“Der Streik ist kein Spaziergang”

Interview mit einem Streikenden der Berliner Krankenhausbewegung

Wir dokumentieren hier ein Interview mit Daniel Labes, Gesundheits- und Krankenpfleger Funktionsdienst bei einer Rettungsstelle bei Vivantes, das auf der Webseite der Gruppe “Herzschlag – Aktive im Gesundheitswesen für eine kämpferische ver.di” veröffentlicht wurde.

Daniel, ihr seid mittlerweile seit fast drei Wochen im unbefristeten Streik. Das ist der längste Krankenhausstreik in Berlin und noch immer stellt sich die Vivantes-Leitung stur. Wie ist die Stimmung?

Die Streikbereitschaft ist unverändert hoch und man kann sagen, das Verhalten der Vivantes-Geschäftsführung hat die Wut noch gesteigert. Es ist allerdings kein Spaziergang. Ein Streik im Krankenhaus ist anders als in einem Produktionsbetrieb. Wir haben es mit Menschen zu tun, die Hilfe brauchen, da muss man einen Streik anders organisieren. Wir halten uns an die von ver.di vorgeschlagene Notdienstvereinbarung für den Streik (die der Arbeitgeber nicht einmal bereit war, mit ver.di gemeinsam abzuschließen). Das bedeutet, dass Kolleg*innen während unseres Streiks immer wieder auch Notdienste machen müssen, obwohl sie eigentlich streikbereit sind.

Was bedeutet das in deinem Bereich zum Beispiel?

Bei uns gibt es eine besondere Schwierigkeit. In der Rettungsstelle sind wir sowieso schon so schlecht besetzt, dass wir nicht hinterherkommen. Zu uns kommen Notfälle, die natürlich schnell versorgt werden müssen. In den ersten Tagen des Streiks haben uns die Kolleg*innen der Feuerwehr noch verschont, aber inzwischen ist das nicht mehr so. Wir haben auch wegen Corona einen höheren Krankenstand. Daher müssen wir streikbereite Kolleg*innen wieder in den Dienst stellen. Das drückt die Moral etwas, denn die Kolleg*innen wollen eigentlich streiken, damit sich grundlegend etwas verändert!

Wie sieht denn die Besetzung in der Rettungsstelle aus?

Die Vivantes-Geschäftsführung spricht immer davon, dass sie ihren Versorgungsauftrag erfüllen müssen. Aber es gibt gar keine gesetzlichen oder demokratisch kontrollierbaren Vorgaben! Ich war wirklich erschüttert, als ich das im Laufe des Arbeitskampfes feststellen musste. Es gibt enorme Engpässe bei der Erstversorgung von Notfällen und es gibt aber keine gesetzlichen Kerngrößen für den Versorgungsauftrag! In Berlin-Reinickendorf gibt es beispielsweise keine Kinderrettungsstelle.

Auch für die Personalbesetzung in den Rettungsstellen gibt es keine Vorgaben. Wir können hier nicht, wie in der Pflege eine klare Ratio einfordern – also eine bestimmte Zahl von Pflegekräften für eine bestimmte Anzahl von Betten. Es ist nicht vorherzusagen, wie viele Notfälle bei einer Schicht rein kommen. Man bezieht sich allgemein auf durchschnittliche Fallzahlen aus dem Vorjahr. Es wurde eine Kerngröße festgelegt. Nach dieser ist die Patientensicherheit gefährdet, wenn es mehr als 1200 Fälle pro Jahr auf eine Stelle gibt.

Was fordert Ihr für Deinen Bereich?

