Moderne Monetäre Theorie – ein Ausweg aus der Systemkrise?

Eine marxistische Kritik

In letzter Zeit hat die Moderne Monetäre Theorie (MMT) vor allem unter Linken in den USA an Unterstützung gewonnen. In Deutschland erschienen im Dezember Beiträge von Alfred Müller in der „jungen Welt“ und von Tomasz Konicz im „Neuen Deutschland“, die die Theorie berechtigterweise kritisierten, jedoch so verkürzt, dass ihre Einwände Menschen mit Illusionen in dieses Rezept wohl eher nicht überzeugen werden. 

Deshalb nehmen wir hier eine ausführlichere Darstellung und Kritik vor. Bei der Darstellung stützen wir uns vor allem auf das im Sommer 2020 erschienene Buch der prominenten MMT-Anhängerin Stephanie Kelton „The deficit myth: modern monetary theory and the birth of the people’s economy“.

von Wolfram Klein 

Warum ist diese Theorie vor allem in den letzten Jahren populär geworden? Im 19. und frühen 20. Jahrhundert beruhten Währungen auf Gold oder Silber. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1944) wurde das System von Bretton Woods eingeführt. Der US-Dollar war in ihm an das Gold gekoppelt: Die US-Notenbank FED verpflichtete sich, US-Dollar jederzeit zum Kurs von 35 Dollar je Feinunze Gold einzutauschen. Die anderen Währungen waren wiederum zu festen Kursen an den Dollar gekoppelt. 1971 wurde das System ausgesetzt und 1973 endgültig beerdigt. Grund waren die wachsenden wirtschaftlichen Probleme der USA (u.a. durch den Vietnamkrieg).

Seitdem haben die meisten Staaten sogenanntes „Fiat Geld“ („fiat“ ist lateinisch und bedeutet „es sei“ oder „es werde“), Geld ohne inneren Wert, das seinen Wert durch den Staat erhält: Ein Staat legt eine bestimmte Währung als gesetzliches Zahlungsmittel fest. Insbesondere verlangt er, dass seine Bürger*innen ihre Steuern und Gebühren in dieser Währung zahlen und tätigt seine eigenen Ausgaben in dieser Währung.

Die MMT behauptet, dass die „Mainstream“-Ökonomie so argumentieren würde, als lebten wir noch vor 1971, statt die Möglichkeiten zu nutzen, die das Fiat Geld bietet.

In den letzten Jahren gab es außerdem einige reale wirtschaftliche Entwicklungen, die den Annahmen der Mainstream-Ökonomie widersprechen, die der MMT Zulauf gebracht haben. Das sind vor allem:

=> es gab eine massive Ausweitung der Geldmenge, ohne dass das zu Inflation führte

=> es gab eine massive Zunahme von Staatsschulden, ohne dass das in Staaten wie den USA oder Japan zu größeren Problemen geführt hätte

=> es gab in einigen Ländern vor der Corona-Pandemie eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit, ebenfalls ohne dass das zu Inflation geführt hätte

Die MMT wertet diese Entwicklungen als Bestätigungen für ihren Ansatz.

Was die MMT vertritt

Ein zentraler Gedanke der MMT ist die Unterscheidung von Währungs-Emittenten und Währungs-Nutzer*innen.

Währungs-Emittenten sind souveräne Staaten mit eigenen Währungen. Währungs-Nutzer*innen sind alle anderen, also Privatpersonen, Unternehmen, Kommunen, Bundesländer, Mitgliedsstaaten der Eurozone, Staaten ohne eigene Währung (zum Beispiel nutzt Panama den US-Dollar).

Währungs-Nutzer*innen müssen Geld einnehmen, um Geld ausgeben zu können (wobei Schuldenmachen auch eine Form der „Geldeinnahme“ ist). Währungs-Emittenten brauchen keine Einnahmen. Sie können Geld emittieren, ohne es dazu irgendwoher zu holen. 

Kelton teilt das Talent vieler amerikanischer Sachbuch-Autor*innen für sehr plastische Vergleiche und vergleicht das mit Sport und Kartenspiel: Wenn beim Fußball eine Mannschaft ein Tor erzielt, muss das Tor auch nicht irgendwo anders „weggenommen“ werden, um es der Mannschaft gutzuschreiben. Wenn beim Skat nach dem Spiel die Punkte der Spieler*innen aufgeschrieben werden, müssen diese Punkte nirgendwo „weggenommen“ werden.

