Neue Bundesregierung: andere Farben, ähnliche Politik

Der Koalitionsvertrag zeigt: Politik für Banken und Konzerne geht weiter

Mit der neuen Ampelkoalition endet eine Ära. 16 Jahre lang war Angela Merkel die Kanzlerin der Bundesrepublik und die Union die bestimmende politische Kraft des Landes. Ist von der neuen Regierung eine andere Politik, gar ein Aufbruch, zu erwarten?

Von Torsten Sting, Rostock

„Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ – so pompös lautet der Titel des Koalitionsvertrages, den die Spitzen von SPD, Grünen und FDP unterzeichnet haben. In den nächsten Tagen müssen noch die Mitglieder bzw. Parteitage final über das Machwerk abstimmen. Es kann aber keinen Zweifel daran geben, dass eine deutliche Mehrheit dem Vertrag zustimmen wird. Zu sehr sind alle drei Parteien und deren führende Protagonist*innen daran interessiert, an die Futtertröge der Macht zu gelangen.

Was nicht drin steht

Eines vorneweg: Wieder einmal haben SPD und Grüne im Wahlkampf links geblinkt, um nach der Wahl rechts abzubiegen. Das fängt damit an, was nicht im Koalitionsvertrag steht. Wieder mal wird die reiche Elite geschont. Entgegen den Versprechungen von SPD und Grünen wird es weder eine Bürger*innenversicherung noch eine Vermögenssteuer oder ein Tempolimit geben, ganz zu schweigen davon, dass die Reichen und Superreichen endlich wirklich zur Kasse gebeten werden.

Kontinuität

Auch diese Regierung wird Politik für die kapitalistische Elite machen. Neben dem Verzicht auf eine höhere Besteuerung für die Millionär*innen und Milliardär*innen, drückt sich dies unter anderem auch darin aus, dass es „Superabschreibungen“ geben soll. Mit diesen können Unternehmer*innen Steuern sparen, in dem sie Investitionen in Klimaschutz oder Digitalisierung absetzen können. Auch die Schuldenbremse soll ab 2023 wieder eingehalten werden soll. Damit wird der Druck erhöht werden, die Staatsausgaben zu kürzen und im Zuge dessen, die Sozialausgaben zu senken. Die Richtung wird mit dem Namen des künftigen Finanzministers deutlich: Christian Lindner. Dass sich die FDP auf dem Papier an vielen Punkten durchgesetzt hat, ist aber letztlich nur Ausdruck davon, dass SPD und Grüne genauso prokapitalistische Parteien sind, die keinen Politikwechsel im Interesse der lohnabhängigen Bevölkerung wollen.

Soziales

Das Schmuddelkind „Hartz IV“ wird jetzt in „Bürgergeld“ umbenannt. Der Koalitionsvertrag geizt nicht mit großen Worten. Das neue Konzept solle „die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe sowie digital und unkompliziert zugänglich sein.“

Es sind zwar einzelne Verbesserungen geplant. So soll etwa der Druck gemindert werden eine aus Sicht der gut betuchten Regierenden „zu teure“ Wohnung, gegen eine Günstigere tauschen zu müssen. Mehr Weiterbildung und Qualifizierung soll es geben. Der Kern des Hartz-Systems, dass mit repressiven Mitteln letztlich Menschen in prekäre Jobs gezwungen werden, deren Löhne nicht zum Leben reichen, wird sich nach bisherigem Stand, nicht ändern. Die Mietpreisbremse wird es weiterhin geben und soll etwas verschärft werden, aber sie wird weiterhin ein stumpfes Schwert gegen die Mietenexplosion bleiben. 400.000 neue Wohnungen sollen gebaut werden, das ist nicht mehr, als die Große Koalition bauen wollte – und von denen ein Großteil nicht gebaut wurde. An den eigentlichen Ursachen der Entwicklung, die auf die Herrschaft des Marktes und auf Privatisierungen von staatlichen Wohnungsbaugesellschaften in den letzten Jahrzehnten zurückzuführen ist, wird sich auch unter dieser Regierung nicht ändern. Bei der Altersvorsorge soll es keine weiteren Kürzungen geben. Eine gefährliche Entwicklung ist aber der geplante Einstieg in eine „Aktienrente“. Die gesetzliche Rentenversicherung soll ab 2022 mit zehn Milliarden Euro versehen einen Kapitalstock aufbauen. Damit werden die Gelder der Beitragszahlenden mit der Anarchie und dem Risiko der Börsen verknüpft und die Renten unsicherer.

Umwelt

Die Ampel kündigt an, dass deutlich mehr in den Klimaschutz investiert werden soll. Der Kampf gegen die Erderwärmung müsse eine „Querschnittsaufgabe“ sein und sich in den verschiedenen Ressorts niederschlagen. Das Wirtschaftsministerium, künftig vom Spitzen-Grünen Robert Habeck geleitet, wird um den Bereich Klimaschutz ergänzt. Der Ausstieg aus der Kohleenergie soll schneller gehen als geplant. Weich wie ein Wackelpudding kommt die Passage daher. „Idealerweise“ soll es bis 2030 geschehen und die regenerativen Energien ausgebaut werden. Verschiedene Initiativen und Wissenschaftler*innen haben bereits deutlich gemacht, dass mit diesen Vorhaben die Klimaziele nicht zu erreichen sein werden. Dass das Verkehrsministerium an die FDP gegangen ist, steht sinnbildlich dafür, dass von dieser Regierung keine ökologische Verkehrswende zu erwarten ist.

