Impfquote zu erhöhen. Ganz abgesehen davon, dass es auch sinnvoll sein kann, wenn sich Geimpfte testen lassen, die in Risikosituationen waren, werden Menschen aus der Arbeiter*innenklasse mit niedrigem Einkommen nun vor die Frage gestellt, ob sie sich einen Test leisten können oder auf Teilhabe am sozialen Leben verzichten. Viele werden sich in so mancher Situation für letzteres entscheiden müssen. Das ist nichts anderes als Klassendiskriminierung. Eine weitere Folge wird ein Abbau von Teststellen sein, was vor allem in Kleinstädten und im ländlichen Raum problematisch wäre. Die Maßnahme wird unverhohlen als Druckmittel zur Erhöhung der Impfbereitschaft begründet. Das wird jedoch die Impfskepsis in Teilen der Bevölkerung nur erhöhen. Statt Druck muss erstens die Informations- und Aufklärungskampagne zu Vorteilen und Risiken der Impfung verstärkt werden und zweitens muss das Impfangebot zu den Menschen gebracht werden. Umfragen weisen darauf hin, dass die Zahl der Impfbereiten deutlich höher ist, als die Zahl der bisher Geimpften, obwohl es nach Aussagen der Bundesregierung keinen Mangel an Impfstoff mehr gibt. Das lässt nur eine Schlussfolgerung zu: es gibt eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen, die sich impfen lassen würden, wenn die Impfung zu ihnen käme. DIE LINKE fordert zurecht „impfen-to-go“, also mobile Impfstationen vor Supermärkten, in Wohnsiedlungen, in ländlichen Gebieten. Information und Aufklärung muss mehrsprachig stattfinden, damit auch Geflüchtete und Migrant*innen das Vertrauen in eine Impfung gewinnen können.

An Vertrauen in die Impfung mangelt es nicht nur bei erklärten Impfgegner*innen und so genannten „Querdenker*innen“. Es ist nicht nur nachvollziehbar, sondern begründet, dass viele Menschen der Pharmaindustrie nicht trauen, die mit unserer Gesundheit Milliardenprofite macht. Die wirksamste vertrauensbildende Maßnahme für die Impfkampagne wäre die Überführung der Pharmaindustrie in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung und unter Einbeziehung von Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen, sowie die Freigabe aller Forschungsergebnisse und Patente. Wenn alle Informationen zugänglich sind, wenn niemand sich mehr an Medikamenten und Impfstoffen bereichert, könnten alle überzeugt werden, dass auch nur solche Stoffe verabreicht werden, bei denen die Risiken vertretbar sind.

Eine Freigabe der Patente und Überführung der Pharmakonzerne (weltweit) in öffentliches Eigentum wäre auch die wirksamste Maßnahme für eine weltweit erfolgreiche Impfkampagne und damit einen globalen Erfolg gegen Corona. Die Verteilung der Impfstoffe ist äußerst ungerecht. Weltweit sind zur Zeit 2,3 Milliarden Menschen (29,5 Prozent der Weltbevölkerung) wenigstens einmal geimpft. Der Unterschied der Impfquote reicht aber von drei Viertel in Spanien bis 0,1 Prozent im Niger (ND vom 14.8.2021). Auch hier mangelt es bald wahrscheinlich nicht mehr an Impfstoffen, sondern an der Verteilung – die entwickelten kapitalistischen Länder horten Vakzine, während die armen Länder in die Röhre schauen. Würden die Patente freigegeben, könnte die Produktion schneller hochgefahren und eine gerechtere Verteilung erreicht werden. Das ist umso dringender, da die jüngsten Erfahrungen mit Neuinfektionen unter vor mehr als sechs Monaten geimpften in Israel darauf hinweisen, dass Auffrischungen der Impfung schnell nötig sein werden.

„3G-Regel“?