Genauso wenig muss der Staat das Geld einnehmen, um es zu haben und ausgeben zu können. Im Gegenteil: erst dadurch, dass der Staat das Geld ausgibt, ist es da.

Tatsächlich sind nicht alle Staaten gleich souverän. Abgesehen von Ländern, die gar keine eigene Währung haben, gibt es Staaten, die ihre Währung zu einem festen Wechselkurs an eine andere Währung koppeln. Außerdem brauchen für ihre Importe Staaten Devisen. Die USA sind in einer Ausnahmesituation, weil der US-Dollar als Weltreservewährung dient.

Die MMT argumentiert, dass Inflation nicht durch die Größe der Geldmenge entsteht, sondern durch Angebot und Nachfrage. Wenn die Nachfrage nach bestimmten Produkten so stark steigt, dass das Angebot sie nicht mehr befriedigen kann, steigt der Preis. Wenn das allgemein der Fall ist, gibt es Inflation.

Die MMT betrachtet die Bekämpfung der Inflation als wichtige Aufgabe und unterstützt das Ziel vieler Notenbanken, die Preissteigerung bei zwei Prozent jährlich zu halten. Sie stellt aber fest, dass viele Staaten das Ziel verfehlen, nämlich indem sie seit Jahren ständig unter diesem Ziel bleiben. Daher argumentiert die MMT, dass der Staat die Nachfrage ein Stück steigern könne, ohne dass das zu Inflation führe. Dass Inflation auch durch importierte Inflation entstehen kann (s.u.), zum Beispiel bei fallendem Wechselkurs, räumen sie im „Kleingedruckten“ ein.

Sie argumentieren, dass ein Staat seine Staatsschulden sofort tilgen könnte, wenn diese in der eigenen Währung des Staats erfolgt sind. Der Staat brauche nur seine eigenen Staatsanleihen zurückkaufen und das dafür erforderliche Geld emittieren. Wenn Staaten trotzdem Anleihen ausgeben, ist das einerseits, um Anleger*innen sichere Anlagen zu bieten, und andererseits, um die Zinsen zu beeinflussen.

Haushaltsdefizite des Staats sind für die MMT an sich kein Problem. Sie vergrößern die Nachfrage der Privaten – „die roten Zahlen des Staats sind die schwarzen der Privaten“. Die Grenze für Haushaltsdefizite sei, dass sie nicht zu einer Konjunkturüberhitzung führen dürfen, die zu Inflation führt.

Steuern sind also nach der MMT nicht notwendig, um Staatsausgaben zu finanzieren. Sie dienen vielmehr dazu: 

=> Nachfrage abzuschöpfen, damit die Konjunktur sich nicht überhitzt.

=> umzuverteilen (nach Wunsch der MMT von oben nach unten, aber von unten nach oben geht genauso) oder

=>  bestimmte Verhaltensweisen zu fördern oder zu begrenzen (zum Beispiel durch Steuern auf Alkohol oder Tabak)

Das über Haushaltsdefizite und Steuern Gesagte gilt, wie gesagt, für währungssouveräne Staaten. Bundesländer, Kommunen, Mitgliedsstaaten der Eurozone etc. brauchen wie Privatpersonen oder Unternehmen auch Einnahmen, um ihre Ausgaben zu finanzieren

Die MMT teilt die Sorge in den USA über das ständige Handelsbilanzdefizit nicht. Für die USA bedeute das, dass sie mehr konsumieren könne als sie produziert, für die anderen Länder bedeute das Arbeitsplätze. Die USA könnten sich das leisten, da der US-Dollar Weltreservewährung ist, sie könnten dadurch einen Teil ihres daraus entspringenden Vorteils an andere Länder weitergeben.

Die zentrale von der MMT propagierte Maßnahme ist eine staatliche Arbeitsplatzgarantie. Der Staat soll sich verpflichten, zu einem bestimmten Lohn alle Menschen einzustellen, die sich um eine Stelle bewerben. Damit sei die Arbeitslosigkeit beseitigt. Wer nicht zu dem angebotenen Lohn arbeiten will, der wolle überhaupt nicht arbeiten.