Wir fordern maximal 1025 Fälle pro Jahr und Pflegekraft, damit es einen Puffer gibt. Die Vivantes-Geschäftsführung lässt sich bisher nicht darauf ein. Sie sagt, die Einhaltung der Mindestgrenze von 1200 Fällen ist ihr letztes Angebot. Aber es kommt noch besser: Servicekräfte und Medizinische Fachangestellte sollen in diese Rechnung mit einbezogen werden. Auch das ist gesetzlich leider nicht definiert. Aber es ist ein Unding, denn diese Kräfte sind nicht für die Notfallversorgung ausgebildet! Fast die Hälfte sind auf unserer Rettungsstelle aktuell keine ausgebildeten Gesundheits- und Krankenpflegekräfte. Das heißt, die Servicekräfte und MFA‘s sollen Aufgaben erledigen, für die sie weder ausgebildet noch bezahlt werden. Für Vivantes lohnt es sich, denn die Kolleg*innen verdienen rund 84 Prozent des Gehaltes. Schlimm ist es, wenn in einigen Diensten die Notfallversorgung der Patient*innen und ihre Sicherheit dadurch nicht mehr gewährleistet würde. Wir sagen deshalb ganz klar: Nicht der Streik gefährdet das Wohl der Patient*innen, sondern der Normalzustand! Viele Kolleg*innen halten es nicht mehr aus. Sehr viele sagen, entweder ändert sich mit diesem Streik etwas, oder ich wechsele den Arbeitgeber oder auch den Beruf.

Wo siehst Du die Bewegung? Gibt es Aussicht auf Erfolg?

Ich persönlich kann nicht erkennen, dass es in dieser Woche ein ausreichendes Angebot geben wird. Weiterhin schieben Geschäftsführung und Senat den schwarzen Peter hin und her. Vor den Wahlen gab es viele Aussagen von Landespolitiker*innen, auch vom SPD-Fraktionsführer Raed Saleh, dass das Land Berlin die Gelder zur Verfügung stellen würde. Denn Vivantes sagt, aufgrund der Verluste im Corona-Jahr könnten sie die Forderungen bezüglich Entlastung wie auch der Anhebung der Löhne bei den Vivantes-Töchtern auf TVÖD-Niveau nicht bezahlen. Es gab nicht nur die Zusagen, sondern auch einen entsprechenden Beschluss im Abgeordnetenhaus.

Doch nun sagen die Arbeitgeber, es habe sich lediglich um eine Absichtserklärung gehandelt und nicht um eine garantierte Zusage. Das alles ist auch ein politischer Skandal. Die landeseigenen Häuser sollten finanziell so ausgestattet werden, dass sie den Versorgungsauftrag, von dem alle sprechen, tatsächlich auch ausführen können. Ich denke, die Kolleg*innen sind weiter kämpferisch und streikbereit, auch wenn es diese Woche nicht zu einem Ergebnis kommt. Wir wollen eine wirkliche Veränderung, entsprechend muss auch das Ergebnis aussehen.

Wie kann ein besseres Gesundheitswesen aussehen?

Es gibt viele Studien, die belegen, dass eine bessere Personalausstattung zu einer geringeren Sterblichkeit der Patient*innen führt. Die Ausrichtung auf den Markt und das Fallpauschalensystem im Gesundheitswesen führen dazu, dass bei den notwendigen Behandlungen, die aber wenig Geld bringen, abgebaut und dafür die lukrativen ausgebaut werden. Ich nenne nur zwei Beispiele. Ein Notfall wird mit mit einer Pauschale von 35 Euro von der Krankenkasse finanziert. Diese 35 Euro sind nach Aufnahme, Erstversorgung und vielleicht noch einem Röntgenbild aber schon aufgebraucht. In den meisten Fällen sind aber noch viele andere Vorgänge nötig. Das Gegenbeispiel sind künstliche Hüften. Dafür gibt es viel Geld. Im Vergleich mit anderen Ländern werden aber in Deutschland durchschnittlich wesentlich mehr künstliche Hüften operiert. Die Vivantes-Geschäftsführung hat im Zuge der Verhandlungen öffentlich gesagt, dass sie Leistungen abbauen wollen, um das Verhältnis von Patient*innen zum Personal zu verbessern. Meiner Meinung nach verfolgen sie aber sowieso das Ziel, zugunsten lukrativer Leistungen die unlukrativen abzubauen und wollen dann ver.di die Verantwortung für diesen Abbau in die Schuhe schieben. Letztendlich brauchen wir ein Gesundheitswesen, was insgesamt nicht von der Marktlogik geleitet wird, sondern demokratisch kontrolliert und nach Bedarf ausgerichtet und ausfinanziert wird.

Danke für das Gespräch! Wir wünschen Euch weiterhin viel Kraft. Euer Kampf ist wichtig für uns alle!

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