Natürlich sehnen sich alle nach möglichst viel Normalität. Es ist auch gesundheitsfördernd, wenn man wieder Freundinnen und Freunde in der Kneipe treffen und an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen kann. Für Kinder und Jugendliche ist ein regelmäßiger Schulbetrieb wichtig. Es ist auch keine Frage, dass angesichts der gesunkenen Inzidenz und der gestiegenen Impfquote Lockerungen der coronabedingten Einschränkungen sinnvoll und berechtigt sind. Niemand will einen weiteren Lockdown. Nur: die Regierenden sind gerade dabei das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Die so genannte „3G-Regel“ – also den Zugang zu bestimmten Einrichtungen und Veranstaltungen nur für Geimpfte, Genesene und Getestete zu ermöglichen – kann sinnvoll sein und ist kein praktischer Unterschied zu den Regeln der letzten Wochen und Monate, wenn denn für Geimpfte, Genesene und Getestete nicht pauschal alles geöffnet wird. Das ist die eigentlich interessante Frage. Wenn man sich den Pandemieverlauf während der Fußball-Europameisterschaft in Großbritannien anschaut, wird jedoch klar, dass zum Beispiel kommerzielle Massenveranstaltungen mit allem was dazu gehört (Anreise, Feiern in Kneipen etc.) die Zahl der Infektionen hochtreiben können – auch wenn die Impfquote schon relativ hoch ist. Daher sind Teilnehmer*innenbegrenzungen bei kulturellen Veranstaltungen, Abstandsregeln in der Gastronomie und ähnliche Maßnahmen wahrscheinlich auf absehbare Zeit weiterhin sinnvoll. “3G” darf aber nicht der Einstieg in “1G”, also Gewährung von bestimmten Rechten nur noch für geimpfte sein, wie es mittlerweile in Österreich von einigen Politikern gefordert wird.

Kein Schutz in den Schulen

Besonders weit gehen die Rücknahmen von Schutzmaßnahmen in den Schulen. Es ist keine Frage, dass die meisten Schülerinnen und Schüler froh sein werden, wenn der Präsenzunterricht im gesamten Klassenverband stattfindet. Aus epidemiologischer Sicht ist das jedoch unter den gegebenen Bedingungen ein Rezept für einen Anstieg der Infektionszahlen – und damit auch für Klassen- und evtl. sogar Schulschließungen im Herbst.

Vertreter*innen von Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen haben monatelang Forderungen für einen sicheren Schulbetrieb aufgestellt. Eckpunkte davon sind mehr Personal, das einen guten Wechselunterricht ermöglicht, wirksame und regelmäßige Testungen aller Schüler*innen, eine bessere Digitalisierung und Ausstattung aller Schüler*innen mit Endgeräten, sowie Luftfilter in allen Klassenräumen. So gut wie nichts davon wurde umgesetzt (in Berlin sollen nun endlich alle Klassenräume mit Luftfiltern ausgestattet werden). Trotzdem geht das neue Schuljahr in allen Bundesländern im Präsenzunterricht ohne Wechselsystem los. In Thüringen wurde sogar die Testpflicht in den Schulen aufgehoben und durch ein „Testangebot“ ersetzt. Weshalb ausgerechnet das von einem LINKE-Ministerpräsidenten geführte Bundesland einen solchen Schritt geht, während die Bundestagsfraktion der Partei verlautbaren lässt: „Wer die Kontrolle über das Pandemiegeschehen behalten will, muss testen, was das Zeug hält“, verstehe wer will. Statt weniger sollte in den Schulen mehr und sicherer, also durch PCR-Tests, getestet werden!