Die so eingestellten Menschen sollen dann im Sozialbereich, im Umweltschutz etc. sinnvoll beschäftigt werden. Das soll vom Zentralstaat finanziert werden, weil der ja das Geld emittieren kann. Die Maßnahmen sollen aber vor Ort gemäß den örtlichen Bedingungen und Bedürfnissen organisiert werden.

Geld und Inflation

Seit Jahrhunderten ist die Quantitätstheorie des Geldes dominierend, die besagt, dass es zu Inflation komme, wenn die Geldmenge gegenüber der „Warenmenge“ zu groß ist. Die Idee ist populär, weil sie der Intuition entspricht: es gibt auf der einen Seite eine Geldmenge und auf der anderen Seite eine Warenmenge, wenn zwischen ihnen ein Ungleichgewicht entsteht, steigen oder fallen die Preise.

Trotzdem ist diese Theorie falsch. Die MMT hat völlig Recht, sie abzulehnen. Aber Karl Marx hat sie schon in den 1850er Jahren abgelehnt. Tatsächlich machen Banknoten und Münzen nur einen Bruchteil der Geldmenge aus. Ein großer Teil des Geldes ist Kreditgeld. Geldbeträge werden auf Konten gutgeschrieben oder abgezogen und zwischen verschiedenen Banken verrechnet. Wenn die entsprechenden Kauf- und Verkaufsgeschäfte nicht stattgefunden hätten, wäre das entsprechende Kreditgeld nicht entstanden. So wächst und schrumpft die Geldmenge mit der Menge der Handelsgeschäfte. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Spekulationsgeschäfte mit Aktien, Devisen oder diversen Finanzprodukten (Derivaten etc.) auch Handelsgeschäfte sind, bei denen Geldbeträge die Eigentümer*innen wechseln (per Mausclick von einem Konto zum anderen verschoben werden). Wenn solche Geschäfte im Umfang zunehmen oder die bei ihnen gehandelten Spekulationsobjekte im Preis steigen, erfordern sie auch höhere Geldmengen. Tatsächlich wäre von den niedrigen Inflationsraten der letzten Jahre keine Rede, wenn in sie auch die drastisch gestiegenen Preise für Aktien oder Immobilien einberechnet würden.

Anders als die Kritik an der Quantitätstheorie lehnt der Marxismus die Vorstellung der MMT vom Fiat-Geld ab. Jedoch hat Marx erklärt, dass Geld im Kapitalismus verschiedene Funktionen hat und „richtiges Geld“ (Geld wie Gold oder Silber, zu dessen Herstellung gesellschaftliche Arbeitszeit aufgewandt werden muss) in bestimmten Funktionen durch Fiat-Geld ersetzt werden kann, nämlich in der Funktion des Zirkulationsmittels, um Kauf- und Verkaufsgeschäfte abzuwickeln

Nicht ersetzt werden kann es nach Marx als Schatz (also quasi, um Wert zu speichern) und als Weltgeld.

Inzwischen hat Fiat-Geld ein Stück weit „richtiges Geld“ auch als Schatz, als Wertspeicher ersetzt, aber dafür besteht der Zwang, die Inflation niedrig zu halten. Sonst würden die Menschen das Geld nicht dazu verwenden. Und es ist kein Zufall, dass gerade in Krisen viele auf das „alte Geld“, das Gold, zurückgreifen und die Nachfrage nach Gold und der Goldpreis dann steigen.

Als Weltgeld verwenden heute Staaten Devisen verschiedener anderer Staaten und insbesondere den US-Dollar statt Gold. Aber die einzelnen Staaten können diese Devisen, die Währungen anderer Staaten, nicht emittieren, um Importe zu bezahlen. Die Ausnahme dabei sind die USA, die ihre Importe mit US-Dollar bezahlen können … solange der Dollar Weltreservewährung bleibt.

Staaten stehen daher unter dem Zwang zu exportieren, weil mit der Bezahlung der Exporte Devisen ins Land kommen, um die Importe zu bezahlen. Zugleich sind Export und Import mit Geldwechseln verbunden, dadurch kann es zu importierter Inflation kommen. Nehmen wir als Beispiel chinesische Exporte in die Eurozone: Käufer*innen in der Eurozone verkaufen Euro und kaufen Yuan, um zu bezahlen. Es gibt dadurch ein Angebot an Euro und eine Nachfrage nach Yuan. Der Kurs des Yuan gegenüber dem Euro steigt. Importe in die Eurozone verteuern sich, das kann zu importierter Inflation führen. Aber nach der MMT muss Inflation ja verhindert werden! Was also tun? 

