Was tun gegen den Krieg in der Ukraine?

Vorschläge für eine Bewegung gegen Krieg, Aufrüstung und Militarismus

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein Schock und gleichzeitig ein Wendepunkt, weil erstmals seit langer Zeit die Frage einer militärischen Konfrontation zwischen Großmächten konkret im Raum steht. Angst geht um vor einer Eskalation in Richtung eines Dritten Weltkriegs. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie Putins Krieg gestoppt werden kann. Unter Linken werden lang bestehende Grundsätze, wie die Opposition gegen Waffenlieferungen an kapitalistische Regierungen und Wirtschaftssanktionen oder die ablehnende Haltung zur NATO in Frage gestellt. Auf Antikriegsdemonstrationen werden linke Internationalist*innen, die sich gegen einen NATO-Einsatz und Waffenlieferungen aussprechen angemacht und in Einzelfällen sogar angegriffen. Welche Aufgaben hat die Arbeiter*innenbewegung und die Linke angesichts dieser Lage?

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher

Gesellschaftliche Missstände sollten, wie Krankheiten, an der Ursache bekämpft werden. Wenn man den Krieg um die Ukraine stoppen will, muss man sich die Frage nach den Ursachen des Kriegs stellen. Die Antwort auf diese Frage ist nicht eindimensional und nicht nur in der Politik oder gar der Psyche eines autokratischen Herrschers in Moskau zu finden.

Niemand hat Putin zur Invasion in der Ukraine gezwungen. Es ist ein Angriffskrieg eines imperialistischen Staates auf einen kleineren Staat, der seit Jahren zwischen den Interessen der imperialistischen Großmächte zerrieben wird. Deshalb kann es auch keinerlei Entschuldigung oder Relativierung für das brutale und unmenschliche Vorgehen Russlands geben und steht die Forderung nach einem Ende der Bombardierungen und dem Rückzug der russischen Truppen unverhandelbar an erster Stelle der Forderungen von linken Kriegsgegener*innen.

Kapitalismus führt zu Krieg

Im Windschatten dieses Krieges findet nun aber eine Aufrüstung neuer Qualität in der Bundesrepublik und anderen Ländern statt und versucht die NATO weiter ihr Einflussgebiet auszudehnen. Die Ausdehnung des NATO-Einflussgebiets auf Osteuropa – entgegen Versprechungen, die Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gemacht wurden – in den letzten Jahren ist ein Faktor für den Kurs, den Putin eingeschlagen hat. Das befreit ihn nicht von der Verantwortung für den Krieg, es zeigt aber, dass die Politiker*innen der westlichen Staaten und der NATO eine solche Eskalation bewusst in Kauf genommen haben, um ihre Macht und ihren Einfluss auszudehnen. Es zeigt vor allem, dass dieser Krieg keine Folge individueller Charaktermerkmale von einzelnen Herrschern ist, sondern eine Folge der sich zuspitzenden Widersprüche in einer kapitalistischen Welt, die auf Konkurrenz um Rohstoffe, Absatzmärkte, Arbeitskräfte, Handelswege etc. beruht. Solange das kapitalistische System diese Welt beherrscht, wird es zu Kriegen wie diesem kommen. Ohne einen Systemwechsel hin zu einer Gesellschaft ohne Profitlogik und Konkurrenzkampf von privaten Konzernen und Staaten ist dauerhafter Frieden auf der Welt unmöglich. Die Sol setzt sich deshalb für einen sozialistischen Systemwechsel und dafür ein, dass die Politik der Linken und Arbeiter*innenbewegung uns einem solchen Systemwechsel näher bringen muss und kein Hindernis dafür sein darf. Doch wie soll auf den russischen Einmarsch reagiert werden?

Die Frage ist: macht die Reaktion der westlichen Staaten auf Putins Krieg die Welt zu einem sichereren Ort? Nein. Die Rüstungsspirale wird als Folge auch in Russland und China weiter gedreht werden. Milliarden werden statt in die Rettung des Klimas, der Bekämpfung des Hungers und von Fluchtursachen, statt in Wissenschaft und Forschung in Bomben und Panzer investiert werden, die früher oder später ihren Einsatzort finden werden.

