Heldenhafter Streik – Eckpunktepapier unzureichend

Keine TVÖD-Angleichung bei Vivantes-Töchtern in Berlin

Nachdem bei Charité und Vivantes Eckpunktepapiere für einen Tarifvertrag Entlastung für Pflege und Funktionsbereiche erreicht worden waren, kam es am 29. Oktober auch zur Unterzeichung eines Eckpunktepapiers für die Beschäftigten der Vivantes-Töchter.

Von Angelika Teweleit, Berlin

Darin haben die Streikenden der Vivantes-Verhandlungsführung wichtige Zugeständnisse abgerungen, besonders beim Manteltarifvertrag. Bei der Angleichung der Entgelttabellen wird allerdings nicht das Niveau des TVÖD erreicht – obwohl es einen Stufenplan bis zum 31. Dezember 2025 gibt. Inakzeptabel ist dabei auch die lange Laufzeit von fünf Jahren. Damit will die Vivantes-Geschäftsführung Ruhe herstellen, denn sie haben es mit einer sehr kämpferischen und wütenden Belegschaft zu tun. Statt einem solchen Tarifvertrag zuzustimmen, der die schlechtere Bezahlung der Kolleg*innen über Jahre festschreibt, hätten ver.di und andere Gewerkschaften mit Solidaritätsstreiks und -aktionen den Druck auf Geschäftsleitung und Senat weiter erhöhen sollen.

Die Kolleg*innen der Servicebereiche – wie zum Beispiel aus Reinigung, Sterilisation, Speiseversorgung, Wäschereien, Gärtnereien, Transport, Verwaltung – mussten in den letzten beiden Wochen den Streik allein fortsetzen. Einerseits führte das in einigen Bereichen dazu, dass die Vivantes-Geschäftsführung unter Druck geriet, weil sie den Betrieb nicht wieder voll aufnehmen konnte, obwohl der Streik der Pflegekräfte ausgesetzt worden war. Denn ohne die Servicekräfte kann man nicht alle Betten wieder belegen, und nicht alle Stationen aufmachen. Das macht deutlich, wie wichtig die Arbeit der Kolleg*innen in diesen Bereichen ist. Trotzdem gab es auch Faktoren, die den Streik schwieriger machten. So war das Interesse der Öffentlichkeit nicht mehr so groß, wie es noch war, als die Berliner Krankenhausbewegung komplett im Ausstand war. Leider fand auch keine gesteigerte Solidaritätskampagne bis hin zu Soli-Streiks der Pflegekräfte statt. Dies hätte gezielt durch die ver.di Führung organisiert werden müssen. Doch auch insgesamt gab es einige Probleme zu bewältigen. Daraus sollten Lehren für die Zukunft gezogen werden.

Was gefordert wurde

Gefordert worden war die Angleichung an den Tarifvertrag TVÖD. Denn die Ausgründung der Servicebereiche bei Vivantes hat zu massivem Lohndumping geführt. Das lässt sich daran erkennen, dass zu den „Gestellten“, die direkt bei Vivantes beschäftigt blieben und für die bei der Ausgliederung ein Bestandsschutz vereinbart wurde, eine Lohndifferenz von mehreren hundert Euro bestand, obwohl die Arbeit die gleiche ist. Darüber hinaus gab es auch in bei den in den Manteltarifverträgen festgelegten Bedingungen erhebliche Unterschiede.

Diese Zustände sind ein jahrelang bekannter politischer Skandal. Denn die rot-rot-grüne Landesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag vor fünf Jahren geschrieben, dass sie diesen Zustand in den landeseigenen Kliniken Vivantes und Charité beenden will. Doch Papier ist wie immer geduldig – so aber nicht die leidtragenden Beschäftigten. Auch nicht diejenigen, die noch zusätzlich unter dem himmelschreienden Widerspruch zu leiden hatten, dass der rot-rot-gründe Senat einerseits einen Mindestlohn von 12,50 Euro für die Vergabe von Dienstleistungen in landeseigenen Unternehmen festgelegt hatte, dieser aber zum Beispiel bei der Reinigung (Vivaclean) und der Speiseversorgung (SVL) mit mehr als einem Euro unterschritten wurde!