Die erste Möglichkeit ist, im Gegenzug Waren zu exportieren … Aber dazu muss man konkurrenzfähige Waren haben. Was braucht man zu ihrer Herstellung im Kapitalismus? Die Ausbeutung von Arbeiter*innen.

Die zweite Möglichkeit ist, nicht nur Waren zu exportieren, sondern auch Kapital zu importieren. Wenn chinesische Kapitalist*innen in der Eurozone Kapital investieren, müssen dazu Yuan in Euro umgetauscht werden. Das steigert den Kurs des Euro gegenüber dem Yuan, es wirkt also ebenso der importierten Inflation entgegen.

Aber: wie kriegt man China zum Kapitalexport? Durch die Erwartung hoher Profite oder Zinsen in der Eurozone.

Hohe Profite bedeuten große Ausbeutung. Hohe Zinsen bedeuten höhere „Kapitalkosten“ für alle, die sich Geld leihen, für den Konsum oder für Investitionen. Die Folgen sind weniger Konsum und weniger Investitionen, die weiteren Folgen sind ein geringeres Wirtschaftswachstum oder gar ein Schrumpfen der Wirtschaft, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit etc.

Die dritte Möglichkeit ist die Bekämpfung der Inflation durch Verringerung der Binnennachfrage, zum Beispiel durch höhere Steuern oder weniger öffentliche Ausgaben. Mit anderen Worten: der (teilweise) Verzicht auf die von der MMT propagierte Politik.

Was folgt daraus? Egal was ein Staat in der kapitalistischen Weltwirtschaft versucht – der Kapitalismus beruht auf der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Das ist eine ökonomische Gesetzmäßigkeit im Kapitalismus. Die Konkurrenz ist der Mechanismus, mit dem sich diese Gesetzmäßigkeit den einzelnen Kapitalist*innen aufzwingt. Wenn man diese Gesetzmäßigkeit im einzelnen Staat zur Türe hinausjagt, kommt sie durch die Konkurrenz auf dem Weltmarkt zum Fenster wieder herein. Dadurch werden auch der Anwendung der MMT im Kapitalismus enge Grenzen gesetzt.

Kapitalistischer und öffentlicher Sektor

Aber die MMT verspricht ja gerade, einen öffentlichen Sektor zu schaffen, in dem für in der Privatwirtschaft wegfallende Arbeitsplätze Ersatz geschaffen werden soll. Sie verspricht weiter, dass der Wegfall der Bedrohung durch Arbeitslosigkeit die Verhandlungsposition der Beschäftigten verbessern würde.

Die Klassiker der bürgerlichen Ökonomie erkannten Ende des 18. Anfang und des 19. Jahrhunderts, dass Werte durch menschliche Arbeit geschaffen werden. Marx bewies auf dieser Grundlage, dass Mehrwert (Profit) durch die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft entsteht. Außerdem bewies er, dass diese Ausbeutung im Kapitalismus immer schwieriger wird. Einfach gesagt: ein System, das auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft beruht und zugleich die Tendenz hat, menschliche Arbeit durch Maschinen zu ersetzen, sägt nach und nach den Ast ab, auf dem es sitzt.

Es kam aber etwas auf, was Marx als „Vulgärökonomie“ bezeichnete – die Vorstellung, dass es eine „Natureigenschaft“ des Kapitals sei, Zins zu bringen (so wie der Birnbaum Birnen produziert, spottete Marx).

Die MMT ist eine Spielart dieser „Vulgärökonomie“. Nach dieser liegen die Grenzen für den Kapitalismus im Mangel an Kapital oder im Mangel an Arbeitskräften. Die im Kapitalismus häufige Realität, dass zur gleichen Zeit Kapital und Arbeitskräfte massenhaft unbeschäftigt sind, ist nach dieser Theorie im Grunde unbegreiflich und sie machen Ausflüchte, um sie weg zu erklären (meistens sind staatliche Vorschriften oder gewerkschaftliche Errungenschaften der Sündenbock). 

