Nach dem Desaster: Kurswechsel nötig
DIE LINKE ist bei den Bundestagswahlen unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht. Sie zieht nur in den Bundestag ein, weil sie in Berlin und Leipzig drei Direktmandate gewonnen hat und so von der Regelung profitiert, die im Falle von drei Direktmandaten der Partei Abgeordnete entsprechend ihrer Gesamt-Prozentzahl zubilligt. So ist zwar der Super-GAU ausgeblieben, aber das Ergebnis ist ein herber Rückschlag, der auch vorübergehende Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein von linken Aktivist*innen haben wird.
von Sascha Staničić
Hinzu kommt, dass damit zu rechnen ist, dass eine Reihe von dem linken Flügel zuzurechnenden und bewegungsorientierten Abgeordneten nicht wieder in den Bundestag einziehen werden und die politische Ausrichtung der Fraktion sich nach rechts verschiebt.
Anbiederung war Eigentor
Dietmar Bartsch und Susanne Hennig-Wellsow sprachen nach der Wahl von Fehlern, die gemacht wurden und der Notwendigkeit einer Aufarbeitung. Das Offensichtliche sprechen sie aber nicht aus: die Strategie des Anbiederns an SPD und Grüne ist nicht aufgegangen. Im Gegenteil: wie die Sol in den letzten Wochen und Monaten gewarnt hat, spricht viel dafür, dass viele ehemalige LINKE-Wähler*innen lieber ihr Kreuz beim Original statt der Kopie gemacht haben, um sicherzustellen, dass die CDU/CSU nicht stärkste Kraft wird.
Die Propaganda der LINKE-Führung, zuerst zu argumentieren, dass eine Stimme für DIE LINKE der beste Garant für die Abwahl der CDU/CSU sei und als das offensichtlich nicht mehr hinhaute, zu sagen nur mit der LINKEN könne man eine FDP-Regierungsbeteiligung verhindern, war ein Schuss in den Ofen. Verloren gegangen sind dabei die eigenen Positionen, das eigene Profil und die Glaubwürdigkeit, dass es der Partei vor allem darum geht, diese eigenen Positionen durchzusetzen. Dass auch die dem linken Parteiflügel zuzurechnende neue Co-Vorsitzende Janine Wissler in diesen Chor mit eingestimmt hat, hat die Wirkung dieser desaströsen Vorgehensweise nur verstärkt.
So war das Ergebnis, dass viele Wähler*innen, konfrontiert mit der Zuspitzung auf die Frage, wer Kanzler*in werden wird, lieber das sozialdemokratische oder grüne Original gewählt haben, als die linke Kopie.
Dass eine linke Partei in Zeiten großer systembedingter Krisen nicht zulegt, dass sie weniger Stimmen als die FDP unter Arbeiter*innen erreicht und die Jugend nicht mobilisieren kann und dass es ihr wiederholt nicht gelingt, Nichtwähler*innen zu erreichen … ist ein Offenbarungseid.
Wagenknecht
Die Verluste auf die internen Streitigkeiten, vor allem um Sahra Wagenknecht, zu reduzieren, greift zu kurz. Zweifellos wird eine zerstrittene Partei weniger gewählt. Aber nicht erst seit den Debatten um Wagenknechts Positionen lässt DIE LINKE Federn. Das grundlegende Problem ist, dass sie ihre Glaubwürdigkeit in Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen eingebüßt hat, sich in der Corona-Krise nicht von der Bundesregierung abgehoben hat und von Vielen als der linke, und damit austauschbare, Teil des politischen Establishments betrachtet wird. Dieses Image verbaut vor allem den Weg zu den Millionen Nichwähler*innen, die sich offenbar von keiner der bestehenden Parteien mehr angesprochen fühlen.
Die Wirkung der Wagenknecht-Wahl zur Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen war nun offenbar nicht, dass sie Stimmen für DIE LINKE mobilisiert hat. In NRW hat die Partei sogar überdurchschnittlich viele Stimmen verloren. Das kann auch damit zusammenhängen, dass Wagenknechts Kandidatur unter linken und antirassistischen Aktivist*innen und auch Teilen der Mitgliedschaft demobilisiert hat, wenn nicht bei der Stimmabgabe, dann sicher bei der Mobilisierung im Wahlkampf.
In der Bundestagsfraktion werden Wagenknecht und ihre Unterstützer*innen wahrscheinlich ein höheres Gewicht als in der Partei haben. Ob das dazu führen wird, dass sie noch einmal versuchen werden, die Führung der Partei zu erobern oder die Fraktion als Sprungbrett für eine Spaltung und Neugründung einer linkspopulistischen Partei zu nutzen, wird sich zeigen.
Es geht auch anders
Dass es auch anders geht, zeigt unter anderem DIE LINKE im Norden von Berlin-Neukölln, wo auch Mitglieder der Sol den Wahlkampf mit geprägt haben. Hier hat sich die Partei über Jahre als antikapitalistische und bewegungsorientierte Kraft im Bezirk aufgebaut. Sie hat auch die Regierungsbeteiligung der LINKEN im Berliner Senat nicht unterstützt. Das Ergebnis: deutliche Stimmenzugewinne bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus.
Kurswechsel nötig
Die Tatsache, dass wahrscheinlich SPD und Grüne in einer nächsten Regierung sein werden, bedeutet, dass DIE LINKE die einzige linke parlamentarische Opposition sein wird. Das wird ihr große Möglichkeiten eröffnen, wenn SPD und Grüne an der Regierung ihr wahres Gesicht offenbaren und es zu Angriffen auf die Arbeiter*innenklasse kommen wird – und in der Folge davon zu Gegenwehr. Diese Möglichkeiten wird die Partei aber nur dann nutzen, wenn sie das Wahldesaster schonungslos aufarbeitet und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Nötig ist ein Kurswechsel hin zu klarer sozialistischer Oppositionspolitik und einer Konzentration auf das, wofür eine linke Partei gebraucht wird: gewerkschaftliche Kämpfe und soziale Bewegungen zu unterstützen und zusammenzubringen und darin antikapitalistische und sozialistische Perspektiven und Lösungen aufzuzeigen. Dafür werden sich Sol-Mitglieder weiterhin in der Partei einsetzen.
Wir rufen alle, die von diesem Wahlergebnis enttäuscht sind, dazu auf jetzt erst recht aktiv zu werden – in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, um der Politik der kommenden Regierung etwas entgegenzusetzen und mit der Sol auch in der LINKEN, um dort für einen sozialistischen Kurswechsel einzutreten.