Bittere Tarifabschlüsse bei der Deutschen Bahn: und nun?

Reallohnverluste und Spaltung der Belegschaft

Kurz vor Jahresende flatterten vielen Beschäftigten der Deutschen Bahn (DB) Briefe ins Haus. Darin wird ihnen mitgeteilt, unter welchen Tarifvertrag sie ab kommenden Jahr fallen werden, dem der Gewerkschaft der Lokomotivführer*innen (GDL) oder dem der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).

Von Ronald Luther, Mitglied der EVG Berlin

Damit wird bei der DB mit Billigung beider Gewerkschaftsführungen erstmals das Tarifeinheitsgesetz (TEG) angewandt. Dieses sieht vor, dass nur die Tarifverträge der Gewerkschaft gelten, die im jeweiligen Betrieb die meisten Beschäftigten organisiert hat. Bei der Bahn sind 71 Betriebe bei Cargo, Regio und Fernverkehr davon betroffen. Unklar ist, nach welchen Zahlen die Zuteilung erfolgt. Von den Vorständen der DB, EVG und GDL gibt es dazu bisher keine Aussagen. Hintergrund ist das Auslaufen der Kooperationsabrede laut GrundlagenTV zum Ende diesen Jahres. Ursprünglich wollte die GDL einen Eisenbahn-Flächentarifvertrag (EFTV) für das gesamte direkte Personal der DB erkämpfen, womit sich die Gewerkschaft aber nicht durchsetzen konnte.

GDL-Streik: es war mehr drin

Nach mehreren Streiktagen hatte die GDL im September 2021 erreicht, dass die Entgelte bei der DB im Dezember 2021 um 1,5 Prozent und im März 2023 um weitere 1,8 Prozent erhöht werden. Außerdem wird im Dezember 2021 eine steuerfreie Corona-Beihilfe von 600 Euro für Beschäftigte mit mittleren Einkommen und von 400 Euro für Beschäftigte mit höheren Einkommen gezahlt. Im März 2022 kommen noch mal 400 Euro für alle Eisenbahn*innen hinzu. Handwerker*innen und Werkstattmitarbeiter*innen erhalten ab Januar 2022 zusätzlich eine Erhöhung sämtlicher Erschwerniszulagen um zwölf Prozent. Weiterhin werden allen, die bis zum 31.Dezember 2022 bei der Bahn beschäftigt sind, die Betriebsrenten gesichert. Die Laufzeit des Tarifvertrages endet am 31. Oktober 2023.

Der Streik der GDL war zweifellos ein politischer Erfolg. Die Gewerkschaft hat gegen viele Widerstände ihre Streikfähigkeit bewiesen und zum Beispiel auch den Versuch den Streik gerichtlich zu stoppen widerstanden. Die GDL konnte tausende neue Mitglieder gewinnen und ihren Einfluss im Bahn-Konzern ausweiten. Vor allem hat sie einmal mehr bewiesen, dass Streiks möglich und effektiv sind und damit auch das Selbstbewusstsein unter den Streikenden erhöht. Das materielle Ergebnis jedoch muss kritisch betrachtet werden.

Laut GDL-Chef Claus Weselsky wurden damit nicht nur die Betriebsrenten geschützt, sondern respektable Einkommenserhöhungen durchgesetzt. Dabei wird in Deutschland für 2021 eine Inflationsrate von 3,2 Prozent, für 2022 von 3,6 Prozent und für 2023 von 2,2 Prozent prognostiziert. Eine Lohnerhöhung von insgesamt 3,3 Prozent bei einer Inflationsrate von insgesamt neun Prozent im gleichen Zeitraum ist allem Schönreden von Weselsky zum Trotz nichts anderes als eine deutliche Minusrunde für die Beschäftigten, die nicht durch die Einmalzahlungen der Corona-Prämien ausgeglichen wird.

Zufriedenheit beim Bahn-Vorstand

Das sieht auch der DB-Vorstand so, der sich über das Tarifergebnis sehr zufrieden zeigte. Denn die ursprüngliche Forderung der GDL war weitaus höher gewesen. Noch im März 2021 forderte die GDL eine Entgelterhöhung von 4,8 Prozent zum 1. März 2021 und eine Corona-Prämie von 1.300 Euro sowie die Beibehaltung der Betriebsrente für alle Eisenbahner*innen. Kurz vor Streikbeginn gab die GDL-Führung dann bekannt, dass sie sich nun mit ihrer Forderung nur noch am Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes, also 3,2 Prozent bei einer Laufzeit von 28 Monaten orientieren möchte. Mit der erreichten Lohnerhöhung von insgesamt 3,3 Prozent in zwei Schritten bei einer Laufzeit von 32 Monaten bleibt der Abschluss mit der GDL sogar noch darunter. Hinzu kommt das Ende der Betriebsrente für Neubeschäftigte. Viele GDL-Mitglieder fragen sich daher berechtigt, ob mit unbefristeten Streiks nicht hätte mehr erreicht werden können. So bleibt auch im Vergleich mit dem Tarifabschluss der EVG nur die Erkämpfung der Corona-Beihilfen und die Sicherung der Betriebsrenten für Altbeschäftigte als Pluspunkte übrig.