Aus marxistischer Sicht sind das dagegen erwartbare Folgen: auf der einen Seite beruht der Kapitalismus auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, auf der anderen Seite verwenden Kapitalist*innen einen immer größeren Teil ihres Kapitals, um Maschinen, Rohstoffe etc. zu kaufen und einen immer kleineren, um Arbeitskraft zu kaufen (eine Folge des zunehmenden Einsatzes von Maschinen). Wenn man nicht glaubt, dass Maschinen die Natureigenschaft haben, Zins (als Bestandteil des Profits) zu produzieren, ist es klar, dass es immer schwerer wird, die Arbeitskräfte so einzusetzen, dass ihre Ausbeutung genügend Profit bringt. Erklärungsbedürftig ist dann, warum die Schwierigkeiten für den Kapitalismus sich nicht viel schneller auftürmen. 

Tatsächlich diskutiert Marx ausführlich die Mechanismen und Methoden, die diese Auftürmung der Schwierigkeiten verlangsamen. Aus marxistischer Sicht ist es daher kein Betriebsunfall, sondern eine Folge der Widersprüche des Kapitalismus, wenn die Ausbeutung gesteigert wird, um Profite zu machen, oder durch Privatisierung bisher öffentlicher Sektoren neue profitable Anlagesphären für das Kapital geschaffen werden

Wenn das Kapital dabei auf Hindernisse stößt, führt das zu Wirtschaftskrisen.

Wenn die MMT – wie ihre Anhänger*innen versprechen – dazu führt, dass sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Lohnabhängigen verbessert, sie höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen erkämpfen können, senkt das die Profite. Wenn die MMT dazu führt, dass der Staat einen öffentlichen Sektor mit staatlich finanzierten Arbeitsplätzen schafft, verringert das die profitablen Anlagesphären für das Kapital.

Die MMT verspricht, die kapitalistischen Krisen abzufedern, weil für wegfallende Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft staatliche und ordentlich bezahlte Arbeitsplätze geschaffen werden und dadurch die Kaufkraft und die Nachfrage auch nach Produkten der Privatwirtschaft in der Krise nicht (so stark) einbricht.

Tatsächlich würde das die Krise der kapitalistischen Privatwirtschaft ungemein verschärfen.

Man stelle sich als Gedankenexperiment vor, dass die Kapitalist*innen einen Betrieb nach dem anderen, einen Wirtschaftszweig nach dem anderen aufgeben, weil sie nicht mehr profitabel sind. Der Staat müsste immer größere Sektoren der Wirtschaft direkt betreiben. Aber wohin könnten die Kapitalist*innen dann mit ihrem bisherigen Kapital gehen?

In Staatsanleihen? Dann müsste der Staat sie aber anbieten, mit entsprechenden Zinsen. Aber welches Vertrauen hätten die Kapitalist*innen in die Anleihen eines Staates, der so deutlich gegen ihre Interessen handelt?

Oder in Spekulation, zum Beispiel mit Rohstoffen oder mit Immobilien? Aber das würde zu drastisch steigenden Rohstoff- oder Immobilienpreisen und drastisch steigenden Mieten führen. Der Staat müsste noch mehr in die Wirtschaft eingreifen, um die Folgen aufzufangen. Gar nicht zu reden von den Folgen, wenn solche Spekulationsblasen einmal platzen.

Oder ins Ausland? Das wäre mit dem Verkauf der eigenen Währung und dem Kauf anderer Währungen verbunden, also würde die eigene Währung an Wert verlieren. Erstens würde das zu importierter Inflation führen (siehe oben). Zweitens müsste das exportierte Kapital so viel Zins oder Profit bringen, dass der Wertverlust der Währung ausgeglichen wird. (Wenn zum Beispiel die eigene Währung jedes Jahr um zehn Prozent gegenüber anderen Währungen an Wert verliert, müsste das im Ausland angelegte Kapital jährlich zehn Prozent Zinsen bringen, um nur diesen Wertverlust auszugleichen. Wo kriegt man heutzutage so hohe Zinsen?)