Aber wird diese Reaktion nicht wenigstens den Krieg beenden, Leben in der Ukraine retten und zukünftige Angriffe Russlands verhindern? Angriffskriege sind nicht das Monopol Moskaus. Im Gegenteil sieht die Bilanz der NATO-Staaten nicht besser aus: Afghanistan, Irak, (Ex-)Jugoslawien, Libyen …. Die Zunahme der kapitalistischen Widersprüche führt unweigerlich zur Zunahme von Rüstung und Krieg – auf allen imperialistischen Seiten. Der Aufstieg Chinas und die schwindende Macht der USA bedeuten, dass die Wahrscheinlichkeit von Konflikten zwischen den Großmächten zunimmt und dass diese sich auch militärisch entladen können.

Der größte Fehler, den Linke und die Arbeiter*innenbewegung machen könnten, wäre mit dem Ziel eines vermeintlichen Kampfes zur Beendigung des Kriegs um die Ukraine dem Kampf gegen die Ursachen von Kriegen (Rüstung, Kapitalismus und Imperialismus) einen Bärendienst zu erweisen, in dem dieser in den Hintergrund gerückt oder gar aufgegeben und die imperialistischen Machthaber zu Friedensbringern verklärt werden.

Aussichten für den Krieg

Niemand kann vorher sagen, wie dieser Krieg verlaufen und wie er enden wird. Man ist auf Informationen angewiesen, die von den kriegführenden Staaten verbreitet werden und deren Wahrheitsgehalt oftmals schwer überprüfbar ist. Aktuell erscheint es unwahrscheinlich, dass der Krieg ein schnelles Ende finden wird, da weder ein schneller militärischer Sieg einer Seite noch ein gesichtswahrender Kompromiss für beide Seiten sichtbar ist. Der Einmarsch der russischen Armee ist auf mehr Widerstand gestoßen, als sie es erwartet hatten und war offensichtlich auch schlecht geplant und durchgeführt. Die Moral unter ukrainischen Soldaten scheint hoch, unter russischen niedrig zu sein. Gleichzeitig ist die Übermacht des russischen Militärs nicht von der Hand zu weisen und gehen die meisten Militärexperten davon aus, dass die russische Armee in absehbarer Zeit nicht mit rein militärischen Mitteln aus der Ukraine vertrieben werden kann.

Es kann zwar weder ausgeschlossen werden, dass der starke Widerstand auf ukrainischer Seite die Probleme in der russischen Armee so vergrößert, dass Putin dazu gezwungen wird, sich mit einer Neutralitätserklärung der Ukraine und Verhandlungen über den Status der bisher von Russland besetzten Gebiete zufrieden zu geben, noch dass er die Angriffe in einem Ausmaß verstärkt, dass die ukrainische Regierung angesichts massiv steigender Opferzahlen kapitulieren wird. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass dieser Krieg zumindest noch über Wochen oder Monate dauern kann, mehr Opfer fordern wird und dass er nicht rein militärisch durch einen Sieg der Ukraine über die russische Armee beendet werden kann, egal wie viele Waffen erstere erhält.

Kriege werden oftmals nicht rein militärisch beendet, sondern indem den kriegführenden Staaten die soziale Basis an der Heimatfront genommen wird, indem Bewegungen und Streiks sich gegen die Kriegsherren richten und im besten Fall deren Macht und ihr kapitalistisches System bedrohen. Das kann, neben militärischen Schwierigkeiten und Niederlagen, ein entscheidender Faktor sein, um die Moral unter den Soldat*innen zu untergraben. Das war der Fall im Ersten Weltkrieg, der durch die Russische Revolution 1917 und den Beginn der Novemberrevolution in Deutschland 1918 beendet wurde. Das war der Fall im Vietnamkrieg, wo die weltweite Protestbewegung und vor allem die Antikriegsbewegung in den USA entscheidenden Anteil am militärischen Rückzug der US-Armee hatten.

Antikriegsbewegung

Die Stärkung der Proteste in Russland, die mit dem Aufbau von starken unabhängigen Arbeiter*innenorganisationen verbunden werden sollten, sind daher der zentrale Hebel, um die Kriegspolitik der Regierung zu unterlaufen. Doch eins ist klar: die Politik der Regierungen in Kiew, Washington und Berlin treibt die russische Bevölkerung eher in die Arme Putins als dass sie einen Bruch fördern würden. Antirussische Hysterie und Wirtschaftssanktionen, die das Leben der einfachen russischen Arbeiter und Arbeiterinnen zerstören, sind nicht das passende Mittel, um die Antikriegsbewegung in Russland zu stärken. Das genau ist aber die wichtigste Aufgabe.

