Berliner Krankenhausbewegung: Erster Etappensieg

Doch der Kampf geht weiter! Solidarität ausweiten! – Flugblatt der Sol auf der heutigen Solidaritätsdemonstration

Heute demonstrierten die Kolleg*innen der Berliner Krankenhausbewegung, von Charité und Vivantes, gemeinsam mit tausenden Unterstützer*innen durch Berlin. Die Sol Berlin verteilte dort dieses Flugblatt, das auf die neuesten Entwicklungen nach der Einigung zwischen Gewerkschaft ver.di und der Charité-Geschäftsleitung und der Aussetzung des Streiks an der Charité, eingeht. Wir laden alle Leser*innen zu einem offenen Treffen zur Frage “Wie weiter für die Berliner Krankenhausbewegung?” am Dienstag, den 12.10. um 19 Uhr in der Reuterstraße 52 in Berlin-Neukölln ein.

Die Berliner Krankenhausbewegung hat schon Geschichte geschrieben. Vier Wochen lang haben Team-Delegierte, Tarifkommissionsmitglieder und Streikende eine enorme Entschlossenheit und Kampfbereitschaft bewiesen, die nun zu einem ersten wichtigen Etappensieg geführt haben. Mit dem Eckpunktepapier für einen Tarifvertrag an der Charité wurden, wenn sie in einen Tarifvertrag münden, enorme Verbesserungen erreicht, wie sie bisher in keiner anderen Vereinbarung zum Thema Entlastung erzielt werden konnten. Es werden Schlüssel für die Besetzung von Stationen und Bereichen angesetzt, die für die Kolleg*innen einen großen Fortschritt bedeuten würden. Es bleibt nicht folgenlos, wenn diese nicht eingehalten werden, sondern es soll für fünf Schichten, in denen eine Überlastung aufgrund von Personalmangel festgestellt wurde, einen freien Tag geben. Die Charité-Leitung hat die Einstellung von 700 zusätzlichen Pflegekräften zugesagt. Mit dem Eckpunktepapier ist auch die Vivantes-Geschäftsführung, die seit Wochen gemauert hat und anfangs sogar gerichtlich gegen den Streik vorging, nun noch mehr unter Druck geraten, doch ernsthaft zu verhandeln. All das ist einzig und allein der kraftvollen Streikbewegung geschuldet.

Kampf zu Ende führen

Gleichzeitig ist wichtig festzuhalten, dass der Kampf noch nicht gewonnen ist. Bei Vivantes gibt es noch keine Einigung auf ein solches Eckpunktepapier. Bei der Charité, und sollte es bei Vivantes zu einem ähnlichen Eckpunktepapier kommen auch dort, muss erst noch ein verbindlicher Tarifvertrag unterschrieben werden – aus Erfahrung wissen wir, dass wir uns bei Arbeitgebern auf nichts verlassen können!

Außerdem stehen die Kolleg*innen bei den Vivantes-Töchtern noch immer ohne ein Angebot da, was die Angleichung an den TVÖD angeht. Dabei sind sie schon so viele Schritte auf die Arbeitgeber zugegangen. Doch laut Verhandlungsführerin der Vivantes-Geschäftsleitung ist das alles immer noch zu viel und nicht bezahlbar. Ein Erfolg für die Kolleg*innen bei den Töchtern ist aber genauso wichtig für eine gute Versorgung in den Krankenhäusern, wie für die Pflegekräfte.

Das Besondere an der Berliner Krankenhausbewegung ist der gemeinsame Kampf der drei Bereiche gewesen. Darauf sind die Kolleg*innen zurecht stolz. Solidarität wird groß geschrieben. In den letzten Wochen hat es von ver.di-Seite immer wieder geheißen, dass dieser Kampf gemeinsam zu Ende geführt wird. Sol-Mitglieder haben aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass genau die Situation eintreten kann, die jetzt entstanden ist und die gemeinsame Bewegung so getrennt wird. Es hätte von Anfang an offen unter den Streikenden diskutiert werden sollen, wie mit einer solchen Situation umgegangen werden kann.