Keine dieser Möglichkeiten bietet einen Ausweg. Und das ist kein Zufall. Der Kapitalismus beruht auf der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Deshalb muss eine Politik, die diese Ausbeutung behindert, mit den kapitalistischen Interessen kollidieren. Selbst wenn eine Regierung, die eine Politik gemäß der MMT betreibt, das Eigentum der Kapitalist*innen nicht direkt angreifen würde, wäre die indirekte Bedrohung massiv. Die Kapitalist*innen würden sich mit Händen und Füßen gegen eine solche Regierung wehren, mit Investitionsstreik, Kapitalflucht, Anrufung internationaler Gerichte (es wäre ja auch das im eigenen Land investierte ausländische Kapital in Mitleidenschaft gezogen) bis hin zu Militärputschen etc. Die Vorstellung der Anhänger*innen der MMT, dass sie ein Mittel hätten, mit dem man die Lage der Masse der Bevölkerung wesentlich verbessern kann, ohne einen Machtkampf mit der kapitalistischen Klasse zu führen und zu gewinnen, ist eine Illusion.

„MMT von rechts“?

Nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben führende kapitalistische Länder eine sogenannte keynesianische Politik, die die Widersprüche des Kapitalismus durch staatliche Eingriffe abmildern sollte. Man kann sagen, dass die MMT eine verschärfte Variante des Keynesianismus ist.

Dieser Keynesianismus geriet in den 1970er Jahren in eine tiefe Krise und wurde in einem Land nach dem anderen fallengelassen. Einer der Vorreiter dieses Anti-Keynesianismus war der Präsident Ronald Reagan in den USA (1981-1989). Zugleich betrieb er eine massive Aufrüstung, die er mit – für damalige Verhältnisse – hoher Staatsverschuldung finanzierte (wodurch auch Arbeitsplätze unter anderem in der Rüstungsindustrie entstanden). Kritiker*innen bezeichneten das damals recht passend als „Rüstungskeynesianismus“ oder „rechten Keynesianismus“. Wäre nicht in ähnlicher Weise eine „Moderne Monetäre Politik von rechts“ denkbar?

Ein Stück weit gibt es die schon. Anhänger*innen der MMT weisen mit Recht darauf hin, dass Regierungen auch heute schon mit massiven öffentlichen Mitteln Aufrüstung und Kriege finanzieren oder ins Trudeln geratene Banken und Konzerne retten. Das war in der Krise 2007 bis 2009 so, das ist in der gegenwärtigen Krise wieder so.

Aber wenn es um Sozialleistungen oder Maßnahmen für den Umweltschutz geht, berufen sie sich auf die „schwarze Null“, die „Schuldenbremse“ etc.

Es ist denkbar, dass Regierungen das Instrumentarium der MMT in Zukunft verstärkt nutzen, um die Privatwirtschaft noch mehr aufzupäppeln. Sie könnten zum Beispiel Kombi-Löhne einführen, um die Lohnkosten für kapitalistische Unternehmen zu senken und so die Profite zu steigern. Angesichts dessen, dass schon heute in Deutschland ein beträchtlicher Anteil der Hartz-IV-Empfänger*innen erwerbstätig ist (Hartz IV bei ihnen einen Kombi-Lohn darstellt), ist das nicht so abwegig.

Selbst die zentrale Maßnahme der MMT – die Arbeitsplatzgarantie – könnte im Interesse der Herrschenden ausgestaltet werden. Der Staat könnte die staatlichen Arbeitsplätze miserabel bezahlen und zugleich die staatlichen Sozialleistungen für Arbeitsfähige (für behördlich für arbeitsfähig Erklärte) streichen. Dadurch würden Arbeitslose gezwungen, solche miserabel bezahlten Arbeitsplätze anzunehmen. So könnte man die Arbeitsplatzgarantie als einen staatlichen Arbeitsdienst ausgestalten.

Die Anhänger*innen der MMT wollen, dass die durch die MMT finanzieren öffentlichen Maßnahmen unter anderem dem Umweltschutz dienen. Aber genauso gut könnte man damit gesellschaftlich unnütze und umweltschädliche Großprojekte finanzieren.

Mit anderen Worten: die Wirksamkeit der Maßnahmen der MMT im Kapitalismus ist nicht nur begrenzt. Es ist nicht einmal sicher, dass sie auf eine Art und Weise eingesetzt werden, die für die Masse der Bevölkerung Verbesserungen bringt. Das hängt von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und gesellschaftlichen Kämpfen statt.