Die Kolleg*innen sagten klar, sie wollen diese Ungerechtigkeiten beendet sehen. Auch, wenn sie nicht auf eine unmittelbare Angleichung an den TVÖD beharrten, so sollte dieser doch am Ende stehen und zwar in absehbarer Zeit. Dieses Ziel wurde nicht erreicht.

Eckpunktepapier

Mit dem Eckpunktepapier wurden einige wichtige Forderungen durchgesetzt. Besonders bei den unterschiedlichen Manteltarifverträgen gibt es deutliche Verbesserungen zum bisherigen Zustand. So wird der Urlaub von dreißig Tagen für alle gleich festgelegt, was für einige zwei Urlaubstage mehr im Jahr bedeutet. Auch bei den Schicht-Zulagen gibt es jetzt die Bedingungen des TVÖD. Aber nicht alles wurde übernommen, so gibt es zum Beispiel weiter keine betriebliche Altersvorsorge, wie sie es im TVÖD gibt.

Für einige Berufsgruppen bekommen rückwirkend zum 1. Juli eine Lohnerhöhung von 2,5 Prozent, andere bekommen Einmalzahlungen. Sämtliche Beschäftigte erhalten zudem eine Coronasonderzahlung von 1.500 Euro für Vollzeit, anteilig in Teilzeit.

Was die Angleichung an die Tabellen des TVÖD angeht, gibt es jedoch weiterhin große Lücken. Übel aufgestoßen ist Kolleg*innen, dass es hier zudem eine erneute Spaltung, diesmal unter zwei Gruppen der Tochtergesellschaften, gibt.

Angleichung TVÖD verfehlt

Insgesamt wurde eine Angleichung an das Sechs-Stufen-Modell des TVÖD zwar erreicht. Aber eine schrittweise Angleichung findet bis zum 31.12.2025 nicht auf hundert Prozent statt, sondern auf 96 Prozent des TVÖD-Niveaus für einen Teil der Tochterunternehmen und für einen anderen Teil nur auf 91 Prozent. Die lange Laufzeit bedeutet allerdings – wenn der Tarifvertrag dann so abgeschlossen wird – für die nächsten vier Jahre Friedenspflicht. Die Vivantes-Leitung hatte anfangs sogar eine Laufzeit bis ins Jahr 2028 angestrebt! Aber auch die jetzige Laufzeit ist in Anbetracht von Inflation und anderen Unwägbarkeiten inakzeptabel. Immerhin konnte durchgesetzt werden, dass die schrittweise prozentuale Angleichung an den TVÖD an den dynamisierten TVÖD-Tabellen ausgerichtet wird. Vorher wollte die Vivantes-Verhandlungsführung die Stufenangleichung einfrieren, also nicht die künfitgen TVÖD Erhöhungen einbeziehen.

Es soll ab jetzt ausgeschlossen werden, dass jemand unter den Berliner Mindestlohn von 12,50 Euro fällt. Das ist allerdings nicht das, was gefordert war. Einige Kolleg*innen weisen aber zurecht darauf hin, dass die Durchsetzung dieses Landesgesetzes eigentlich nicht Aufgabe der Streikenden, sondern der Verantwortlichen in der Berliner Landesregierung gewesen ist, die Einhaltung ihres eigenen Gesetzes in ihren eigenen Unternehmen zu überprüfen! Dennoch wird die nun erfolgte Anhebung um mehr als einen Euro pro Stunde natürlich in den Portemonnaies der betroffenen Kolleg*innen zu spüren sein.

Wäre mehr drin gewesen?

Die Frage, ob man hätte weiter kämpfen können für ein besseres Ergebnis, ist mit Ja zu beantworten. Allerdings gab es einige Faktoren, die das zum Schluss schwieriger erscheinen ließen und die in der Gesamtbilanz kritisch diskutiert werden müssen.