Wir halten es für einen Fehler, dass der Streik an der Charité nun so schnell ausgesetzt wurde, dass diese Frage nicht vorher auf gemeinsamen Versammlungen der Team-Delegierten aller drei Bereiche diskutiert wurde und dass die Entscheidung nicht auf einer Streikversammlung der Charité-Kolleg*innen gefällt wurde. Vielleicht wären die Kolleg*innen auch zu dem Schluss gekommen, dass der Erfolg an der Charité durch Annahme des Eckpunktepapiers und Aussetzung des Streiks nun gesichert werden muss, vielleicht wären die Kolleg*innen aber auch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Streik auch an der Charité fortgesetzt werden soll, um das Ziel eines gemeinsamen Erfolgs für alle zu erreichen. Wir hätten uns für Letzteres ausgesprochen, nicht zuletzt weil der eigentliche Adressat der Streiks der Berliner Senat ist, der alle Forderungen schnell erfüllen könnte.

Nun, wo der Streik an der Charité ausgesetzt wurde, muss dringend diskutiert werden, wie die weitere Strategie aussieht, wie der Druck weiter aufgebaut werden kann, so dass es sowohl zu einem guten Ergebnis für die Pflege bei Vivantes kommt, aber eben auch endlich zur Angleichung an den TVÖD für alle Vivantes-Töchter. ver.di und die Kolleg*innen an der Charité stehen nun genauso in der Pflicht, wie die gesamte Gewerkschaftsbewegung. Ziel muss es sein, dass es an der Charité zu Solidaritätsstreiks kommt und in möglichst vielen anderen Betrieben zu Solidaritätsaktionen.

Die heutige Demonstration in Berlin mit 5000 Teilnehmer*innen
Die Sol hat hunderte Flugblätter auf der Demo verteilt

Platzeck

Bei den Vivantes-Töchtern soll nun der SPD-Politiker Matthias Platzeck die Gespräche moderieren. Der Vorschlag eines Schlichtungsverfahren war richtigerweise abgelehnt worden, um das Mittel des Streiks nicht aus der Hand zu geben. Doch nun hat Platzeck die Bedingung gestellt, dass der Streik ausgesetzt werden muss, wenn verhandelt wird. Es soll „nur“ um einen Tag gehen. Doch was, wenn die Verhandlungen sich hinziehen und am nächsten Tag fortgesetzt werden sollen? Dann gibt es schon zwei Tage Streikaussetzung … und so weiter.

Diese Bedingung, dass Verhandlungen nur stattfinden, wenn nicht gestreikt wird, wurde zuvor von den Streikenden gegenüber Vivantes abgelehnt, was richtig war. Durch Platzeck wird dieses Prinzip nun wieder eingeführt. Dabei ist es doch so, dass der Arbeitgeber den Druck durch den Streik während Verhandlungen „braucht“, wenn man zu einem guten Ergebnis für die Streikenden kommen will. Eine Streikaussetzung wird von der Geschäftsleitung nicht als Zeichen des guten Willens verstanden werden, sondern als Zeichen der Schwäche. Für die Gewerkschaft ist es andererseits nicht leicht, eine einmal unterbrochene Streikdynamik wieder aufzunehmen. Ein Streik lässt sich nicht ein- und ausknipsen wie ein Lichtschalter. Deshalb wären die Streikenden gut beraten, sich nicht von einem angeblich neutralen Berater wie Herrn Platzeck die Kontrolle über den Arbeitskampf nehmen zu lassen.

Kolleg*innen der CFM solidarisch auf der Demo

Streikdemokratie

Die Berliner Krankenhausbewegung hat sich durch demokratischere Strukturen ausgezeichnet, als die meisten anderen Streikbewegungen. Es ist aber wichtig, dass die Kontrolle über den Streik und vor allem über Streikaussetzung und Ergebnisse wirklich bei den Streikenden selbst liegt. Alle Verhandlungsstände müssen deshalb weiterhin transparent gemacht werden, und den Streikenden die Möglichkeit zur Diskussion und Abstimmung über die nächsten Schritte und Streikstrategien gegeben werden. Dafür sind regelmäßige Streikversammlungen nötig. Auch ein Verhandlungsergebnis sollte, anders als jetzt an der Charité geschehen, erst demokratisch auf einer Streikversammlung diskutiert werden und die Aussetzung des Streiks erst erfolgen, wenn die Streikenden darüber abstimmen konnten. Dass ein Streik auch bis zur Urabstimmung gehen kann, zeigte 2011 der Streik beim Charité Facility Management (CFM). Als es nach drei Monaten Streik ein Angebot gab, dem die Verhandlungs- und Tarifkommission von ver.di zugestimmt hatten, wurde der Streik fortgesetzt, bis das Ergebnis der Urabstimmung bekannt war – um den Kolleg*innen die Möglichkeit zu geben, in Ruhe über das Ergebnis zu beraten und auch Lehren aus ihrem Streik gemeinsam zu diskutieren.