Kapitalistische Widersprüche bleiben

Ein Staat kann die Instrumentarien der MMT nutzen, um die Existenz des Kapitalismus trotz seiner sich zuspitzenden Widersprüche künstlich zu verlängern. Aber kann das auf Dauer so weitergehen?

Wenn ein Staat eine „Moderne Monetäre Politik für Reiche“ betreiben würde, würde er das Vertrauen der Kapitalist*innen international sicher länger behalten, als wenn er deren Interessen angreifen würde. 

Aber trotzdem würde sich die Frage stellen, wie viel die staatlich aufgepäppelten künstlichen Profite auf dem Weltmarkt zählen würden.

Ein weiteres mögliches Problem sehen die Vertreter*innen der MMT teilweise selbst. Gemäß ihrer vulgärökonomischen Sicht sehen sie ja Wachstumsgrenzen erst im Mangel an Kapital und Mangel an Arbeitskräften. Deshalb sehen sie ein Problem im demographischen Wandel, im steigenden Anteil der alten Menschen an der Bevölkerung. In Wirklichkeit ist dieser demographische Wandel kein Problem, sofern die Arbeitsproduktivität so steigt, dass weniger Erwerbstätige mehr Güter und Dienstleistungen für die Bedürfnisse aller Menschen erstellen. Aber schon Karl Marx hat erklärt, dass der Kapitalismus im Vergleich zum Sozialismus ein Hemmnis für den technischen Fortschritt ist. Man kann erklären (was hier zu weit führen würde), dass der Kapitalismus im Verlauf seiner Entwicklung ein immer größeres Hemmnis wird. Eine sozialistische Gesellschaft wäre viel produktiver als ein MMT-Kapitalismus und hätte weniger Probleme, bei einem wachsenden Anteil alter Menschen allen ein würdiges Leben zu sichern.

Ein drittes Problem ist die Kluft zwischen Arm und Reich. Die MMT sieht darin selbst ein Problem für den Zusammenhalt der Gesellschaft und will sie mit Hilfe der MMT abbauen. Aber damit würde sie auf den kapitalistischen Widerstand stoßen (siehe oben, von Kapitalflucht bis Militärputsch). Aber eine Moderne Monetäre Politik für die Reichen, die den Kapitalismus künstlich mit öffentlichem Geld am Leben hält, die Reichen mit öffentlichem Geld aufpäppelt, während es der Masse der Bevölkerung schlecht geht, wäre für den Rest der Bevölkerung eine gewaltige Provokation. Es würde Widerstand geben, auf den die Herrschenden mit Teile-und-Herrsche-Politik (dem Schüren von Rassismus, Sexismus etc.) und verstärkter Repression antworten würden – Repression, die in bestimmten Situationen zu mehr Widerstand führen kann.

Ein viertes Problem ist die Kluft zwischen armen und reichen Ländern. Die MMT bestreitet nicht, dass die Einsatzmöglichkeiten für ihre Maßnahmen für entwickelte kapitalistische Länder größer (und für die USA mit dem Dollar als Weltreservewährung am größten) sind. Auch wenn Marxist*innen sehen, dass die Einsatzmöglichkeiten viel geringer sind, als die Anhänger*innen der MMT glauben – diesen Unterschied in den Einsatzmöglichkeiten zwischen den Ländern gibt es in der Tat. Und wenn diese Maßnahmen nicht von fortschrittlich gesinnten Kräften (wie heutigen Propagandist*innen der MMT, die wie Kelton ein US-Handelsbilanzdefizit als Beitrag zur internationalen Solidarität befürworten) angewandt werden, gilt das erst recht. So kann die MMT dazu führen, dass die Kluft zwischen armen und reichen Ländern noch größer wird. 

Damit ist auch die Gefahr von internationalen Konflikten verbunden. Für eine Regierung, die „Moderne Monetäre Politik für Reiche“ betreibt, liegt es nahe, auch mit Gewalt Rohstoffe, Absatzmärkte etc. zu sichern. Vergrößerter finanzieller Spielraum des Staates bedeutet auch einen vergrößerten finanziellen Spielraum für Aufrüstung und Kriegführung. Das ist das fünfte Problem.