Zum einen war die Dynamik der großen gemeinsamen Berliner Krankenhausbewegung durch die Streikaussetzung der Kolleg*innen bei Charité und danach Vivantes nach Unterzeichnung ihrer Eckpunktepapiere für Entlastungstarifverträge (die wiederum unterschiedlich zu bewerten sind), gebrochen. Es stand für viele Kolleg*innen sicher im Widerspruch zu den anfangs getätigten Aussagen, dass dies eine gemeinsame Bewegung ist, die auch gemeinsam zu Ende geführt werden soll. Die Sol schrieb nach Abschluss und Streikaussetzung an der Charité:

Sol-Mitglieder haben aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass genau die Situation eintreten kann, die jetzt entstanden ist und die gemeinsame Bewegung so getrennt wird. Es hätte von Anfang an offen unter den Streikenden diskutiert werden sollen, wie mit einer solchen Situation umgegangen werden kann.

Wir halten es für einen Fehler, dass der Streik an der Charité nun so schnell ausgesetzt wurde, dass diese Frage nicht vorher auf gemeinsamen Versammlungen der Team-Delegierten aller drei Bereiche diskutiert wurde und dass die Entscheidung nicht auf einer Streikversammlung der Charité-Kolleg*innen gefällt wurde. Vielleicht wären die Kolleg*innen auch zu dem Schluss gekommen, dass der Erfolg an der Charité durch Annahme des Eckpunktepapiers und Aussetzung des Streiks nun gesichert werden muss, vielleicht wären die Kolleg*innen aber auch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Streik auch an der Charité fortgesetzt werden soll, um das Ziel eines gemeinsamen Erfolgs für alle zu erreichen. Wir hätten uns für Letzteres ausgesprochen, nicht zuletzt weil der eigentliche Adressat der Streiks der Berliner Senat ist, der alle Forderungen schnell erfüllen könnte.

Leider hat es keine Versammlungen aller Streikenden gegeben, um dies gemeinsam zu beraten und zu entscheiden. Es wurden nach Annahme der Eckpunktepapiere für die Entlastungstarifverträge bei Charité und dann auch Vivantes zwar ernst gemeinte Diskussionen unter den Teamdelegierten im Pflegebereich über Solidaritätsstreiks für die Töchter-Beschäftigten geführt. Aber leider wurden diese nicht in die Tat umgesetzt. Das war nicht die Schuld der Teamdelegierten, sondern lag vor allem an der Ausrichtung der hauptamtlichen ver.di-Führung, nun schnell zum Abschluss zu kommen. Alle Hoffnung wurde darauf gerichtet, mithilfe des SPD-Politikers Matthias Platzeck als Moderator zu einem Ergebnis zu gelangen.

Matthias Platzeck

Noch während sich ein Abschluss an der Charité für einen TVE abzeichnete, wurde der Versuch gestartet, Matthias Platzeck als Schlichter einzusetzen. Eine Schlichtung lehnten Kolleg*innen ab, weil ihnen dies das Mittel des Streiks aus der Hand genommen hätte. Daher wurde stattdessen für eine Moderation durch Platzeck geworben. Auch das wurde von den Pflegestreikenden abgelehnt. Im Fall der Töchter warb neben der neu gewählten Oberbürgermeisterin Franziska Giffey auch das Ver.di-Hauptamt dafür, ihn einzusetzen. Es wurde argumentiert, dies sei nötig, um „überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen“, da die Verhandlungsführung von Vivantes mit Dorothea Schmidt, die vom privaten Helios-Konzern kam und sich damit brüstete, bereits etliche Arbeitskämpfe gewonnen zu haben, besonders hart auftrat. In der Realität aber stellte sich heraus, dass die Moderation dann doch eher eine Schlichtung durch die Hintertür war. Wieder und wieder drängte Matthias Platzeck die gewählten Kolleg*innen aus allen Tochterbereichen in der Tarifkommission, den Streik auszusetzen, wenn er Verhandlungen führt. Trotz starker Widerstände unter Kolleg*innen wurde seiner „Bitte“ – auch auf Zuraten durch ver.di-Hauptamtliche – dann für einen Tag entsprochen. Damit aber machten die Kolleg*innen sehr schlechte Erfahrungen. Denn dieser eine Tag war ein Spießrutenlauf voller Anfeindungen und Mobbing durch die Vorgesetzten. Diese Lehre sollte nicht in Vergessenheit geraten, denn dies wirkt sich demoralisierend auf die Kolleg*innen aus, die sich nun schon wochenlang im Streik befunden hatten. Auch sonst ist aber eine Streikaussetzung bei schwierigen Verhandlungen keine Hilfe, sondern im Gegenteil.