Finanzielle Unterstützung und Streikgeld

Die Gewerkschaft ver.di muss jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, um den Streikenden bei Vivantes den Rücken zu stärken. Dazu gehört nach vier Wochen Streik auch die finanzielle Absicherung! Es ist großartig, dass die Spendensammlung für Kolleg*innen der Vivantes-Töchter durchgeführt wurde und diese sollte fortgesetzt werden. Jedoch ist es nicht sicher, dass die Spenden ausreichen werden, um die Streikenden über die Runden zu bringen. Es gibt die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen für ein höheres Streikgeld. Abgesehen davon, dass bei Niedrigstlöhnen das Streikgeld ohnehin höher liegen sollte, ist es die Verantwortung von ver.di, die Kolleg*innen, die durch die Gewerkschaft in den Streik geführt wurden, jetzt nicht im Stich zu lassen, sondern schnell und unbürokratisch das Streikgeld auszuzahlen und zu erhöhen.

Das Pflege-Bündnis Dresden mobilisierte auch zur Demo. Mit dabei die Dresdner Sol-Mitglieder
Sol Info-Tisch auf der Demo

Deutlicher werden?

Die Ignoranz der Vivantes-Geschäftsleitung kennt keine Grenzen. Wer nicht hören will, muss fühlen – der Streik ist das wirksamste Druckmittel, aber im Rahmen des Streiks sind auch noch andere Aktionsformen möglich, die die öffentliche Aufmerksamkeit erhöhen und den Verantwortlichen bei Geschäftsführungen und im Senat weh tun können. Der Phantasie müssen da keine Grenzen gesetzt sein, aber uns fallen Blockaden, Bürobesetzungen, Dauermahnwachen und anderes ein…

Gewerkschaftliche Strukturen festigen und ausbauen

Einer der größten Erfolge der gesamten Streikbewegung an allen Standorten ist die große Zahl an Kolleg*innen, die in diesem harten Arbeitskampf aktiv geworden sind, teilweise zum ersten Mal, und viele wichtige Streikerfahrungen gesammelt haben. Auch der Zusammenhalt unter den Kolleg*innen in den Standorten, aber auch Standort-übergreifend, ist enorm gestärkt worden.

Wir sind davon überzeugt: in dieser Bewegung sind inzwischen dutzende, wenn nicht hunderte Kolleg*innen faktisch zu Organiser*innen geworden. Wichtig wird sein, aus den jetzigen Aktiven-Strukturen ehrenamtliche ver.di-Betriebsgruppen-Strukturen zu festigen. Team-Delegierte sollten dazu ermutigt werden, sich auch zukünftig in der Gewerkschaft zu engagieren, so dass starke Betriebsgruppen von ver.di in der Lage sind, die Kolleg*innen zu organisieren. Denn auch wenn es zu einem Tarifvertrag Entlastung und der Angleichung an den TVÖD für die Vivantes-Töchter kommt, wird es weiterhin genug Missstände in den Krankenhäusern geben, die durch eine starke Gewerkschaft bekämpft werden müssen und muss der Kampf für die Abschaffung der Fallkostenpauschalen und ein an den Bedürfnissen und nicht am Markt orientiertes Gesundheitswesen auch in den Betrieben geführt werden.

Solidarität ausweiten!

Die Gesundheitsversorgung betrifft alle Menschen in dieser Stadt, denn wir alle sind potentielle Patient*innen oder Angehörige. Das gilt insbesondere für die Masse der arbeitenden Bevölkerung, die im Gegensatz zu einigen Superreichen nicht in der Lage ist, sich eine teure Sonderbehandlung in einer besser ausgestatteten Privatklinik zu leisten. Es gibt viel Solidarität und Unterstützung, aber diese findet bisher zu wenig direkten politischen Ausdruck. Das muss sich das dringend ändern. Denn dieser Kampf wird nicht in erster Linie durch die Einnahmeausfälle für die Klinikleitungen entschieden, sondern durch den politischen Druck auf den Senat und die Geschäftsleitungen. Die Damen und Herren dort müssen Angst bekommen, dass der Krankenhausstreik eine Welle von ähnlichen Bewegungen in anderen Betrieben auslöst und es zu gemeinsamen Kämpfen und Bewegungen von Gewerkschafter*innen, Lohnabhängigen und sozialen Bewegungen kommt.

