Linksjugend [‘solid] Nordberlin schließt Sol-Mitglieder aus

Erklärung von jungen Sol-Mitgliedern zu den undemokratischen Methoden und Vorwürfen von Fehlverhalten

Wir, Mitglieder der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol), sehen uns leider gezwungen, öffentlich zu dem Ausschluss von zwei Sol-Mitgliedern aus der Basisgruppe Nordberlin der linksjugend [‘solid], den Vorwürfen von persönlichem Fehlverhalten und den extrem undemokratischen Methoden, mit denen wir in den letzten Tagen konfrontiert waren, Stellung zu nehmen.

Als Mitglieder der Sol verstehen wir uns als revolutionäre Sozialist*innen, die den Kapitalismus überwinden und durch eine sozialistische Demokratie ersetzen wollen. Diesen Kampf führen wir seit langer Zeit auch in der Linksjugend [‘solid]. Dabei mussten wir leider immer wieder Erfahrungen mit bürokratischen Angriffen auf uns und unsere Organisation machen, u.a. verschiedene Ausschlussversuche. In der Vergangenheit gingen diese Angriffe vor allem von Teilen des Reformer-Flügels (inkl. der sogenannten „Antideutschen“) aus. Sie waren immer der Versuch, einer politischen Auseinandersetzung mit marxistischen Ideen aus dem Weg zu gehen und gingen leider auch mit Lügen und nicht belegten Behauptungen einher.

Leider mussten wir in den letzten Tagen die Erfahrung machen, dass sich auch Kräfte, die sich selbst dem linken Flügel des Jugendverbandes zuordnen, vor solchen Methoden nicht zurückschrecken. Zum Hintergrund: Nachdem der Landesverband Berlin lange Zeit von Reformer*innen dominiert war, hat sich auf der letzten Landesvollversammlung eine neue Mehrheit ergeben und sind politisch wichtige Anträge verabschiedet worden, die sich u.a. gegen die Zusammenarbeit mit prokapitalistischen Parteien wie SPD und Grünen ausgesprochen haben. Diese politische Veränderung haben wir sehr begrüßt. Till hatte zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen, an den Treffen der Basisgruppe teilzunehmen. Tim und Tom nahmen im Januar 2022 dann an zwei bzw. einem Treffen der Basisgruppe teil und wollten sich in den Aufbau der Basisgruppe und der neuen Mehrheit im Landesverband einbringen.

Soweit sollte es aber nicht kommen. Am 06. Februar wurden Tim und Tom per Chat-Nachricht von Mitgliedern des Sprecher*innenkreises der Basisgruppe (SprK) darüber informiert, dass sie aus dem Chat der Basisgruppe ausgeschlossen und gebeten werden, nicht mehr zu den Treffen zu kommen. Uns wurde mitgeteilt, dass sich mehrere Personen in ihrer Anwesenheit wegen ihres Verhaltens und Konflikten (u.a. in der Vergangenheit) unwohl fühlen würden. Das FLINTA*-Plenum der Basisgruppe hätte eine Empfehlung ausgesprochen, der der SprK folgt.

Wir waren von diesem Vorgehen schockiert. Wir nehmen alle Vorwürfe wegen Fehlverhaltens im Allgemeinen und gegen uns im Besonderen sehr ernst und wir wollten uns damit auseinandersetzen – jedoch wurde uns nicht gesagt, worin unser Fehlverhalten eigentlich bestanden haben soll oder welche vergangenen Konflikte eine Rolle spielen sollen. Uns waren nur politische Auseinandersetzungen aus der Vergangenheit bekannt. Es gab kein Gesprächsangebot, noch sollten wir die Möglichkeit bekommen, auf die Vorwürfe zu antworten. Stattdessen wurde einfach so an der Basisgruppe vorbei entschieden, uns von der Kommunikation und den Treffen auszuschließen, und wurde die Basisgruppe vom SprK nicht einmal darüber informiert.