GDL legt vor, EVG bessert nach

Die EVG-Führung hatte sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, als sie bereits im Herbst 2020 ohne vorherige Diskussionen in der Mitgliedschaft und ohne Arbeitskampfmaßnahmen mit dem DB-Vorstand eine Nullrunde für 2021 und eine Lohnerhöhung von gerade mal 1,5 Prozent ab 1. Januar 2022 in einem bis Februar 2023 geltenden zweijährigen Tarifvertrag ausgekungelt hatte. Erreicht wurde außerdem eine Erschwerniszulage von zwölf Prozent in bestimmten Bereichen. Fallen gelassen wurde damals die Forderung nach Zahlung einer Corona-Beihilfe. Erst nachdem die GDL die Corona-Prämie erkämpft hatte wurde diese auch von der EVG-Führung nachgefordert. Somit erhalten Bahn-Beschäftigte, die unter den Tarifvertrag der EVG fallen, nun ebenfalls eine Corona-Prämie und zwar von 600 Euro im Dezember 2021 und von 500 Euro im März 2022. Die Betriebsrente für Altbeschäftigte wurde außerdem durch die GDL und nicht durch die EVG gesichert.

Tarifabschlüsse mit bitterem Beigeschmack

Beide Tarifabschlüsse hinterlassen bei vielen Bahn-Beschäftigten einen bitteren Beigeschmack. Das zeigt auch die niedrige Beteiligung von sechzig Prozent bei der Abstimmung über das Tarifergebnis der GDL, auch wenn 96 Prozent der Abstimmenden diesem letztlich zustimmten. Die EVG-Führung hatte ihre Mitglieder überhaupt nicht abstimmen lassen. Die Unzufriedenheit ist berechtigt, denn obwohl die Bahn-Beschäftigten einen wichtigen Job erledigen, werden sie bei beiden Tarifabschlüssen für die Folgen der Corona-Krise zur Kasse gebeten, während sich die Vorstände weiter die Taschen füllen. Die Abstimmung bei der GDL kann auch nicht darüber hinweg täuschen, dass die GDL-Führung nicht viel demokratischer agiert als die Führung der EVG. So strich der GDL-Vorstand noch während der Tarifauseinandersetzung den Forderungskatalog ohne Einbeziehung der Mitgliedschaft zusammen. Streiks wurden von oben herab aus der Vorstandsetage ausgerufen und wieder beendet. Die Tarifverhandlungen wurden hinter verschlossenen Türen geführt und die Kolleg*innen schließlich vor vollendete Tatsachen gestellt. Problematisch ist auch, dass die Akzeptanz der Einführung des TEG durch beide Gewerkschaften und die Unterscheidung in Alt- und Neubeschäftigte bei der Betriebsrente die Spaltung unter den Bahn-Beschäftigten weiter vertieft.

Für Einheit, aber im Kampf

Diese Spaltung muss überwunden werden. Das heißt aber nicht, dass die GDL ihre Eigenständigkeit aufgeben oder die Einschränkung des Streik- und Koalitionsrechts unterstützt werden sollte, wie es bei den letzten Tarifrunden der GDL seitens des DB-Vorstandes immer wieder versucht wurde. Stattdessen sollten sich alle kämpferischen Gewerkschafter*innen und Sozialist*innen stets mit Arbeitskämpfen, wie ihn die GDL kürzlich geführt hat, solidarisieren. Unterschiedliche Gewerkschaften und Tarifverträge sind nicht nur bei der DB eine Tatsache, mit der wir in den Betrieben umgehen müssen. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, so viel wie möglich zusammen zu kämpfen, um für die Kolleg*innen das Beste zu erreichen. Dafür sind enge Abstimmungen bei Tarifbewegungen und Arbeitskämpfen eine zentrale Voraussetzung, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Die beiden Tarifabschlüsse bei der Deutschen Bahn machen deutlich, wie wichtig es ist, dass sich Kolleg*innen zusammen schließen und sich für eine kämpferische Ausrichtung ihrer Gewerkschaften einsetzen. Das ist der beste Weg, um sich auf die nächsten Kämpfe vorzubereiten. Die Vernetzung „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ ist ein Ansatz dafür. Wer mit ihnen in Kontakt treten möchte, kann sich hier melden: info@vernetzung.org

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