Streikaussetzung während Verhandlungen

Die Sol schrieb zur Frage von Streikaussetzung während Verhandlungen, die schon im September zunächst von der ver.di-Verhandlungsführung für alle ins Spiel gebracht wurde:

ver.di hat mittlerweile angeboten, die Streiks auszusetzen, wenn die Arbeitgeber an den Verhandlungstisch kommen (während die Abgeordnetenhausfraktionen von SPD, Grünen und LINKE gerade den Senat aufgefordert haben, die Klinikleitungen zur Aufnahme von Verhandlungen während des Streiks anzuweisen!). Für dieses Entgegenkommen gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keinen Grund. Im Gegenteil: gerade während Verhandlungen „braucht“ der Arbeitgeber den Druck durch den Streik, wenn man zu einem guten Ergebnis für die Streikenden kommen will. Eine Streikaussetzung wird von den Klinikleitungen nicht als Zeichen des guten Willens verstanden werden, wie es die ver.di-Führung vielleicht hofft, sondern als Zeichen der Schwäche. Verhandlungen ohne Streik geben den Arbeitgebern die Möglichkeit, die Verhandlungen hinaus zu zögern. Für die Gewerkschaft ist es andererseits nicht leicht, eine einmal unterbrochene Streikdynamik wieder aufzunehmen. Ein Streik lässt sich nicht ein- und ausknipsen wie ein Lichtschalter.

Die Entscheidung über eine Streikaussetzung sollte unbedingt bei den Streikenden selbst liegen. Sie sollten diese Frage in Streikversammlungen diskutieren und darüber abstimmen. Solche Streikversammlungen, zumindest an den einzelnen Standorten, sollten ohnehin regelmäßig während des Streiks durchgeführt werden, damit die Streikenden direkt und nicht nur über die Rücksprache mit den Team-Delegierten die Möglichkeit haben, die aktuelle Situation gemeinsam zu bewerten, sowie die Tarifkommission und Verhandlungsführer*innen zu kontrollieren und ihnen mit auf den Weg zu geben, was sie denken und fordern.“ Zu diesem Zeitpunkt war aber das Selbstbewusstsein der Streikenden der gesamten Berliner Krankenhausbewegung und der Druck von der aktiven Basis so groß, dass eine Streikunterbrechung nicht in Frage kam. Nach sechs Wochen Streik und als die Töchterbeschäftigten „übrig geblieben“ waren, war das nicht mehr so einfach.

Ermüdungserscheinungen

Verschiedene Faktoren hatten zu Ermüdungserscheinungen an der Streikfront der Töchter-Beschäftigten geführt. Nicht zu unterschätzen war die Frage des Streikgeldes. Dies reichte einerseits nicht aus, worauf das Berliner Bündnis für mehr Personal zunächst gut reagierte, indem Spenden gesammelt wurden. Andererseits hätte das Streikgeld für die schlechter bezahlten Töchterbeschäftigten auch schon zu Beginn von ver.di auf hundert Prozent angesetzt werden können. Erschwerend kam aber noch hinzu, dass aufgrund einer unzureichenden Organisation durch ver.di die Kolleg*innen wochenlang ihr Streikgeld nicht ausgezahlt bekamen. In einem Bereich, wo die Löhne ohnehin niedrig sind, ist das fatal. Obwohl sich darüber massiv Unmut breit machte, gab es bis zuletzt keine wirkliche Besserung.

Dazu kam, dass die Organizer, die seit Frühjahr für das Projekt von ver.di eingesetzt worden waren, zum Ende September großenteils abgezogen worden waren. Das lag daran, dass die private Organizing-Firma bereits für das nächste Projekt „gebucht“ war. Obwohl die Organizer eine wichtige Rolle gespielt haben, um streikfähig zu werden und auch den Streik zu organisieren, sollte dies nicht an private Firmen ausgelagert werden. Die ver.di Mitglieder müssen die Möglichkeit haben, die Organizer demokratisch zu kontrollieren. Das ist nicht möglich, wenn sie als Angestellte einer externen Firma agieren. Stattdessen sollte die Gewerkschaft selbst genügend Ressourcen zur Verfügung stellen, um Kolleg*innen dabei zu unterstützen, in ihren Betrieben Mitglieder zu werben und langfristig aktive Strukturen in Form von Betriebsgruppen und gewählten Vertrauensleuten aufzubauen. Dies ist in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt worden.