Gleichzeitig wird nun das Impfen von Kindern ab 12 Jahren propagiert und von der Ständigen Impfkommission (StiKo) mittlerweile auch empfohlen. Unabhängig davon, ob diese Empfehlung verantwortlich ist oder nicht, werden Impfungen von Kindern ab 12 Jahren die Schulen, in denen Schülerinnen und Schüler ab sechs Jahren sind, nicht zu sicheren Orten machen und darf kein Druck auf Jugendliche und Eltern ausgeübt werden, sich bzw. die eigenen Kinder impfen zu lassen. Der Sinneswandel der StiKo nachdem sie von Seiten der Regierung unter Druck geraten war, wird das Vertrauen in Impfungen für Kinder und Jugendliche nicht erhöht haben, auch wenn diese von einer sorgfältigen Prüfung neuer Daten spricht. Studien sagen weiterhin, dass das Risiko von Kindern und Jugendlichen schwer zu erkranken oder an Covid-19 gar zu sterben sehr gering ist, wenn auch die Langzeitfolgen einer Infektion noch nicht ausreichend erforscht sind. Gleichzeitig gibt es eine Zunahme von schweren Krankheitsverläufen unter Kindern in den USA, deren Ursachen noch nicht geklärt ist und möglicherweise vor allem mit der absoluten Zunahme von Infektionen in dieser Altersgruppe zu tun hat. Denn das ist klar: auch bei einem geringen Prozentsatz schwerer Verläufe unter Kindern und Jugendlichen steigt die absolute Zahl mit der absolut höheren Zahl der Infektionen, die durch die Delta-Variante zu erwarten ist. Ob Impfung von Kindern und Jugendlichen vor allem zum eigenen Schutz oder dem Schutz anderer dient, ist letztlich zweitrangig. Für den Pandemieverlauf und die Verhinderung weiterer Infektionen wäre es sinnvoll, aber nur erreichbar wenn durch Transparenz über die Forschungsdaten- und Ergebnisse Vertrauen in die Impfungen geschaffen wird. Ein direkter oder indirekter Druck, sich impfen zu lassen oder gar eine Impfpflicht, darf bei Kindern und Jugendlichen genauso wenig ausgeübt werden, wie bei Erwachsenen.

Die Regierenden machen also weiter wie bisher im Kampf gegen Corona. Statt Geld für wirkungsvolle und notwendige Maßnahmen in die Hand zu nehmen, werden die Unternehmen finanziell weiter subventioniert und die Pharmakonzerne geschützt. Schon wieder werden Lockerungen zu früh und zu weitgehend umgesetzt. Mittels der Fortsetzung der „epidemischen Lage“ wird das Parlament weiterhin nicht in die Entscheidungen einbezogen (weshalb es richtig war, dass DIE LINKE gegen diese Fortsetzung gestimmt hat). Das ist eine Corona-Politik im Interesse des Kapitalismus. Wir brauchen aber eine Corona-Politik im Interesse der Arbeiter*innenklasse. Gewerkschaften und LINKE sollten für eine solche zu Protesten aufrufen.

Ein sozialistisches Programm für eine solche Politik sieht so aus:

* Keine Aufweichung betrieblicher Hygienekonzepte, stattdessen deren Kontrolle durch Gewerkschaften und Betriebs- und Personalräte

* Garantierte Lohnfortzahlung im Falle von Betriebsschließungen;

* Zugang zu Kultureinrichtungen, Gastronomie etc. auf Basis der „3G-Regelung“ und sinnvoller Teilnehmer*innenbeschränkungen und Abstandsregeln; Kontrolle der Einhaltung von Hygienekonzepten durch demokratisch gewählte Vertreter*innen der Beschäftigten, Gewerkschaften, Anwohner*innen und Wissenschaftler*innen

* Ausstattung aller Schulklassen mit Luftfiltern

* Kostenlose Bereitstellung von Masken für alle Schüler*innen und Lehrer*innen

* Halbierung der Klassen – Entscheidung von demokratisch gewählten Vertreter*innen von Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen über Schulschließungen

* Einstellung von Personal um die Betreuung der Schüler*innen zu gewährleisten, wenn sie nicht am Unterricht teilnehmen können

* Nutzung von Kongresszentren, Hotels etc. für diejenigen Schulen, der räumliche Verhältnisse zu beengt sind, um Abstandsregeln einzuhalten

* Vervielfachung der Schulbusse, um Abstandsregeln auch beim Schulweg einhalten zu können

* Investitionsprogramm Bildung für Lehrer*innen-Neueinstellungen, Digitalisierung, Laptops für alle Schüler*innen, Gebäudesanierung etc.