Deshalb haben mittlerweile über einhundert Streikende einen Appell an die DGB-Gewerkschaften gerichtet, bei der Solidarität eine ordentliche Schippe draufzulegen. Sie schlagen vor (siehe www.aufrufkhbewegung.wordpress.com):

Die Unterstützung der Krankenhausbewegung auf allen gewerkschaftlichen Versammlungen und über die Betriebsgruppen zum Thema zu machen, sowie ein Massen-Infoflugblatt für Betriebe zu drucken und die Verteilung systematisch zu organisieren: über Betriebsgruppen, Vertrauensleute mit Unterstützung durch hauptamtliche Kräfte der Gewerkschaften.

Zu einer weiteren Großdemonstration zur Unterstützung der Berliner Krankenhausbewegung zu mobilisieren – mithilfe des Flugblattes, sowie über gezielte Ansprache in die Betriebe hinein.

Ein offenes gewerkschaftliches Unterstützungskomitee zu gründen, das die Unterstützung der Streikbewegung durch die DGB-Gewerkschaften organisiert. 

Das ist nach der Streikaussetzung an der Charité umso wichtiger!

Für ein öffentliches Gesundheitswesen nach Bedarf

Gerade im Gesundheitswesen wird es Zeit für eine machtvolle bundesweite Bewegung für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen, für die Abschaffung des Fallpauschalensystems und für ein rein öffentliches Gesundheitswesen, ausreichend finanziert und ausgestattet nach Bedarf. Dafür gehören alle privaten Konzerne des Gesundheitswesens, von den Servicebetrieben über private Kliniken bis hin zur Pharmaindustrie in Gemeineigentum überführt und demokratisch durch die arbeitende Bevölkerung kontrolliert und verwaltet. Für die nötigen Investitionen müssen die Vermögenden und Superreichen zur Kasse gebeten werden.

Der Kapitalismus muss aus dem Gesundheitswesen vertrieben werden! Aber der Kapitalismus ist auch in allen anderen Gesellschaftsbereichen schädlich für die Menschen und die Umwelt. Deshalb ist es dringend nötig, über Alternativen zum Kapitalismus auch in Streikbewegungen wie der Berliner Krankenhausbewegung zu diskutieren. Nur die Klasse der Lohnabhängigen wird in der Lage sein, die Macht der Banken und Konzerne zu brechen und eine Gesellschaft zu erkämpfen, in der nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse von Mensch und Natur im Mittelpunkt stehen – eine sozialistisch-demokratische Gesellschaft.

Gewerkschaften

Früher oder später wird nach den Wahlen versucht werden – egal von welcher Regierung – die Krisenkosten auf die arbeitende Bevölkerung abzuladen. Wieder wird es heißen, es sei nicht genug Geld da, um in Gesundheit, Bildung, Pflege, Kitas und Soziales zu investieren. Daher müssen die Gewerkschaften ihre Rolle wahrnehmen, nicht nur vereinzelte Abwehrkämpfe zu führen, sondern Kämpfe zusammen zu führen und zu einer gesellschaftspolitischen Bewegung zu steigern. Die Traditionen der Arbeiter*innenbewegung und Gewerkschaften von Solidarität und gegenseitiger Unterstützung wie auch, dass Stärke vor allem durch gemeinsamen Kampf sichtbar wird, müssen wieder erweckt werden.

Die Sol und ihre Mitglieder sind aktiv in Betrieben und Gewerkschaften. Wir setzen uns für einen konsequenten kämpferischen Kurs ein und unterstützen Ansätze für Vernetzungen von aktiven Kolleg*innen wie zum Beispiel die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG – www.vernetzung.org) und die Gruppe „Aktive im Gesundheitswesen für eine kämpferische ver.di“ (www.herzschlagkrankenhaus.wordpress.com).

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