Wir halten dieses Vorgehen für extrem undemokratisch und nicht geeignet, ernsthaft mit solchen Vorwürfen umzugehen und eine solidarische Atmosphäre zu schaffen. Tim und Tom wandten sich mit einer Nachricht an die Basisgruppe. Wir erklärten darin, dass wir solche Vorwürfe absolut ernst nehmen, dass jedoch der ganze Umgang damit extrem undemokratisch ist und forderten, dass wir erfahren, was die konkreten Vorwürfe sind und dass wir das Recht bekommen, vor der Basisgruppe Stellung nehmen zu dürfen und die Basisgruppe das Recht hat, über unseren Fall zu entscheiden. Wir zeigten darin außerdem auf, wie man unserer Meinung nach mit den Vorwürfen hätte ernsthaft umgehen können. Gleichzeitig erklärten wir uns jederzeit zu Gesprächen bereit, um gemeinsam einen Weg für die weitere Zusammenarbeit zu finden.

Schließlich gab es auf unser Bitten ein Gespräch mit dem SprK am 12. Februar. In dessen Verlauf wurde uns eine Sprachnachricht einer Person vorgespielt, in dem die Vorwürfe konkretisiert werden sollten. Auf einmal ging es nur noch um eine statt um mehrere Personen, die mit uns ein Problem hätten und es ging ausschließlich um Vorfälle aus der Vergangenheit.

Als konkretes Fehlverhalten in der Vergangenheit benannte die Person gegenüber Tom, dass er vor mehr als zwei Jahren einen offenen Brief im Landesverband verbreitet hat. Zum Hintergrund: Dieser Brief war Ergebnis einer Diskussion von zwei Basisgruppen zur damaligen Organisationsreform im Landesverband und äußerte u.a. Kritik am damaligen Landessprecher*innenrat (LSpR), in dem die Person tätig war. Weil der Brief u.a. formulierte: “Uns scheint es so, dass aktuell nur ein Genosse aus dem LSpR bei den Solid-Sessions (landesweite Treffen, A.d.A.) den Großteil der Arbeit wegträgt und regelmäßig an den Treffen teilnimmt.”, hätte er laut der Person ihre Arbeit in dem Gremium “negiert”. Der Vorwurf basierte also allein darauf, dass Tom und andere Genoss*innen politische Kritik am damaligen LSpR geäußert haben.

Der andere Vorwurf richtete sich gegen Tim: Vor drei Jahren datete die Person einen Mitbewohner einer Genossin von Tim. In der Wohnung soll Tim gegenüber dem damaligen Paar kommentiert haben: “Warum geht ihr denn vor dem Sex spazieren und nicht danach – macht man das nicht andersherum?” In ihrer Sprachnachricht behauptete die Person, dieser Kommentar hätte sie “objektifiziert” und “zum Sexobjekt degradiert”. Sie interpretierte den Kommentar als: “Frauen sind nur zum F*cken da.” Tim kann sich an diesen Kommentar nicht erinnern, aber er erklärte noch in dem Gespräch, wenn er das gesagt hätte, tue es ihm leid – es wäre dann ein dummer, aber politisch harmloser Spruch gewesen, der keine Basis für einen Ausschluss sein kann. Denn wir halten es für nicht nachvollziehbar, dass dieser Kommentar die Person objektifiziert hätte, da er sich an das Paar gleichermaßen gerichtet haben soll.

Da die Person außerdem im Vorfeld gegenüber Till den weiteren Vorwurf geäußert hat, Tom würde sich abfällig gegenüber FLINTA-Personen verhalten, fragten wir nach, was mit diesem Vorwurf sei. Daraufhin ergänzte die Person, dass sie von mehreren Frauen gehört habe, Tom würde in Diskussionen “viel Raum einnehmen” und “Mansplaining” betreiben. Das ganze konnte uns gegenüber aber nicht weiter konkretisiert werden und basiert anscheinend auf der Behauptung von anderen.

Die Person erklärte jedenfalls: Entweder wir verlassen die Basisgruppe oder sie würde die Basisgruppe verlassen. Wir forderten vom SprK erneut eine Klärung des Sachverhalts im Plenum und das Recht für uns dort Stellung zu nehmen. Der SprK beendete das Gespräch ohne dies zuzusagen.