Ein sechstes Problem ist die Umwelt. Wie erwähnt sollen zu den Tätigkeiten im öffentlichen Sektor, die die MMT propagiert, auch Umweltschutzmaßnahmen gehören. Aber das bedeutet, dass der Staat der Umweltzerstörung, die der kapitalistische Privatsektor produziert, hinterher repariert. Das reicht angesichts der Brisanz der Umweltkrise nicht. Dazu kommt, dass staatliche Umweltschutzmaßnahmen in gewissem Umfang ebenfalls die Umwelt belasten. Sie verbrauchen Ressourcen und erzeugen CO2-Emissionen. Es führt kein Weg daran vorbei, in die privatkapitalistische Umweltzerstörung direkt einzugreifen. Vertreter*innen der MMT würden vielleicht argumentieren, dass der Staat entsprechende Gesetze beschließen solle. Aber wer glaubt nach dem Dieselbetrug immer noch, dass sich private Unternehmen an Gesetze halten, wenn ihre Verletzung profitabler ist (zumindest solange man nicht erwischt wird)?

Sicher lassen sich noch mehr Probleme finden. Es sollte aber deutlich sein, dass eine MMT von rechts den Kapitalismus ganz bestimmt nicht zu einer neuen Blüte führen kann.

Schlussfolgerungen

Die MMT propagiert eine Reihe von Maßnahmen, die in die richtige Richtung gehen. Doch das Instrumentarium der MMT lässt sich verschieden anwenden. Wem es nützt, hängt von der konkreten Anwendung ab. Und diese Anwendung hängt vom Kräfteverhältnis der Klassen und vom Klassenkampf ab.

Wenn eine Regierung versuchen würde, das Instrumentarium der MMT im Interesse der arbeitenden Bevölkerung und der Umwelt anzuwenden, würde sie auf den geballten Widerstand der herrschenden Klasse stoßen. Wenn sie es im Interesse der herrschenden Klasse anwenden würde, würde das für die Masse der Bevölkerung Ausbeutung, Unterdrückung, Elend, Kriege und Umweltzerstörung bedeuten.

Wer glaubt, die MMT sei eine Alternative zu sozialistischen Maßnahmen, irrt sich. Es führt kein Weg daran vorbei, die Macht der kapitalistischen Klasse zu brechen, und dazu gehört, die großen Banken und Konzerne, die „Kommandohöhen der Wirtschaft“, in öffentliches Eigentum zu überführen, den durch tausend Fäden mit der herrschenden Klasse verbundenen Staatsapparat durch einen neuen Staatsapparat zu ersetzen, einen Arbeiter*innenstaat, eine Rätedemokratie. Den Abgrund zwischen der Gegenwart und einem Arbeiter*innenstaat kann man nicht in kleinen Reform-Trippelschrittchen überqueren, sondern nur durch einen revolutionären Sprung.

Bekanntlich ist der Aufbau  des Sozialismus in einem Land nicht möglich. Auf der anderen Seite wird der Kapitalismus auch nicht auf der ganzen Welt gleichzeitig gestürzt werden. Es wird eine gewisse Übergangsphase geben, in der Arbeiter*innenstaaten neben kapitalistischen Staaten existieren und auf einem noch kapitalistischen Weltmarkt operieren müssen. 

In welchem Umfang sie dann das Instrumentarium der MMT werden nutzen können, wird von den konkreten Rahmenbedingungen abhängen. Es könnte aber durchaus sein, dass für einen solchen Arbeiter*innenstaat der Spielraum zumindest für einzelne Maßnahmen der MMT im Interesse der Arbeiter*innen größer ist als im Kapitalismus. Wenn also die Argumentation der MMT-Befürworter*innen darauf hinausläuft, dass es nicht notwendig sei, den Kapitalismus zu überwinden, so ist das Gegenteil richtig. Gerade um das, was an der MMT durchführbar ist, durchführen zu können, ist die Überwindung des Kapitalismus notwendig.

Wolfram Klein ist Mitglied des Sol-Bundesvorstands und der Redaktion der „Solidarität“. Er ist Autor zahlreicher im Manifest-Verlag erschienener Bücher und Broschüren. Er lebt in Plochingen bei Stuttgart.