* Corona-Schnelltests weiterhin kostenlos! Private Labore unter demokratische, öffentliche Kontrolle – Preisobergrenzen für PCR-Tests einführen

* Für eine mehrsprachige, demokratisch organisierte Informations- und Aufklärungskampagne zur Erhöhung der Impfbereitschaft

*Impfen-to-go: Impfangebote ausweiten und an die Menschen bringen – mobile Impfangebote vor Supermärkten, im ländlichen Raum, in Wohnsiedlungen und Fußgängerzonen

* Öffentliche und demokratische Kontrolle über die Weiterentwicklung und Herstellung von Impfstoffen; weltweite massive Ausweitung der Impfstoffproduktion unter öffentlicher Kontrolle und gerechte Verteilung des Impfstoffs weltweit

* Offenlegung der Forschungsergebnisse, Überführung privater Forschungseinrichtungen und der Pharmaindustrie in öffentliches, demokratisch kontrolliertes und verwaltetes Eigentum

* Einrichtung einer zentralen Forschungskommission in öffentlicher Hand und demokratisch durch Wissenschaftler*innen und gewählte Vertreter*innen aus Gewerkschaften und Belegschaften organisiert, um die vielfältigen Forschungsergebnisse zusammenzutragen, auszuwerten und gemeinverständlich zu publizieren

* Ausarbeitung eines an den Bedürfnissen des Gesundheitsschutzes und der Bevölkerung orientierten Pandemieplans für zukünftige Pandemien, Einrichtung ausreichender Lagerbestände an medizinischen Masken, Schutzkleidung, Beatmungsgeräten und anderem nötigen Material nicht für einen Monat, wie von der Regierung beschlossen, sondern für mindestens sechs Monate.

* Corona-Zulage für Beschäftigte, die durch die Pandemie einer höheren Belastung ausgesetzt waren und sind

* Kostenlose Abgabe in ausreichender Zahl von hochwertigen Masken an Menschen aus Risikogruppen und sozial Benachteiligte

* Voller Lohn für alle Beschäftigten, die freigestellt sind oder wegen Kinderbetreuung zu Hause bleiben müssen

* Massive Investitionen ins Gesundheitswesen – Personalbemessung nach Bedarf jetzt! Abschaffung der Fallkostenpauschalen – Übernahme aller Kosten

* Ausbau der Gesundheitsämter durch Neueinstellungen und Einsatz von Call Center-Beschäftigten (zu den Tariflöhnen des öffentlichen Dienstes) und Bundeswehrsoldat*innen in zivil und außerhalb des Bundeswehr-Kommandos

* Überführung aller privaten Krankenhäuser in öffentliches Eigentum – Für ein staatliches Gesundheitswesen unter Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten, Gewerkschaften und Kommunen/Länder

* Ausbau des ÖPNV durch Investitionen in neue Busse und Bahnen, Einsatz der Fuhrparks privater Busunternehmen und massive Neueinstellungen

* Demokratische Rechte verteidigen – Entscheidung über Demonstrations- und Versammlungseinschränkungen durch Gewerkschaften und demokratisch gewählte Komitees in den Betrieben und Nachbarschaften

* Corona-Abgabe für Millionär*innen: dreißig Prozent ab der ersten Million!

* Keine Millionenhilfen für Banken und Konzerne, aber effektive Hilfe für Studierende, Erwerbslose, Selbständige, Kleinunternehmer*innen

* Öffnung der Geschäftsbücher der Banken und Konzerne

* Überführung von Banken und Konzernen in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung

* Wir zahlen nicht für die kapitalistische Krise – Nein zu Arbeitsplatzabbau und Entlassungen, Sozialabbau, kommunalen Kürzungen und Abbau von Arbeiter*innenrechten – Gewerkschaften und LINKE müssen jetzt den Widerstand organisieren und zusammen fassen

* Statt Marktkonkurrenz und Profitwirtschaft – demokratische Wirtschaftsplanung und internationale Kooperation – für sozialistische Demokratie weltweit!

Print Friendly, PDF & Email