Stuttgart: Solidarisch unterwegs

Klimabewegung unterstützt Tarifbewegung Nahverkehr

Unter dem Motto #wirfahrenzusammen haben sich Fridays for Future, Umweltaktivist*innen, Fahrgäste, Beschäftigte des ÖPNV und die Gewerkschaft ver.di vereint, um eine gemeinsame Kampagne für gute Arbeitsbedingungen, mehr Personal im ÖPNV und eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen zu kämpfen. Zum zweiten Mal streikten nun am 01.03.2024 die Klimabewegung und die Tarifbewegung der Beschäftigten des Nahverkehrs gemeinsam. Der erste gemeinsame Streik war am 3.3.2023 in 245 Orten mit 250.000 Beteiligten. Wie zeigt sich der erneute Streik am 1.3.2024 auf der Straße?

Von Jan, Sol Stuttgart

In Stuttgart begann der Streiktag zweigeteilt – während sich die Demonstrierenden der Klimabewegung (inklusive diverser Umweltorganisationen) bereits am Ort der Kundgebung einfanden und ihr Demonstrationszug von dort begann, starteten die streikenden Beschäftigten der Stuttgarter Straßenbahn AG (SSB) nach der Streikgelderfassung und Streikversammlung am Gewerkschaftshaus. Das ist auch deshalb bemerkenswert, da sich in den letzten Jahrzehnten Streikende immer dezentral an den jeweiligen Betriebshöfen anstatt zentral in der Stadt versammelt hatten. Anschließend trafen sich beide Streikzüge auf halbem Weg der Demo-Strecke und liefen gemeinsam zurück zum Marktplatz, auf dem sich anschließend die trotz verregnetem Wetter ca. 500 Menschen starke Menge direkt vor dem Rathaus Stuttgart versammelte. Weil Oberbürgermeister Nopper bei einem Geschäftsessen war, konnten ihm die gesammelten Unterschriften von „WirFahrenZusammen“ nicht übergeben werden. Von den eingeladenen Politiker*innen aller Parteien (bis auf AfD) erschien der linke Bundestagsabgeordnete Bernd Riexinger und Vertreter von SPD und Grünen. Sie sollten sich äußern, ob und wie sie die streikenden Kolleg*innen und den Ausbau des ÖPNV unterstützen. Auch die Vertreter von SPD und Grünen unterschrieben die Petition mit der Forderung nach jährlich 16 Milliarden mehr von Bund und Ländern für die Finanzierung von mehr Personal und Infrastruktur im ÖPNV, obwohl die Ampel mit dem Haushalt 2024 350 Millionen Euro gestrichen hat. Einige Aktivist*innen gingen deshalb während des Auftritts der Politiker auf die Bühne, um mit Plakaten auf die reale Politik von SPD und Grünen hinzuweisen.

Zu den Forderungen der mehr als 3.000 Beschäftigten der SSB, die in bis zu 14-stündigen Schichten an 365 Tagen im Jahr arbeiten, gehören neben der Verkürzung der Wochenarbeitszeit zudem u.a. ein Wegegeld, Schichtzulagen und Maßnahmen gegen geteilte Dienste, bei denen innerhalb eines Tages zwei Schichten mit mehrstündiger Pause gefahren werden. Die mit Stand der (ergebnislosen) zweiten Verhandlungsrunde am 1. März bisherige absolute Weigerung des Kommunalen Arbeitgeberverbands (KAV), den Forderungen in irgendeiner Art entgegenzukommen, wirkt vor allem in Angesicht der kürzlichen Entgelterhöhung der Bürgermeistergehälter in Stuttgart besonders respektlos.

Zudem sprachen die Vertreter*innen der zeitgleich Streikenden der (ver.di-)Tarifbewegung im Einzelhandel bei der Kundgebung. So sprachen Mitarbeiter*innen von H&M und Obi über den auch dort vorhandenen hohen Krankenstand, Personalmangel, lange Arbeitszeiten und nicht vorhandene oder schlechte Tarifverträge. Die Sprecher*innen der Streikenden aus dem Einzelhandel brachten auch deutlich zum Ausdruck, dass sie trotz fast einem Jahr Tarifauseinandersetzung bereit sind, weiter zu streiken. Immer wieder wurde die breite Solidarisierung positiv begrüßt. Das weckt Hoffnung auf zukünftige Kooperationen zwischen streikenden Beschäftigten verschiedener Branchen. Weiterhin ist die Verbindung der Tarifbewegungen mit den von den Streiks betroffenen Fahrgästen ein gutes Signal der Solidarität.

In Leipzig versuchten derweil die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB), den geplanten Nahverkehrsstreik juristisch zu verhindern, da sie ver.di aufgrund der gemeinsamen Aktion mit der Klimabewegung eine politische anstatt tarifpolitische Intention vorwarfen – also einen politischen Streik. Diese Argumentation wurde jedoch vom Leipziger Arbeitsgericht nicht anerkannt und der Streik der Tarifbewegung als verhältnismäßig genehmigt, obwohl laut Urteil eine Verbindung zu den politischen Protesten zu erkennen sei. Das zeigt jedoch, dass die Arbeitgeber immer wieder Vorstöße machen, das Streikrecht in Frage zu stellen und einzuschränken.

Beim Streik wurde von Kolleg*innen und auch von Klimaaktivist*innen immer wieder betont, dass der Druck weiter erhöht werden müsse, um einen Erfolg zu erreichen. Wie das möglich ist, blieb allerdings offen. Am Morgen wurde bekannt, dass die Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn gescheitert sind. Auf die Frage, ob es nicht richtig wäre, jetzt gemeinsam den gesamten öffentlichen Verkehr lahmzulegen, gab es unterschiedliche Antworten. Einige SSB-Kolleg*innen meinten, sie seien dafür, andere brachten Argumente dagegen: die Stimmung in der Bevölkerung würde dann kippen oder die GDL wäre zu wenig kompromissbereit. Es ist wichtig, dass diese Frage und die Streikstrategie demokratisch in Streikversammlungen auf lokaler Ebene und in Streikdelegiertenversammlungen auf Landes- und Bundesebene diskutiert und entschieden werden. Auch die Aktivist*innen der Klimabewegung sollten diskutieren, wie sie beim nächsten Streik im Nahverkehr mehr Schüler*innen, Studierende und Fahrgäste zur Unterstützung mobilisieren können. Wenn der Druck nicht weiter erhöht wird, droht ein fauler Kompromiss.

ver.di meldet deutschlandweit Warnstreiks in über hundert Städten und von ca. 90.000 Beschäftigten, die im kommunalen Nahverkehr zum Streik aufgerufen wurden. Genaue Teilnehmer*innenzahlen, auch hinsichtlich der Verteilung auf Beschäftigte und Umweltaktivist*innen wurden bisher nicht veröffentlicht.

In Anbetracht der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und der drohenden Klimakatastrophe ist ein funktionierender und öffentlicher Nahverkehr unabdingbar. Der aktuelle Sparkurs und die immer wiederkehrenden Kürzungen und Privatisierungen im Nah- und Fernverkehr sowie das Kaputtsparen der Infrastruktur schaden hier ebenso wie die unzureichende Entlohnung, deren Folge Personalmangel und daraus wiederum hohe Krankenstände sowie Fahrtausfälle sind.

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