Verteidigung in die Hände der Arbeiter*innenklasse

Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer wollen nicht unter der Knute Moskaus leben und wollen sich gegen den Einmarsch der russischen Armee wehren. Doch ihre Führung vertritt weder eine Politik des Friedens noch der Völkerverständigung. Die Selenskij-Regierung hat faschistische Milizen in Armee und Polizei integriert, die Diskriminierung des russischsprachigen Bevölkerungsteils fortgesetzt, den Beschuss der so genannten Separatist*innengebiete in Luhansk und Donezk fortgesetzt und ist nicht bereit die Bevölkerung dort und auf der Krim selbst und frei darüber entscheiden zu lassen, in welchem Staat sie leben wollen. Sie ist eine pro-westliche und pro-kapitalistische Regierung, die die wirtschaftliche Ausbeutung der eigenen Arbeiter*innenklasse zu verantworten hat und faktisch als Vorposten des westlichen Imperialismus in der Region fungiert. Es war u.a. Selenskij, der sich für die Forderungen des Internationalen Währungsfonds vehement einsetzte und die Liberalisierung der Landwirtschaft vorantrieb. Im März 2020, inmitten der Corona-Pandemie, entschied das ukrainische Parlament auf seine Initiative, ein lange bestehendes Verkaufsverbot von Ackerland aufzuheben und Selenskij setzte sich dafür ein, dies auch auf internationale Investor*innen auszuweiten. Linke und die Arbeiter*innenbewegung dürfen diese Regierung nicht unterstützen – weder politisch noch militärisch. Denn es ist keine Frage, dass diese Regierung nicht die Interessen der ukrainischen Massen vertritt – nicht durch ihre Sozial- und Wirtschaftspolitik, nicht durch die Verhängung des Kriegsrechts, das auch gegen Proteste gegen die Regierung eingesetzt werden kann und es Männern verbietet, das Land zu verlassen. Es darf kein Vertrauen in die Politik und die Kriegsführung der Selenskij-Regierung geben!

Selenskij gibt vor für die nationale Selbstbestimmung der Ukrainer*innen zu kämpfen und treibt die Bevölkerung doch in die ökonomische Abhängigkeit internationaler kapitalistischer Staaten und Konzerne. Wirkliche soziale und wirtschaftliche Selbstbestimmung für die Menschen in der Ukraine kann es nicht geben, wenn multinationale Konzerne einen großen Teil der wirtschaftlichen Basis des Landes besitzen und in Brüssel, Washington und Berlin mehr Entscheidungen über die Verhältnisse im Land gefällt werden, als in Kiew, Charkow und Odessa. So wie es keinen Kapitalismus ohne Krieg gibt, gibt es für Länder wie die Ukraine auch keine wirkliche – also politische, soziale und ökonomische – Unabhängigkeit auf Basis des Kapitalismus. So wie es nachhaltigen Frieden auf der Welt erst durch Sozialismus geben wird, so wird es auch wirkliche soziale, politische und wirtschaftliche Selbstbestimmung erst geben, wenn die Macht der Banken, Konzerne und des Imperialismus überwunden ist.

Die ukrainische Arbeiter*innenklasse sollte eine von dieser Regierung unabhängige Haltung einnehmen und fordern, dass der Widerstand gegen den russischen Einmarsch aus den Händen der pro-kapitalistischen und pro-westlichen Militärs und Politiker*innen genommen und in die Hände der Arbeiter*innen und Soldaten gegeben wird: durch unabhängige Arbeiter*innenmilizen und die Wähl- und Abwählbarkeit von Offizieren und allen Rängen im Militär. Auf dieser Basis könnte ein Appell an die russischen Arbeiter*innen in Uniform gerichtet werden, die von Putin zu Kanonenfutter gemacht werden. Und ein Appell an die russische Arbeiter*innenklasse, sich gegen den Krieg und den Autokraten im Kreml aufzulehnen und gemeinsam gegen alle Oligarchen, ob in Russland, der Ukraine oder anderswo, und für soziale Rechte, auskömmliche Löhne, Arbeitsplätze und gegen Armut zu kämpfen.

Sozialistisches Programm

Eine sozialistische Regierung in Kiew würde sofort deutlich machen, dass sie keinen Anspruch auf die Krim und die mehrheitlich russischsprachigen Gebiete im Osten der Ukraine erhebt und das Selbstbestimmungsrecht der dort lebenden Menschen akzeptiert. Sie würde vorschlagen dort demokratische Wahlen zu Verfassunggebenden Versammlungen durchzuführen, die einen Vorschlag für die staatliche Verfasstheit dieser Regionen ausarbeiten und in einem Referendum zur Abstimmung stellen könnten und erklären, dass diese ohne die Präsenz der ukrainischen und der russischen Armee stattfinden sollten. Sie würde die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine wieder herstellen und die diskriminierenden Gesetze der letzten Jahre zurück nehmen, sowie die Rechte aller anderen Minderheiten garantieren.