Gewerkschaftliche Solidaritätskampagne

Ein bedeutender Faktor war in der gesamten Berliner Krankenhausbewegung die Frage der Solidarität. Wichtig war zum Beispiel eine große Demonstration am Samstag, den 9. Oktober, wo auch die Berliner Bevölkerung, insbesondere soziale Bewegungen wie auch Gewerkschaften aufgerufen wurden teilzunehmen. Diese Demonstration war sehr kämpferisch und laut. Sie fand nach der Aussetzung des Streiks an der Charité und unmittelbar vor der Unterzeichung des Eckpunktepapiers für den TVE bei Vivantes statt. So gut diese Demonstration war, muss trotzdem gesagt werden, dass eines gefehlt hat: Delegationen von anderen Berliner Betrieben und aus den DGB-Gewerkschaften. Dafür wäre es nötig gewesen, schon Wochen vorher eine bewusste Kampagne von den Berliner Gewerkschaften in die Betriebe hinein zu führen. Auf diese Weise hätte aus der Berliner Krankenhausbewegung eine breite gesellschaftspolitische Bewegung werden können, bei der tausende Berliner Beschäftigte auch aus anderen Betrieben gemeinsam mit den Krankenhausbeschäftigten demonstriert hätten. So hätte der Druck massiv gesteigert und auch die politischen Fragen der Krankenhausfinanzierung noch mehr zugespitzt werden können. Mitglieder der Sol und VKG (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften) hatten gemeinsam mit Streikenden einen Aufruf für die Organisierung einer gewerkschaftlichen Solidaritätskampagne durch ver.di und Berliner DGB angestoßen, den mehr als hundert Streikende unterschrieben. Eine bewusste Solidaritätskampagne auch allein für den Töchterstreik hätte einen großen Unterschied gemacht – für die Streikmoral, das Selbstbewusstsein der Kolleg*innen und dadurch auch für das Ergebnis.

Streikdemokratie

Die Beteiligung von Kolleg*innen in der Berliner Krankenhausbewegung war grundsätzlich viel weitgehender als in den meisten anderen Streiks. Es gab in fast allen Bereichen und Stationen Teamdelegierte. Für den TVE bei den Pflege- und Funktionsbereichen diskutierten die Teamdelegierten zunächst die Mindesbesetzungen. Sie spielten auch eine wichtige Rolle bei der Mobilsierung und Organisierung des Streiks vor Ort. Während der Verhandlungen blieb ein Teil der Teamdelegierten vor Ort, um jeweils die Ergebnisse von der Tarifkommission kommuniziert zu bekommen. Sie sollten auch der Tarifkommission wiederum mitteilen, ob sie Verhandlungsstände für annehmbar halten oder nicht. Es gab auch Teamdelegiertensitzungen, um über die nächsten Schritte zu diskutieren. Insofern war dies ein starkes demokratisches Element, was es so in kaum einem anderen Streik gibt. Allerdings fehlte die kollektive Diskussion und Entscheidung aller Streikenden in regelmäßigen Streikversammlungen.