Außenpolitik

Mit Annalena Baerbock kommt zum zweiten Mal eine Repräsentantin der Grünen an die Spitze des wichtigen Außenministeriums. Der Koalitionsvertrag verspricht hier Kontinuität in Bezug auf die Nato und Europäische Union. Schöne Worte werden im Hinblick auf mögliche Abrüstungsinitiativen geschrieben. Ernster muss man hingegen die Absicht nehmen, bewaffnete Drohnen anzuschaffen und damit die Bundeswehr effektiver für zukünftige Kriege aufzustellen. Zudem wird ein schärferer Kurs gegenüber Russland und China angekündigt. Hier sind gerade die Grünen als Hardliner einzuschätzen, die Menschenrechte als Argument vorschieben, um damit knallharte geostrategische Interessen der deutsche Konzerne zu vernebeln.

Fortschritte

Es soll an dieser Stelle nicht darüber geschwiegen werden, dass die neue Regierung Maßnahmen plant, die für Millionen Menschen eine Verbesserung darstellen werden. Zweifellos ist die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro in der Stunde ein Fortschritt. Dennoch ist er zu wenig um den Betroffenen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen oder gar eine armutsfeste Rente zu garantieren. Das Absenken des Wahlalters bei den Bundestagswahlen auf 16 ist zweifellos zu begrüßen.

Für Frauen und viele Ärzt*innen ist die angekündigte Abschaffung des §219a des Bürgerlichen Gesetzbuches, der die öffentliche Information über Abtreibungen unter Strafe stellt, sicher ein Schritt nach vorne.

Die Legalisierung von Cannabis wird von Vielen positiv gesehen. Es kann der unsäglichen und heuchlerischen Kriminalisierung der Konsument*innen ein Ende bereiten und einen vernünftigeren Umgang mit der Droge ermöglichen. Im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechtes wird es wohl Verbesserungen geben. Im Hinblick auf die Migration deutet sich jedoch an, dass mit der Anlehnung an das kanadische Punktemodell, noch mehr als bislang eine an den Kapitalinteressen geleitete Politik geplant ist. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene „Beschleunigung“ von Asylverfahren bedeutet übersetzt nichts anders, als Beschleunigung von Abschiebungen.

Einschätzung

Die Mehrheit der Bevölkerung wollte die Große Koalition nicht mehr und insbesondere die Union. Einzelne Vorhaben und ein anderes Auftreten der Regierenden können den Eindruck erwecken, dass wieder mehr frische Luft einzieht und neue Ideen, Raum bekommen. Neben dem Klimaschutz ist auch viel von der Bedeutung der Digitalisierung die Rede. Beide Themen sind im besonderen jungen Menschen wichtig. Schaut man sich aber die wichtigsten Teile des Koalitionsvertrages an, dann wird deutlich, dass sich fundamental nichts ändern soll.

Aussichten

Es spricht viel dafür, dass die neue Bundesregierung keine stabile sein wird. Das zeigten bereits die letzten Tage als die drei Parteien offensichtlich von der dramatischen Pandemie-Entwicklung geradezu überrollt wurden und ihre ursprünglichen Pläne zum Teil binnen weniger Tage wieder über Bord warfen. Zudem dürfen die Gegensätze in der Ampelkoalition nicht unterschätzt werden. Insbesondere Grüne und FDP repräsentieren unterschiedliche Teile des Kapitals und werden immer wieder harte Konflikte austragen. Gerade die Grünen stehen auch unter dem Druck der Fridays for Future-Bewegung. Letztlich steht und fällt aber alles mit der weiteren Entwicklung der Pandemie und der Weltwirtschaft. Sollte es zu einem erneuten Einbruch kommen, wird der Druck zunehmen, das anzugehen, was Teile des Kapitals vor der Wahl mit „Agenda 2030“ umschrieben haben. Die Gewerkschaften müssen sich jetzt auf die zu erwartenden Auseinandersetzungen vorbereiten und in den nächsten Monaten Aufklärungsarbeit in den Betrieben leisten. Für DIE LINKE ist es zentral die richtigen Schlussfolgerungen aus dem Wahldebakel zu ziehen und einen radikalen Kurswechsel zu vollziehen: weg von der Beteiligung an Regierungen mit SPD und Grünen in den Ländern hin zu klarer sozialistischer Oppositionspolitik auf allen Ebenen und eine Konzentration darauf, an der Seite der Beschäftigten in die kommenden Kämpfe zu gehen, die verschiedenen sozialen Bewegungen zusammenzubringen und offensiv für eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen Chaos einzutreten.

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