In der Nacht des 17. Februar erhielten wir dann eine Einladung, dass unser Fall am selben Tag im Plenum behandelt würde und wir dort Stellung nehmen könnten. In der kurzen Einleitung des SprK hieß es erneut, es gäbe “Vorwürfe” gegen Tim und Tom wegen Fehlverhaltens, ohne diese genauer darzustellen; dass das Gespräch am Samstag nichts weiter gebracht hätte und heute darüber abgestimmt wird, ob die beiden noch erwünscht wären. Daraufhin schlug die Vertreterin des SprK vor, die Debatte auf 30 Minuten zu begrenzen und eine Redezeitbegrenzung von 2 Minuten bei doppelt quotierter Redeliste einzuführen (FLINTA-Personen und Erstredner*innen werden vorgezogen). Unsere Kritik, dass das undemokratisch wäre und uns als Minderheit und Beschuldigten mehr Zeit z.B. für ein Eingangsstatement gegeben werden sollte, hinderte das Plenum nicht daran, das Vorgehen zu beschließen.

Tim und Tom durften dann innerhalb von jeweils zwei Minuten in ihren Beiträgen den Sachverhalt und die Vorwürfe selbst klarstellen und sich gegen sie verteidigen. Gleichzeitig wurden einige neue falsche Behauptungen in anderen Redebeiträgen erhoben. Es wurde zum Beispiel suggeriert, Tim und Tom würden die Person auf monatlicher oder wöchentlicher Basis persönlich angreifen. Die ganze Grundlage der Argumentation war derweil, dass die Person sich unwohl mit uns fühlt und uns nicht vertraue, und damit mehr nicht gesagt werden braucht. Nach Ende der kurzen Debatte wurde abgestimmt. Bei einer Enthaltung entschied das Plenum, dass wir nicht erwünscht sein und gehen sollten. Einstimmig entschied das Plenum, dass wir keine schriftliche Begründung für diesen Beschluss bekommen sollten.

Wir haben viele Jahre die Berliner linksjugend [‘solid] mit aufgebaut, aber selbst als wir in linker Opposition zur reformerisch-dominierten Führung der Vergangenheit standen, waren wir nicht mit solchen Methoden konfrontiert. Wir glauben, dass unser Fall ein aktuelles Beispiel für den schädlichen Einfluss von Identitätspolitik und des Definitionsmacht-Konzepts in der Linken ist, und wie diese genutzt werden können, um sich missliebiger Stimmen zu entledigen. Wir veröffentlichen diese Vorgänge einerseits, um den Gerüchten, die über uns in Umlauf gebracht werden, entgegenzuwirken. Andererseits wollen wir die Mischung aus undemokratischen Methoden und Identitätspolitik zurückweisen, derer sich Mitglieder der Basisgruppe Nordberlin, die auch im Bundesarbeitskreis Realsozialismus tätig sind, bedienen.

Gleichzeitig sind wir fest entschlossen, den Kampf für einen sozialistischen und oppositionellen Jugendverband fortzusetzen und dabei gegen jede Form von Ausgrenzung und Diskriminierung zu kämpfen. Aber wir wollen klar machen, dass die Methoden, mit denen wir konfrontiert waren, nicht links sind, und die, die sie anwenden, nicht zum linken Verbandsflügel gehören. Denn wir sind überzeugt, dass der Kampf für eine sozialistische linksjugend [‘solid] mit der Verteidigung demokratischer Prinzipien und der Ablehnung bürokratischer Ausschlüsse einhergehen muss.

Till Freyberg, Tim Brandes, Tom Hoffmann

*FLINTA = Abkürzung für “Frauen, Lesben, Inter, Non-Binäre, Trans- und Agender”

Anhang

Wir hängen an dieser Stelle zur Information unseren Brief an die Basisgruppe sowie den “Offenen Brief” aus dem Jahr 2019 an. Außerdem verlinken wir einen älteren, ausführlichen Artikel der Sol, mit Vorschlägen wie der Kampf gegen Sexismus mit und in der Arbeiter*innenbewegung geführt werden sollte.