Mit einem solchen Programm sollte die ukrainische Arbeiter*innenbewegung sich unabhängig am Kampf gegen den Einmarsch der russischen Armee beteiligen. Ihr müsste man Waffen zukommen lassen, da man sich sicher sein könnte, dass sie diese Waffen nicht gegen die Menschen auf der Krim, in Luhansk und Donezk und nicht zur Unterdrückung von Linken und der Arbeiter*innenbewegung einsetzen würde. Genauso sicher ist aber, dass im Falle eines militärischen Erfolgs ukrainische Armee dort nicht halt machen würde und diese Gebiete wieder der Ukraine einverleiben würde – gegen den Willen der dort lebenden Menschen. Wenn sie das für nötig hielte, würde sie auch nicht davor zurückschrecken, diese Waffen in Zukunft auf die ukrainische Arbeiter*innenklasse zu richten. Das sind alles Gründe, weshalb Waffenlieferungen an diese pro-kapitalistische und nationalistische ukrainische Regierung und Armee von Sozialist*innen nicht unterstützt werden können.

Was tun?

Was aber können Linke und die Gewerkschaften in Deutschland und anderswo heute konkret tun? Erstens dafür kämpfen, dass es ein Maximum an humanitärer Hilfe für die Kriegsopfer in der Ukraine gibt und die Geflüchteten aus der Ukraine ohne Ausnahme und unabhängig von ihrer Nationalität aufgenommen werden (und deutlich machen, dass die nötigen sozialen Investitionen für die Geflüchteten und die ganze arbeitende Bevölkerung von den Banken und Konzernen finanziert werden soll und kann). Zweitens die Antikriegsbewegung in Russland unterstützen – materiell soweit das überhaupt zur Zeit möglich ist, aber vor allem politisch. Gewerkschaften sollten Verbindungen zu russischen Gewerkschaften und Antikriegs-Gruppen aufnehmen und diesen vorschlagen, gemeinsame Erklärungen und Aktionstage gegen alle Kriege und jeden Militarismus durchzuführen. Drittens vor der eigenen Haustüre kehren und Opposition gegen den eigenen Imperialismus organisieren statt ihn zu verklären. Das bedeutet Widerstand gegen Aufrüstung, aber auch gegen Waffenlieferungen an pro-kapitalistische und reaktionäre Regierungen und gegen Wirtschaftssanktionen zu protestieren, die die russische Bevölkerung in Hunger und Not treiben sollen. Viertens weltweit am Aufbau einer auf den Gewerkschaften und der Arbeiter*innenklasse basierenden Antikriegsbewegung arbeiten, die die Ursache von Kriegen – den Kapitalismus – ins Visier nimmt, eine demokratische, sozialistische Gesellschaftsveränderung anstrebt und keine der kapitalistischen und imperialistischen Mächte unterstützt.

In den Gewerkschaften und der Linken brauchen wir eine offene Debatte zu diesen Fragen. Beschlüsse, wie der der Berliner Krankenhausbewegung (siehe hier) sollten auf allen Ebenen gefällt werden. Es muss gefordert werden, dass nicht die Arbeiter*innenklasse, sondern die Kapitalist*innen und Superreichen die Kosten, die der Krieg verursacht, zahlen müssen. Linke sollten versuchen, in den Gewerkschaften und bei den Antikriegsprotesten einen antimilitaristischen und antikapitalistischen Pol zu bilden und für diese Ideen an einem Strang ziehen. Der Aufruf „Gewerkschafter*innen gegen Krieg und Aufrüstung“ und gemeinsame Proteste, Erklärungen und Bündnisbildungen linker Gruppen sind dazu erste Schritte. Es muss aber versucht werden, über den eigenen Kreis der organisierten Linken hinaus, Kolleg*innen und Demonstrant*innen zu erreichen, die jetzt noch auf die Propaganda der Herrschenden und ihrer Medien hereinfallen. Geduldiges Erklären sollte mit eigenen Protestaktionen verbunden werden, um gegen die derzeit vorherrschende Pro-NATO-Stimmung in die Offensive zu kommen.

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