Bei den Töchtergesellschaften hatten die Teamdelegierten weniger klar umrissene Aufgaben. In einigen Bereichen gab es sie auch nicht. Die Tarifkommission war die hauptsächliche Struktur, über die Entscheidungen getroffen wurden. Allerdings wurden die entscheidenden Verhandlungen am Ende – wieder auf Drängen Platzecks – nur noch von einer fünfkopfigen Verhandlungsgruppe geführt. Davon waren drei ver.di-Hauptamtliche und zwei Ehrenamtliche. Die Rückkopplung mit der gesamten TK verlief unter massivem (Zeit)druck, der nun auch wieder von Platzeck verstärkt wurde. Am entscheidenden Verhandlungstag drängte er darauf, noch am selben Abend dem Papier zuzustimmen. Dies lehnte die TK richtigerweise ab, weil sie erst das Votum der Kolleg*innen einholen wollten, stimmte aber der erneuten Maßgabe zu, dass der Streik nun ausgesetzt werden muss. Am folgenden Tag wurde dann eine Versammlung für die Beschäftigten am Nachmittag durchgeführt, wo das Ergebnis nochmals durch die ver.di-Führung beworben wurde. Da einerseits einige wichtige Verbesserungen im Papier standen, andererseits der Streik aber bereits ausgesetzt war, und aufgrund einer fehlenden Perspektive, wie der Druck an diesem Punkt für ein besseres Ergebnis verstärkt werden kann, stimmten die Anwesenden dem Eckpunktepapier zu.

Aus Sicht der Sol wäre es in allen Bereichen wichtig gewesen, zusätzlich zu den Teamdelegierten-Strukturen auch Streikversammlungen für alle Streikenden durchzuführen, um so allen die Möglichkeit zu geben, zu diskutieren und letztlich auch kollektiv alle wichtigen Entscheidungen zur Streikführung zu fällen. Beim Streik der Tochterbeschäftigten wären tägliche Versammlungen auch wichtig gewesen, um so alle Fragen klären und die nötige Einheit herstellen zu können. Auch hätte die Frage, ob das Ergebnis angenommen werden soll, nicht vor Aussetzung des Streiks stattfinden dürfen, denn so waren die Kolleg*innen vor vollendetete Tatsachen gestellt. Denn auch hier gilt – es ist nicht einfach einen Streik wieder aufzunehmen, wenn er einmal ausgesetzt wurde.

Urabstimmung über Tarifvertrag

Der Tarifvertrag soll bis zum 15. Dezember ausverhandelt werden. Aus Sicht der Sol wäre es besser gewesen, das Eckpunktepapier abzulehnen und stattdessen Wege zu finden, den Druck über eine zu organisierende Solidaritätskampagne und Solidaritätsstreiks zu erhöhen, sowie Probleme wie die des Streikgeldes zu lösen und die Streikenden über Streikversammlungen und einen Aktionsplan wieder zu motivieren. Wenn ein Tarifvertrag vorgelegt wird, sollte dieser mit Beispielrechnungen für alle Bereiche unterlegt werden, damit alle Kolleg*innen genau wissen, über was sie in der darauf folgenden Urabstimmung abstimmen. Zudem sollte es die Möglicheit für kollektive Diskussionen in gemeinsamen Versammlungen geben. Hier muss berücksichtigt werden, dass viele aufgrund familiärer oder anderer Verpflichtungen nicht einfach in der Lage sind, nach ihrer Arbeit zu einer Versammlung zu erscheinen. Entsprechend sollte geprüft werden, ob die Wiederaufnahme des Streiks zum Zweck der Versammlungen möglich ist.

Aufgrund der Schwächen der langen Laufzeit und der weiterhin großen Lücke zum TVÖD im Eckpunktepapier schlagen wir für die Urabstimmung vor, das Ergebnis abzulehen, sollte der Tarifvertrag nicht deutlich besser sein. Ein „Nein“ in der Urabstimmung bedeutet natürlich auch, eine Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Streiks zum Ausdruck zu bringen. Hierfür wäre es nötig, alle wichtigen Lehren wie zu Streikdemokratie und Organisierung einer gewerkschaftlichen Solidaritätskampagne zu ziehen.

Es ist wichtig, dass sich Kolleg*innen, die im Streik aktiv geworden sind, weiterhin in ver.di Betriebsgruppen organisieren und darüberhinaus auch zusammen schließen, um für eine kämpferische Ausrichtung innerhalb der Gewerkschaft ver.di einzustehen. Das ist der beste Weg, um sich auf die nächsten Kämpfe vorzubereiten. Die Vernetzung „Aktive im Gesundheitswesen für eine kämpferische ver.di“ ist ein Ansatz dafür. Wer mit ihnen in Kontakt treten möchte, kann sich hier melden: kh-aktivenkonferenz@web.de.

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