„Gegen die kapitalistische Offensive vorzugehen, ist heute die größte Herausforderung“

Interview mit Carmel Gates, marxistischer Gewerkschaftsführerin aus Nordirland

Carmel Gates ist eine langjährige Gewerkschaftsaktivistin und Unterstützerin von „Militant Left“ in Irland, der Schwesterorganisation der Sol im Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI). Sie hat in diesem Sommer die Wahl zur Vorsitzenden von NIPSA, der größten Gewerkschaft in Nordirland (40.000 Mitglieder), gewonnen. Die Wahl fand als Briefwahl der Mitglieder statt. Die Solidarität sprach mit ihr über aktuelle  Herausforderungen und die Rolle von Sozialist*innen in Gewerkschaften.

Du hast die Wahlen zur Vorsitzenden der Gewerkschaft NIPSA gewonnen. Welches sind die wichtigsten Herausforderungen für Deine Gewerkschaft?

Die Frage ist für meine Gewerkschaft und für die sozialistische Bewegung im weiteren Sinne interessant. Die Covid-Ära hat den Kapitalist*innen eine neue Gelegenheit geboten, den Lebensstandard der Lohnabhängigen zu senken, die Wirtschaft weiter zu monopolisieren und die öffentlichen Dienste anzugreifen. Gegen diese kapitalistische Offensive vorzugehen, ist heute die größte Herausforderung für unsere Bewegung. 

Die großen Themen, mit denen die Beschäftigten heute konfrontiert sind, sind der Gesundheitsschutz vor Corona, der sinkende Lebensstandard, die prekären Arbeitsverhältnisse. 

Mit welchem Programm bist Du angetreten und wie unterscheidet es sich von anderen?

Natürlich befasste sich mein Programm mit einer Palette von Themen, darunter Arbeitsbedingungen, Löhne und Beschäftigung, und ich erläuterte meine Ansichten darüber, wie wir die Regierung und die Arbeitgeber herausfordern müssen. Es war mir wichtig, meine Pläne für den Wiederaufbau und die Stärkung der Gewerkschaftsstrukturen darzulegen. Ein weiterer wichtiger Punkt, war mein Engagement für die Aufrechterhaltung der Gewerkschaftsdemokratie, also dass die Stimmen der Mitglieder gehört und ihre Entscheidungen umgesetzt werden. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass NIPSA frei von konfessioneller Spaltung und allen Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung bleibt. 

In Nordirland hat es schreckliche Konflikte zwischen Katholik*innen und Protestant*innen gegeben. Wie wirkt sich das auf die Gewerkschaften aus?

Es ist wichtig zu erkennen, dass die nationale Frage in Irland nicht gelöst ist. Der Konflikt zwischen Protestant*innen und Katholik*innen ist ein Produkt der imperialistischen Strategie und bleibt auch heute ein brennendes Thema.

Die Gewerkschaftsbewegung ist nicht immun gegen die Auswirkungen der nationalen Frage und konfessionellen Sektierertums. Sie hat jedoch auch eine starke Geschichte des Widerstands gegen Spaltung und der Aufrechterhaltung der Einheit der Arbeiter*innenklasse. NIPSA hat dabei eine Schlüsselrolle eingenommen. Die Gewerkschaftsbewegung darf nicht versuchen, sich vor schwierigen Themen zu drücken. Es ist besser, eine umfassende Diskussion zu führen, wie die Spaltung bekämpft werden kann.

Du bist Sozialistin – wie würdest du die Notwendigkeit einer sozialistischen Gesellschaftveränderung im Kontext des Gewerkschaftskampfes ansprechen?

Ich möchte klarstellen, dass ich nicht nur Sozialistin bin, sondern revolutionäre Sozialistin. Das habe ich auch in meiner gesamten Zeit bei NIPSA deutlich gemacht. Ich vertrete revolutionäre sozialistische Ideen nicht nur in der Gewerkschaft, sondern auch in der gesamten Arbeiter*innenklasse. Für revolutionäre Sozialist*innen sind die Massenorganisationen der Arbeiter*innenklasse wie die Gewerkschaften ein entscheidender Bestandteil des Kampfes zum Sturz des Kapitalismus und zum Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft. Die Gewerkschaften können ein wesentlicher Bestandteil des täglichen Kampfes gegen den Kapitalismus sein.  Für revolutionäre Sozialist*innen besteht die Aufgabe in den Gewerkschaften heute darin, die bestmögliche Vertretung der Mitglieder zu sein, kämpferische, demokratische Gewerkschaften aufzubauen, die Gelegenheiten für Gegenwehr wahrzunehmen und geduldig mit den Gewerkschaftsmitgliedern über revolutionäre sozialistische Ideen zu diskutieren, um die Mehrheit für unsere Ideen zu gewinnen.

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